Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Anlässlich der landesweiten
Konferenz „Stop precarietà ora“ („Prekaritäts-Stopp jetzt!“) veröffentlichten die Chainworkers in der linken Tageszeitung „il manifesto“
vom 8.7.2006 das folgende
Positionspapier zum Stand der Anti-Prekaritätsdebatte
und den Perspektiven. Die im April 2000 im besetzten Centro
Sociale Bulk in Mailand
entstandene Gruppe Chainworkers (Supermarktkettenarbeiter;
Website: http://www.chainworkers.org/dev) initiierte und prägte – zusammen mit dem
Basisgewerkschaftsbund CUB – die seit dem 1.Mai 2002 in der norditalienischen Metropole
organisierten Mayday-Paraden und ist teilweise von
Antonio Negris Theorien beeinflusst. Wir bringen hier
die deutsche Übersetzung, weil wir die Internationalisierung der Debatte
wichtig finden. Zugleich haben wir erhebliche Kritik nicht nur am Negrismus (der bekanntlich die neoliberale EU-Verfassung
unterstützte), sondern z.B. auch an der übermäßigen Medienfixiertheit bzw. dem
Hang zu virtueller Politik der Chainworkers und
halten Aussagen, wie die, dass es nicht mehr gelingt, „Konflikte rund um diejenigen zu
artikulieren, die die Produktionsmittel besitzen, (…) weil man nicht genau weiß, wer unser Gehalt bezahlt, wenn es
das <überhaupt noch> gibt“, für
weit neben der Realität.
Wie die massiven Arbeitskämpfe um
die Erhaltung einzelner Produktionsanlagen in der jüngeren Vergangenheit (bei
Opel Bochum, AEG Nürnberg oder CNH Berlin), der rekordverdächtige Gate Gourmet-Streik oder der 9wöchige Arbeitskampf im
Öffentlichen Dienst (insbesondere bei den Kommunalbeschäftigten) zeigen,
herrscht dort eine solche Unklarheit und Unfähigkeit nicht. Das Problem scheint
uns vielmehr in der Isoliertheit der Kämpfe, der Zersplitterung der
Belegschaften und dem vorherrschenden, durch die zurückliegenden Niederlagen
bedingten, Hang zur Resignation, Frustration und Anpassung zu liegen. Die
entscheidende Frage ist, wie ein Brückenschlag zwischen Kernbelegschaften, Prekären
und Erwerbslosen verwirklicht, eine allgemeine Ablehnung der neoliberalen
Politik wachsen und der Kampf international geführt werden kann. (So wie es bei
Bolkestein-Richtlinie und Port-Package
ansatzweise der Fall war.) Eine Orientierung der linken Debatte auf die Frage „Was ist Reichtum?“ birgt unseres Erachtens die große Gefahr
des Abdriftens in eine Alternativnische und des Sich-Abfindens
mit den neuen Verteilungsverhältnissen. (Was ja leider nicht das erste Mal
wäre!)
Doch hören wir, was die Chainworkers dazu zu sagen haben:
Chainworkers:
„Lohn
und soziales Einkommen miteinander in Einklang bringen“
Wir verfolgen die Debatte,
die diejenigen, die auf den Lohn und diejenigen, die auf das Einkommen
orientieren, einander gegenüberstellen, mit einem gewissen Maß an Sorge. Diese
beiden farbigen Definitionen möchten uns zwei verschiedene und gegensätzliche
Horizonte präsentieren, die Überwindung der Prekarität
zu verstehen. Ein Gegensatz, der sich als cartesianischer Bezug in den Fragen
darstellen will, die die soziale Prekarität
betreffen. Die Wege, die wir beschritten haben, stellten den Versuch dar, diese
Dichotomie im Zusammenhang zu sehen, indem sie Teil einer anderen Vorstellung
wurde.
Der Mayday hat im Prinzip keine
Synthese zwischen den verschiedenen Forderungen versucht. Das Einkommen für
alle (das den Willen aufzeigte, jedem / jeder ein würdevolles Leben zu
garantieren) wurde nach und nach durch die Kontinuität des Einkommens ersetzt,
das keine Vermittlung zwischen Lohn und Existenzgeld sein will, sondern deren
Überwindung und das Bewusstsein der Notwendigkeit einer größeren Vielseitigkeit
bei der Auswahl der dazwischen liegenden Ziele bildet, wenn man eine wirklich
konfliktbereite Strategie in der Arbeit und im Sozialen gegen die Prekarisierung entwickeln will. Der Debatte um Einkommen
und Lohn, aber auch der großen Versammlung „Prekaritäts-Stopp jetzt!“ mangelt es daran. Sie sagen
uns nicht, warum sich nach 20 Jahren Reduzierung der Rechte und der Entlohnung
diese Tendenz <jetzt> umkehren sollte. Sicherlich nicht nur deshalb, weil
man das Problem aufgeworfen hat.
Es ist bekannt, wie die vom
Wirtschaftsliberalismus bewirkten Transformationen die Fähigkeit politischen
Druck auszuüben und die gewerkschaftliche Wirksamkeit der traditionellen
Konfliktformen untergraben haben. Deshalb ist der Punkt auf den sich die
Opposition gegen die soziale Prekarität fokussieren
muss, der der Definition von Formen und Modi, mit deren Hilfe neue solidarische
und Konfliktformen unter Arbeitern und Prekären, unter Einheimischen und Migranten gefunden und vereinigt werden können. Für uns ist
genau das der Punkt und – gestattet uns die Provokation – auch falls wir uns da
irren sollten, werden wir davon profitieren. Das heißt, dass wir innerhalb
einiger Monate ein Existenzgeld hätten oder einen Lohn <bzw. eine Lohnarbeit>, der <bzw. die> ein
Übermaß an Rechten aufweist.
Wenn dies hingegen nicht geschieht,
denken wir, dass der Prozess des Euro-Mayday (eine Erfahrung, die versucht die Widersprüche
einer Weltwirtschaft, die sich in unterschiedliche Räume und Modi
untergliedert, anzugehen) seine Aufmerksamkeit auf den neuralgischen Punkt
gerichtet hat: Die Atomisierung beseitigt die Verbindungen, die sich in einer
allgemeinen Bewusstwerdung der eigenen Lage kondensieren und damit die Grundlagen
für neue Komplizenschaften schaffen könnten, die jenen Konflikten Nachdruck verleihen,
denen es nicht mehr gelingt, sich rund um diejenigen zu artikulieren, die die
produktionsmittel besitzen, weil in der Ära der Finanzmärkte und des
Netzwerk-Unternehmens neben Nicht-Kollegen gearbeitet wird und man nicht weiß,
wer unser Gehalt bezahlt, wenn es das <überhaupt noch>
gibt.
In dem Moment, in dem weder
Parteien noch Gewerkschaften die Kraft verkörpern, um die Prekarisierung
radikal zu verändern, müssen die Kämpfe Ausdrucksformen finden, die sich aus
ihrer spezifischen Situation ergeben und Instrumente, die für die notwendige
Sichtbarkeit sorgen, um sich mit einer verallgemeinerten sozialen Radikalität
zu verbinden, gemeinsame Räume und Kommunikationskanäle zu schaffen, die die
Atomisierung auflösen. Mit Sensibilität für die Medien agieren, die
Kommunikationsmittel ausnutzen, die Symbole wieder territorialisieren und
soziale Medien schaffen, die gemeinsame Ausdrucksformen entwickeln, die aus der
aktiven Konspiration und aus einer sozialen Verwertung außerhalb des Kapitals
entstehen. Es ist notwendig nicht nur den neuralgischen Punkt der Frage „Wem gehört der Reichtum?“, sondern auch
der Frage „Was ist Reichtum?“ zu
berühren. Das ist der Moment, der zwischen Produktion, Zirkulation und sozialer
Verwertung liegt.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover