Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Mit dem zeitlichen Abstand eines Monats lässt sich feststellen, dass die vom radikaleren Teil der italienischen Linken und der Gewerkschaftsbewegung getragene landesweite Demonstration am 4.November 2006 in Rom mit ihren real 8.000 – 10.000 Teilnehmern, trotz aller Ambivalenz der erste Akt einer neuen Phase der Arbeiter- und Antiglobalisierungsbewegung südlich der Alpen war – ein erster Schritt auf dem langen Weg zu einer neuen kritischen und klassenkämpferischen Bewegung. Ein weiterer Beleg für die Richtigkeit dieser These ist die heftige Auseinandersetzung die ausgehend von der Demo im größten italienischen Gewerkschaftsbund, der früher PCI-nahen CGIL über die zukünftige Linie ausgebrochen ist. Dabei schreckt die CGIL-Spitze unter Generalsekretär Guglielmo Epifani (einem früheren PSI’ler und heutigen Linksdemokraten) auch nicht vor der Androhung von Disziplinarmassnahmen gegen führende Köpfe der Gewerkschaftslinken (wie Giorgio Cremaschi) zurück. Vergleichbares hatte in den letzten 20 Jahren Seltenheitswert. Den Stand der Dinge innerhalb der CGIL fasst die unabhängige linke Tageszeitung „il manifesto vom 23.11.2006 anlässlich der Tagung der  100 Mitglieder umfassenden Nationalen Leitung zusammen.

 

Gewerkschaft:

 

Konflikt und Regierung – die CGIL spaltet sich

 

In punkto Haushalt und Prekarität entgegen gesetzte Anträge. Der Sekretär Guglielmo Epifani kritisiert diejenigen, die am 4.November gegen die Prekarität demonstriert haben und erhält 63 Ja- und 35 Gegenstimmen. Unterschiedliche Positionen auch in Bezug auf den Haushalt, in Erwartung der im Januar beginnenden Verhandlungen mit Regierung und Confindustria über Renten und Arbeitsmarkt. Die FIOM bleibt im Visier des Gewerkschaftsbundes, aber auch die Kongressmehrheit der CGIL spaltet sich.

 

Loris Campetti

 

Mit entgegen gesetzten Voten endete die wichtigste Tagung der nationalen Leitung der CGIL in der neuen Phase, die mit Berlusconis Niederlage und dem Amtsantritt der Regierung Prodi begann. Generalsekretär Guglielmo Epifani erhielt für sein Schlussdokument, das seinen Bericht einschließlich der harten politischen Attacke (wenn auch in abgemilderter Form) auf diejenigen zusammenfasst, die sich an der Demonstration vom 4.November gegen die Prekarität beteiligten, 63 Stimmen. Ein zweites, in Contraposition zu diesem stehendes Dokument, das von Nicola Nicolosi und Paola Agnello Modica vom programmatischen Bereich Lavoro e Società <Arbeit und Gesellschaft = der gemäßigte Teil der CGIL-Linken> vorgelegt wurde und ein negatives Urteil über Epifanis einleitenden Bericht gerade in Bezug auf die Teilnahme an dieser Demonstration fällt, bekam 21 Stimmen. Die FIOM schließlich (der wichtigste kollektive Angeklagte der Nationalen Leitung) enthielt sich (14 Stimmen). Mit Sicherheit nicht aus Äquidistanz, da ihr Sekretär Gianni Rinaldini seinen eindeutigen Dissens zu Epifanis Bericht zum Ausdruck brachte, sondern aufgrund der Weigerung die Branchengewerkschaft der Metallarbeiter zum Teil eines organisierten programmatischen Bereiches zu machen, wie es Lavoro e Società ist. Für Epifani ist das kein gutes Ergebnis, da er nur 63-Ja-Stimmen und 35 Gegenstimmen (in verschiedener Form) kassierte, einschließlich der Stimmen eines Teils der Kongressmehrheit (Lavoro e Società).

 

Ein zweiter Antrag betrifft dagegen den symbolträchtigsten Ort prekärer Beschäftigung: die Call Center. Einige Diskussionsbeiträge forderten den Rückzug der Unterschrift der CGIL unter die so genannte „Gemeinsame Erklärung“, die mit den Positionen des Arbeitsministers Damiano <Linksdemokraten – DS> auf einer Linie liegt und die Prekären des Kornetts in abhängig Beschäftigte (diejenigen, die die Anrufe entgegen nehmen) und halbabhängig Beschäftigte bzw. Scheinselbständige unterteilt (d.h. diejenigen die Anrufe tätigen und selbst die Einzigen sind, die wissen, welche Autonomie sie bei ihrer Arbeit besitzen). Sogar die <staatlichen> Arbeitsinspektoren, die für das Ministerium eine Untersuchung über die Arbeit bei der Atesia durchführten, kamen zu dem Schluss, dass es keine Spaltung oder geringere Unterordnung bei denjenigen gibt, die Anrufe entgegen nehmen oder sie tätigen. Auch in diesem Fall wurde über zwei gegensätzliche Texte abgestimmt: Über denjenigen der (dieses Mal geschlossen auftretenden) Mehrheit (d.h. mit Lavoro e Società), der 87 Stimmen erhielt und dem vom Sekretär der Kammer der Arbeit <= CGIL-Ortskartell> Brescia, Dino Greco, vorgelegten, für den auch andere Sekretäre von Kammern der Arbeit und der FIOM stimmten und der 16 Stimmen erhielt. Nicolosi begründet sein differenziertes Votum bei den beiden Anträgen mit den Veränderungen, die an der Position der CGIL zu den Call Centern vorgenommen worden seien. Die Unterschrift unter die gemeinsame Erklärung wird nicht zurückgezogen. Es wird allerdings (auch in Form eines „möglichst gemeinsamen“ Briefes mit CISL und UIL an die Adresse der Confindustria) erklärt, dass die Gewerkschaften keine Positionen beziehen können, die sich (damit wir uns richtig verstehen) rechts von denen der Inspektoren bewegen.

 

Die während der Debatte im Vorstand zu Tage getretenen Meinungsverschiedenheiten sind keineswegs zweitrangig und betreffen den Inhalt und die Methode. Methode will heißen Demokratie, Recht auf Dissens, Autonomie der Gewerkschaft von den Regierungen (und natürlich von den Unternehmern). Es geht, wie wir wiederholt dargestellt haben, um die Demonstration vom 4.November, bei der eine Parole der COBAS das Sekretariat der CGIL (einstimmig mit Ausnahme von Paola Agnello Modica) dazu veranlasste Bereiche <d.h. Fraktionen> und Branchengewerkschaften vor einer Teilnehme zu warnen – ein Appell, der nur von den Sekretären der <CGIL-Gewerkschaft für den Öffentlichen Dienst> Funzione Pubblica (FP), Carlo Podda, und der Bildungsgewerkschaft CGIL-FLC, Enrico Panini, befolgt wurde. Epifani ging in seinem Bericht (der beim Schlusswort im Tonfall abgeschwächt wurde) so weit von der Möglichkeit von Disziplinarmassnahmen gegen die Dissidenten zu sprechen. Insbesondere gegenüber Giorgio Cremaschi, den führenden Kopf des Rete 28 Aprile <= der radikalere Teil der CGIL-Linken> sowie Mitglied des nationalen Sekretariats der FIOM. Gerade dieser Übergang von der politischen Auseinandersetzung zu Sanktionen war es, der zu einem Lager übergreifenden Dissens gegen das Schlussdokument führte.

 

Die Methode ist jedoch auf das Engste mit dem Inhalt verbunden. Und der Inhalt ist das Haushaltsgesetz, bezüglich dessen viele der Redebeiträge ein kritischeres Verhalten des Gewerkschaftsbundes forderten. „Das ist nicht das Haushaltsgesetz der CGIL“, sagte Rinaldini. Und mit anderen Tönen wurde dies von Cremaschi, Nicolosi und einigen Sekretären von Kammern der Arbeit bekräftigt. Es ist überflüssig besonders darauf hinzuweisen, dass die Forderung nach einer weniger leidenschaftlichen Verteidigung des Haushaltes die Forderung nach größerer Autonomie von der Regierung und von ihrer Wirtschaftspolitik bedeutet.

 

Eine inhaltliche Frage ist auch die Position, die die CGIL im Januar an den beiden Verhandlungstischen mit Regierung und Confindustria bezüglich der beiden besonders heißen Punkte einnimmt: der Altersvorsorge und der x’ten Anmaßung von weiteren Kunstgriffen zur Verringerung des Wertes der Renten und zur Erhöhung des Renteneintrittsalters sowie dem Arbeitsmarkt und der Prekarität. Mit Unternehmern, die ihre Absicht, eine Gegenreform des Tarifsystems und der Arbeitszeitregelungen zu erreichen, nicht verhehlen. <FIAT-Aufsichtsratschef und Confindustria-Präsident> Luca di Montezemolo nennt das alles (zusammen mit einem eventuellen Tauschgeschäft in Form einiger Zugeständnisse bei der prekären Beschäftigung) „Pakt für die Produktivität“. Es gibt Leute, die sagen, dass ohne eine von den Beschäftigten diskutierte und beschlossene gemeinsame Position kein Gespräch möglich und das kein Abkommen denkbar ist, ohne dass dasselbe demokratische Kriterium angewandt wird.

 

Das Klima, in dem die Tagung der CGIL-Leitung stattfand, glich – jemandem wie Nicolosi zufolge – einer Arena, in der man den Stier mit den Banderillas <Anm.1> durchbohren will. Wer ist der Stier? Der Stier ist die FIOM, die schuldig ist – mit der Perspektive einer <gesellschaftlichen> Veränderung – als aktives Subjekt bei all dem präsent zu sein, was sich weiterhin in Italien bewegt, ohne um Erlaubnis zu fragen. In der kommenden Woche tritt in Anwesenheit von Guglielmo Epifani das Zentralkomitee der Metallarbeiter der CGIL zusammen.

 

 

 

Anmerkung 1:

Banderillas sind cirka 65 Zentimeter lange, mit bunten Papierbändern umwickelte Stöcke, die dem Stier im zweiten Drittel des Stierkampfes in den Nackenschwulst gestochen werden. An ihrer Spitze befindet sich ein stählerner Widerhaken.

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Hervorhebungen, Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Gewerkschaftsforum Hannover