Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Die COBAS, d.h. die eigenständigen linken gewerkschaftlichen Basiskomitees, die es seit Ende der 80er Jahre in Italien gibt, sind in Deutschland fast so etwas wie ein Mythos. Ein Mythos, über den das konkrete Wissen noch immer ziemlich begrenzt ist. Es gibt nun eine Gelegenheit, diese „weißen Flecken“ zu beseitigen. Im Juni 2004 erschien bei der kleinen linken Verlagskooperative Colibri bzw. den La Giovane Talpa edizioni unter dem Titel „Nel cuore delle lotte. La resistenza al capitalismo. Dal `68 alla guerra in Iraq“ (Im Herzen der Kämpfe. Der Widerstand gegen den Kapitalismus. Von `68 bis zum Irak-Krieg) in italienischer Sprache ein Interviewband, der auf der Grundlage längerer Gespräche mit Piero Bernocchi entstand, die zwischen dem 27.April und dem 15.Mai 2004 geführt wurden. Auf den 110 Seiten gibt der bekannteste Vertreter der COBAS einen detaillierten Einblick in die Geschichte der COBAS, die Klassenkämpfe der letzten Jahre und die Entwicklung der italienischen antagonistischen Linken seit 1968. Wobei er die Geschehnisse und den derzeitigen Zustand durchaus selbstkritisch analysiert und damit unseres Erachtens eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung einer konsequenten, klassenkämpferischen und basisorientierten linken Politik nicht nur im gewerkschaftlichen Bereich schafft.

Im Klappentext wird der Autor kurz vorgestellt:

„Piero Bernocchi (geboren 1947 in Foligno) beteiligte sich als Protagonist an den sozialen Bewegungen, die in den 60er und 70er Jahren in Italien stattfanden. Als Direktor von Radio Città Futura, der er von 1979 bis 1985 war, hat er seit ihren Anfängen an der Erfahrung der COBAS teilgenommen und ist heute nationaler Sprecher der COBAS scuola (Basiskomitees Schule) sowie einer der wichtigsten Exponenten des Europäischen Sozialforums und der italienischen und europäischen ‚No global’-Bewegung. Er verfasste verschiedene Bücher, darunter: „Die Reformen in der UdSSR“ (1977), „Über die Berliner Mauer hinaus“ (1990), „Von der Gewerkschaft zu den Cobas“ (1993), „Von `77 an“ (1997) und „Für eine Kritik von `68“ (1998).“

 

Wir präsentieren hier die Übersetzung des vierten der sieben Kapitel des Buches. Einem Kapitel, das sich zentral mit den COBAS und ihrer Geschichte beschäftigt. Wenn sich unsere entsprechenden Hoffnungen erfüllen, werden wir in nicht allzu ferner Zukunft in der Lage sein alle sieben Kapitel als umfangreichere Broschüre in gedruckter Form vorzulegen. Dieses vierte Kapitel ist – als Leseprobe – am 7.Juni 2004 auch auf der sehr empfehlenswerten (italienischsprachigen) Internetseite www.giovanetalpa.org erschienen.

 

Die Cobas im Herzen der Kämpfe

 

Frage: Welche Ursprünge haben die COBAS ?  Wie sind sie entstanden ?

 

Antwort: „In gewisser Hinsicht könnte wir sagen, dass die Comitati Unitari di Base (Basis-Einheitskomitees; siehe Anm.1) der 60er und 70er Jahre unsere Vorläufer waren. Zwischen jenen Erfahrungen und unserer gibt es jedoch zahlreiche und erhebliche Unterschiede. Die echten COBAS entstehen zwischen Ende 1986 und Anfang 1987 in der Schule. Zu Anfang bedeutete das Akronym CO.BA.S (mit den Trennungspünktchen) Comitati di Base della Scuola (Basiskomitees der Schule). Dann wurde der Begriff, unter Ausschluss der Pünktchen zu einem Eigennamen, der in das Vokabular einging und von allen als Akronym für Comitati di Base (Basiskomitees) gebraucht wurde. Die ursprünglichen COBAS, diejenigen der Schule, bewegten sich von Anfang an in zwei Richtungen. Eine war die Vorstellung, dass man Gewerkschaftsarbeit nicht berufsmäßig machen könne, dass sich die Werktätigen (lavoratori) organisieren könnten, ohne Bedarf an Leuten zu haben, die berufsmäßig für die Tarifpolitik zuständig und für immer vom Arbeitsplatz getrennt sind. Wir wollten, dass die Werktätigen sich, ohne den Verhandlungspfuschern Vollmachten auszustellen, mit ihrer Arbeitssituation beschäftigen konnten und sich stattdessen in erster Person mit all dem beschäftigten, was die eigene Arbeits- und allgemeiner die Situation des öffentlichen Schulwesens und der Gesellschaft drum herum betrifft.

 

Diejenigen, die – ausgehend von Rom, wo sich der ursprüngliche Kern befand – die COBAS gründeten, waren alles politisierte Leute, zum Großteil Militante, die aus den politischen Erfahrungen der 60er und 70er Jahre kamen und die häufig beschlossen hatten, Lehrer zu werden, auch um über mehr freie Zeit und kulturelle Instrumente zu verfügen und diese der politischen und sozialen Arbeit insgesamt zu widmen. Das Projekt COBAS entsteht mit einigen bedeutenden Eigentümlichkeiten, weil die Geschichte und die Bedingungen derjenigen, die sie gründeten, und auch des ersten ‚Jahrgangs’, der für ihre Verbreitung auf nationaler Ebene sorgte, eigentümlich sind. Das zweite charakteristische Element der COBAS (die Ablehnung der Trennung von politischer, gewerkschaftlicher, sozialer und kultureller Arbeit) wird sich etwas später – ab Anfang der 90er Jahre – mit voller Klarheit entwickeln, auch wenn der Wille sich nicht darauf zu beschränken, ‚nur Gewerkschaftsarbeit’ zu machen, von Anfang an klar ist.

 

Dieser Versuch ist in Italien und Europa wirklich einzigartig. Auch wenn er die Kombinationen ein bisschen forcieren will. Darin kann man auch einen Impuls sehen, zu einigen Charakteristika der Gewerkschaften in ihren Ursprüngen zurückzukehren, zu einem bestimmten Syndikalismus des 19.Jahrhunderts, der den unmittelbaren Kampf nicht von den globalen Transformationsprojekten der Gesellschaft trennte und auch die betriebliche / tarifpolitische nicht von der breiter angelegten politischen Arbeit. Aber auch bei diesem Thema gibt es mindestens so viele Unterschiede und die Kombination z.B. mit dem Anarchosyndikalismus erscheint überzogen. Unser Annäherungsversuch an die Politik ist sicherlich komplexer, differenzierter und ich würde sagen höher entwickelt als derjenige des sog. revolutionären Syndikalismus der Anfänge. Wir haben versucht eine politisch-gewerkschaftliche Organisation zu sein, die keine Trennungen zwischen den Kämpfen der Gegenwart und denen der Zukunft, zwischen den Kämpfen in der gegenwärtigen Gesellschaft und den Transformationsprojekten hin zur gewünschten zukünftigen Gesellschaft sowie zwischen nationalen und internationalen Kämpfen vollzieht. Diese Trennung zwischen der Politik und dem tarifpolitischen Handeln (die später in weiten Bereichen der Politik der Arbeiterbewegung im 20.Jahrhundert eine konkrete Bedeutung besitzt, einerseits um einen Spielraum in der Gesellschaft zu finden, indem sie in die Institutionen einzieht und sich andererseits auf die Tarifverhandlungen über den Verkauf der Arbeitskraft zum bestmöglichen ‚Preis’ und den bestmöglichen Bedingungen reduziert – mit einer deutlichen Spaltung, die das erste Terrain der Partei und das zweite der Gewerkschaft anvertraute) erscheint heute in erheblichem Maße durch die Tatsachen und die enge Verbindung überwunden, die der heutige Kapitalismus zwischen lokal und global, zwischen branchenbezogen und allgemein, wirtschaftlich und politisch zur Folge hat. Wo beginnt das Politische und endet das Gewerkschaftliche ?  Wo beginnt die Frage der Innenpolitik und endet die internationale Politik ?  Wo beginnt eine soziale Frage und endet eine gewerkschaftliche ?  Heute ist alles unentwirrbar miteinander verbunden. Die COBAS sind also nicht nur eine Gewerkschaft, sie kämpfen nicht nur darum die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sondern sie setzen sich das Ziel in Bezug auf alle Aspekte zu intervenieren, die das Leben des Werktätigen betreffen.

 

Die Bewegung COBAS, die Ende der 80er Jahre in den Schulen entsteht, ist auch die erste große Explosion der intellektuellen Arbeit, die sich auf dem Weg der ‚Proletarisierung’ befindet, d.h. des Massen-Intellektuellen. Es ist eine Bewegung, die sich mit dem Kampf für die Verteidigung der öffentlichen Schule und dem Kampf gegen die Verbetrieblichung der Schule sowie die Vermarktung der Bildung identifiziert. Und dies verleiht ihr einen großen politischen, sozialen und kulturellen Atem, der über die rein gewerkschaftliche Verteidigung der Arbeitsbedingungen in den schulischen Instituten hinausgeht. Außerdem entstehen die COBAS mit einer stark antibürokratischen Ausrichtung, gegen die korporative und halb-mafiöse Macht der CGIL-CISL-UIL-Gewerkschaften. Auf dieser Grundlage entwickelt sich 1987 innerhalb weniger Monate, vor allem ausgehend von der Lohnfrage und von anti-hierarchischen und anti-karrieristischen Kämpfen, in sehr vielen Schulen ein Meer von Basiskomitees. Das wird zu verschiedenen Streiks und zu einer langandauernden Blockade der Benotungen führen, die einige Monate dauern wird. Das Umsichgreifen dieses Prozesses auf nationaler Ebene wird 1988 unterbrochen als es zur Spaltung der GILDA (Gilde) kommt, d.h. einer berufsbezogen-korporativen Komponente, die sich in einer ersten Phase in den allgemeinen Zielen der Bewegung wiedererkannt, dann aber den Egalitarismus und die Linie der Vereinigung mit den ähnlichen Vorstößen, die bei anderen Teilen der Lohnabhängigen vorhanden waren, attackiert und erneut den Vorrang des Lehrers in der Schule sowie eine Forderung nach beruflicher und der Anerkennung von normativen und lohnpolitischen Privilegien vertreten hatte, die mittlerweile fernab der Realität waren.

 

In jenem Augenblick hören die COBAS auf eine wirklich parteiübergreifende und Alle einbeziehende Bewegung zu sein. Viele Werktätige müssen sich in einem Kampf zwischen Linien entscheiden, die sie oftmals nicht verstehen und nicht wollen und in Wahrheit gehen viele nach Hause. Vom selben Augenblick an werden die COBAS allerdings zur Abkürzung / zum Emblem all dessen, was die traditionelle Gewerkschaftsbewegung in die Krise bringt und das unermüdlich die Interessen der Werktätigen verteidigt. Das Akronym geht als eine neue Form radikalen und unnachgiebigen sozialen und gewerkschaftlichen Handelns, das sich mit dem traditionellen und sozialpartnerschaftlichen Berufsgewerkschaftertum im Konflikt befindet, in die Wörterbücher der italienischen Sprache ein. Auf der Welle der Schul-COBAS entstehen weitere ‚COBAS’-Strukturen, zuerst bei der Eisenbahn und dann in der Industrie. Ich glaube, dass man in jenem Zeitraum Fehler begangen hat. Zuerst haben wir nicht angemessen in jene Verallgemeinerung eingegriffen und es ist uns nicht gelungen, an einem umfassenden Projekt zu arbeiten. Wir haben der Ausbreitung der Basiskomitees zufrieden zugeschaut, ohne wirklich die Einheit zu suchen. Zum Beispiel ist es uns Ende der 80er Jahre als die COMU (Coordinamento dei Macchinisti Uniti – Koordination der Vereinigten Lokführer) entstand, nicht gelungen eine ernsthafte Verbindung herzustellen und von daher das ‚Entfachen des Steppenbrandes’ in anderen Branchen. Auch weil die Lokführer es ihrerseits vorzogen als Teil einer Berufsgruppe zu kämpfen, ohne auch nur ernsthaft Einheitsmomente mit dem rollenden Personal und mit den anderen Beschäftigten der Eisenbahn und des Transportwesens zu suchen. So bekamen die COBAS von da an bis vor kurzem zwei unterschiedliche Bedeutungen. Einerseits waren die COBAS für eine bestimmte ‚öffentliche Meinung’ die Radikalsten, die Entschiedensten, diejenigen, die sowohl gegen die politische und gewerkschaftliche Rechte als auch gegen eine bestimmte, dominante ‚Linke’ auftraten, die sich die Inhalte der Konservierung und der Verteidigung des Status quo zu eigen machte. Für Andere waren sie aber auch diejenigen, die korporativ handelten und die Mikrokonfliktbereitschaft von Teilen von Berufsgruppen übertrieben anstatt eine breiter angelegte Einheit zu suchen, die vor allem die extensive Verteidigung des eigenen ‚Vorgartens’ pflegten.

 

So ermutigten wir – als in Mailand (ausgehend von Alfa Romeo) Malabarba, Canavesi und Delle Donne (siehe Anm.2) (allesamt Genossen, die nicht zufällig aus den Kämpfen der 70er Jahre kamen) begannen, an die Gründung von COBAS in der Industrie zu denken – sie, übertrieben es aber gleichzeitig vielleicht ein bisschen mit einer etwas zu buchstabengetreuen Interpretation der Selbstorganisation. Einer Selbstorganisation, in der sich jeder parallel zum Anderen bewegt und von selbst handeln soll, dabei allerdings die wechselseitige Interaktion und die Notwendigkeit nationaler Strukturen aus dem Blick verliert, die sich in jedem Konfliktbereich nach und nach, mit Hilfe derjenigen, die schon weiter waren, herausgebildet haben sollte. Diese entstehende Beziehung endet in dem Moment auf einem toten Gleis, indem auch die neapolitanische Gruppe bei FIAT Pomigliano <dem ehemaligen Alfa Romeo-Süd-Werk> um Mara Malavenda und Vittorio Granillo (Anm.3) herum in die Industrie-COBAS einsteigt. Sie führen in das Handeln der COBAS eine klassische ‚ML’-Verdrehung ein, akzeptieren nicht wirklich die Einheit des Politischen und Gewerkschaftlichen und beleben stattdessen die Idee neu, dass die Cobas eine Gewerkschaft für das Gros der Anhänger einer Art Kleinpartei für eng begrenzte und sehr stark politisierte Führungskerne seien, die die Abkürzung Cobas als Saatfeld für den Aufbau der politischen Avantgarde im Stile von ‚Dem Volke dienen!’ (Anm.4) nutzen. Dieses paradoxe Zusammentreffen zweier untereinander so unterschiedlicher Bereiche (sehr Politisierte, meist trotzkistischer oder 70er Jahre-autonomer Abstammung in Mailand-Arese und mit populistischer / maoistischer / ML-Herkunft in Neapel-Pomigliano) bringt jene sonderbare Kreuzung hervor, die die ‚Gewerkschaft COBAS’ darstellt. Es konstituiert sich der SLA-Cobas (der dann, aus juristisch-bürokratischen Gründen zum SLAI wird), was für Sindacato lavoratori autorganizzati – Cobas (Selbstorganisierte Arbeitergewerkschaft – Basiskomitees) steht. Die widersprüchliche Abkürzung (die Cobas bilden sich auch mit dem Postulat, dass sie nicht nur eine Gewerkschaft sind, dass sie gewerkschaftliche Funktionen ausüben, aber nicht nur) erklärt, dass der SLAI zwar beabsichtigt, den erneuernden Vorstoß der COBAS aufzugreifen, ihn aber in eine eher prosaische Gewerkschaft einschließt, die sich erst in zweiter Linie als ein politisches Ufer anbietet. Von jenem Augenblick an werden sie ihren Weg verfolgen, der im Folgenden zu einer Spaltung des SLAI COBAS führt, die den SIN COBAS hervorbringt, d.h. im wesentlichen die mit Maitans 4.Internationale bzw. der parteiinternen Strömung des Partito della Rifondazione Comunista (PRC) um die Zeitschrift „Bandiera Rossa“ (Rote Fahne) <neuerdings „ERRE“> verbundene gewerkschaftliche Gruppe mit Luigi Malabarba als namhaftestem Vertreter.“

 

Welche Elemente trennen Euch dagegen von der CUB-RdB ?

 

„Das Projekt CUB (Confederazione Unitaria di Base – Basis-Einheits-Konföderation) entsteht mit der Idee, all das auf rein gewerkschaftliche Art wieder zu vereinen, was sich ‚links’ von CGIL, CISL und UIL bewegt. Es startet Anfang der 90er Jahre mit der Spaltung der FIM-CISL von Mailand mit dem Austritt respektabler, aber stark vom alten, radikalen Syndikalismus der 60er und 70er Jahre beeinflusster Kader und durch das Zusammentreffen mit den RdB (Rappresentanze di Base – Basisvertretungen), die der gewerkschaftliche Teile einer Komponente der römischen 77er Bewegung der Organizzazione Proletaria Romana – Römische Proletarische Organisation – (Anm.5) sind, die nicht nur unter den Beschäftigten (speziell des öffentlichen Dienstes) gearbeitet hat, sondern auch unter den Hausbesetzern, den Studenten etc. Die RdB bilden eine Struktur auf zwei Ebenen, die die politische Aktivität grundlegend von der Gewerkschaft trennt. So lassen die RdB, während wir in unserem Statut offen für die Überwindung einer auf der Ausbeutung, dem Profit und der globalen Vermarktung basierenden Gesellschaft eintreten und einen starken politisch-antagonistischen Bezug zum Bestehenden haben, Allen die Tore offen und weisen sogar bescheidenere ‚ideologische’ und kulturelle Kennzeichen auf als die CGIL.

 

Dieses Zusammentreffen zwischen ehemaligen CISL’ern und einem Teil der römischen Autonomia ist anfangs sehr instrumentell. CUB und RdB versuchen einen Raum zu füllen, der durch die Krise der <großen> Gewerkschaftsbünde in der Epoche der ‚bulloni’ (Schrauben) <1992/93 bewarfen zahlreiche Arbeiter die CGIL-CISL-UIL-Führer auf Kundgebungen aus Protest gegen die endgültige Abschaffung der gleitenden Anpassung der Löhne an die Inflation (scala mobile) mit Schrauben und Muttern> eröffnet wurde. Allerdings in sehr traditionellem Sinne, von ‚neuer’ Gewerkschaft, die einen garantierten Raum neben den Gewerkschaftsbünden sucht. Immer an der Grenze zur klassischen autonomen Gewerkschaft. Von Zeit zu Zeit mit einer Neulackierung als ‚Basisgewerkschaft’, die niemals in die Tiefe geht. Eine Gewerkschaft mit einer guten Anzahl an Funktionären (prozentual nicht weniger als die Gewerkschaftsbünde), die fast alle dauerhaft von ihrer ursprünglichen Arbeit getrennt sind und um jeden Preis um die Eroberung von Repräsentanz kämpfen. Eine Gewerkschaft, die auch strangulierende Regeln und widerwärtige Tarifverträge unterzeichnet, nur um über die Representativität und die garantierten Trennungen <der Funktionäre vom eigenen Job> zu verfügen. Wir erkennen uns in einem derartigen Projekt nicht wider. Für uns wäre es ein Krisenelement, innerhalb der COBAS z.B. Werktätige aus dem Bereich der <rechtspopulistischen norditalienischen> Lega Nord oder der <hauptsächlich aus dem neofaschistischen MSI hervorgegangenen und heute rechtskonservativen> Alleanza Nazionale zu haben. Vor allem aber ist es für uns inakzeptabel, keine genau definierten ideellen, kulturellen und politischen Pflöcke einzurammen.

 

Selbst in diesem Rahmen haben wir in der Vergangenheit CUB/RdB verschiedene Male, im wesentlichen aber zwischen `93 und `98, föderative Pakte oder zumindest dauerhafte Konsultationsabkommen vorgeschlagen. Mit dem Ziel, eine Aktionseinheit zu erreichen. Ihr ‚Großmacht’-Verhalten, das nicht auf die Zusammenarbeit, sondern auf das Abwürgen / Aufsaugen der anderen Bereiche abzielte und die extreme Skrupellosigkeit der Linie, die sie dazu veranlaßt, Entscheidungen fast ausschließlich auf Grundlage der Nützlichkeit als Apparat zu treffen, haben jedoch zum Scheitern jedes Einheitsstrebens geführt. Unter anderem wird der CUB-RdB, trotz ihrer zwanghaften Suche nach formeller ‚Anerkennung’, heute die Repräsentanz nur in einigen Teilen des öffentlichen Dienstes zuerkannt, u.a. in den eher marginalen. Es ist ihnen weder gelungen, ihr ‚Großmacht’-Vorhaben zu verwirklichen noch vielen Bereichen von Werktätigen die Vertretung zu sichern. Sie verfügen allerdings über eine relativ ansehnliche Mitgliederzahl <Mitte 2003, laut Insider-Informationen, real 18.000>, eine ausreichend große ‚Kasse’, sind in einigen Lebensnerven des öffentlichen Apparates aktiv und sorgen ziemlich gut für ihre Apparatinteressen. Da sie keine besonderen politisch-ideologischen Ambitionen besitzen, könnten sie ihren Trott noch lange so weiter verfolgen.“

 

Meinst Du nicht, dass diese Spaltungen zwischen den Basisgewerkschaften als die Frucht des üblichen Sektierertums von Führungsgruppen gesehen werden können, die man bereits von den Bewegungen der 70er Jahre beim Führerkult (leaderismo) und der Protektion des eigenen Vorgartens gewohnt war – so klein der auch ist ?

 

„Was die Meinungsverschiedenheiten zwischen CUB und COBAS anbelangt, sicherlich nicht. Das sind absolut unterschiedliche Modelle, die in jedem anderen Land Europas niemand nebeneinander stellen und ihnen das gemeinsame Etikett ‚Basisgewerkschaften’ verpassen würde. Sie sind als Apparat, Trennungen <der Funktionäre vom Job> und bei der Art und Weise mit der Gegenseite zu verhandeln eine sehr traditionelle Struktur. Wir sind sehr viel stärker politisiert, eine gewerkschaftlich-politische Struktur, achten sehr viel weniger auf die Gruppen-‚Interessen’ und auf die ‚Karrieren’ der eigenen Aktiven. Karrieren, die es schlichtweg nicht gibt. Unsere Leute arbeiten alle und ziehen für sich keinen materiellen Vorteil aus dem Vorhandensein der Cobas. Vielleicht stimmt es, dass SLAI und Sincobas zum Großteil bei uns sein könnten und hier besitzt die Frage der Führungsgruppen vielleicht eine Bedeutung, allerdings nicht was die beiden wichtigsten Komponenten anbelangt. Und dann gibt es in Italien viele Dutzend Gruppen oder Parteien, die sich kommunistisch nennen, und ebenso viele, die sich als sozialistisch betrachten. Warum sollte es ‚links’ von den Gewerkschaftsbünden eine einzige Organisation geben, wenn die Differenzen – zumindest zwischen uns und der CUB – derart ausgeprägt sind ?“

 

Daher versuchen die COBAS heute, angesichts dieser Divergenzen und Differenzen, mit den anderen sog. „alternativen“ Gewerkschaften, sich nicht nur in dem Sektor, in dem sie traditionell über einer Verankerung verfügen (der Schule) aufzubauen, sondern in allen Branchen. Meint Ihr nicht, dass dies in dem Moment eine Begrenzung darstellt, in dem Ihr den Beschäftigten und / oder Delegierten, die sich in Bereichen befinden, die traditionell das Vorrecht der CGIL-CISL-UIL-Gewerkschaften sind, vorschlagt, zu einer Gewerkschaft überzuwechseln, die nicht nur Gewerkschaft ist, um eine Intervention zu entfalten, bei der man oftmals bei Null beginnt ?

“Zu guter letzt will ich sagen, dass wir immer versucht haben, Beziehungen zu den gewerkschaftlich fortgeschrittensten und allgemein radikalsten Kräften und Kadern aufzunehmen. 2001, zur Zeit des G8-Gipfeltreffens in Genua unternahmen wir z.B. den Versuch, uns mit dem SIN COBAS zu vereinen. Jenes Projekt nahm kein gutes Ende, weil die, fast vollständig mit der trotzkistischen Vierten Internationale („Bandiera Rossa“ <heute: „ERRE“>) verbundene, Führungsgruppe des SIN in dem Augenblick, in dem – mit dem Ausbruch der Antiglobalisierungsbewegung und relevanten Konflikten nach Genua – die Dynamik einer bedeutenden politischen Auseinandersetzung begann, – so glaube ich – befürchtete, dass die Confederazione COBAS in Kollision oder zumindest in starke Konkurrenz zu Rifondazione Comunista (PRC) geraten könnte (innerhalb derer sie aktiv waren, wenn auch als organisierte ‚Tendenz’) und in Auseinandersetzung auch mit den Sozialforen und mit dem gemäßigten Teil der Antiglobalisierungsbewegung und dabei vielleicht sogar (so scheint man gemunkelt zu haben) auf eine Partei links vom PRC abzielte. Allgemeiner betrachtet vertreten sie allerdings trotz alledem nach wie vor ähnliche Dinge. Der SIN COBAS hat niemals wirklich die Trennung von politischem und gewerkschaftlichem Handeln aufgegeben. Einerseits sind fast alle bei Rifondazione aktiv (in ihrer trotzkistischen Livio Maitan-Tendenz) und andererseits entwickeln sie ihre gewerkschaftliche Aktivität gerade als SIN COBAS.

 

Aber, um auf Deine weitergehende Frage zu antworten, wie wir ‚rekrutieren’. Ich lege großen Wert darauf klarzustellen, dass unsere ‚Rekrutierungs’arbeit alles andere als eindringlich ist. Im Gegenteil !  Wir insistieren durchaus nicht auf dem ‚Proselytismus’ <der aufdringlichen Werbung von Anhängern für einen Glauben>. Es kann ganz im Gegenteil der Eindruck entstehen, dass wir das Vertrauen in die Selbstorganisation, in die Fähigkeit eines Jeden übertreiben, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, im Organisierungsprozess keine Vollmacht auszustellen. In Wirklichkeit stehen wir heute vor einem entgegen gesetzten Problem: Die Gewerkschaftsbünde decken nicht mehr die gesamte gewerkschaftliche Organisationsfrage ab. In einigen Fällen, in den Kleinbetrieben oder in den schlechtesten und radikalisiertesten Situationen haben die Gewerkschaftsbünde und ihre Branchengewerkschaften beschlossen, sie ihrem Schicksal zu überlassen. So haben wir ein Organisierungs- und Vertretungsbedürfnis in der gesamten prekären Arbeitswelt, von den per Auftragsvergabe erledigten Dienstleistungen, aus der Kleinindustrie, aber auch aus der Großindustrie, dort wo die Arbeit in Gefahr ist oder es sehr wenig Rechte gibt. Bereiche, in denen wir oftmals nicht in der Lage sind, die Nachfrage nach Organisation zu beantworten, die uns tagtäglich erreicht. Häufig denken Viele eher daran, einen Apparat zur Verfügung zu haben (und fordern das von uns) als daran, sich selbst zu organisieren. Einen Apparat mit radikalen und kämpferischen Positionen, aber doch immer noch einen Apparat. Dies sind sehr schwierig zu organisierende Situationen und in einigen Fällen sind es wirklich verzweifelte Situationen. In diesem Sinne stellt für sie die Abkürzung ‚COBAS’ eine Garantie dar. Sie stellen sich vor, dass wir über eine gewerkschaftliche und organisatorische Macht, über eine ‚Apparatstärke’ verfügen, die entschieden über dem liegt, was wir tatsächlich aufbieten können.

 

In jedem Fall schauen viele Werktätige auf uns, weil sie durchschaut haben, dass die Gegenseite uns wegen unserer Radikalität fürchtet, weil wir nicht nur das Image haben, ‚Nervensägen’ zu sein (das die Medien verbreiten), sondern auch über Kohärenz <im Sinne von Einheit von Wort und Tat> und über eine Unabhängigkeit vom vorherrschenden politisch-gewerkschaftlichen Rahmen verfügen, was viele Hoffnungen und Erwartungen weckt. In Wahrheit setzt Dich der Sprung, in die COBAS einzutreten, z.B. in der Industrie denselben Schwierigkeiten aus, zu denen es in den 50er Jahren kommen konnte, wenn Du in einem FIAT-Betrieb in die <linke CGIL-Metallarbeitergewerkschaft> FIOM oder in die Kommunistische Partei (PCI) eingetreten bist. Nur, dass Du damals ein mächtiges internationales Lager hinter Dir hattest, eine sehr starke Partei im Rücken und den Eindruck, Teil der ‚starken’ Strömung der Geschichte zu sein. Deshalb bereitete die Repression nicht mehr so viele Sorgen. Was unsere Konföderation <die Confederazione Cobas> anbelangt, versuchen die gemäßigten Kräfte obendrein das Gespenst herumgeistern zu lassen, dass wir eine Organisation seien, die jede Art von ‚Extremismus’ abdeckt, ja die sogar über Berührungspunkte mit dem sogenannten internationalen ‚Terrorismus’ verfügt.

 

Daher – um auf die Frage zurückzukommen, die Du mir gestellt hast – legen wir es niemals darauf an, den oder die Beschäftigte(n) dazu zu ‚drängen’, dass sie ihre Gewerkschaftsorganisation verlassen. Gleichzeitig wollen wir nicht – und das ist Teil unseres genetischen Codes – dass der / die Beschäftigte uns eine Vollmacht ausstellt. Wir wollen dass er / sie sozusagen sein / ihr Schicksal in die eigenen Hände nimmt. Das alles fordern wir nicht nur oder vor allem aufgrund eines bestimmten ideologischen Ansatzes, sondern auch weil wir keine Funktionäre besitzen. Wir sind alle berufstätig und können nicht Dutzende von Leuten dafür abstellen, die Anderen zu organisieren. Einige Genossen arbeiten jetzt Teilzeit, um der politisch-gewerkschaftlichen Aktivität der COBAS mehr Zeit zu widmen. Einige andere sind in Rente und können sich den ganzen Tag lang der Organisation widmen. Da wir das Funktionärswesen ablehnen, ist das, was wir tun können, dem Werktätigen dabei zu helfen, die ersten Schritte zu tun. Wir stellen ihm eine Rechtsberatung zur Verfügung und ermuntern die Werktätigen, ihre Verantwortung auf direkte Weise zu übernehmen. So fließt ein Teil der Organisierungsanfragen, die uns aus den Arbeitsstätten erreichen, wieder in die traditionellen Apparate zurück oder verschmort am Ende im eigenen Saft. Wir haben heute viel weniger Mitglieder als wir haben könnten. Andererseits sind wir nicht daran interessiert, ein Meer von Mitgliedern zu haben, wenn das dann nur einen großen passiven Bereich darstellt. Für uns ist das ein politisches Kriterium: Wenn einer in die COBAS eintritt, muss er eintreten, um aktiv zu werden, wenn auch in dem Maße, in dem es ihm möglich ist, und nicht um eine immer drückendere Last an Verpflichtungen und politisch-gewerkschaftlicher Arbeit auf die Anderen abzuladen.“

 

Kannst Du mir eine Momentaufnahme der Realität der COBAS auf nationaler Ebene geben ?  In welchen Teilen der Arbeitswelt und in welchen Teilen des Landes sind sie präsent ?  Wer ist der „COBAS-Aktivist“ ?

 

„Die Konföderation (Confederazione Cobas) wird heute von vier Föderationen gebildet. Die erste ist die der Schule, die in ungefähr 80 Provinzen präsent ist. Diese Verankerung ist in sich differenziert. In vielen Provinzen verfügt sie über einen Sitz <d.h. ein Büro + Versammlungsraum etc.>. In anderen kommt man regelmäßig zusammen, hat aber keinen eigenen Sitz, wo es möglich ist, jeden Tag hinzugehen. Die Mitgliederzahl der COBAS Schule beträgt wenig mehr als 10.000 <laut dem ehemaligen Sin.Cobas-Kader Antonio Stefanini waren es Mitte 2003 real 5.000>. Das ist (aus den oben genannten Gründen) sehr viel weniger als wir haben könnten. Der Einflussbereich ist allerdings deutlich größer. Ich glaube, dass der Bereich, derjenigen, die unserer ‚Linie’ zustimmen und sie unterstützen, zwischen 15 und 20% der gesamten Berufsgruppe schwankt, die – ich erinnere daran – mit Lehrkräften und ATA-Arbeitskräften eine Million Beschäftigte zählt. (Bei den letzten RSU-Wahlen haben wir in den 2.100 Schulen, in denen wir Kandidatenlisten präsentierten, ca. 23% erreicht und lagen hinter der CGIL an zweiter Stelle.) Zum großen Teil wissen die COBAS-Mitglieder sowohl vom politisch-gewerkschaftlichen Gesichtspunkt aus als auch auf der ideologischen und kulturellen Ebene sehr genau, wem sie sich da angeschlossen haben und kennen unser gesamtes Engagement. Unter unseren Mitgliedern überwiegen die Frauen, aber das ist den Eigentümlichkeiten der Welt des Lehrerberufes geschuldet, in der es eine massive Frauen-Präsenz gibt. Wenn wir jedoch die Situation auf der Ebene der Nationalen Exekutive betrachten, auf der Ebene der Gruppe, die sich eine treibende und belastendere Funktion aufbürdet, dann ändern sich die Dinge. Die weibliche Präsenz ist dort begrenzter. Ich denke, dass diese Situation nicht von subjektiven Prozessen innerhalb der Organisation oder innerhalb der Exekutive hervorgerufen wird (kurz gesagt: ich habe nicht den Eindruck, dass es irgendeinen Willen gibt dafür zu sorgen, dass das männliche Element die Oberhand hat), sondern vielmehr durch die Tatsache, dass das Engagement wirklich intensiv ist. Die politischen Modalitäten der Kontinuität der auf einer bestimmten Ebene erforderlichen Arbeit sind derart, dass es überwiegend Männer sind, die bereit sind, kreuz und quer durch Italien zu reisen und jedes Wochenende unterwegs zu sein. Auch aufgrund familiärer Dynamiken, in denen bestimmte Belastungen wahrscheinlich noch immer vor allem zu Lasten der Frauen gehen oder auch weil es unter den Frauen vielleicht einen größeren mentalen ‚Polyvalenz’-Anteil <d.h. eine größere Orientierung auf mehrere Bereiche> gibt, der dafür sorgt, dass das ‚monomane’ <von einer einzigen Idee besessene> Engagement ab einem bestimmten Grad abgelehnt wird. Wir wollten in den Leitungsgruppen niemals ‚Quoten’ einführen, weil es sich zuallererst um ein Bereitschaftsproblem handelt und infolgedessen haben die Genossinnen nie die ‚Quoten’-Lösung vorgeschlagen.

 

Altersmäßig gehören unsere Mitglieder zumeist zur Altersgruppe der 30 bis 55jährigen. Wir verfügen nicht wirklich über eine relevante Präsenz unter den Jugendlichen, weil die jungen Lehrer fast alle prekär beschäftigt sind und daher häufig nur für den Zeitraum beitreten, in dem sie eine Anstellung erhalten und es somit nicht gelingt, eine dauerhafte Beziehung aufzubauen.

 

Zweitens verfügen wir über eine Föderation des Gesundheitswesens. In diesem Sektor sind wir in ungefähr 20 Provinzen präsent. Die Mitgliederzahl schwankt um die 4.000 herum. <Laut dem Resumee von Antonio Stefanini (ex-Sin Cobas) in der online-Zeitung „REDS“ vom September 2003 gab es Mitte 2003 in der Confederazione Cobas Mitte 2003 nur 1.000 Mitglieder außerhalb der Föderation Cobas Scuola.> Hier ist das durchschnittliche Engagement der Mitglieder begrenzter. Dabei wirkt sich nicht nur die Tatsache aus, dass wir in diesem Sektor weniger Tradition haben, sondern vor allem die Arbeitsbedingungen. Die übergroße Mehrheit unserer Mitglieder sind Krankenschwestern oder Beschäftigte der Dienste, die Schichtarbeit leisten. Der Großteil der Ärzte hält sich von den Cobas fern. Vielleicht stimmen sie nicht mit dem Egalitarismus und der kompromisslosen Verteidigung des öffentlichen Gesundheitswesens, d.h. der Feindseligkeit gegen jede Form von Privatisierung des Gesundheitswesens, überein.

 

Unter unseren Föderationen ist die des öffentlichen Dienstes diejenige, wo wir – zumindest vorläufig – die begrenzteste Intervention aufweisen, auch wenn es positive Expansionssignale gibt. Heute haben wir in diesem Sektor kaum mehr als ein paar tausend Mitglieder.

 

Schließlich gibt es den sog. ‚Privat’-Sektor, in dem wir alles zusammengefasst haben, was nicht mehr vollständig in öffentlicher Hand ist, jene Betriebe eingeschlossen, die (wie ENEL oder die Telekom) erst vor wenigen Jahren privatisiert wurden, und dann <noch> die Verkehrsbetriebe. Im traditionellen, ‚klassischen’ Privatsektor (und insbesondere unter den dort prekär Beschäftigten) gibt es heute eine Nachfrage nach Vertretung und eine gigantische Notwendigkeit der Organisierung, die wir – wie ich bereits gesagt habe – nur in begrenztem Maße beantworten. Es gelingt uns vielleicht nur ca. 10% dieser Anfragen zu organisieren. Dennoch haben wir in diesem Bereich bereits einige tausend Mitglieder und er ist der Bereich mit dem stürmischsten Wachstum. Der eklatanteste Fall in dieser Hinsicht war der der Straßenbahn- und Busfahrer. Nach den Kämpfen vom Dezember 2003 und Januar 2004 organisieren wir die Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr in ca. 15 Provinzen, während wir vorher nur in ein paar Provinzen präsent waren. Ich glaube, dass – wenn wir eine Gruppe von Vollzeitaktivisten zur Verfügung gehabt hätten (vielleicht auch nur für einige Monate), wenn wir jenen Beschäftigten für eine bestimmte Anzahl von Wochen in ihre <Arbeits-> Realitäten hätten folgen können, wir auf nationaler Ebene, in einem Großteil der italienischen Provinzen, jetzt wirklich über eine Präsenz unter diesen Beschäftigten verfügen könnten.

 

Dasselbe lässt sich allerdings über die kleinen Fabriken und Dienstleistungsbetriebe sagen. In diesen Bereichen präsentieren wir dort, wo es uns hinzukommen gelingt, die RSU <Einheitliche Gewerkschaftliche Vertretung = eine spezifische Mischung aus Betriebsrat und organisationsübergreifend gewähltem Vertrauensleutekörper, in dem im Privatsektor nur zwei Drittel der Delegierten gewählt werden. Das restliche Drittel ist von vornherein für CGIL-CISL-UIL reserviert.>, werden gewählt, haben Erfolge. Es gibt jedoch auch die andere Seite der Medaille: In diesen Situationen bist Du dann gezwungen, eine komplizierte, verstreute, minuziöse, tägliche Auseinandersetzung zu führen, die ihre erheblichen Schwierigkeiten besitzt, weil je kleiner das Unternehmen ist, die padroni über Nacht das Unternehmen, die Firma, die Fabrik dichtmachen und sie vielleicht ins Ausland verlagern. Wie gesagt, wir haben bereits einige Tausend Mitglieder in diesem ‚Privat’-Sektor. Das Wachstum ist sogar chaotisch und wenn wir uns hier wie dort ein bisschen ins Zeug legen würden, wäre es nicht sehr schwierig im ganzen Privatsektor und unter den prekär Beschäftigten auf Zehntausende COBAS-Arbeiter(innen) zu kommen. Das Problem wäre dann jedoch, diese Situationen ohne ‚Funktionäre’ zusammenzuhalten. Weil wir, was die Bestimmungen über die anti-gewerkschaftlichen Aktivität anbelangt, eine enorme Willensanstrengung unternommen haben, fordern sie eine nationale Organisation von uns. (Wenn das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung in einer Arbeitsstätte bestritten wird, prozessiert man gegen den padrone, indem man den Artikel 28 des Arbeiterstatutes nutzt, der die Beschäftigten gerade im Fall von antigewerkschaftlicher Aktivität des Unternehmers verteidigt. Man kann aber nur dann auf den Artikel 28 zurückgreifen, wenn man zeigt, dass man eine auf dem gesamten nationalen Territorium ausreichend präsente gewerkschaftliche Organisation ist.) In unserem Zweig für den ‚Privat’-Sektor ist das Bewusstseinsniveau unterschiedlicher als in den anderen Föderationen. Es gibt Arbeiter, die sich einfach deshalb an uns gewendet haben, weil sie niemand verteidigt. Es handelt sich um ein Mitglied, das vielleicht eine starke anti-bürokratische Einstellung und keine Probleme hat, wenn Du auch in politischen Fragen, wie dem Krieg, kämpfst, sich allerdings mit Forderungen / Fragen an uns wendet, die anfänglich sehr elementar sind. Heute werden diese vier Arbeitsbereiche national durch eine Exekutive koordiniert, die von 26 Personen aus den verschiedenen Sektoren gebildet wird, mit einem nicht rigoros mathematischen Verhältnis, das die Stärke der einzelnen Föderationen oder ihre Entwicklungsrate widerspiegelt. Der grundlegende Ort, an dem die Entscheidungen gefällt werden, ist aber die Nationale Mitgliederversammlung.

 

Wir müssen anerkennen, dass es in unserem Engagement, im Engagement der am stärksten verantwortlichen Genossen, einen quasi manomanischen Aspekt gibt. Das ist quasi eine mentale Deformation. Die politisch-soziale Aktivität steht im Leben und im Denken eines Jeden absolut an erster Stelle. Es gibt eine fast krankhafte Leidenschaft, darauf Einfluss nehmen zu wollen, ‚wie es auf der Welt abläuft’, ‚die Nase’ in jede Ungerechtigkeit, Gewalttat, jeden Übergriff ‚hineinzustecken’, die in irgendeinem Teil der Welt stattfinden. (Sozusagen die ‚Lektion’ Che Guevaras, kurz: Keine soziale Schmach schweigend zu unterstützen, wann und wo immer sie passiert.) Bei Vielen von uns drehen sich – einmal aufgewacht – die ersten Gedanken um die politisch-gewerkschaftlich-soziale Arbeit und wahrscheinlich auch der letzte vorm Schlafengehen. Die Jungen sind heute zu einem so umfassenden, so ‚despotischen’ Engagement nicht mehr bereit. Und vielleicht ist es besser so. Es ist nicht richtig, dass wir von Allen fordern, an einem solchen Punkt derart extreme Leidenschaften zu teilen.

 

In einer solchen Situation, in einer Organisation, die aus eigener Entscheidung über keine Funktionäre, keine Beurlaubungen, keine Freistellung von der Arbeit verfügt, wird es am Ende extrem schwierig, die Delegierung vollständig zu vermeiden.“

 

Dieses „softe“ Verhältnis der neuen Generationen zum Engagement verweist auf die Frage nach dem „Tod der Arbeiterbewegung“. Die italienische Arbeiterbewegung, wie wir sie nach dem 2.Weltkrieg kannten, besaß, auch wenn sie an den Karren des Stalinismus gebunden war – mit ihrer Kultur, ihren Strukturen, ihren Traditionen und ihrer Ideologie eine sehr starke Klassenidentität. Die strukturellen Veränderungen, die stattgefunden haben und der Zusammenbruch der Länder im Osten haben sie endgültig untergehen lassen. Jene Arbeiterbewegung war auf der klaren Trennung von wirtschaftlich-tarifpolitischem Handeln und dem ihren Parteien (insbesondere dem PCI) übertragenen politischen Handeln aufgebaut. Soviel ich verstanden habe, denkt Ihr, dass die Geburt einer „neuen Arbeiterbewegung“ durch das Nicht-Trennen, durch die Wiedervereinigung von politischer und gewerkschaftlicher Forderung zustande kommt.

 

„Das, was Du skizziert hast, ist ein Prozess, den wir auf internationaler Ebene erleben. Denken wir an internationale Erfahrungen wie Via Campesina (Anm.6) oder in Italien an traditionell gemäßigte Realitäten wie die <linke Kultur-Dachorganisation> ARCI. Diese Letztere entsteht aus einer Rippe des PCI und hat sich unter der Leitung von Tom Benetello (der in der Antiglobalisierungs- und Anti-Kriegs-Arbeit von Raffaella Bolini flankiert wurde) von einer Vorstellung unabhängig gemacht, derzufolge es die Partei war, die sich mit Politik im engen Sinne beschäftigte und mischt sich heute auf ganzer Breite ein bisschen in alles ein, beschränkt sich nicht mehr darauf die Organisation zu sein, die auf dem typisch kulturellen, Freizeit- und Vereinsterrain aktiv ist. Bei Via Campesina (aber auch bei den brasilianischen Sem Terra <d.h. der Landlosenbewegung MST> oder in einer diffuseren Realität, wie der von ATTAC) ist es schwierig zu sagen, wo die soziale Arbeit aufhört und die politische beginnt, wo das Gewerkschaftliche und wo das Kulturell-Bildungsorientierte am Werk ist. Heute versucht man von vielen Seiten aus darüber nachzudenken, wie eine Gesellschaft funktionieren könnte, wenn es die Herrschaft des Kapitals über die Arbeit sowie der Ware und des Profites über die gesamte Gesellschaft nicht gäbe. Man steckt also sozusagen seine Nase überall ein bisschen rein. Nach Genua 2001 hatte man, bis dann die ‚polikasterhafte Politik’ in Italien wieder die Szene beherrschte und erneut das oftmals instrumentelle Ziel des ‚Die-Rechte-Schlagens’ in den Mittelpunkt der Agenda stellte, den Eindruck des allgemeinen Sich-Neu-Verbindens einer Bewegung der lohnabhängigen Beschäftigten, in der die einzelnen Bestandteile nicht mehr einfach die Darstellung des ‚Alten’ waren, sondern dabei waren sich durch die wechselseitige ‚Kontaminierung’ neu zu definieren.

 

Heute scheint das ‚Alte’ wieder hochzukommen und vielleicht war es unvermeidlich, dass es nicht ohne große Krämpfe verschwinden konnte. Heute stehst Du also vor einer Situation, in der es riesige Demonstrationen gibt, wie die am 20.März 2004 <gegen den Irak-Krieg und für den sofortigen Abzug der Besatzungstruppen> und dann am Tag darauf diskutieren die Zeitungen statt über die Inhalte dieses enormen Demonstrationszuges über den Protest gegen <die heuchlerische Teilnahme des z.B. den Jugoslawien-Krieg befürwortenden Linksdemokraten (DS)-Generalsekretärs> Fassino. Kurz: das Politisch-Parlamentarische wird Dir als der zentrale Bereich vorgestellt, während die Bewegung eine ganz andere Zentralität der Mischung von politischer, sozialer, gewerkschaftlicher und kultureller Arbeit vorgeschlagen hat und vorschlägt, die es Dir ermöglicht, Dich wirklich an der großen Frage zu versuchen, welches ‚die mögliche und unbedingt notwendige andere Welt’ ist.

 

Wie auch immer, auf die ‚alte’ Arbeiterbewegung zurückkommend: Die Seelen <d.h. die Strömungen>, die innerhalb des PCI existierten, sind nie wirklich verschwunden und wenn man genau hinschaut, sind sie mutatis mutandis (mit den notwendigen Abänderungen) noch immer in gewisser Weise in Umlauf. Die Linksdemokraten (DS) könnten als die ‚Modernisierung’ der alten toskanisch-emilianischen Verwaltungskomponente des PCI angesehen werden. Sie sind jene, die immer daran gedacht haben das Bestehende besser zu verwalten. Rifondazione ist die maximalistisch-bewegungsorientierte Seele, die letzten Endes jedoch niemals wirklich aus dem institutionellen Flussbett mit einer ziemlichen Schizophrenie zwischen radikalen Aktivisten und gemäßigten lokalen Administratoren herausgekommen ist. Der PdCI ist in ‚moderner’ Sauce die Neuauflage der Togliatti/Stalin-Komponente. Man kann nicht bestreiten, dass der PCI etwas wirklich Originelles war, eine Partei mit drittinternationalistischer Herkunft mit einer starken Verankerung im gesamten gesellschaftlichen Leben, die wie keine andere in der Linken Europas auf die globale Realität des eigenen Landes und auf die Mentalität aller volkstümlichen Sektoren und der Intellektuellen (und nicht nur der) Einfluss ausgeübt hat.

 

Auf internationaler Ebene ist es anders, weil es keine Erfahrung wie die des PCI gibt. Die alte Arbeiterbewegung wird auch hier in Italien nicht mehr auf den Höhepunkt zurückkehren. Ihre nationalistische Vorstellung ist wirklich überwunden. Dennoch behindert sie sehr oft das Auftauchen einer neuen ‚Arbeiter’bewegung, die unmittelbar auf globaler Ebene operiert. (Der Begriff ‚Arbeiter’bewegung sollte nicht wörtlich genommen werden, da es keine Zentralität der Fabrikarbeiterklasse mehr geben kann. Ich glaube sogar an gar keine mögliche Zentralität mehr, sondern an eine breite und polyedrische (vielseitige) Front.)“

 

Anmerkungen:

 

(1)   Comitati Unitari di Base (Basis-Einheitskomitees – CUB). Organismen, die ab 1968 spontan entstanden und zwar speziell in den Fabriken der Lombardei. Sie verwandelten sich nach und nach in Organismen, die mit Avanguardia Operaia <Arbeiteravantgarde = große Ende 1967 / Anfang 1968 von Siemens-, Pirelli-, SIP- und Borletti-Arbeitern sowie aus dem PCI ausgetretenen trotzkistischen Militanten in Mailand gegründete kommunistische Organisation, die 1976 entscheidend zur Gründung von Democrazia Proletaria (DP) beitrug> verbunden waren und 1974-75 faktisch in die CGIL-CISL-UIL-Gewerkschaften mündeten.

 

(2)   Luigi Malabarba (geboren 1957). Seit 2001 Senator des PRC. Aktivist der 4.Internationale und heute von „Bandiera Rossa“ <mittlerweile umbenannt in „ERRE“>, Führer des S.in COBAS und einer der führenden Gewerkschafter bei Alfa Romeo <in Mailand-Arese>. Enzo Canavesi, Arbeiter bei Alfa, Führungsmitglied des SLAI Cobas. Corrado Delle Donne, Arbeiter bei Alfa, Führungsmitglied des SLAI Cobas, <in der vergangenen Legislaturperiode auf der PRC-Liste gewähltes> Mitglied des Regionalrates der Lombardei. Seit 1998 Mitglied der Confederazione dei Comunisti.

 

(3)   Mara Malavenda, Arbeiterin im Alfa Romeo-Werk von Pomigliano d’Arco <bei Neapel>. Gehörte zu den Gründer(inne)n des SLAI COBAS, 1996 als Unabhängige auf der Liste des PRC in die italienische Abgeordnetenkammer gewählt.Verläßt ihre Parlamentsfraktion <bereits kurz darauf> nach dem Votum des PRC für die Regierung Prodi. Führendes Mitglied der Confederazione dei Comunisti. Vittorio Granillo, Führungsmitglied des SLAI COBAS.

 

(4)   Servire il popolo (Dem Volke dienen). Vom Namen der Zeitung der Unione Comunista Italiana – UCI abgeleitet. 1968 entstandene und 1972 aufgelöste maoistische Gruppe. Zeichnete sich, was die Ideologie der militanten Aufopferung anbelangt, durch eine kirchenartige Ikonographie aus. Ihr wichtigster Führer war Aldo Brandirali.

 

(5)   1972 entstandene Gruppe der römischen antagonistischen Linken. Nachdem sie an der Bewegung von 1977 teilgenommen hatte, vereinigte sie sich mit der Gruppe des <Luftwaffen-> Generals Nino Pasti <1909-1992; 1976 als Unabhängiger auf der PCI-Liste in den italienischen Senat gewählt, kam es dann jedoch wegen seiner Ablehnung der NATO zum Bruch mit der italienischen KP; 1985 Mitbegründer der Bewegung für Frieden und Sozialismus – MPS> . War – besonders Anfang der 80er Jahre – auch auf der Wahlebene aktiv.

 

(6)   Via Campesina, <1992 in Managua / Nicaragua auf dem Kongress der Nationalen Bauernunion (UNAG) von Vertretern aus ganz Amerika gegründete> internationale Bewegung, die Organisationen von auf dem Land arbeitenden Tagelöhnern, Kleineigentümern und indigenen Gemeinden koordiniert. Ist in den Weltsozialforen sehr aktiv.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover