Antifa-AG der Uni Hannover:
Im Rahmen unserer kleinen Reihe mit Stellungnahmen aus der italienischen
Linken zum Befreiungskampf der Palästinenser hier das von zwei Mitgliedern
des Nationalen Politischen Komitees (sozusagen des ZK) von Rifondazione Comunista
(PRC) verfaßte Papier, das in der links-unabhängigen Tageszeitung
“il manifesto” vom 28.4.2002 als Diskussionsartikel erschien.
Interessant und erwähnenswert ist sicherlich, daß beide Autoren
in Opposition zur Parteiführung von Rifondazione unter Parteisekretär
Fausto Bertinotti stehen, allerdings als Mitglieder zweier unterschiedlicher
Fraktionen: Alberto Burgio (Philosophie-Professor an der Universität
Bologna) gehört der traditionalistischen, am langjährigen PCI-Chef
Togliatti orientierten, Fraktion um die Zeitschrift “l‘Ernesto” an, die in
puncto Bündnispolitik und Regierungsbeteiligung rechts der Parteiführung
steht, in puncto (theoretischer) Verbundenheit zum Marxismus (und Leninismus)
hingegen links von ihr. Claudio Bellotti (ebenfalls ein Intellektueller)
ist hingegen der theoretische Kopf der kleinen trotzkistischen Gruppe um
die Zeitschrift “FalceMartello” (Hammer und Sichel) ist, die zum linken PRC-Flügel
und international zum “Komitee für eine Arbeiterinternationale” (CWI,
ex-Militant Tendancy & Co.) zählt.
Schon die Tatsache, daß die von uns hier übersetzten und dokumentierten
Texte zum Teil unterschiedliche Positionen vertreten, sollte eigentlich klarmachen,
daß wir nicht mit allen inhaltlich voll übereinstimmen. Wir finden
sie allerdings interessant und zutreffend genug, und vor allem geeignet,
der Diskussion über diese internationale Frage auch einen internationaleren
Horizont zu geben.
Zwei Völker - mehr als
ein Staat
Die Juden sind nicht nur Israel. Man kann die Politik
von Sharon angreifen, ohne des Antisemitismus beschuldigt zu werden. Gerade
um eine Lösung zu finden, die den Palästinensern das Recht gibt,
in Frieden zu leben und sich selbst zu regieren.
Claudio Bellotti und Albert Burgio
Es ist mittlerweile deutlich, wie die Anschuldigung des Antisemitismus integraler
Bestandteil, wenn nicht sogar entscheidender, Teil der Auseinandersetzung
geworden ist, die sich um die palästinensische Frage herum abspielt.
Eine schwerwiegende Anschuldigung, die man für jeden brauchen würde,
der sich heute mit der palästinensischen Sache solidarisiert. Während
die Demonstration vor dem nationalen Parteisitz des PRC (Partito della Rifondazione
Comunista - Partei der kommunistischen Neu/be/gründung) noch als eine
Episode erscheinen konnte, sind es die nachfolgenden Ereignisse sicher nicht:
Die Demonstration in Rom am 6.April mitsamt dem Verlassen der Straße
seitens des <mitte-“linken”> Olivenbaum-Bündnisses und der Gewerkschaftsbünde
<CGIL-CISL-UIL> und den entsprechenden Polemiken ebensowenig wie die
Pressekampagne, die im letzten “Trompetenstoß” von Oriana Fallaci kulminierte.
Der Mechanismus, der die Anschuldigung stützt, ist transparent und basiert
auf einer Reihe folgendermaßen funktionierender Gleichungen: Juden
gleich Israel, Israel gleich Sicherheit des Staates, Sicherheit des Staates
gleich Politik der Regierung Sharon. Schlußfolgerung: Wer sich gegen
das wendet, was heute in den Besetzten Gebieten geschieht, ist notwendigerweise
antisemitisch. Wer weiß ob <nicht demnächst> auch die Hunderten
von Reservisten der israelischen Armee, die sich weigern in den Besetzten
Gebieten Dienst zu tun, des Antisemitismus beschuldigt werden oder beschuldigt
werden die Zerstörung des Staates Israel <herbeiführen> zu
wollen.
In einen derartigen Mechanismus kann und darf man nicht geraten. Dahin zu
kommen, würde bedeuten, jedwede Möglichkeit zu einem Diskussionsbeitrag
und zum Verstehen zu beseitigen. Wenn die Prämissen ersteinmal akzeptiert
sind, kannst Du nicht mehr sagen, daß es eine Besetzung eines Gebietes
gibt oder daß es ein Volk ohne einen Staat gibt, noch kannst Du versuchen,
Rollen und Verantwortung zu unterscheiden. Jemand hat gesagt, daß die
großen Vereinfacher die schlimmsten Verwirrer seien. Ja, aber diese
(gewollte) Verwirrung nützt in großem Maße demjenigen, der
den Mantel des Schweigens über der palästinensischen Frage ausbreiten
will. Es ist ein Lärm, der <die Leute> zum Schweigen bringen will.
Wer sich darauf einläßt, wird zum Komplizen. Andere sagen noch:
Man kann die Regierung Sharon kritisieren, aber erst nachdem man den Terrorismus
verurteilt hat. Das ist die Position der Äquidistanz / des gleichen
Abstandes zu beiden Seiten. Oder sollten wir vielleicht sagen: die Position
der Vogel-Strauß-Politik ? Die Kritik des Terrorismus ist für
die Linke und für die Marxisten eine alte Sache, aber seit jeher ist
es eine politische Kritik gewesen, die von einem Nachdenken über Ursachen,
Auswirkungen und Konsequenzen ausgeht. Eine Barbarisierung des Kampfes und
seiner Methoden, eine solche die zum systematischen Selbstmordattentat führt,
entsteht nicht nur aus verzweifelten Existenzbedingungen, entsteht auch nicht
nur durch die Verrohung der Repression. Sie entsteht notwendigerweise auch
aus der Verzweifelung, die vom Verlust der Perspektive (jeglicher Perspektive)
erzeugt wird, durch den Eindruck der letzten Hoffnung sich eine Zukunft zu
erobern, beraubt zu sein. Wer sich nicht die Salamischeiben vor die Augen
halten will, hat Material <genug> zum Nachdenken, was diese letzten
8 Jahre seit Oslo für die Palästinenser bedeutet haben.
Die Politik der Attentate hat heute ebenso wie in den 70er Jahren die Lösung
des palästinensischen Problems nicht einen Schritt näher gebracht
und ist von den arabischen Regimen als Ventil eines Kampfes benutzt worden,
den sie selbst mit Furcht sahen und sehen. Die größten Fortschritte
der palästinensischen Sache sind durch den Massenkampf der ersten und
zweiten Intifada zustande gekommen. Es ist gut daran zu erinnern wie die
erste Intifada sich außerhalb jeglicher Erwartung der Spitzen der PLO
in allen ihren Fraktionen entwickelte (die linkeren eingeschlossen), die
keinerlei Vertrauen in die Fähigkeit der Bevölkerung der <besetzten>
Gebiete zur Rebellion hatten und ausschließlich auf der palästinensischen
Diaspora und insbesondere auf den Flüchtlingslagern basierten. Aber
diese Betrachtungen bewegen sich auf einer radikal anderen Ebene als die
derjenigen, die in der “Verurteilung des Terrorismus” den ersten Schritt
auf der schrägen Ebene sehen, auf die wir am Anfang hinwiesen.
Dies vorausgeschickt erscheint es uns unerläßlich den Akzent auf
wenige Fragen der Methode zu legen, von deren Nichtbeachtung ein Großteil
der schlimmen Verzerrungen herrührt, die in der Debatte über die
Situation im Mittleren Osten in den letzten Wochen festzustellen waren. Es
sollte daher immer die Notwendigkeit klar sein, zwei Ebenen des Diskurses
gut getrennt zu halten. Die Betrachtungen der politischen Entscheidungen
einer Regierung sollten niemals weder mit der Bevölkerung des Landes
noch - um so weniger - mit einer Geschichte, ihrer Kultur und ihrer religiösen
Identität vermengt werden. Dies trifft um so mehr im Falle Israels und
des jüdischen Volkes zu, da dieses Letztere nur zu einem kleinen Teil
in Palästina lebt und somit eine direkte Beziehung zu den Entscheidungen
der Regierung in Tel Aviv hat. Andererseits sind wir uns darüber im
Klaren, daß - gerade wenn es sich um Israel und die Ereignisse im Mittleren
Osten handelt - es schwierig ist, diese elementare Regel einer sauberen Argumentation
zu respektieren. Die Geschichte Israels zieht uns - gewollt oder ungewollt
- mit hinein. Der Israel betreffende Diskurs bringt unvermeidlich eine Wolke
von Erinnerungen und für das zeitgenössische Bewußtsein entscheidender
Problematiken mit sich. Sich von diesem Umfeld zu befreien ist schwierig
- angenommen, daß es richtig ist, dies zu tun. Dann aber geht es um
so mehr darum aufmerksam und vorsichtig zu sein, wenn man zu dieser Materie
öffentlich Stellung bezieht.
<Das ist> Gerade das Gegenteil dessen, was in diesen Tagen geschieht
und sicher nicht nur auf einer Seite. Wir haben keine Schwierigkeit die erbittertsten
Kritiken an unglückseligen / verwerflichen Kombinationen zu unterschreiben,
wie sie von denjenigen produziert werden, die von “israelischen Nazismus”
schwätzen. Wir finden das Gerede desjenigen <wie dem portugiesischen
Literaturnobelpreisträger und Mitglied der PCP> (Saramago) töricht,
der Ramallah mit Auschwitz gleichsetzt. Das sind Verzerrungen, die weder
helfen zu verstehen noch ein kritisches Bewußtsein der Realität
zu verallgemeinern.
Da es aber in Mode ist, gegen den “Antisemitismus der Linken” zu wettern,
erscheint es uns auch richtig, daran zu erinnern, daß die schrecklichsten
Dinge dieser Art nicht von dieser <unserer> Seite gekommen sind. Da
betrachte man noch einmal die Zeichnung von Forattini auf der ersten Seite
der <in FIAT-Besitz befindlichen liberalen Tageszeitung> “La Stampa”
vom 3.April mit jenem Panzer mit dem Davidstern, der auf die Krippe des Jesus-Kindes
zielt, das fleht, “es nicht ein zweites Mal aus dem Weg zu räumen”.
Eine Sache, die dem hinterlistigsten Antijudaismus würdig ist und die
- im besten Frieden mit der selbstabsolutierenden Erinnerung eines <stramm
rechten Historikers wie dem Mussolini-Biographen> De Felice - in der katholischen
Subkultur dieses Landes und eines Großteils des christlichen Europas
robust weiterschwelt. Und nicht nur in der Subkultur. Diejenigen, denen sie
entfallen sein sollte, erinnern wir an eine weitere Stilblüte (die um
so beunruhigender ist, wenn man die Quelle betrachtet), dieser widerwärtigen
Galerie: an den Artikel des “Osservatore romano” vom 2.April, in dem man
die folgenden Worte las: “Das, was derzeit geschieht, gestaltet sich als
ein Angriff, der gegen Personen, Gebiete und Stätten geführt wurde:
die Heiligen Stätten. Die Erde des Wiederauferstandenen ist durch Feuer
und Eisen geschändet worden und bleibt das tägliche Opfer einer
Aggression, die zur Vernichtung wird.” Die Beschuldigung des Gottesmordes
kehrt ähnlich einer Nemesis zurück. Es ist ein Fluch, eingeschrieben
in die Natur einer verfluchten Rasse.
Aber es sind nicht nur diese Positionen, die eine - um es vorsichtig auszudrücken
- verdächtige Unfähigkeit tradieren, die Ebene der Politik von
derjenigen der religiösen Konflikte getrennt zu halten, die immer fruchtbar
für urweltlichen Hass sind. Genau diese Konfusion bürgert sich
auch im Lager derjenigen ein, die sich zu Meistern der Unnachgiebigkeit in
der Verteidigung Israels aufschwingen. Wenn man gegenüber denjenigen,
die Sharon oder die Politik der Kolonisierung der im Krieg von 1967 Besetzten
Gebiete kritisieren, zur Anschuldigung des Antisemitismus greift, was tut
man dann anderes als die israelische Regierung und den israelischen Staat
mit dem jüdischen Volk zu identifizieren ? Ist dies nicht - den
erklärten Absichten zum Trotz - das Ergebnis (wenn nicht auch die Voraussetzung)
? Nur, daß man hier ein Paradoxon bestimmt, über das viele
unbesonnene Paladine Israels nachdenken sollten. Es stimmt, daß wenn
Intoleranz entfesselt wird, die Dramatisierung dazu dienen kann, diejenigen
zum Schweigen zu bringen, die “es wagen”, Sharon zu beschuldigen, ein politischer
Krimineller zu sein. Es kann gut sein, daß ungeachtet der offenkundigen
Verantwortung der israelischen Führung bei der Eskalation militärischer
Gewalt im Gefolge des 11. September auch dieser mediale Kampf von den politischen
Unternehmern des anti-palästinensischen Extremismus gewonnen wird.
Aber sind sie sich sicher, daß sie Freude daran haben werden ?
Was entsteht während des Schweigens ? Welcher Groll gedeiht, wenn
man nicht einmal die Möglichkeit hat, das eigene Leiden zu manifestieren
? Wir gestehen, daß wir nicht begreifen, wie man sich darüber
freuen kann, das soundsovielste narzistische Delirium einer Journalistin
zu lesen, die unfähig ist, die eigenen Impulse zu verfolgen. Und das
obwohl die Tragödie der letzten Wochen etwas hätte lehren sollen.
Vorbemerkung, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover