Antifa-AG der Uni Hannover:


Anläßlich der Vorstandssitzung der italienischen Linksdemokraten (DS), auf der sich die, in die sogenannte “Neue Mitte” führende, Linie des Parteipräsidenten D’Alema und des Generalsekretärs Fassino durchsetzte und angesichts der jämmerlichen Schaukelpolitik, zu dem diese, einst aus dem Mehrheitsflügel des 1990 aufgelösten PCI hervorgegangene, Partei durch die verbreitete Antikriegsstimmung, die Antiglobalisierungs-Bewegung und vor allem die Neubelebung der Arbeiterbewegung und den konfliktorientierteren Kurs der - ihr traditionell nahestehenden - größten Gewerkschaftszentrale CGIL veranlaßt wurde, verfaßte das Mitglied des 5köpfigen Nationalen Sekretariates von Rifondazione Comunista, Claudio Grassi, den folgenden Beitrag, der als Editorial in der parteieigenen Tageszeitung “Liberazione” vom 17.10.2002 erschien.


Claudio Grassi gehört innerhalb Rifondaziones zu der Oppositionsströmung, die sich selbst als “an Lenin und Gramsci orientierter Bereich” bezeichnet. In puncto marxistische Theorie, Geschichte der sozialistischen / kommunistischen Bewegung und Rolle der Arbeiterklasse ist diese Strömung, die etwa 30% der Partei hinter sich hat, orthodox, und damit links von Bertinotti, in Fragen der Bündnispolitik und der Wahltaktik hingegen deutlich rechts von ihm angesiedelt. Gerade weil Grassi und Genossen (Losurdo, Sorini und Burgio sind weitere führende Vertreter dieser Fraktion) hier den DS und dem Olivenbaum-Bündnis gegenüber grundsätzlich sehr viel “offener” und kompromißbereiter sind, ist es interessant seine vernichtende Bestandsaufnahme der italienischen SPD- und SPÖ-Schwesterpartei zu lesen.

(Die Überschrift ist im übrigen eine Ironisierung des Titels, den die Oktoberrevolution in der italienischen Linken hat, wo sie als “Angriff auf den Himmel” firmiert.)



DS: Angriff auf den Palazzo


Claudio Grassi


Derjenige, der dem, was in diesen Stunden innerhalb der Linksdemokraten (DS) geschieht, wenig Beachtung schenken würde, läge falsch. Es handelt sich dabei nicht nur um das Leiden / die Quälerei einer politischen Schicht und es stehen auch nicht nur die internen Kräfteverhältnisse einer Partei bzw. ihre Organigramme auf dem Spiel. Auf dem Spiel steht die nächste Zukunft (und nicht nur die) eines großen Teils der Linken dieses Landes. Also etwas, das uns stark betrifft und in gewissem Maße direkt mit einbezieht.


Aus der Versammlung der Leitung der DS, die am 14. Oktober stattfand, ist die Achse D’Alema/Fassino (erweitert um die Komponente von Morando) siegreich hervorgegangen, indem sie die auf dem Kongreß von Pesaro gefällten und bereits ausgeprägt moderaten <d.h. hier: in die Neue Mitte orientierten> Beschlüsse weiter radikalisiert hat. Es gibt kein Gebiet, auf dem die Mehrheit, die die Partei führt, kein ausdrückliches Zurückweichen gezeigt hätte. Das ist eine Entscheidung für die <frontale> Auseinandersetzung mit der <linken> Minderheit, die Positionen der Öffnung gegenüber den Bewegungen und der alternativen Linken vertritt und eine Botschaft an die starken Mächte <d.h. die politischen und ökonomischen Machtzentren>, die mit der Performance der Regierung Berlusconi immer weniger zufrieden sind. Die Idee ist klar: Sich erneut als vertrauenswürdiger Partner der Unternehmerschaft (auch der internationalen) und als Garanten der neoliberalen “Modernisierung” anzubieten. Das ist eine Linie, die bereits in den letzten fünf Jahren ins Desaster geführt hat. Sie wird neu aufgelegt und extremer gestaltet und bis zur Übertreibung verfolgt - auch über den Angriff auf den Artikel 11 der Verfassung und die neuerliche Eröffnung des Konfliktes mit der CGIL. Alles nur, um in den <italienischen Regierungssitz> Palazzo Chigi zurückzukehren. Die zurückliegende Erfahrung lehrt leider gar nichts.


Wir sagten, daß es kein Gebiet gibt, auf dem der DS-Präsident <D’Alema> und das DS-Sekretariat <unter Führung von Fassino> nicht ultra-moderate Positionen bezogen haben. Man denke an das, was trotz allem die grundlegende Frage bleibt, d.h. den Krieg. Im Verlaufe weniger Tage ist man von der Ablehnung der Entsendung der <italienischen Gebirgsjäger> alpini zur “kritischen Übernahme” der Bush-Doktrin übergegangen. Ein neuer Krieg gegen den Irak erscheint nun legitim. Der deutsche Kanzler Schröder, der am Tag nach dem Wahlsieg wegen seiner mutigen pazifistischen Entscheidung gefeiert wurde, wird nicht mehr zitiert und wurde prompt durch das wirklich übliche Modell (den muskolösen Blair) ersetzt. <Der ehemalige PCI-Chefideologe in den 70er Jahren und heute parteilose> Pietro Ingrao hat Recht: Wir stehen vor der formalen Liquidierung der Italienischen Verfassung. Ein weiterer schwerer Hammerschlag nicht nur gegen die Geschichte der demokratischen und Arbeiterbewegung, sondern auch gegen den antifaschistischen Kampf und die Resistenza <von 1943-45 gegen die deutsche Besatzung und das letzte Mussolini-Regime>, die jene Verfassung ermöglicht haben. Dasselbe gilt für die soziale Frage, für die Wirtschaftspolitik und für die FIAT-Katastrophe.


Wer vorgestern Abend die Gelegenheit hatte, die Erklärungen des Abgeordneten Fassino zu hören, der in der Talkshow von Bruno Vespa zu Gast war, der hat etwas zum Nachdenken. Kritik <der DS> am Haushalt ? Gewiß, aber vor allem, weil er der Confindustria <d.h. dem wichtigsten italienischen Kapitalistenverband> nicht gefällt. Kritik an der Wirtschaftspolitik der Regierung ? Sicher, aber es schien als hörte man <EZB-Präsident> Duisenberg oder einen anderen Hüter des Maastrichter Vertrages und jenes Stabilitätspaktes reden, der die Zerstörung der Wohlfahrtssysteme und die Rezession in einem Großteil Europas verursacht. Alarm wegen des FIAT-Desasters ? Gewiß, aber auch extreme Verteidigung der wirtschaftsliberalen Dogmen und der vorurteilsbeladenen Ablehnung der einzigen Lösung, die in der Lage ist, die Beschäftigung und die Perspektiven des größten nationalen Industrieunternehmens zu retten: der Beteiligung der Öffentlichkeit am Kapital und an der Leitung des Unternehmens. Und schließlich (als Kirsche auf der Torte) die Verlegenheit bezüglich der CGIL. Eine faktische Distanzierung vom Generalstreik am 18. Oktober durch die Verwässerung der Gründe deretwegen er ausgerufen wurde: Zuallererst der Verteidigung des <Kündigungsschutz->Artikels 18 und dem Kampf gegen den Pakt für Italien. Es ist keine Woche vergangen, seit der Abgeordnete <und Spitzenkandidat des Olivenbaum-Bündnisses> Rutelli die Linie diktiert hatte: “Der Streik ? Ein vor einem Jahrhundert ausgerufener Protest, eine gegen die Gewerkschaftseinheit gerichtete Waffe.” In Sorge, daß der Vorsitzende der Margerite <Allianz christdemokratischer und liberaler Kleinparteien und Einzelpersonen, die den rechten Flügel des mitte-linken Olivenbaum-Büdnisses darstellt und deren Spitzenvertreter Rutelli ebenfalls ist> sie im Herzen von Unternehmern und Bankiers ersetzt, überschlagen sich Fassino und D’Alema dabei sich diese Interpretation zu eigen zu machen. Die CGIL sollte sich keine Illusionen machen. Von der Führung der DS wird in dem Augenblick, in dem sie diese braucht, keine Unterstützung kommen.


In diesem Rahmen gibt es eine einzige politische Neuheit und das ist die Stellungnahme der DS-Linken, die sich von der Linie des Sekretariates unterschied. In bezug auf den Krieg und die wirtschaftsliberale Globalisierung, die Arbeitsrechte und die Wohlfahrt, den Generalstreik und die Öffnung gegenüber den Bewegungen sagt das Dokument dieser Genossen interessante Dinge. Während die Mehrheit ihrer Partei den Weg des unkritischsten Konservatismus einschlägt und sich von der Geschichte der sozialistischen und Arbeiterbewegung verabschiedet, bestätigen sie eine <davon> abweichende politische Position. Auf diese Genossen schauen wir mit Aufmerksamkeit und Achtung. Im Bewußtsein der Unannehmlichkeiten <wörtlich: Qual/ Leiden/ Plackerei>, die sie durchmachen, sagen wir, daß der Moment gekommen ist, um eine zur Fassino/D’Alema-Linie alternative Position deutlicher zu machen. Angefangen beim Krieg, beim CGIL-Streik und der Angelegenheit FIAT.


Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover