Auch wenn der Riß zwischen der CGIL einerseits und dem zweit-
bzw. drittgrößten italienischen Gewerkschaftsbund CISL und UIL
seit Mitte März 2002 notdürftig gekittet sind und diese beiden
nun auch zum Generalstreik gegen Berlusconis Angriff auf den Kündigungsschutz
aufrufen (der jetzt am 16.April stattfinden soll), lohnt es sich das Taktieren
insbesondere der CISL in den letzten Monaten genauer zu betrachten, da
darin erheblicher Sprengstoff auch für die zukünftige Entwicklung
der italienischen Gewerkschaftslandschaft erkennbar wird, der nicht beseitigt,
sondern durch Berlusconis im weiteren Verlauf sehr schroffes und frontales
Vorgehen (bei gleichzeitigem massiven Zuspruch für die Haltung der
CGIL in den Betrieben und der Gesellschaft) nur überlagert wird. Daher
ist auch jetzt noch der Kommentar hochinteressant, den die große
linksliberale italienische Tageszeitung “la Repubblica” zu diesem
Thema am 22.2.2002 veröffentlichte:
Kommentar:
Die Versuchungen der CISL
Massimo Riva
Silvio Berlusconi scheint dort erfolgreich gewesen zu sein, wo der Arbeitsminister Maroni, auch wenn er es wiederholt versucht hat, gescheitert ist: Bis gestern kompakt scheint die Gewerkschaftsfront heute gespalten, nachdem der Ministerpräsident eine Verschiebung der parlamentarischen Diskussion über die Reform des Artikel 18 des Arbeiterstatutes um zwei Monate auf den Verhandlungsteller gelegt hat. Seit den ersten Zügen in dieser Sache hatte die Mitte-Rechts-Regierung alle ihre Karten auf das taktische Ziel der Gewerkschaftsspaltung gesetzt, um der Confindustria1 so einen doppelten Dienst zu erweisen: den eine entscheidende Bresche in die Regelung der ungerechtfertigten Entlassungen zu schlagen und zusammen damit die Kraft der Gewerkschaft zu schwächen und zu beugen.
Die Tatsache, daß die CGIL gestern beschlossen hat einen Generalstreik im Alleingang zu proklamieren, während CISL und UIL akzeptiert haben, erneut einen Dialog mit der Regierung zu beginnen, kann vom <italienischen Regierungssitz> Palazzo Chigi als ein erster, wenn auch nur teilweiser, Erfolg betrachtet werden.
Aber die Partie ist vielleicht länger und komplizierter als es auf den ersten Blick erscheinen könnte. Silvio Berlusconi weiß, daß er auf die volle Unterstützung der gegenwärtigen Spitze der Confindustria, auf die Zustimmung eines nicht kleinen Teils der gemäßigten Wählerschaft und schließlich auf den Wunsch der beiden kleineren Gewerkschaftsbünde eine eigene Konkurrenzfähigkeit gegenüber der CGIL zu betonen, zählen kann.
Aber das für diese Auseinandersetzung gewählte Terrain ist dennoch keines der günstigsten, weil eine Reduzierung der Rechte der Arbeitenden in puncto Entlassungen ein wenig populäres Vorhaben ist, gegen das im Lande quer durch die politischen Lager eine starke Opposition existiert. Nicht zufällig sind bezüglich dieser Frage bereits gefährliche Spaltungen innerhalb der Regierungsmehrheit und der Regierung aufgetreten: Den ehemaligen Christdemokraten und einigen Vertretern von Alleanza Nazionale (AN) schmeckt es nicht, in den Augen jenes - nicht zu vernachlässigenden - Teils ihrer Wähler, die abhängig Beschäftigte sind, als Butler der Confindustria-Interessen zu erscheinen. Der letzte Zug des Ministerpräsidenten hat diese abweichenden Meinungen im Innern vorläufig zum Schweigen gebracht, sie aber nicht erstickt.
Auf der Gegenseite scheint klar, daß Sergio Cofferati die Generalstreikattacke gerade deshalb beschlossen hat, um die Widersprüche des gegnerischen Lagers hervortreten zu lassen und seine gewerkschaftlichen Konkurrenten in Schwierigkeiten zu bringen. In einer Partie, in der der Einfluß der Confindustria hinter den Initiativen der Regierung offensichtlich ist, scheint es weder für <CISL-Chef> Savino Pezzotta noch für <UIL-Chef> Luigi Angeletti einfach zu sein für die jeweiligen Gewerkschaftsbasen einen Kompromiß mit der Regierung verdaubar zu machen, der den schicksalhaften Artikel 18 zur Diskussion stellt. Gestern haben sich in zahlreichen Fabriken Norditaliens einige spontane Proteststreiks ereignet, in denen sich z.B. die Metallarbeiter der CISL ohne Bedenken mit den Arbeitskollegen von der CGIL vereint haben. Die Gegenprobe dafür, daß die Spielräume von CISL und UIL eher eng begrenzt sind, ist auf der anderen Seite durch die Tatsache geliefert worden, daß ihre Sekretäre heute zu dem von der CGIL angesetzten Generalstreik auf Distanz gehen, sich aber anstrengen zu betonen, daß ihre Position bezüglich der Rechte der Arbeitenden absolut unnachgiebig ist und bleibt. Kurz, am Artikel 18 rührt man - auch für sie - nicht.
Es ist schwierig sich heute vorzustellen, was ein geschickter Pokerspieler wie Silvio Berlusconi sich noch ausdenken kann, um diese wie auch immer einheitliche Opposition der Gewerkschaft in bezug auf das entscheidende Problem der Entlassungen zu überwinden. Ein Punkt ist bislang aber völlig klar: Entweder verzichtet die Regierung darauf die Regelung der Entlassungen zu verändern oder ein Generalstreik, der für den Zeitpunkt erklärt wurde, wenn der Waffenstillstand Berlusconis kurz vor dem Ende stehen wird, könnte sehr viele CISL- und UIL-Mitglieder dazu bewegen zusammen mit jenen der CGIL auf die Straße zu gehen. Während Berlusconi sich wie an einem Pokertisch verhält, scheint Cofferati eine ganz besondere Schachpartie zu spielen.
Das Ergebnis dieser Auseinandersetzung ist im Augenblick offen. Viel, wenn nicht alles, wird von dem abhängen, was wie der schwächste Punkt des gewerkschaftlichen Schützengrabens erscheint: vom Sekretär der CISL, Savino Pezzotta. Obgleich in Worten sehr fest in der Verteidigung des Artikels 18 steht dieser heute im Mittelpunkt eines politischen Manövers mit weitem Radius, das darauf abzielt, ihn mit der Perspektive zu locken, seinen Gewerkschaftsbund in die Gewerkschaft der gegenwärtigen Regierungsmehrheit zu verwandeln. Man muß berücksichtigen, daß der politische Rahmen der Mitte-Rechten in schneller Entwicklung begriffen ist. <AN-Parteichef und Vize-Ministerpräsident> Gianfranco Fini zielt seit langem, auf den Beitritt der AN zur Europäischen Volkspartei (EVP) ab und darauf, nach einer ähnlichen Übergangsphase eine einheitliche gewerkschaftliche Kraft der Mitte-Rechten zu initiieren. Wegen der Übertragung der Führung dieser <neuen rechten Gewerkschaft> an Savino Pezzotta klingen einem die Ohren.
Wird es der Sekretär der CISL schaffen diesen Sirenen zu widerstehen
? Die Schnelligkeit mit der er gestern dem von Berlusconi vorgeschlagenen
<zweimonatigen> Waffenstillstand stattgegeben hat und der bedauerliche
Präzedenzfall eines geheimen Treffens in der Wäscherei eines
großen römischen Hotels geben einer derartigen Frage Substanz
und Gewicht. Gewiß, es bleibt zu klären, ob und wie die Basis
eines Gewerkschaftsbundes wie der CISL, der eine bedeutende Tradition in
den gewerkschaftlichen Kämpfen hat, ihrem Führer folgen kann,
wenn diese beschließen müßte den Artikel 18 in die Brennesseln
zu werfen, um den Aufbau einer großen, gemäßigten Gewerkschaft
zur Unterstützung der wirtschaftsliberalen Politik der Mitte-Rechten
einzuleiten. Man muß sich nicht anstrengen, um darauf zu kommen,
daß Cofferati auch deshalb jeden Zweifel über den Generalstreik
beseitigt hat, um eine offene Herausforderung bezüglich der Frage
zu lancieren, wer heute der treueste und glaubwürdigste Interpret
der Stimmungen und der realen Interessen der Arbeitswelt ist.
Vorspann, Übersetzung, Fußnote und Anmerkungen in eckigen
Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover