Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Das Verhältnis zwischen den, aus dem ehemaligen rechten Mehrheitsflügel der im Februar 1990 aufgelösten Kommunistischen Partei Italiens (PCI) hervorgegangenen, Linksdemokraten (Democratici di Sinistra - DS) und großen Teilen der ihnen nahestehenden Gewerkschaftszentrale CGIL bleibt angespannt. Ein besonders deutliches Beispiel dafür ist der nachfolgende Kommentar, in dem sich Giorgio Cremaschi mehr als kritisch mit den programmatischen Äußerungen des führenden Linksdemokraten und ehemaligen Ministers, Pierluigi Bersani, auseinandersetzt. Cremaschi ist Mitglied des Nationalen Sekretariates der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM (die zur CGIL gehört), Chef des wichtigen Regionalverbandes Piemont der FIOM und einer der drei führenden Köpfe der italienischen Gewerkschaftslinken (jener innerhalb der CGIL). Sein Kommentar erschien als Editorial der kleinen, Rifondazione Comunista gehörenden Tageszeitung "Liberazione" vom 12.8.2003, da Cremaschi seit zwei Jahren ebenfalls Mitglied von Rifondazione und mittlerweile auch ihrer erweiterten Leitung ist.


Aber der gute Wirtschafts-liberalismus existiert nicht


von Giorgio Cremaschi


Im Interview des Verantwortlichen der Linksdemokraten (DS) für den Bereich Wirtschaft, Pierluigi Bersani, für die "il manifesto"-Ausgabe vom 10.8.2003 tauchen alle Schwächen und Widersprüche des gemäßigten Teiles des <mitte-linken> Olivenbaum-Bündnisses bezüglich der Wirtschaftspolitik der Regierung Berlusconi auf. Hart fällt natürlich das Anprangern des Scheiterns der Rechten aus. Den Mangel an Resultaten, die nicht eingehaltenen Versprechen, die Konfusion und Inkompetenz der Regierungsgesellschaft haben alle vor Augen. Die Regierung ist soweit gekommen, daß sie sich durch die eigene Propaganda täuschen läßt. Das wirtschaftsliberale Märchen, demzufolge es genügen würde die Arbeitsrechte und die Sozialausgaben zu reduzieren und gleichzeitig die Steuern für die Reichen und die Unternehmen zu verringern, um die Entwicklung wieder in Gang zu bringen, funktioniert nicht mehr. Wenn die italienische Wirtschaft schlechter abschneidet als die Wirtschaft des Großteils der reichen Länder, dann aufgrund der Einfältigkeit und Unfähigkeit der Regierung Berlusconi. Dennoch findet die italienische Krise im Kontext einer weltweiten Rezession oder Stagnation statt und wenn man diese Tatsache nicht zur Kenntnis nimmt, ist es auch nicht möglich ein Rezept zu entwickeln, das zu dem der Rechten eine wirkliche Alternative darstellt.


Diesbezüglich herrscht in den Äußerungen des DS-Exponenten jedoch gähnende Leere. Der Anklage der Rechten wird einfach die Verherrlichung der guten <Mitte-Links-> Regierung in der Vergangenheit gegenübergestellt, während man der erneuerten Bereitschaft der Unternehmen mit der Mitte-Linken ins Gespräch zu kommen, zuzwinkert. Zwei grundlegende Probleme geraten so in Vergessenheit: Das erste besteht darin, daß die Kritik der Confindustria an der Regierung Berlusconi heute im wesentlichen eine "von rechts" ist. Die Verpflichtungen des Maastrichter Vertrages und des Stabilitätspaktes verhindern in Sachen Währung, öffentlicher Dienst jene mehr oder weniger versteckten Formen der Unterstützung der Unternehmen, die es in der Vergangenheit dem industriellen System erlaubten, der weltweiten Konkurrenz standzuhalten. Und in der Tat - hier liegt das zweite Grundproblem - entfernt sich das industrielle System Italiens seit Jahren von dem der entwickeltesten Länder. Seit Jahren gibt es einen wachsenden Abstand zwischen Italien und der Spitzengruppe der reichsten und stärksten Länder. Die Confindustria weiß all dies sehr gut und fordert von der Regierung, daß sie frisches Geld auftreibt, um die Unternehmen zu finanzieren, indem im Gesundheitswesen, bei den Renten und dem, was von den Sozialleistungen übrigbleibt, brutale Kürzungen vorgenommen werden.


Es erscheint mir offensichtlich, daß, wenn es heute eine Regierungskrise geben sollte und die Kräfte der Neuen Mitte (jene, die den wichtigsten Unternehmen nahestehen) die Oberhand gewännen, das Ergebnis dessen eine auf der Ebene der liberalen Prinzipien akzeptablere Politik wäre, auf der sozialen Ebene aber noch weiter rechts stände. Man hat Mühe zu erkennen, was in diesem Kontext der ausschlaggebende Entwurf innerhalb der Mitte-Linken wäre. Es fehlt nämlich jedwede kritische Überprüfung der von ihr in der Vergangenheit getroffenen Entscheidungen.


Der wachsende Abstand Italiens zu den fortgeschrittensten industriellen Systemen hat eine lange Vorgeschichte. Daran ist nicht Berlusconi schuld. Man hat Olivetti sterben lassen, hat Italtel zerschlagen, die staatlichen Beteiligungen liquidiert, sich aus vielen strategischen Sektoren (von der Chemie bis zur Automation) zurückgezogen, hat jahrelang darauf verzichtet eine Industriepolitik zu betreiben, die auf die Ausweitung der Forschung und Investitionen in die Qualität abzielte. Es ist erst zwei Jahre her, daß sich Vertreter der Mitte-Linken rühmten, daß die italienischen Privatisierungen umfangreicher seien als die von Frau Thatcher durchgeführten. Wenn zutrifft, was Bersani sagt, daß die Rechte alles auf die "animalischen Instinkte" des Kapitalismus gesetzt hat und damit gescheitert sei, dann ist es ebenfalls Fakt, daß die gemäßigte Linke auf das industrielle Verantwortungsgefühl der Unternehmen gesetzt hat und ebenfalls gescheitert ist.


Nun spitzt sich die Krise zu. Binnen kurzem wird das letzte große italienische Unternehmen - FIAT - in der Form, wie wir es kannten, aufhören zu existieren und dennoch kommen von der Mitte-Linken nicht einmal jene pragmatischen Vorstöße, die der französische Präsident Chirac gemacht hat, um zur Unterstützung des Alstom-Konzerns zu intervenieren.


Kurzum: Dem konfusen und verpfuschten Wirtschaftsliberalismus der Mitte-Rechten wird der seriöse, verantwortungsbewußte und sozialpartnerschaftliche Wirtschaftsliberalismus der Mitte-Linken gegenübergestellt. Es wird weiterhin die Politik vorgeschlagen aus deren Scheitern die barbarische Rechte, die wir kennen, siegreich hervorgegangen ist. Es ist daher gut, sich klarzumachen, daß es ohne das Aufstellen neuer Parameter und die Schaffung neuer, sozialer und wirtschaftspolitischer Koordinaten und ohne den Mut, eine Wirtschafts- und Sozialpolitik zu entwerfen, die sich auf eine erneuerte öffentliche Intervention gründet, keine wirkliche Alternative zur Rechten geben kann.


Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover