Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Kampf
gegen Prekarität bedeutet nicht nur und nicht in erster Linie
Unterschriftensammlungen oder Parlamentsanträge für die Einführung eines
„sozialen Lohnes“ (Salario sociale) oder „Bürgereinkommens“ (Reddito
cittadino), also einer finanziellen Grundsicherung für alle Erwerbslosen,
Geringverdiener, Bezieher von Mini-Renten etc. Auch direkte
Umverteilungsaktionen (selbstorganisierte Preisreduzierung / „sozialer Einkauf“
etc.), Hausbesetzungen zur Beschaffung billigen oder kostenlosen Wohnraums und
Räumen für Versammlungen, (tatsächliche!) Volksküchen usw. können nur einen
Teil dieses Kampfes bilden. Der andere, mindestens ebenso wichtige Teil sind
die unmittelbaren Kämpfe in den Betrieben gegen alle Arten von Lohndumping und
prekärer Beschäftigung sowie Kampfaktionen der Erwerbslosen gegen Zwangsarbeit,
für reguläre Jobs und für direkte finanzielle Verbesserungen. Nur wenn hier
wirklich etwas passiert, besteht die Möglichkeit den Trend zur Prekarität und
Massenverarmung umzukehren. Andernfalls wird der „soziale Lohn“ / das „Bürgereinkommen“
nicht anders aussehen als 1-Euro-Jobs und ALG 2 in Deutschland. Das heißt es
bliebe bei dem Motto: Zum Leben zu wenig und zum Sterben zuviel.
Daher
lohnt es sich, neben den spektakulären „Enteignungsaktionen“ rund um den
Aktionstag des 6.Novenber 2004 in Italien auch einen Blick auf die betriebliche
Situation zu werfen und auf die Mobilisierungen, die sich dort entwickeln. Als
erstes Beispiel hier der Bericht über den eintägigen Streik im größten Call
Center Siziliens aus der linken Tageszeitung „il manifesto“ vom 15.1.2005.
Catania: Die prekär Beschäftigten
der COS rebellieren
Der Streik legt das Call Center von
Wind und Sky lahm. Mit 800 Operatoren das größte Call Center Siziliens.
ANTONIO SCIOTTO
Es gelingt Dir nicht, den
neuesten Wind Infostrada-Vertrag oder das Sky-Paket zu verkaufen ? Dann landest Du auf der „Insel der
Berühmten“, einer speziellen Bestrafungsecke des Call Centers, in der die
„Unfähigen“ unter Beobachtung gestellt werden. Wenn es ihnen nicht gelingt,
mindestens einen Vertrag am Tag zu platzieren, fliegen sie aus der Vorhölle
direkt auf die Straße. Das „Spiel“ eliminiert sie. Wenn sie sich hingegen
wieder fangen, können sie beruhigt ins Inferno der Standardsäle zu den anderen
Operatoren zurückkehren. Das ist die normale Vorgehensweise in den COS-Call
Centern in Catania, die im Auftrag für <die Telekom-Unternehmen> Wind und Sky arbeiten und wo 800 projektbezogene
Mitarbeiter gestern den ersten großen Streik der prekär Beschäftigten in
Sizilien durchgeführt haben. Die Beteiligung lag, laut der Gewerkschaft, bei
95%. Die Forderungen ? Die fasst eine Beschäftigte wirkungsvoll zusammen: „Als
Personen und nicht als Nummern betrachtet zu werden. Ein festes monatliches
Gehalt zu haben und nicht von den Launen des Zufalls abhängig zu sein. Jetzt
werden wir nach Telefonaten bezahlt. Die Arbeitsverträge laufen <nur> über wenige Monate und die Entlohnung ist zum
Lachen: Es gibt welche, die maximal 380 Euro im Monat verdienen und welche, die
nur 120 Euro bekommen.“
Für die CGIL war es schwer
den Streik zu organisieren. Sie musste die Flugblätter lange vor dem
Firmengelände von Misterbianco verteilen, wo die Jugendlichen für Cosmed und
Sicos (Tochtergesellschaften der COS, einem Operator von nationaler Bedeutung)
arbeiten. Die Kunde davon machte zwischen den Tischen des Call Centers die
Runde, wobei man versuchte, dabei nicht von den team leadern beobachtet
zu werden, den Zerberussen, die die Produktion kontrollieren und jeden
zurechtweisen, der nicht ständig auf den Bildschirm fixiert ist. Sie haben (wie
alle Chefs) einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Die Dummen, d.h. die Einzigen,
die vom Bezahlungssystem der talking time (Sprechzeit) hereingelegt
werden, sind die Operatoren. Die talking time funktioniert so: In einer
Stunde kann der Telefonist, um die Verträge anzupreisen, höchstens vier Kunden
kontaktieren. Und muss mit jedem mindestens 15 Minuten sprechen. Andernfalls
wird das Telefonat (auch wenn Du Dir 13 Minuten erarbeitet hast) nicht als
gültig anerkannt. Nur wenn es „zweckdienlich“ ist, d.h. wenn Du die
Viertelstunde übertriffst, hast Du 1,70 Euro brutto. Und dann gibt es die
Prämien: 6 Euro, wenn ein ehemaliger Infostrada-Kunde in den Schafstall
zurückkehrt; 10 Euro, wenn Du einen neuen „Adepten“ (Anhänger) gewinnst; 9
Euro, für jede verkaufte ADSL-Verbindung; und gut 25 Euro, wenn es Dir gelingt,
den Kunden vollständig von der Telecom zu lösen.
Das Problem ist, dass Du
auch zur Arbeit kommen und nichts verdienen kannst: „Neulich waren alle
Computer wegen eines Defektes bei der ENEL <= dem staatlichen Stromversorger> blockiert“, erzählt die Operatorin. „Häufig
verschwinden plötzlich die Basisdaten mit den Namen der Kunden <von den Monitoren>. Alles Funktionsstörungen, für die wir nichts
können. Aber in diesen Fällen bringen wir keinen Euro nach Hause. Und wenn wir
protestieren, antworten sie uns: ‚Tut uns leid, ist nicht unsere Schuld.’ Sie
haben uns auch Telefonlisten mit Leuten gegeben, die 1906 und 1919 geboren
wurden. Man kann sich vorstellen, inwieweit die daran interessiert sein können,
sich über diese Dienstleistungen zu informieren. Wir führen einen Haufen
Telefonate zusätzlich, die nicht vergütet werden.“ Liegt es nicht genau an
diesen perversen Systemen, dass einige alte Leute plötzlich mit Verträgen dastehen,
die sie niemals gewollt haben ?
Der Fall mit den 120 Euro
Monatsgehalt kommt bei den „Glücklichen“ vor, die den Auftrag haben, die
Angaben auf die Internetseite von Wind zu stellen. Entlohnung ? Bei 30 Cent
brutto pro Namen und Computern, die häufig ausfallen, gelingt es in 5 Stunden
Arbeit maximal <die
Daten für> 40 Namen einzugeben. Das
macht zwischen 6 und 12 Euro brutto am Tag. Dann gibt es noch 120 „auf Abwege
geratene“ Leiharbeiter, die für 1 ½ Jahre von Metis und Adecco gemietet wurden,
einige Tage davon zum Spaß: „Vergesst die Theorie / die Vorschriften. Wir
ziehen Euch für die nächste projektbezogene Mitarbeit in Betracht.“
Ziehharmonika-Löhne: Jeder
Operator trägt in einem Kalender die eigenen Telefonate ein. Oftmals ergeben
sich jedoch beim Unternehmen andere Berechnungen und die Vergütungen sind
geringer als vorgesehen. Wie dann an das <fehlende> Geld
kommen ? „Man verhandelt mit dem Chef. Wenn es gut läuft, erkennt er die in
unserem Kalender eingetragene Zahl an. Andernfalls müssen wir uns damit
zufrieden geben“, protestieren die Operatoren.
Massimo Malerba von der CGIL
Catania erläutert daher den Forderungskatalog: „Zuallererst eine Stabilisierung
der Arbeitsverträge und ein festes Monatsgehalt. Die Anerkennung von Urlaub und
Krankheit, das Recht auf gewerkschaftliche Vertreter <d.h. Betriebsräte und
Vertrauensleute = RSU-Delegierte> und
die Einhaltung des Gesetzes 626 von 1994 <Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz der
Beschäftigten>: Sie machen nicht die
vom Tarifvertrag und vom COS-Handbuch vorgesehenen 15minütigen Pausen alle zwei
Stunden.“ Er hofft darauf, dass die COS <jetzt>
anständiger / zuverlässiger ist. Bislang ist sie kein einziges Mal zu den beim
zuständigen Magistratsmitglied <von Catania> angesetzten
Treffen erschienen.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover