Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
große, linksliberale italienische Tageszeitung „la Repubblica“ veröffentlichte
am 7.11.2004 das folgende Interview mit dem führenden Kopf der
neapolitanischen Disobbedienti (Ungehorsamen), Francesco Caruso, zu den Zielen
der landesweiten Demonstration gegen prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse
und für ein soziales Grundeinkommen für Alle, die von einem linken Basisbündnis
getragen wurde, sowie zu den „Umverteilungsaktionen“, die am Rande der Demo in
einem Supermarkt und einer Filiale der Feltrinelli-Buchhandlungskette
stattgefunden hatten. Wir halten die Aussagen Carusos für sehr interessant und
spannend, auch wenn wir seine „klassenanalytischen“ Positionen ganz und gar
nicht teilen.
Das
Interview:
Francesco
Caruso, Führer der Antagonisten: Unser Kampf findet für eine rechtlose
Berufsgruppe statt.
„Geben wir den Prekären Brot und
Bücher. Sie sind die neuen Ausgegrenzten.“
Claudia Fusani
ROM – Francesco Caruso,
Führer der Disobbedienti (Ungehorsamen), ist die neue Grenze für den
sozialen Antagonismus der „Gratiseinkauf für Alle“ ?
„Banalisieren wir es nicht.
Und dann ist es so, dass wir das Brot, aber auch die Rosen wollen – das Essen,
aber auch das Wissen. Die Aktionen heute in Rom im Supermarkt und in der
Feltrinelli-Buchhandlung sind Wiederaneignungen der grundlegenden Güter von
unten, durch eine neue soziale Figur: die Unsichtbaren, die Prekären, die auf
wechselnden Jobs Beschäftigten, die Scheinselbständigen, die Leiharbeiter, die
Schwarzarbeiter. Eine neue soziale Klasse, die die Stütze des neuen
Arbeitsmodells ist, aber keine Rechte besitzt.“
Von Disobbedienti
zu Robin Hoods ?
„Was sich da in Aktion
befindet, ist das ‚Netzwerk für das soziale Einkommen und die Rechte’ (Rete
per il reddito sociale e i diritti). Unser Patron ist San Precario (der
Heilige Prekäre). Er wurde am 1.Mai in Mailand während es May Day geboren, dem
Fest, das den prekär Beschäftigten gewidmet war. Das, was für die politische Klasse
Flexibilität ist, ist für uns Prekarität. Das Charakteristische unseres Patrons
ist, dass er 6 Arme hat, weil sie mindestens 6 Teilzeitjobs dienen, um ein Gehalt
zusammenzubekommen, das gerade so zum Leben reicht.“
Wie funktioniert der
Protest ?
„Ganz einfach: Wir gehen in
einen Supermarkt, füllen die Einkaufswagen auf der Grundlage des Warenkorbs des
Prekären, der vom Wissen bis zu den Gewürzen reicht, d.h. den Nahrungsmitteln,
Produkten für die Körperpflege und Gütern, um den Wissensdurst zu stillen (wie
Büchern und CD’s). An den Kassen angekommen, blockieren wir alles und handeln
mit der Filialleitung einen Preisnachlass von mindestens 30% aus. In Neapel machen
wir das am 27. jeden Monats, einem symbolischen Tag für die Gehälter, die nicht
mehr reichen. Hier in Rom hingegen hat der Filialleiter <des
„Panorama“-Verbrauchermarktes> ein
bisschen gegrollt und einige Einkaufswagen sind durchgefahren, ohne zu bezahlen.
So haben wir, einmal draußen angelangt, die Ware unter den Kunden des
Supermarktes verteilt, die sich sehr zufrieden darüber gezeigt haben, ein
bisschen was zu sparen.“
Und in der Buchhandlung ?
„Wir gehen auch in die
Schallplattenläden. Jeder von uns wählt ein paar Bücher und eine CD aus, die
viele Prekäre haben möchten, aber nicht kaufen können, weil sie zuviel kosten.
Auch hier gehen wir raus und verteilen sie. Das Brot und die Rosen !“
Caruso, glauben Sie
nicht, dass man das Diebstahl nennt ?
„Drehen wir die Frage um: Die
Bürger werden jeden Tag beraubt. Der Diebstahl ist die Erpressung, die von den
hohen Lebenshaltungskosten <“vom teuren Leben“ – „carovita“> und vom Copyright, von den fehlenden Wohnungen und
davon ausgeht, dass man 42 Stunden die Woche für 450 Euro im Monat arbeiten
muss, von der Unmöglichkeit zu lesen und Musik zu hören.“
Was fordert Ihr wirklich
?
„Neue Bürgerrechte für die
Prekären. Mehr als Ausgeschlossene sind sie heute Unsichtbare. Einkommen für
Alle bedeutet nicht nur eine Geldzahlung, sondern auch indirektes Einkommen,
d.h. Wohnung, Medizin, Bücher, Transport.“
Wer ist wirklich im „Netzwerk
für das soziale Einkommen“ ?
„Die Prekären, jene
Zwischenfiguren, die keine öffentliche Vertretung besitzen, die organisierten
Arbeitslosen Süditaliens, das Netzwerk der Centri Sociali <Sozialen Zentren in besetzten
Häusern, ehemaligen Fabriken etc.>
und die Bewegung der Disobbedienti, die Basisgewerkschaften (Cobas und
RdB) und die Schüler- und Studentenkollektive.“
Und die Politik ? Rifondazione und jener Teil der Linken und
der <etablierten> Gewerkschaften, die Euch in den letzten Jahren
begleitet haben ?
„Die sind nicht dabei, weil
sie diese Art von Kämpfen unterschätzen. Es gelingt ihnen nicht, diese neuen
sozialen Subjekte aufzufangen, weil sie glauben, dass die Arbeiterklasse noch
existiert.“
Heute waren in Rom <die führenden Disobbedienti
aus Nordostitalien, Rom etc.> Luca
Casarini, Nunzio D’Erme, Guido Lutrario, Don Vitaliano und ein Gutteil der
Bewegung der Disobbedienti vertreten, die seit einigen Monaten für tot
erklärt wurde und vor kurzem auch beim Thema Frieden abwesend war.
„Sie erklären uns oft für
tot, aber es gibt uns weiterhin. Was wir begriffen haben ist, dass man die großen
globalen Fragen mit den lokalen Problemen verbinden muss. Die geringe
Beteiligung an den jüngsten Märschen für den Frieden und gegen den Krieg im
Irak hat die ganze Müdigkeit einer Bewegung gezeigt, die eine Krise erlebt, was
die politische Führung anbelangt und nicht mehr in der Lage ist die Bedürfnisse
der Leute aufzugreifen. Daher lautet die neue Tageslosung: Einkommen für Alle –
Krieg für Niemanden !“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover