Antifa-AG der Uni Hannover:
Zu den
Vorwahlen innerhalb der italienischen Mitte-Links-Union am 16.Oktober 2005
zwecks Kür eines Spitzenkandidaten für die Parlamentswahlen im Frühjahr 2006,
die nicht nur das personalisierte US-Vorbild nachäffen, sondern auch bewusst
vor der Ausarbeitung eines gemeinsamen Programms erfolgen, führte die linke
italienische Tageszeitung „il manifesto“ für die Ausgabe vom 30.8.2005
ein Interview mit Salvatore Cannavò. Er ist nicht nur stellvertretender
Chefredakteur der PRC-eigenen Tageszeitung „Liberazione“, sondern auch einer
der beiden Köpfe der (knapp hinter „Progetto Comunista“) drittstärksten
Strömung des linken Flügels von Rifondazione Comunista (PRC). Die „Sinistra
Critica“ (Kritische Linke) um die Zeitschrift „ERRE“ (früher: „Bandiera Rossa“)
ist im wesentlichen deckungsgleich mit der italienischen Sektion der offiziellen
4.Internationale und vertritt 6,5% der 95.000 PRC-Mitglieder. Sie gibt sich
zwar sehr bewegungsorientiert, zeichnet sich innerhalb von Rifondazione im
konkreten Tagesgeschäft allerdings durch ein stark lavierendes und immer wieder
an Parteichef Bertinotti anbiederndes Verhalten aus. Immerhin bescherte ihr dies
bisher einen, im Vergleich zu ihrer tatsächlichen Größe, stark
überproportionalen Anteil an Funktionärsposten.
Auf den
von der gesamten Parteilinken zu Recht kritisierten Mangel an innerparteilicher
Diskussion und Beschlussfassung in Sachen Vorwahlen und anderer aktueller
Fragen reagierte die Parteispitze am Ende mit der Einberufung einer Tagung des
Nationalen Politischen Komitees (CPN = „kleiner Parteitag“) am 17./18.September
2005. Dort wurde Bertinottis Linie durchgestimmt. Was allerdings nurmehr der
Kosmetik diente, da die entscheidenden Weichen bereits mehrere Monate zuvor
gestellt waren.
Cannavò: „Partei unzufrieden. Viele
könnten sich enthalten“
ANDREA COLOMBO
Auch „ERRE“, der
anlässlich des letzten Parteitages gebildete drittstärkste Minderheitsbereich
des PRC teilt den Dissens, den auch die anderen Bereiche <der parteiinternen
Opposition> bezüglich der Vorwahlen
der <Mitte-Links-> Union haben. Und er macht einen Alternativvorschlag.
Salvatore Cannavò (zusammen mit <PRC-Senator und ex-COBAS-Kader> Luigi Malabarba führender Kopf) erläutert die
Zweifel und verdeutlicht den Vorschlag.
Wie werden die Vorwahlen,
Deiner Ansicht nach, vom Unterbau der Partei erlebt?
„Ich würde sagen mit großer
Verblüffung und Desorientierung, weil es sich um ein von unserer Kultur und
unserer Praxis weit entferntes Instrument handelt. Aber das ist nur mein
Eindruck.“
Warum ist Euer Urteil über
dieses Instrument so negativ?
„Weil dadurch der leaderismo
<d.h. die
Konzentration auf die Führungsfigur>
und die Personalisierung der Politik zunimmt. Außerdem stellt es in diesem
spezifischen Fall eine Abrechnung sowohl im mittleren <d.h. moderaten> als auch im radikalen Bereich der Union dar. Das für
uns am schwierigsten zu akzeptierende Element betrifft die Veränderung des
Verhältnisses von Rifondazione und Mitte-Linker.“
Warum meinst Du, dass die
Vorwahlen diese Veränderung befördern?
„Man akzeptiert die Idee,
dass der Sieger Ministerpräsident wird, ohne noch irgendetwas über das Programm
zu wissen. De facto gibt es eine präventive Inthronisierung, die Rifondazione
akzeptiert. So wird allerdings ein ganzer Zyklus beendet. Bislang stand der PRC
immer außerhalb der Mitte-Linken. Es konnte enge Beziehungen geben. Man konnte
sich auch zwecks <gemeinsamer> Regierung verbünden, aber immer von außen. Mit den
Vorwahlen führt Bertinotti den PRC hingegen in die Union.“
Was sind Eure
Alternativvorschläge?
Wir fordern die Aussetzung
der Vorwahlen und (zusammen mit der alternativen Linken und den Bewegungen) die
Organisierung einer Großdemonstration in Rom am 15.Oktober, einem bereits für
den Aktionstag gegen die Bolkestein-Richtlinie festgelegten Datum, das genau
auf den Vorabend der Vorwahlen fällt. Wir fordern auch, dass eine Tagung der
Leitungsgremien der Partei einberufen wird, die über diese Materie bisher noch
nie diskutiert und dazu auch nichts beschlossen haben. Die <vier parteiinternen linken> Minderheiten repräsentieren 41% und stimmen in
diesem Punkt überein. Sie wurden zu diesem Thema jedoch nicht einmal
konsultiert.“
Bedeutet das, dass im
Moment der Abstimmung ein Teil des PRC nicht für Bertinotti stimmen könnte?
„Mit Sicherheit versteht ein
Teil von Rifondazione die Situation nicht. Ich glaube, dass am Ende fast alle
für Bertinotti stimmen werden, der – wie auch immer – der Sekretär ist. Dennoch
könnte es einen Teil Enthaltungen geben.“
Was werdet Ihr tun?
„Das ist ein Problem, das
wir noch nicht gelöst haben. Wenn die Leitungsgremien einberufen werden, werden
wir Klarheit darüber verlangen, ob es zu einem Eintritt in die Mitte-Linke
kommt oder nicht.“
Stehst Du den Bereichen
der Bewegung, die sich an der Ausscheidung beteiligen könnten, ebenfalls
kritisch gegenüber?
„Ich stimme mit dem Brief
von Luca Casarini <Kopf
der ehemaligen Disobbedienti Nordostitaliens> an Eure Zeitung <in „il manifesto“ vom 23.8.2005> voll überein. Gerade deshalb erscheint mir die
mögliche Entscheidung der Disobbedienti (Ungehorsamen), an den Vorwahlen
teilzunehmen <was
sie mit der Kandidatin Simona Panzino als „Senza Volto“ (die
Gesichtslosen) dann auch taten>, ganz
und gar widersprüchlich. Mit der Linie der <linken Kulturdachorganisation und stark in der Antiglobalisierungsbewegung
aktiven> ARCI stimme ich hingegen
überein: Die Entscheidung für eine starke Autonomie der Bewegung ohne deshalb
auf die Politik zu verzichten.“
Was antwortest Du
Bertinotti, wenn er behauptet, dass die Vorwahlen (bei all ihren Grenzen) ein
Vakuum füllen?
„Dass das fragliche Vakuum
durch den Mangel an Konflikt hervorgerufen wird. Die alternative Linke ist von
Anfang an von der Entscheidung, in die Mitte-Links-Koalition einzutreten,
ausgesperrt geblieben. Die Bewegung war von <den Anti-G8-Protesten im Juli 2001 in> Genua an auf der Grundlage von Positionen
entstanden, die diesem Bereich gegenüber sehr kritisch sind. Dann ist alles in
den Schlammassel des Regierungsabkommens gestürzt und nach und nach ist das
Vakuum entstanden. Man kann nicht darauf hoffen, die Linie der Mitte-Linken mit
Hilfe der Vorwahlen und durch die Delegierung an den führenden Mann (den leader)
zu verändern. Am Ende werden die Kräfteverhältnisse die Linie der Union
bestimmen. Also werden die Wahlergebnisse <bei den Parlamentswahlen im April 2006> sehr viel wichtiger sein als die Vorwahlen und vor
allem werden die Bedingungen der sozialen Auseinandersetzung den Ausschlag
geben.“
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover