Antifa-AG der Uni Hannover:
Nach den USA und Großbritannien nutzt
gegenwärtig Italien die von den Massenmedien geschürte Terror-Hysterie in
weiten Teilen der Bevölkerung, um die Repressionsschraube anzuziehen. Migranten
sind dabei ein bevorzugtes Ziel, aber keineswegs die einzigen Betroffenen. Mit
dem „Anti-Terror“-Gesetzespaket, das Innenminister Pisanu (Forza Italia) flugs
präsentierte und das dank einer Großen Koalition mit fast der gesamten Mitte-„Linken“ im Senat bereits mit
„überwältigender“ Mehrheit verabschiedet wurde, setzt sich in dem folgenden
Kommentar Alberto Burgio auseinander. Burgio (1955 in Palermo geboren)
ist seit 1993 Professor für die Geschichte der Modernen Philosophie an der
Universität von Bologna und leitendes Mitglied der Internationalen Gesellschaft
für dialektische Philosophie – Societas Hegeliana. Darüberhinaus ist er
Mitglied der Nationalen Leitung von Rifondazione Comunista (PRC) und einer der
führenden Köpfe des linken Parteiflügels (ganz präzise der eher
traditionalistischen Strömung um die Zeitung „l’Ernesto“, die auf dem letzten
Parteitag 26,4% der Mitglieder vertrat – die Parteilinke insgesamt
repräsentiert 40% der rund 95.000 PRC-Mitglieder). Als solcher tritt er gegen
die von Parteichef Bertinotti betriebene Politik der bedingungslosen Unterordnung
unter die von Ex-EU-Kommissionspräsident Romano Prodi geführte Mitte-„Linke“
und das prinzipienlose Lechzen nach „Regierungsverantwortung“ auf, dem alles
andere geopfert wird. Diesen Kurs weiterverfolgend nahm Bertinotti nach den
Londoner Anschlägen sogar Blair in Schutz und sprach sich für Notstandsgesetze in
Italien aus, wenn sie nicht ausuferten.
Alberto Burgio wird übrigens auch in
autonomen Kreisen geschätzt. Im autonomen Verlag Derive Approdi erschien im
April 2004 sein Buch „Guerra – Scenari della nouva ‚grande trasformazione’“
(„Krieg – Szenarien der neuen ‚großen Transformation’“). Burgios Kommentar
stammt aus der von Rifondazione herausgegebenen Tageszeitung „Liberazione“
vom 20.7.2005. Wir bringen ihn hier unter dem Titel, mit dem die
Zeitschrift „l’ernesto“ (www.lernesto.it)
ihn auf ihrer Homepage veröffentlichte.
Antiterroristische „Moderate“ rechts
wie links
Alberto Burgio
Ein Chor von Lobeshymnen
einer „Großen Koalition“, wie man sagt, folgte auf die Rede, mit der
Innenminister Pisanu am 12.Juli das neue „Anti-Terror-Paket“ in der
Abgeordnetenkammer vorlegte. Ein beinahe einstimmiger Chor, der die
„Moderatheit“ dieses Paktes lobte und dabei die „Weisheit“ der Vorschläge und
die Gelassenheit des Tonfalls unterstrich. Nur wenige haben sich davon
distanziert – quasi die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Diese Geschichte der
Moderatheit Pisanus sollte vertieft werden. Es stimmt, dass in den letzten
Jahren das Wort moderat zu einem Paradox geworden ist. „Moderat“ werden alle
Bewohner des Hauses der Freiheit <Casa della Libertà = Name des regierenden
Rechts-Bündnisses unter Silvio Berlusconi> genannt, angefangen beim Abgeordneten Berlusconi, der vollzeitmäßig in
Bushs Krieg engagiert und mit der Zerstörung des Rechtsstaates beschäftigt ist.
„Moderate“ seien aber auch die Kameraden des Abgeordneten Fini <italienischer Außenminister und
Parteichef von Alleanza Nazionale>
und sogar die Gefolgsleute des Senators <Umberto Bossi, Führer der rechtspopulistischen Lega
Nord>, die für die Ausrufung des
Kriegszustandes und die chemische Kastration, für den Waffenschein (für die
echten Italiener) und die Schließung der Grenzen „für alle Immigranten“
eintreten, um „unsere Kinder zu verteidigen“. Es ist klar, dass – in diesen
Begriffen ausgedrückt – der Diskurs keinerlei Sinn macht. Wer aber den
Innenminister als „moderat“ bezeichnet, hat etwas anderes im Sinn. Es wäre
daher empfehlenswert, sich noch einmal einige seiner – auch jüngst abgegebenen
Erklärungen zu Gemüte zu führen. Wie jene, die er nach der Rückkehr vom
G5-Treffen in Paris im Mai 2005 abgab, als Pisanu behauptete, dass die Hälfte
der „irregulären“ Immigranten schlicht und einfach Verbrecher seien.
Andererseits ist nicht bekannt, dass Pisanu gegen die Legitimation der Folter
(vorausgesetzt, dass sie „erneuert“ wird) oder gegen die Beförderung der
Protagonisten der Prügelorgien in Genua in den glänzenden Tagen des Juli 2001
wäre.
Aber kehren wir zum „Paket“
der Anti-Terror-Maßnahmen zurück. Die Legende, dass es sich um unschädliche
Maßnahmen handeln würde, ist verschwunden. Das ist nämlich nicht der Fall.
Falls sie verabschiedet werden, werden sie den bereits in Mitleidenschaft
gezogenen Garantien und Rechten aller Bürger (über die Migranten, die auf der
Basis schlichter Verdächtigungen abgeschoben werden können, hinaus) einen
harten Schlag versetzen. Schauen wir sie uns genauer an, um uns davon zu
überzeugen. Die „außerordentlichen“ (zum Glück sagt niemand „speziellen“)
Maßnahmen sehen u.a. vor: den Einsatz der Armee zum Schutz der öffentlichen
Sicherheit; die Möglichkeit ganze Gebäude zu durchsuchen; die Ausdehnung der
polizeilichen Inhaftierung von 12 auf 24 Stunden (mit Verhören ohne Beisein von
Anwälten); das „präventive“ Abhören aller Kommunikationswege (E-Mail, Telefon,
Funkverkehr / Handy); den freien Zugang zu den Datenbanken der Telefonanbieter;
die Identifikation derjenigen, die Telefonkarten kaufen; die Verlagerung der
Beweiswürdigung bei den gesammelten Indizien auf Polizei und Geheimdienste
(ohne Einbeziehung juristischer Behörden); die Ausweitung der Straftatbestände,
bei denen die Festnahme auf frischer Tat gefordert wird (kraft der weiteren
Ausdehnung des Artikels 270 b des Strafgesetzbuches).
Man könnte fortfahren, aber
die Sachlage scheint bereits ziemlich klar. Es handelt sich um eine erneuerte
Tendenz unseres Landes (sowie eines Großteils Europas) dem Beispiel von Bushs War
against terrorism mit verfassungswidrigen Gesetzen, Entführungen von
Personen (auch auf fremdem Boden), Zehntausender „präventiver“ Verhaftungen
ohne Beweise und ohne Prozesse als Begleitmusik zu folgen. Man will die durch
den 11.September erzeugte Sicherheitspsychose nutzen, wie der Präsident der
Region Lombardei (der Moderate Formigoni) ganz klar sagt, der alle Bürger
auffordert, „jede Sache und jedes Element, das Verdacht erregt“, ohne Bedenken
zu melden. Und wie die sofort, einen Tag nach Pisanus Rede, gestarteten Razzien
bezeugen: Allein in der Lombardei 7.000 Kontrollen, 142 Verhaftungen (83 davon
Nicht-Italiener) und 52 Abschiebemaßnahmen. Auf dem gesamten nationalen
Territorium gab es 200 Durchsuchungen (ohne Durchsuchungsbefehl) bei vermuteten
„islamischen Fundamentalisten“, 423 Kontrollen <Anm.1>
sowie 174 Festnahmen. Unnütz zu sagen, dass bis heute keinerlei Verbindung zu
terroristischen Gruppen oder Ereignissen bewiesen wurde.
Wenn die Dinge aber so
stehen, warum dann die wohlwollende Aufnahme <des „Anti-Terror-Pakets“> durch viele Exponenten der Mitte-Links-Union ? Warum
sogar die an den Innenminister gerichtete Aufforderung, den eingeschlagenen Weg
bedenkenlos weiterzuverfolgen? Der Eindruck ist, dass Viele den Zeiten der
Nationalen Einheit und des Ausnahmezustands nachtrauern. Für Viele, die es nur
raunen, spricht es einer in deutlichen Worten aus. Der Abgeordnete Franceschini
(Koordinator der Margerite <d.h. des christdemokratisch-liberalen Parteien- und
Personen-Bündnisses mit Prodi und Rutelli an der Spitze, das den rechten Flügel
der italienischen Mitte-Links-Union bildet>) hat nostalgisch an die Spezialgesetze gegen die Roten Brigaden (BR)
erinnert, die fast alle unter Mitwirkung des damaligen PCI <d.h. der 1990 selbst aufgelösten
italienischen KP> zustande kamen“.
Seine Stimme ist keine isolierte. <Linksdemokraten (DS)-Generalsekretär> Fassino fordert, dass die Regierung „die Mittel
findet, um diese Politik umzusetzen“. Und der Abgeordnete Violante <ebenfalls ein führendes
DS-Mitglied> wiederholt – über die
„Vernünftigkeit“ von Pisanus Vorschlägen verwundert – jeden Tag, dass die DS
„bereit“ seien, „alle sinnvollen und notwendigen Maßnahmen mit zu tragen“. Das
ist entweder eine unsinnige Tautologie oder die Ermutigung, noch heftiger zur
Sache zu gehen.
Die Tageslosung lautet – wie
zu den schönen Zeiten der Reale-Gesetze und der Wende des EUR-Kongresses <hin zur Nationalen Einheit und
zur Sozialpartnerschaft> –
Verantwortungsbereitschaft. Das Regierungssyndrom (dem zufolge die Opposition
sich so verhalten sollte, als ob sie bereits an der Regierung wäre) greift in
der Mitte-Links-Union um sich. Und legt konservative Neigungen bloß, die Anlass
zu ernstester Sorge geben. Nicht nur in punkto Terrorismus übrigens. Auch in
Sachen Sammellager (CPT), die bestenfalls „überdacht“ werden, aber mit
Sicherheit nicht geschlossen werden könnten. Und auch in Sachen Krieg. Die
letzte Episode – der „Prodi-Schiedsspruch“, der die Forderung nach dem Abzug
unserer Soldaten aus dem Irak de facto zu den Akten gelegt hat – ist eine
unerhörte und gravierende Angelegenheit, weil sie die Union auf eine
Kontinuitätslinie mit der Außenpolitik der Rechten bringt. Da gibt es Dinge,
die einem Angst machen.
Aber es gibt auch die
Notwendigkeit zu reagieren. Und zwar sofort !
Denjenigen, die auf die alternative Linke und insbesondere auf unsere
Partei <Rifondazione
Comunista – PRC> vertrauen, muss die
Gewissheit gegeben werden, dass die Politik dieses Landes sich wirklich ändert,
wenn die Mitte-Linke im nächsten Jahr an die Regierung kommt. Eine verbindliche
Antwort in dieser Richtung wird auf allen für unsere Leute relevanten Gebieten
immer dringender: dem Frieden, der Arbeit, dem Lohn und dem Sozialstaat. Man
muss ganz deutlich sagen, dass die 90er Jahre nicht zurückkehren werden. Dass
man ein für allemal mit dem Ausverkauf des öffentlichen Eigentums, mit der
Prekarität und mit den Lohnkürzungen aufhören wird. Dass Italien sich an keinem
Krieg mehr beteiligen wird. Und dass es in dieser Frage weder Pakte für die
Dauer der Legislaturperiode noch Mehrheitsbindungen gibt, die halten werden.
Anmerkung
1:
Der
Widerspruch zwischen der Zahl von 7.000 Kontrollen allein in der Lombardei,
aber nur 423 Kontrollen in ganz Italien ergibt sich daraus, dass hier zwei
verschiedene Formen von Kontrollen gemeint sind. Wie aus einem diesbezüglichen
Artikel der linksliberalen Tageszeitung „la Repubblica“ vom 13.7.2005
hervorgeht, waren die 423 Kontrollen zielgerichtete Personalienfeststellungen
„in den Kreisen des islamischen Fundamentalismus in ganz Italien“, die 7.000
aber nur oberflächliche Blicke in Taschen und Rucksäcke auf Bahnhöfen, in
U-Bahnen, Bussen etc.
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in
eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover