Gewerkschaftsforum Hannover:

 

In unserer kleinen Trilogie der Positionen, die die verschiedenen Teile der italienischen Gewerkschaftslinken innerhalb der CGIL in den heftigen Auseinandersetzungen um die landesweite Großdemo gegen prekäre Lebens- und Beschäftigungsverhältnisse (real 8.000 bis 10.000 Teilnehmer) am 4.November 2006 in Rom bezogen, hier das Interview, dass der Kopf des radikalsten Teils der CGIL-Linken, Giorgio Cremaschi (Rete 28 Aprile und Mitglied des Sekretariats der Metallergewerkschaft FIOM), der FIAT-eigenen Tageszeitung „La Stampa nach der Demo gab. Es erschien am 6.11.2006.

Wie sich in diesem Interview bereits andeutete, war die Auseinandersetzung mit der (gelungenen) Demonstration keineswegs beendet. Sie wurde von der CGIL-Spitze unter Generalsekretär Guglielmo Epifani (parteipolitisch ein ehemaliger PSI’ler und heute Mitglied der Linksdemokraten – DS) vielmehr zum Aufhänger für eine scharfe Kampagne gegen die zu kritische und eigenständige FIOM-Führung gemacht. Ziel dieser vorerst gescheiterten Attacken ist die vollständige Unterordnung der Gewerkschaftsbewegung unter die „befreundete“ Regierung Prodi – aus Gefolgschaftstreue und in der Hoffnung von Epifani & Co., dass ihnen zum Dank Zugeständnisse gemacht werden, die sie im Kampf nicht erreichen können oder wollen. In den kommenden Übersetzungen werden wir noch näher darauf eingehen. Hier zunächst einmal die Einschätzung von Giorgio Cremaschi:

 

Der FIOM-Sekretär: „Es ist wichtig, dass das Gesetz Nr.30 schlicht und einfach gestrichen wird.“

 

Cremaschi: Epifani Sklave der Regierung“

 

ROM – Giorgio Cremaschi ist Mitglied des nationalen Sekretariats der FIOM, d.h. der Metallarbeiter der CGIL.

 

Hat die CGIL einen Fehler gemacht als sie sich an der von Euch organisierten Manifestation am Samstag in Rom nicht beteiligt hat? Lag die Regierung falsch als sie die Frage nicht rechtzeitig in die Hand nahm oder die Staatssekretäre, die mit auf der Straße waren?

 

„Ich will die persönlichen Entscheidungen nicht bewerten. Ich sage, dass die Manifestation aus zwei Gründen ein großer Erfolg war: Erstens weil die Bürger das Problem der Prekarität stark spüren und zwar alle, egal welchem Lager sie angehören. Zweitens weil sie ein großes politisches Problem aufgeworfen hat.“

 

Das die Regierung – das werden sie einräumen – allerdings bereits auf der Agenda hatte.

 

„Nehmen wir uns bitte nicht gegenseitig auf den Arm. Ganz offensichtlich gehörte es nicht zu ihren Prioritäten, sonst hätte sie es bereits in Angriff genommen. Und dann hat sie gewiss nicht erkennen lassen, dass sie an eine Abschaffung des Gesetzes Nr. 30 aus 2003 denkt.“

 

Aber an eine bedeutende Veränderung schon.

 

Politikastertum! Nichts anderes als politikasterhafte Hinhaltetaktik. Die Leute, die gestern auf der Straße waren und die Millionen Werktätigen, die von dem Problem betroffen sind, fordern von der Regierung nicht, dass sie dem Bestehenden einen neuen Anstrich geben soll. Sie fordern die Abschaffung des Gesetzes Nr.30.“

 

Aber die Regierung besteht aus einer Vielzahl von Stimmen. Vielleicht wird sie eine weniger dramatische Vermittlungslösung finden müssen, glauben Sie nicht?

 

„Es ist nicht meine Aufgabe, der Regierung zu sagen, was sie zu tun hat. Ich sage nur das, was die Straße ohne Schwankungen und ohne Unsicherheit verlangt hat. Wollen die das nicht zur Kenntnis nehmen? Sie können natürlich tun und lassen, was sie wollen. Aber in dem Fall werden auch wir entsprechend weitermachen.“

 

Aber die Gegenseite war doch (in Person von fünf Staatssekretären) mit ihnen zusammen auf der Piazza. Wer sollte die Leier verstehen, wenn nicht genau diese Subjekte?

 

„Ich weiß, dass einige Leute die Entscheidung dieser Regierungsvertreter kritisiert haben. Ich teile diese Einschätzung allerdings nicht. Man kann legitimerweise und voll und ganz in einer Regierung sein und gleichzeitig in einer bestimmten Frage eine entschlossenere Politik fordern.“

 

Prodi hat gesagt: Das ist kein Protest gegen uns, weil sich die Regierung über das Problem völlig im Klaren ist und sich anschickt, es zu lösen.

 

„Aber wo denken sie hin!  Die von Prodi und <DS-Arbeitsminister> Damiano verfolgte Linie ist eine reine Retusche des Bestehenden. Unsere Position sieht ganz anders aus: Das normale Arbeitsverhältnis muss ein unbefristetes sein. Die Prekarität eines befristeten Arbeitsvertrages ist nur in Ausnahmefällen zulässig. Wollen Sie ein Beispiel?“

 

Legen Sie los!

 

„Wenn eine Bibliothek eine Recherche über antike Eintragungen in Sanskriten braucht, kann sie einen darauf spezialisierten Forscher für drei Monate einstellen. Es gibt allerdings keinen Grund einen derartigen Vertrag mit einem in der Buchführung arbeitenden Verwaltungsangestellten abzuschließen. Klar?“

 

Und was ist bei all dem mit Ihrem „Mutterhaus“ – der CGIL?

 

„Die CGIL hat einen Fehler gemacht, sich nicht an der Manifestation vom Samstag zu beteiligen. Der Kampf gegen die Prekarität ist Teil einer Plattform, die <vor drei Jahren im Rahmen der Kampagne zur Verteidigung des Kündigungsschutzes> von fünf Millionen Beschäftigten unterzeichnet wurde und steht in den Dokumenten des letzten Gewerkschaftskongresses. Und dennoch hat es Epifani vorgezogen auf Zeitgewinn zu setzen. Er leidet mittlerweile an dem Syndrom der ‚befreundeten Regierung’. Und deshalb hat er, um diesen ‚Freund’ nicht zu behindern, die Wachsamkeit reduziert. Er ist allerdings dabei einen ganz gravierenden Fehler zu begehen.“

 

In den Zeitungen gab es bereits einen Chor aus <den Unternehmerverbänden> Confindustria, Confcommercio und hochrangigen Ökonomen, die vor einer Abschaffung der „Flexibilität“ warnen.

 

„Keiner von diesen Herren ist prekär beschäftigt, wie mir scheint. Lassen wir das!“

 

Ist Ihnen nicht schon mal die Idee gekommen, dass sie eine Wunschvorstellung lancieren?

 

„Es gab in Frankreich eine starke Bewegung gegen die Prekarität.  Erinnern Sie sich daran? Chirac hat den Rückwärtsgang eingelegt. Ich habe nicht den Eindruck, dass Frankreich deshalb Kopf stand. Wenn Chirac das getan hat, dann kann Prodi es auch.“

 

Im Januar beginnen die Verhandlungen über die Renten. Wenn die Stimmung so aussieht…

 

Prekarität und Renten hängen miteinander zusammen. Sicherlich wird die Erhöhung des Renteneintrittsalters die Haushalte sanieren, aber sie wird auch die Prekarität erhöhen, weil die abgesicherten Alten länger arbeiten. Auch da ist eine Diskontinuität nötig. Und ich habe nicht den Eindruck, dass die in der Aktion dieser Regierung zu erkennen ist.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Gewerkschaftsforum Hannover