Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Ganz offensichtlich erlebt die Republik Südafrika seit einiger Zeit ähnliche Entwicklungen, wie sie in Westeuropa zu beobachten sind: eine „sozialdemokratische Volkspartei“ auf dem Weg in die „Neue Mitte“, die mit ihrer neoliberalen Politik unter Arbeitern und Armen mehr Anhänger verliert als sie in der Mittelschicht (und der neuen schwarzen Bourgeoisie) gewinnt; Gewerkschaften (der COSATU – www.cosatu.org.za), die ihr – notgedrungen – die Freundschaft aufkündigen und ein eher traditioneller Teil der Sozialdemokratie (hier die südafrikanische KP – SACP – www.sacp.org.za), der sich selbständig macht. Das Ganze allerdings auf afrikanischem Boden und vor dem Hintergrund einer langen und blutigen Kolonialgeschichte, der jahrzehntelangen Diktatur und dem rassistischen Apartheidsystem des Burenregimes sowie einer (de facto) bürgerlich-demokratischen Revolution, die gerade erst 12 Jahre zurückliegt und einer noch nicht konsolidierten bürgerlich-parlamentarischen Demokratie.

Dementsprechend ist die Gefahr einer neuerlichen Diktatur (diesmal allerdings unter Führung eines neoliberal gewendeten ANC), vor der COSATU und SACP zusammen mit Vertretern diverser sozialer Bewegungen warnen, keineswegs aus der Luft gegriffen. Auch wenn die Führungen beider Organisationen (darin ihren „Verwandten“ in Westeuropa nicht unähnlich) Anfang Juni zurückruderten. Während die COSATU-Spitze nun behauptet, die Warnungen vor einer Diktatur seien „aus dem Zusammenhang gerissen“ (siehe: http://www.theherald.co.za/herald/news/n09_06062006.htm), deklarierte die SACP-Führung das unten erwähnte 23seitige Dokument ihres Zentralkomitees (in englischer Sprache unter: http://www.sacp.org.za/index.php?option=com_content&task=view&id=1496&Itemid=67) kurzerhand zu einem „internen Diskussionspapier“, das – man höre und staune – nur für die Debatte „hinter den Kulissen“ gedacht gewesen sei. Die linke italienische Tageszeitung „il manifesto brachte dazu dennoch am 28.5.2006 den folgenden Artikel:

 

 

Südafrika: Die Linke revoltiert gegen Mbeki

 

Der wichtigste Gewerkschaftsbund des Landes und die Kommunistische Partei beschuldigen den Präsidenten des Autoritarismus. Der Bestand der seit dem Ende der Apartheid regierenden Dreierallianz ist in Gefahr.

 

LORENZO FIORAMONTI – JOHANNESBURG

 

Die Dreierallianz in Südafrika bekommt Risse. Der Regierungspakt zwischen dem African National Congress (ANC), der Kommunistischen Partei (SACP) und dem wichtigsten Gewerkschaftsbund (COSATU), die Südafrika seit dem Zusammenbruch der rassistischen Apartheidregierung 1994 de facto regiert, war niemals so in Gefahr wie heute. Der Regierungsstil des einst von Nelson Mandela geleiteten ANC, der sich nun in der Hand seines Nachfolgers Thabo Mbeki befindet, wird von den beiden anderen Bündnispartnern nicht länger toleriert. Die sog. Drei-Parteien-Allianz scheint mit den Liberalisierungen, den Privatisierungen der Dienstleistungen und der neoliberalen Politik zur Anziehung ausländischen Kapitals (die jedoch nicht in der Lage zu sein scheinen, das Wirtschaftswachstum in Gang zu bringen) nicht mehr fortfahren zu können. Vor einigen Tagen hat die SACP ein vernichtendes Dokument veröffentlicht, in dem der Präsident Thabo Mbeki als Arbeiterverräter und Verräter von Millionen armer Südafrikaner bezeichnet wird, weil er das Land ans Großkapital und an die internationalen Investoren ‚ausverkauft’ habe. Nur wenige Tage darauf wurde von der wichtigsten Gewerkschaft des Landes – dem COSATU (der mehr als 2 Millionen Mitglieder zählt) – derselbe Ton angeschlagen. Der Generalsekretär des COSATU erklärte in einer Pressekonferenz, dass das Land am Rande der Diktatur stünde. „Die Diktatur kündigt ihr Kommen nicht mit Militärparaden und Musikkapellen an, sondern sie macht sich in den Institutionen und über die Medien breit, indem sie politische Gegner und diejenigen, die Kritik üben, eliminiert.“

 

Dem COSATU zufolge bewegt sich Südafrika in dieselbe Richtung wie der Nachbar Zimbabwe – mit einem Präsidenten, der seine Machtbefugnisse exponentiell ausgeweitet und die wenigen Stimmen Andersdenkender sowie die Bewegungen der Zivilgesellschaft an den Rand gedrängt hat. COSATU wirft Präsident Mbeki und den obersten Funktionären des ANC vor, die dem südafrikanischen Volk während des Kampfes gegen die Apartheid gemachten Versprechen vergessen zu haben und beschuldigt die Regierung, Organisationen und Bewegungen mit abweichenden Meinungen anzugreifen. Der Gewerkschaft zufolge ist der ANC nicht mehr die Partei Nelson Mandelas und Oliver Tambos, sondern zu einem Instrument geworden, dass sich in den Händen inländischer und ausländischer Potentaten befindet.

 

Den beiden Organisationen zufolge erklärt dies, warum die von den verschiedenen Kräften, die gegen das Apartheidregime gekämpft haben, vorgeschlagene Sozialpolitik sofort nach den ersten demokratischen Wahlen beiseite geschoben wurde. Auf die gleiche Art seien die verschiedenen, anfangs geplanten Maßnahmen einer Umverteilungspolitik (insbesondere die Umverteilung des Landbesitzes) von der Regierung abgeschwächt und unwirksam gemacht worden, während der Schaffung einer kleinen Elite ultrareicher Afrikaner, die sich in Sitten und Gebräuchen an die Seite der weißen Elite gesellt haben, breiter Raum gewährt wird.

 

COSATU und SACP zur Seite stehen zahlreiche Basisbewegungen, die an soziale Dramen, wie die AIDS-Epidemie, den Mangel an preiswerten Medikamenten, das Fehlen fließenden Wassers und einer öffentlichen Gesundheitsversorgung erinnern, die von der expandierenden Gesundheitsindustrie geschluckt wird. Seit mehr als zwei Monaten befindet sich die Gewerkschaft der privaten Wachleute, die mit Arbeitsverträgen ohne Garantien arbeiten und mit einem um sich greifenden Verbrechen konfrontiert sind, im Ausstand. Fast jede Woche erlebt man harte Auseinandersetzungen zwischen Polizeikräften und streikenden Wachleuten, während Gruppen von Streikenden durch Johannesburg ziehen und die Kollegen lynchen, die sich nicht an dem Protest beteiligen.

 

Ein Krieg unter Armen angesichts der Tatsache, dass die nicht streikenden Wachleute oftmals aus Zimbabwe kommende Immigranten ohne Arbeitsvertrag sind und das verzweifelte Bedürfnis haben, am Ende des Monats etwas nach Hause zu schicken.

 

Vor diesem Hintergrund spielen sich die Proteste in den Townships (wie in Khutsong) ab, die es mehrere Monate lang auf die Titelseiten schafften. In diesem Kontext bekommt die von SACP und COSATU ausgelöste Polemik eine besonders starke Bedeutung. Vielleicht werden die Führer des ANC nach mehr als 10 Jahren gezwungen sein die Art, wie sie das Land und die Partei geführt haben, zu revidieren. Viele fangen an sich zu fragen, was aus den Versprechungen geworden ist, die von jenen gemacht wurden, die an der Seite Mandelas gekämpft haben. Und viele fangen an, sich zurückzuziehen.

 

 

Vorbemerkung und Übersetzung:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover