Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
große linksliberale italienische Tageszeitung „la Repubblica“
führte für die Ausgabe vom 7.11.2005 ein Interview mit Savino Pezzotta, dem
Generalsekretär der zweitgrößten (und christdemokratisch ausgerichteten)
Gewerkschaftszentrale des Landes – der CISL. Die nach eigenen (geschönten)
Angaben 5 Millionen Mitglieder (davon die Hälfte Rentner!) zählende CISL stellt
gegenwärtig im etablierten Gewerkschaftsspektrum Italiens so etwas wie „die
Mitte“ dar – mit der CGIL links und der UIL rechts von ihr. Mit dem Aufruf zum
Generalstreik am 25.November 2005 gegen den von Silvio Berlusconi vorgelegten
Haushalt hatte sie intern zwar keine Probleme, dennoch weist sie erhebliche
Risse auf, da ein Teil ihrer Mitglieder politisch den oppositionellen linken
Christdemokraten (PPI, UDEUR + Margerite) unter Romano Prodi
und ein anderer den mitregierenden rechten Christdemokraten der UDC unter Casini zuneigt. Um die Revolte in den Banlieues,
die parteipolitischen Umgruppierungen in Italien, den Generalstreik, die
Nachfolge des 2007 aus dem Amt scheidenden Pezzotta
und die interne Spaltungsgefahr geht es in dem nachfolgenden Interview, in dem
der CISL-Chef aus seiner ungebrochenen Liebe zur Sozialpartnerschaft und zum
sozialen Frieden keinen Hehl macht.
Das Interview:
Pezzotta: „Jetzt ist der Streik
unvermeidlich.“
„Ich in die Politik? Nein, in der
CISL bedarf es einer Wende.“
Der Generalsekretär: Für die
Nachfolge steht niemand in der pole position.
ROBERTO MANIA
ROM – „Ich kandidiere bei
den nächsten Parlamentswahlen nicht. Es wäre unverantwortlich, das zu tun,
nachdem ich auf dem Gewerkschaftstag eine breite Zustimmung erhalten habe.
Lieber übernehme ich die Verantwortung für die Leitung eines Erneuerungsprozesses
der CISL-Führung.“
So setzt sich Savino Pezzotta den, in den letzten
Wochen immer heftigeren Gerüchten über seine
Kandidatur auf den Listen der Margerite <d.h. des christdemokratisch-liberalen Parteien- und
Personenbündnisses, das den rechten Flügel der italienischen Mitte-Links-Union
bildet> ein Ende. Er wird bis zu der
für 2007 vorgesehenen Organistorischen Versammlung in
der CISL bleiben. Einen Nachfolger benennt er jedoch nicht. Alle Mitglieder des
gegenwärtigen Sekretariats <= des geschäftsführenden Bundesvorstandes> des Gewerkschaftsbundes können – wie er sagt – Kandidaten
sein. Raffaele Bonanni ist
daher nicht in der pole position. Während es
(bei aller Aufrechterhaltung der Distanz zur aktiven Politik) durchaus ein
Interesse vonseiten Pezzottas für das gibt, was in
der Mitte-Linken passiert: „Die Bildung der Demokratischen Partei <durch die Margerite und die aus
dem PCI hervorgegangenen Linksdemokraten (DS)> wird auch die Mitte-Rechte dazu zwingen, sich zu reformieren. Das wird
ein entscheidender Schritt in Richtung dessen, was <der 1978 von den Roten Brigaden
erschossene christdemokratische Parteichef> Also Moro die ‚vollendete Demokratie’ nannte und ein bedeutender Impuls für die
Neudefinition der Rolle und der Funktion der Gewerkschaft.“ Der der CISL-Führer
das – wenn auch nicht exklusiven – Verdienst
zuschreibt, noch immer dafür zu sorgen, dass es gelingt „die große soziale
Unzufriedenheit zu kanalisieren“. „Auch wenn“ – wie er warnt – „man die Gefahr
einer Radikalisierung des Konfliktes nicht ausschließen kann, weil das Drama
der im Stich gelassenen, identitätslosen Peripherien nicht nur eine Pariser
Angelegenheit ist“.
Pezzotta, während Sie die Rolle der Gewerkschaft reklamieren,
schickt sich die Regierung an, bereits diese Woche im Senat das Haushaltsgesetz
zu verabschieden. Der für den 25.November ausgerufene Generalstreik scheint
mehr eine Routineaktion zu sein, wie <der 56jährige, mitte-linke Arbeitsrechtsprofessor,
ehemalige FIOM-CGIL-Funktionär, ehem. PCI-Abgeordnete und „Corriere della
Sera“-Kolumnist> Pietro Ichino in seinem letzten
Buch schreibt, als ein Schachzug, der in der Lage ist, das Haushaltsmanöver zu
verändern. Glauben Sie nicht?
„Nein, das glaube ich
überhaupt nicht. Das Sich-Abschotten der Regierung
uns gegenüber macht den Generalstreik nicht sinnlos.“
Wozu wird er dienen, wenn
der Haushalt so bleibt, wie er ist?
„Wenn die Regierung auf
unsere Forderungen nicht eingeht, können wir nicht anders als zum Mittel des
Streiks greifen. Er wird dienlich sein – und wie !
Auch um klarzumachen, dass es andere Optionen gibt als die von der Exekutive
vorgeschlagenen. Aber es gibt auch noch einen anderen Aspekt: Ohne unsere
Aktion wären die Entscheidungen der Regierung sehr viel schlechter ausgefallen.
Der Streik dient auch dazu, einen Damm zu errichten und die Spannungen zu steuern,
weil dort, wo das nicht gelingt, das passiert, was wir alle in Paris sehen.“
Apropos, stimmen Sie den
Behauptungen Prodis zu, denen zufolge unsere
Peripherien soziale Pulverfässer sind?
„Ich glaube, dass das
Problem der Peripherien aus der Entwurzelung und aus dem Fehlen von
Beteiligungsinstrumenten entsteht. Auch in der italienischen Realität gibt es
die ‚Peripherien’. Der Unterschied zu Frankreich ist, dass unsere
Zivilgesellschaft mit den Verbänden der ehrenamtlichen Helfer und mit der
Gewerkschaft stärker organisiert ist. Deshalb reklamieren wir die Rolle der
vermittelnden Körperschaften, weil sie zum Zustand eines Demokratiemodells
beitragen. Und doch ist die Gefahr einer Radikalisierung des Konfliktes auch
bei uns vorhanden.“
Kommen wir zur
Entwicklung der CISL. Die Nach-Pezzotta-Zeit hat mit
dem Beschluss des Sekretariats, eine Konsultation über die Neubesetzung der
Führungsgruppe einzuleiten, de facto begonnen. Wann werden Sie Ihr Amt abgeben?
„Ich würde nicht sagen, dass
wir die Dinge so geregelt haben. Wir sind nur dabei, das umzusetzen, was auf
dem Gewerkschaftstag beschlossen wurde. Bei jener Gelegenheit habe ich gesagt,
dass ich mein Amt auf der Organisatorischen Versammlung abgeben würde und das bestätige
ich jetzt. Es beginnt nun ein Prozess, der einheitlich und ohne Forcierungen
realisiert werden muss, weil ich es nicht zulassen werde, dass sich die CISL
spaltet.“
Warum befürchten Sie
einen Bruch?
„Ich befürchte keinen Bruch,
aber die Neubesetzungen der Vorstände sind immer komplexe Prozesse.“
Der stärkste Kandidat für
ihre Nachfolge scheint Raffaele Bonanni
zu sein, der bei der Wahl zum Generalrat eine Lawine von Stimmen erhalten hat.
Wird er der nächste Generalsekretär der CISL?
„Alle aktuellen Mitglieder
des CISL-Sekretariats sind mögliche Kandidaten. Bei jener Gelegenheit haben wir
nicht den Generalsekretär gewählt, sondern die Mitglieder des Generalrates. In
jedem Fall ist das Problem nicht, wer meinen Posten übernimmt. Ich denke
jedoch, dass der Augenblick gekommen ist, anzufangen, über die Notwendigkeit
der Einleitung eines Prozesses für einen Generationenwechsel in der
Führungsgruppe und über eine stärkere weibliche Präsenz nachzudenken.“
Nach Ihnen eine Frau an
der Spitze der CISL?
„Ich sehe da keinen
Hinderungsgrund.“
Was antworten Sie dem
Parteipräsidenten der Linksdemokraten (DS), Massimo D’Alema,
der die Gewerkschaft aufgefordert hat, den Arbeiten, die in der Mitte-Linken,
für den Aufbau der Demokratischen Partei begonnen haben, nicht „gleichgültig“
gegenüberzustehen.
„Zuerst einmal möchte ich,
dass die Parteien die Vorstellung von Autonomie, die die CISL hat, mit
Interesse betrachten. Dies vorausgeschickt, denke ich weiterhin, dass alles,
was sich – zusammenfassend und vereinfachend gesagt – in Richtung Aufbau einer
normalen Demokratie der Alternanz <also des periodischen
Regierungswechsels ohne allzu große inhaltliche Unterschiede> bewegt, gewürdigt werden sollte. In dieser Perspektive
ist das Projekt der Demokratischen Partei hilfreich, weil es einen analogen
Prozess in der Mitte-Rechten fördern kann.“
Und was würde die
Gewerkschaft dabei gewinnen?
„Dass sich die
Regierungswechsel innerhalb allgemein geteilter Bezugsparameter vollziehen
würden. Und das würde die Sozialpartnerschaft begünstigen, die eine notwendige
Ressource für das Land bleibt.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum
Hannover