Gewerkschaftspolitik

Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Hier die Übersetzung des zentralen Flugblattes der Confederazione COBAS zur Großdemonstration der CGIL am 23.3. und zum allgemeinen Generalstreik am 16.4.2002 zur Verteidigung des Kündigungsschutzartikels 18 und anderem mehr. Dieses ausführliche Flugblatt, das die Position des wichtigsten Zusammenschlusses von unabhängigen linken gewerkschaftlichen Basiskomitees (Comitati di base) recht umfassend darstellt, wurde Mitte März 2002 verfaßt und u.a. auf ihrer Internetseite ( www.cobas.it ) veröffentlicht.
(Leider zeichnet es sich auch durch einen etwas akademischen Stil aus, der der führenden Rolle geschuldet sein dürfte, die die Lehrergewerkschaft Cobas Scuola in der Confederazione innehat. Darüberhinaus mußten wir, zum besseren Verständnis des nicht-italienischen Lesers – diverse Einschübe in eckigen Klammern zur Erläuterung von Namen und Fachbegriffen vornehmen. Wir hoffen, Ihr laßt Euch davon nicht abschrecken. – Der Sprung in die europäische Dimension ist halt mitunter nicht ganz einfach !)
 

Generalstreik gegen die Regierung Berlusconi, den Freihandel und die Sozialpartnerschaft

Nach einer Phase von Pseudo-Verhandlungen über den Artikel 18 hat Berlusconi beschlossen, den der Confindustria ausgestellten Wechsel bis zum Letzten zu honorieren und (zusammen mit Aznar und Blair) in Europa jene auf rigide Weise wirtschaftsliberale / auf den Freihandel setzende Achse neu ins Spiel zu bringen, die auf die Zerstörung des Sozialstaates und auf das erneute Lancieren des kapitalistischen US-Modells abzielt, das in den letzten Jahren in Italien und in Europa von den Kräften der Mitte-Linken lanciert und jahrelang von den sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften unterstützt wurde. Aber der Angriff auf den Artikel 18, der von hohem symbolischen Wert ist, stellt nur das sichtbarste Element eines umfassenderen Entwurfes sozialer Restauration dar, das die wirtschaftsliberalen / Freihandels-Orientierungen der <Mitte-Links-> Regierungen Prodi, D’Alema und Amato beschleunigt und radikalisiert.

Prekarisierung der Arbeit, Unternehmens-Schule, Diebstahl der Renten und Steuerpolitik für die Reichen

In der Gesetzesvollmacht ist das “Weißbuch” von <Lega Nord-> Arbeitsminister Maroni enthalten, das Maßnahmen umfaßt, die die totale Prekarisierung der Arbeit, die volle Verallgemeinerung der Zeitarbeit, der wechselnden Arbeit und des individuellen Arbeitsvertrages schaffen würden und so die “prekarisierende” Linie der Mitte-Linken, zu den extremen Konsequenzen führt. Einer Mitte-Linken, die die Leiharbeit und die Zerstörung der “Rigidität der Arbeit” eingeführt hat (bis dahin selbst die Veränderung des Artikels 18 auf den Weg gebracht zu haben, woran <der Arbeitsminister der letzten Mitte-Links-Regierung und Vertreter des linken DS-Flügels> Cesare Salvi in diesen Tagen erinnert hat).
Und die Mitte-Rechts-Regierung fordert, daß ihr das Parlament auch für drei weitere Gesetzesvollmachten (über die Schule, die Renten und die Steuerpolitik) grünes Licht gibt, um so die enormen Öffnungen, die in der 5jährigen Regierungszeit des <mitte-linken> Olivenbaum-Bündnisses geschaffen worden sind, zu nutzen, während sie die Zuzahlung zu Arzneimitteln wieder einführt, die Bettenzahl in den Krankenhäusern reduziert sowie Forschungs-, Präventions- und Kur-Einrichtungen privatisiert. In der Schule läßt die <neue Bildungsministerin> Moratti, indem sie von der breiten Autobahn profitiert, die die Minister De Mauro und Berlinguer mit der <Einführung einer quasi> unternehmerischen Autonomie, dem Gleichstellungsgesetz, das den Privatschulen öffentliche Finanzierungen schenkt und der mißlungenen Reform der Zyklen durch Berlinguer geschaffen haben, eine Gegenreform vom Stapel, die einen Gutteil der höheren Bildung an die Regionen und an die Unternehmen vergibt, die soziale Selektion und die Selektion nach Vermögen in riesigem Ausmaß erhöht, die Beseitigung des rechtlichen Wertes des Studientitels bestätigt und die Privatisierung der Bildung sowie ihre Verwandlung in eine Ware beschleunigt.
Beim Vorsorgesystem haben die schwerwiegenden Einschnitte, die von den vorangegangenen gesetzgeberischen Eingriffen 1992 von <der Regierung> Amato, 1995 von Dini und 1997 von Prodi vorgenommen wurden und die die Altersrenten sowie die Renten nach Arbeitsjahren durchschnittlich um 30 – 40% gekürzt haben, nicht ausgereicht. Man will der öffentlichen Vorsorge mit der Reduzierung der von den Unternehmern bezahlten Rentenbeiträge, die die Nationale Versicherungsanstalt (INPS) zum Kollaps führen würde und mit dem Diebstahl bei den Abfindungen (TFR), die nach den Plänen von Berlusconi und von CGIL-CISL-UIL obligatorischerweise in die offenen (von Versicherungen, Finanzholdings etc. verwalteten) Rentenfonds oder in die (von Unternehmen und Gewerkschaften gemeinsam verwalteten) geschlossenen Fonds eingezahlt werden sollen, die das wahre Business von morgen sind, den letzten Schlag versetzen.
Die fiskalische Gegenreform gründet sich auf die Reduzierung der Steuersätze auf <nur noch> zwei: einen in Höhe von 23% für die Jahreseinkommen bis 100 000 Euro und den anderen in Höhe von 33% für alle anderen Einkommen, die höher sind. Mit einer solchen Reform wären die Bezieher niedriger Einkommen zu einer um einige hundert Euro höheren Auslage als der gegenwärtigen gezwungen, während die höchsten Einkommen bis zu mehreren hunderttausend Euro sparen würden.

Die Sozialpartnerschaft ist nicht beendet

Gegenüber dieser, einer sozialen Schlächterei gleichkommenden, Operation finden die konföderalen Gewerkschaften <CGIL–CISL–UIL>, nachdem sie sich in bezug auf Modalitäten und Zeiträume der Antwort auf die Regierung gespalten haben, jetzt einen einheitlichen Weg wieder und rufen zum Generalstreik auf. Haben sie jene Praxis der Sozialpartnerschaft, die soviele Schäden hervorgerufen hat, endlich aufgegeben ?   Absolut nicht !  Tatsächlich fuhren sie auch in den letzten beiden Monaten fort Verlust-Tarifverträge zu unterschreiben, wie jene der Bauarbeiter, Chemiearbeiter, Textilarbeiter, Beschäftigten der Gaswerke, Bankangestellten und vor allem haben sie – nachdem sie ihren Streikaufruf für den 15.Februar zurückzogen – das Generalabkommen über den Öffentlichen Dienst und das Schulwesen unterzeichnet, das eine weitere lohnpolitische Benachteiligung verursacht (an die “Verdienste” gebundene “Erhöhungen”, größere Flexibilität, Ausgliederung und Privatisierung für mehr als 3 Millionen Beschäftigte der öffentlichen Verwaltungen und Dienste sowie Mitverwaltung der <bildungspolitischen> Gegenreform <der neuen Ressortministerin> Moratti).
In Wirklichkeit ist die Sozialpartnerschaft durchaus nicht beendet. Die Regierung Berlusconi und die Confindustria wollen, wenn auch unter nicht zu vernachlässigenden internen Spaltungen, die Macht der sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften und insbesondere die der CGIL verringern, aber gleichzeitig fahren sie fort branchenbezogen ihre Sozialpartnerschaft und die Mitverwaltung kolossaler Geschäfte, wie der Rentenfonds, anzubieten. Die Mitte-Rechts-Regierung ist nicht der Faschismus, sondern das harte Gesicht des gegenwärtigen wirtschaftsliberalen / freihändlerischen Kapitalismus und sie hat – wenn auch mit einer abstoßenden “Belastung” durch Rassismus, Autoritarismus und Verachtung für die Respektierung einiger “bürgerlicher” Regeln – ein Wirtschaftsprogramm, das mit dem von Bush, Aznar und Blair perfekt übereinstimmt. Und sie ist Teilnehmerin des “permanenten Krieges”, für den bereits von der Mitte-Linken gebürgt wurde.

Der Generalstreik und die CGIL-Demonstration am 23.März

Die Cobas sind, nach dem zusammen mit der gesamten Basisgewerkschaftsbewegung durchgeführten Generalstreik und der Großdemonstration der 150 000 in Rom am 15.Februar, der Meinung, daß man die Mobilisierung fortsetzen muß, der Regierung Berlusconi keine Waffenruhe gewähren darf, sondern einen weiteren Generalstreik schaffen muß, um die Politik des sozialen Massakers der Mitte-Rechten zu bezwingen und die Sozialpartnerschaft zu beerdigen. Daher sind wir, trotzdem CGIL, CISL und UIL in dem Willen weitermachen eine volle Sozialpartnerschaft wiederherzustellen, der Meinung, daß der Druck von der Basis für einen weiteren großen Generalstreik mit der maximalen verbündeten Kraft gesammelt werden muß, auch wenn wir denken, daß man die Einheit auf der Straße nicht anders finden kann als um eine einheitliche <Forderungs->Plattform und eine gleichberechtigte Leitung der Demonstrationszüge und Kundgebungen herum.
Deshalb ist unsere Position zur Demonstration der CGIL am 23.März eine andere. Wir wissen sehr gut, daß Hunderttausende von Arbeiter/inne/n und Bürgern an der Demonstration teilnehmen werden, trotzdem ihre Plattform keinerlei Tendenzwende bezüglich der Sozialpartnerschaft der letzten Jahre entwirft. Und daß sie dies in der Hoffnung tun werden, die CGIL “nach links” rücken zu können. Die Fakten der letzten Monate bestätigen uns allerdings erneut, daß die CGIL durchaus nicht beabsichtigt irgendeine einheitliche Öffnung in diesem Sinne zu vollziehen – weder gegenüber den Cobas noch gegenüber der Anti-Freihandels-Bewegung. Über die in den letzten Monaten unterschriebenen Abkommen hinaus war die CGIL (und das Gleiche gilt für CISL und UIL) – weit davon entfernt den Cobas und Basisgewerkschaften eine vereinte Front gegen Berlusconi vorzuschlagen – weiterhin die Kraft, die in den Arbeitsstätten (insbesondere in den Schulen) mehr dafür gekämpft hat, uns jedes demokratische Vertretungs- und Versammlungsrecht zu nehmen. Und in den vergangenen Tagen hat sie auch die Bedingung für die Beteiligung am 23.März zurückgewiesen, die mit großer Mehrheit in der Nationalen Versammlung der Anti-Freihandels-Bewegung in Bologna erhoben worden ist, indem sie der Bewegung auf der Abschlußkundgebung das Wort verweigert hat. (In dieser Angelegenheit nehmen wir zur Kenntnis, daß viele nationale Bereiche und lokale Sozialforen trotzdem in gleicher Weise am 23. teilnehmen werden, dabei jedoch nicht die gesamte Bewegung repräsentieren.)
Und daher halten wir es, aus all den oben genannten Gründen, nicht für möglich als Confederazione Cobas bei einer solchen Demonstration dabei zu sein und arbeiten stattdessen weiter für den einheitlichen Generalstreik – auch wenn wir den Willen all derjenigen (einschließlich unserer Mitglieder oder Sympathisanten, die in den Sozialforen arbeiten) respektieren, die an der Demonstration teilnehmen werden.

Gegen das gesamte Programm von Berlusconi

In diese Demonstration werden wir auch den Konflikt mit dem Bossi/Fini-<Einwanderungs->Gesetz tragen, das – indem es das <mitte-“linke”> Turco-Napolitano-Gesetz wieder aufgreift und verschärft – die Immigranten auf eine absolute Ware reduziert, die gezwungen ist, jede Erpressung des Unternehmers zu akzeptieren, um die Aufenthaltserlaubnis zu erhalten bzw. zu behalten. Das ist ein Kampf, der voll und ganz innerhalb der Arbeitswelt liegt, weil die padroni, wenn die Immigranten als schwächste Subjekte des Arbeitsmarktes versklavt werden, allen härtere Arbeitsbedingungen aufzwingen.
Die Regierung Berlusconi muß außerdem wegen ihrer Politik der Erhöhung der Militärausgaben bezwungen werden; wegen ihrer kriegstreiberischen Politik; wegen ihrer begeisterten (perfekt zu derjenigen des Olivenbaum-Bündnisses passenden) Unterstützung des permanenten Krieges von Bush, der dabei ist sich von Afghanistan aus in alle vier Ecken des Erdballs auszudehnen, um sich so nach einem Jahrzehnt völkermörderischen Embargos (auch dieses vom Olivenbaum-Bündnis gebilligt) auf die neuerliche militärische Invasion des Irak vorzubereiten; wegen des Einverständnisses mit Israel und den Kriegsverbrechen Sharons bei der Vernichtung des palästinensischen Volkes.
Die Regierung Berlusconi muß in ihrer freiheitsfeindlichen Politik gegenüber der anti-freihändlerischen Bewegung, gegenüber dem Antagonismus und der sozialen Opposition gestoppt werden; wegen ihres Versuches die unabhängigen Stimmen, wie Indymedia, Radio Gap / Onda rossa (Rote Welle) zu ersticken (und nicht nur wegen einer Aufteilung der <öffentlich-rechtlichen italienischen Rundfunk- und Fernsehanstalt> RAI <unter die Parteien der Berlusconi-Koalition>, die sich mit derjenigen deckt, die die Mitte-Linke vorgenommen hatte); wegen der stillschweigenden Unterstützung der Polizeikräfte und ihrer Brutalität in Genua, die in der Ermordung des Genossen Carlo Giuliani, dem Gemetzel in der Diaz-Schule und der Tortur in <der Polizeikaserne> Bolzaneto gipfelte; wegen ihrer eifrigen Befolgung der europäischen Direktiven, die die Zwischenfälle mit den Ordnungskräften während der Straßendemonstrationen oder der Besetzungen öffentlicher Räume mit Terrorismus gleichsetzen.
Die Confederazione Cobas nimmt mit großer Zufriedenheit die erneuerte Kampffähigkeit von Millionen Arbeiter/inne/n auf, die sich in den letzten beiden Monaten wiederholt über eine Unzahl spontaner und gegliederter Streiks, Straßenblockaden und Demonstrationen gegen die Politik von Confindustria und Regierung ausgedrückt hat. Und es ist entscheidend, daß sich diese Kampfbereitschaft nicht verflüchtigt und sich nicht durch die Neo-Sozialpartnerschaft zügeln läßt, sondern am Tag des Generalstreiks die maximale Stärke und Wirksamkeit findet, damit sich nicht das wiederholt, was 1994 während der vorangegangenen Regierung Berlusconi geschah als CGIL-CISL-UIL nach zwei Monaten großer ununterbrochener Mobilisierung den Generalstreik absagten und jenes Abkommen über die Renten unterschrieben, das dann unter der Regierung Dini perfektioniert wurde – einer Regierung, die zu den schlimmsten gehört, die die Arbeiterinnen und Arbeiter ertragen mußten.
Daher ist die anti-sozialpartnerschaftliche Bestimmung und die Klarheit der Ziele des Generalstreikes und seiner <Forderungs->Plattform wesentlich. Um diese herum muß der Kampf der Arbeiter/innen, Immigrant/innen, Schüler, Studenten, der Anti-Freihandels-Bewegung, der Sozialforen und aller zusammengeschweißt werden, die ohne Macht und ohne Eigentum sind.

GENERALSTREIK
für die folgenden Ziele:
-           Rückzug der vier Vollmachten über die Beseitigung des <Kündigungsschutz->Artikels 18 und das Weißbuch von <Arbeitsminister> Maroni, über die Gegenreform der <Bildungsministerin> Moratti im Schulwesen, über den Abbau der Renten und den Diebstahl der Abfindungen sowie über die Gegenreform bei den Steuern. Abschaffung der Regelungen (des Arbeitsgesetzpaketes von Treu), das für die Verbreitung der prekären, ultraflexiblen und Leiharbeit gesorgt hat.
-           Ausdehnung des Artikels 18 auf alle Arbeitenden.
-           Nein zur Sozialpartnerschaft.
-           Europäische Löhne und Gehälter.
-           Wiederherstellung eines scala mobile-Mechanismus, der die Löhne vor der Inflation schützt.
-           Rückzug des Bossi/Fini-Gesetzentwurfes. Gleicher Lohn, gleiche Regeln und Rechte für Italiener/innen und Immigrant/innen.
-           Soziales Einkommen für alle diejenigen, die ohne Einkommen sind.
-           Allgemeine Reduzierung der Arbeitszeit bei gleichem Lohn.
-           Verteidigung und Ausbau von Schule, Gesundheitswesen, Transportwesen und allen öffentlichen Diensten.
-           Verteidigung des Streikrechtes und volle Ausübung aller gewerkschaftlichen Rechte.
-           Nein zum Krieg und zur kriegstreiberischen Politik ohne wenn und aber.
-           Frieden, Boden und Freiheit für das palästinensische Volk und den palästinensischen Staat.

CONFEDERAZIONE COBAS
Via Prenestina, 163;  I – 00176 Roma.  Tel. 0039 / 06 / 278 00 816.  Fax: 0039 / 06 / 278 00 817.  E-mail: cobas@cobas.it   -  Internet: www.cobas.it
Vorbemerkung, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
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