Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Gut zwei Jahre nach ihrem letzten nationalen Gewerkschaftskongress hielt die CGIL – wie es bei ihr mittlerweile Tradition ist – eine zweitägige, landesweite Funktionärs- und Delegiertenversammlung ab, um Bilanz zu ziehen und die Beschlüsse des Gewerkschaftstages notfalls zu aktualisieren. Wie zu erwarten war, stand die Versammlung in Chianciano (Toskana) im Zeichen des Widerstandes gegen Berlusconis Rentenreform, war aber auch geprägt durch eine Wiederannäherung an die zweit- und drittgrößte italienische Gewerkschaftszentrale CISL und UIL. Nachdem es Ende 2001 im Metallsektor und im Frühjahr 2002 umfassend zum Bruch gekommen war, weil CISL und UIL skandalöse separate Tarifabkommen bei den Metallarbeitern abschlossen und den Widerstand gegen die Aushebelung des Kündigungsschutzes durch die Regierung zugunsten der Unterzeichnung des „Paktes für Italien“ aufgaben. Bedingt einerseits durch die Kompromisslosigkeit und Arroganz der Regierung Berlusconi auch diesen „modernen, einsichtigen und flexiblen“ Gewerkschaften gegenüber und andererseits durch die schrittweise „Mäßigung“ der CGIL seit dem Sommer 2003 trifft man sich nun, was die allgemeinpolitischen Themen anbelangt, in der sog. „goldenen Mitte“. In diesem Prozess bildet die Konferenz von Chianciano, auf der – als Gäste – auch die CISL und UIL-Prominenz vertreten war, eine weitere wichtige Etappe.

(Auch wenn die Rentenreform jetzt grundsätzlich das Parlament passiert hat, bleiben noch zahlreiche wichtige Ausführungsbestimmungen und Details zu regeln. Dazu hat Arbeitsminister Roberto Maroni von der Lega Nord übrigens am 12.Juni CGIL, CISL und UIL sowie die Unternehmerverbände für September zu Gesprächen eingeladen. Die CGIL reagierte in einer ersten Erklärung relativ kühl auf seine damit verbundenen Vorschläge. Weitere große Protestaktionen wurden bislang allerdings nicht beschlossen.)

 

Zur Information über den Diskussionsverlauf in Chianciano im Folgenden zunächst zwei Artikel über den ersten Konferenztag. Der erste stammt aus der größten (und moderat linksliberalen) italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“ vom 14.5.2004. Er fasst das Geschehen präzise, kritisch und zum Teil untergründig ironisch zusammen und streift dabei auch einige wohlbekannte Eigenarten der Gewerkschaftsbürokratie:

 

CGIL-CISL-UIL:

 

Die Gewerkschaften: Kein sofortiger Streik, sondern lang andauernder Kampf

 

von unserem Korrespondenten

 

Chianciano (Siena) – Für’s Erste haben CGIL, CISL und UIL nicht mit dem Generalstreik auf die „Schmach“ geantwortet, die ihnen die Regierung durch die Annahme der Rentenreform im Senat mit einem derart breiten Vertrauensvotum zugefügt hat. Der Führer der CGIL, Guglielmo Epifani, verurteilte gestern in dem Bericht, mit dem er die CGIL-Versammlung in Chianciano eröffnete, den Zug der Regierung Berlusconi: „Das ist eine sehr schwerwiegende Entscheidung.“ „Ein Akt, auf den wir antworten werden“, versprach er unter dem Applaus der ca. 2.000 Kader und Delegierten, ohne jedoch weiterzugehen. Unmittelbar danach sprach der Sekretär der UIL, Luigi Angeletti, nicht einmal von den Renten und ordnete sie später so ein: „Messen wir einer Reform nicht zuviel Bedeutung bei, die im Jahre 2008 <erst> greifen soll.“ Und der Sekretär der CISL, Savino Pezzotta, beschränkte sich darauf zu versichern: „Wir werden weiterkämpfen.“

 

Dann aßen die drei Führer zusammen zu Mittag – auch das ein Zeichen der wiedergewonnenen Einheit. Im Grand Hotel Excelsior nahmen sie ein Risotto und Truthahnbraten zu sich und tranken einen guten Rotwein. Sie behandelten die Krise der Petrochemie in Priolo (Syrakus), führten Telefongespräche und erreichten beim Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten, Gianni Letta, die Zusage, dass für den 17.Mai ein Treffen einberufen wird. Entscheidungen in Sachen Renten trafen sie allerdings nicht. Die Berufsgewerkschafter erklärten, dass es ein formales Problem gäbe. Man müsse das Ende der CGIL-Versammlung abwarten. Daher wird man eventuell nächste Woche erneut darüber sprechen. Es gibt aber auch ein inhaltliches Problem: der Streik in Sachen Renten zieht nicht mehr so wie das mal der Fall war.

 

1994 als Berlusconi <während seiner ersten, nur ein Jahr dauernden Amtszeit> versuchte die Altersvorsorge zu reformieren, genügte die simple Drohung die Renten anzutasten, damit die Leute auf die Strasse gingen. In 10 Jahren haben sich viele Dinge geändert, inklusive der Tatsache, dass sich in der öffentlichen Meinung vielleicht ganz langsam die Überzeugung durchsetzt, dass man an dem System erneut Hand anlegen muss. Die Gewerkschaftsführer insistieren auf anderen Faktoren.

 

Achille Passoni (Mitglied des CGIL-Sekretariats), der die Großdemonstrationen der 90er Jahre organisiert hat, sagt, dass „die Renten heute nur eines der Probleme sind, weil es die Steuerpolitik und eine desaströse Wirtschaftspolitik gibt“. Dann aber räumt er ein: „Sicher, es ist nicht mehr so wie es mal war als es ausreichte, einen Generalstreik zu proklamieren, um von der Regierung zu einem Treffen eingeladen zu werden. Zum ersten Mal stehen wir einer Exekutive gegenüber, die keine Beziehungen zur Gewerkschaft unterhält.“ Das alles – fügt er hinzu – „macht es erforderlich, dass der gewerkschaftliche Kampf als längerfristiger Kampf gestaltet wird“. Das heißt: Du kannst nicht mehr einen Streik nach dem anderen machen, wenn sie keine Auswirkungen haben. Lia Losa, eine Delegierte der CGIL-Rentnergewerkschaft SPI bringt das sehr treffend auf den Punkt: „Am 3.April haben wir eine Großdemonstration durchgeführt, aber es ist als hätten wir sie nicht gemacht.“

 

„Es wird zum Streik kommen, aber muss gut vorbereitet werden“, sagt Carla Cantone, ein weiteres Mitglied des CGIL-Sekretariates <und dort eine der beiden wichtigsten Gefolgsleute Epifanis>. Epifani fasst zusammen: „In den kommenden Tagen werden wir gemeinsam abwägen wie die Mobilisierung fortgesetzt wird. Unterdessen werden wir mit den Versammlungen in den Arbeitsstätten fortfahren. Am 21. <Mai 2004> haben wir den Generalstreik des öffentlichen Dienstes. Dann werden wir auch sehen, was die Regierung in Sachen Fiskus tut.“ Wenn es einen Streik gibt, wird es also nicht nur einer zum Thema Renten sein.

 

In der Zwischenzeit genießt Epifani die wiedergefundene Harmonie mit CISL und UIL und die Ovationen der Kader und Delegierten einer CGIL, die seit gestern keine Zweifel über die Führerschaft des Nachfolgers von Sergio Cofferati hat. Den stärksten Beifall gab es zweimal für den <erst seit Oktober 2002 amtierenden, vorher allerdings lange stellvertretenden> Sekretär der CGIL als er den Kampf der Arbeiter des FIAT-Werkes in Melfi pries, die nach 21 Tagen ununterbrochenen Streiks eine Lohnerhöhung von 105 Euro erreicht haben und dann als er den sofortigen Rückzug der italienischen Truppen aus dem Irak forderte. Die Unterstützung, die Epifani dem von den Metallarbeitern der CGIL <d.h. der FIOM> geführten Kampf gewährte, hat die Distanz zum Sekretär der FIOM, Gianni Rinaldini, verringert. Seit gestern sind sich CGIL und FIOM näher und ist Epifani stärker als zuvor.

 

Enrico Marro

 

 

Der zweite Artikel entstammt der linken Tageszeitung „il manifesto“ vom 14.5.2004. Er ist wesentlich braver geschrieben und betont die seiner Ansicht nach positiven Entwicklungen, ist an einigen Stellen allerdings auch detaillierter als derjenige des „Corriere“.

 

„Vereint gegen die Reform“

 

CGIL, CISL und UIL besiegeln in Chianciano das Bündnis. Nein zur Regierung in Sachen Renten und Fiskus. Stehende Ovationen für Epifani. Die Delegierten applaudieren dem CGIL-Sekretär lang anhaltend als er über den Arbeitskampf in Melfi und die Führungsrolle der FIOM spricht. Sehr stark gewürdigt wird auch die Forderung nach einem sofortigen Rückzug aus dem Irak.

 

Paolo Andruccioli – Korrespondent in Chianciano

 

„Die Entscheidung, bei der Rentenreform die Vertrauensfrage zu stellen, ist eine sehr schwerwiegende Entscheidung, die den Dialog mit uns beendet und die parlamentarischen Vorrechte beendet.“ So antwortete der Generalsekretär Guglielmo Epifani gestern während der Versammlung der Kader und Delegierten der CGIL auf die Regierung, die dem Senat die Vertrauensabstimmung aufgezwungen hat: <Mit dem Ergebnis von> 153 Ja- und 88-Nein-Stimmen. Bruch an allen Fronten also, auch wenn noch keine Entscheidung über einen neuen Generalstreik in Sachen Renten gefällt wurde. Vorläufig konzentrieren sich CGIL, CISL und UIL auf den Generalstreik des öffentlichen Dienstes am 21. Mai. Die CGIL hat sich daher in Chianciano (auf der Versammlung zur Halbzeit des Mandats bis zum Kongress im Jahre 2006) mit großen Ambitionen präsentiert. Durch die letzten Abkommen bei Alitalia und FIAT Melfi gestärkt, will die am Corso d’Italia <in Rom> ansässige Gewerkschaft den Kampf gegen die Renten- und Steuerreform ausweiten und das gegen eine Regierung, die nicht nur die Sozialpartnerschaft zerstört hat, sondern sie auch zeigt, dass sie, trotz ihrer erdrückenden Mehrheit, auch das Parlament in keinster Weise berücksichtigt. In diesem Sinne wird die Vertrauensabstimmung in der Rentenfrage von Epifani als „ein Akt der Arroganz, aber zusammen mit einer großen Schwäche“, beurteilt. Der CGIL-Generalsekretär wollte während seines einleitenden Berichtes (25 Seiten) jedoch bezüglich der Beziehungen zu dieser Regierung und der Illusionen, die in den letzten Jahren kultiviert wurden, keine Polemik gegen die anderen Gewerkschaften betreiben. Der Pakt für Italien ist mittlerweile ein Erinnerungsstück. Genauso wie jene Confindustria <-Führung> von Antonio d’Amato der Vergangenheit angehört, die das Land monatelang in Sachen <Kündigungsschutz-> Artikel 18 lahm gelegt hat. Heute zählen für die CGIL die Punkte einer möglichen „Konvergenz“ (ein von <CISL-Chef> Pezzotta benutzter Begriff) mit den anderen Gewerkschaftsbünden, um in einer mittlerweile vorhandenen wirtschaftlichen und sozialen Notstandssituation den Kampf gegen den Niedergang des Landes ausweiten zu können. „Ich habe reichlich Erfahrung, um mir nicht zu viele Illusionen zu machen“, sagte Epifani. „Aber gerade die Erfahrung sagt uns, dass wir uns – mit Umsicht und Entschlossenheit – gemeinsam bewegen müssen.“

 

Die überprüfte und korrigierte Gewerkschaftseinheit erhält ihre Nützlichkeit zurück. Die letzten Beispiele bei Alitalia und in Melfi werden von den Gewerkschaftsbünden CGIL, CISL und UIL als entscheidend angesehen. Insbesondere Melfi war eine wirkliche Wende. Es war kein Zufall, dass unter allen Passagen von Epifanis Bericht gerade diejenige über Melfi zu denen gehörte, die von den 2.000 anwesenden Delegierten den stärksten Beifall bekamen. Großen Applaus gab es auch für die Bezüge auf die starke Reduzierung der Arbeitseinkommen und die Zunahme der Ungleichheit, „auf die unvermeidliche und richtige Initiative der FIOM, eine Tarifmacht zurückzuerobern“, auf die Notwendigkeit einer vereinten und autonomen Gewerkschaft, auf die Natur und die Wurzeln der radikalen Kämpfe der letzten Zeit von Scanzano bis Melfi. Der vielleicht stärkste Applaus, bei dem sich die Delegierten von den Plätzen erhoben, war derjenige für die Passage über den Irak-Krieg. „Tag für Tag“, sagte der Generalsekretär der CGIL, „wird die Forderung nach einem Rückzug unserer Soldaten lauter.“ Epifani insistierte auf diesem Punkt: „Der Rückzug der Truppen aus dem irakischen Sumpf“ – sagte er zum Abschluss – „kann, wenn er von unserer Regierung nicht übernommen wird, zumindest von allen Oppositionsparteien unterstützt werden. Er ist somit keine – wie man glauben machen will – Flucht vor der Verantwortung, sondern genau das Gegenteil: die Übernahme einer anderen und richtigen Verantwortung, nämlich den Krieg zu stoppen.“

 

Bezüglich der direkten Verantwortung der Gewerkschaften hat die CGIL beschlossen, auf dieser Versammlung in Chianciano gerade darüber nachzudenken wie die auf dem Kongress in Rimini <im Februar 2002> beschlossene Politik in einem sich rasch verändernden Rahmen, neu ausgearbeitet werden muss. Die entscheidenden Punkte von Epifanis Rede, der heute das Schlusswort halten wird, waren gerade diejenigen zur Wirtschaftspolitik, zur Tarifpolitik und ihren Modellen und zu den Fragen der <gewerkschaftlichen> Vertretung. Der zentrale Punkt in der Rede des Generalsekretärs ist der auf die Steuerpolitik bezogene. Die CGIL lehnt die Steuerreform von Finanzminister Tremonti <Forza Italia>, die nicht nur ungerecht ist, weil sie die höheren Einkommen begünstigt, sondern in einem Land mit einem öffentlichen Defizit wie dem italienischen, vom wirtschaftlichen Gesichtspunkt aus eine absurde Operation darstellt, ab. Epifani bezog sich auf Frankreich und Deutschland, die ihre Steuerkürzungsreformen nocheinmal überdacht haben. Dann macht der Generalsekretär der CGIL  CISL und UIL einen Minimalvorschlag: eine gemeinsame Kommission <zu bilden>, um über die Regeln der Vertretung zu diskutieren. Auf dem Spiel stehen allerdings für die Zukunft zentrale Themen, wie der Kampf gegen die Prekarität der Arbeit, die Lancierung einer neuen Einkommenspolitik und eine wirkliche Steuerreform. (Auch Pezzotta erklärte gestern: „Ich liebe den Fiskus.“) In punkto Einkommenspolitik und Einschätzung der Lage der öffentlichen Finanzen wurden die Bezüge von <Lega Nord-> Arbeitsminister Maroni auf 1992 als die CGIL sich dem von <dem damaligen Chef der letzten PSI-DC-PLI-PSDI-Regierung> Amato geforderten Vertrauen nicht widersetzte, lächerlich gemacht. „Diesen Vergleich zu ziehen“, sagte Beniamino Lapadula (CGIL-Verantwortlicher für den Bereich Wirtschaft), „bedeutet nur das Eingeständnis, dass die öffentlichen Finanzen Italiens heute vor dem Kollaps stehen.“

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover