Antifa-AG
der Uni Hannover:
Der 34tägige Krieg Israels gegen den
Libanon vom Mitte Juli bis Mitte August 2006 war ohne Frage eines der
wichtigsten weltpolitischen Ereignisse des letzten Jahre. Eines der „Definitionsmomente der Weltordnung“,
wie das die Strategen in den Außenministerien gern nennen. Was aber sind die
Resultate und welche Perspektiven ergeben sich daraus. Diese Frage sollte die
hiesige Linke nicht nur mit Blick auf die anstehende Mobilisierung gegen den
G8-Gipfel im Juni 2007 in Heiligendamm interessieren. Ohne Klarheit über die Weltlage
und ihre Entwicklung ist ernsthafte linke Politik in Zeiten der so genannten „Globalisierung“ noch weniger möglich
als zuvor. Aber auch das bürgerliche Lager hat diesbezüglich ein paar Fragen
und die wichtigste Tageszeitung der italienischen Bourgeoisie – der „Corriere
della Sera“ – bat nach Eintreten der fragilen
Waffenruhe im Libanon Zbigniew Brzezinski
um einige Antworten.
Der 1928 in Warschau als Sohn eines
Diplomaten geborene Brzezinski wurde 1973
erster Direktor der berühmt-berüchtigten Trilateralen
Kommission, einer Gruppe prominenter politischer, akademischer und
wirtschaftlicher Führungspersönlichkeiten aus Westeuropa, Japan und den USA,
die bis Mitte 80er Jahre in der Diskussion der deutschen und europäischen
Linken eine erhebliche Rolle spielte (dabei allerdings auch etwas überschätzt
wurde). Von 1977-1981 war er unter dem demokratischen US-Präsidenten Jimmy
Carter Nationaler Sicherheitsberater. Obwohl ein eisenharter Antikommunist und
alles andere als eine „Taube“, entwickelte sich Brzezinski,
der nach wie vor in der strategischen Debatte der USA eine bedeutende Rolle
spielt, zu einem scharfen Kritiker der Politik der Bush-Administration. Das
Interview mit ihm erschien im „Corriere della
Sera“ vom 20.8.2006.
Das Interview:
ZBIGNIEW BRZEZINSKI
"Der jüdische Staat sollte realistisch sein und sich an die
Sinai-Lektion erinnern.“
Von FEDERICO FUBINI
„Es ist der Hisbollah gelungen den
arabischen Stolz zu stärken“ – sagt Zbigniew Brzezinski in einem Interview für den „Corriere“. – „Jetzt
sollte Jerusalem die einseitigen Aktionen aufgeben und sich an die Lektion von
`73 erinnern: Nach dem Krieg und dem Patt zog es sich am Ende von der
Sinai-Halbinsel zurück.“
NEW YORK – Nun da im Libanon
nicht mehr (oder fast nicht mehr) geschossen wird, gibt es ein Wort, dass Zbigniew Brzezinski am Telefon in
seiner Villa in Maine öfter als irgendein anderes wiederholt: Realismus. Der 78jährige
Brzezinski, zwischen den beiden Weltkriegen in
Warschau geborener und in Harvard erzogener Sohn eines polnischen Diplomaten,
der von Amerika adoptiert wurde und bis zum Nationalen Sicherheitsberater von
Präsident Jimmy Carter aufstieg, hätte in Wahrheit das Recht auf das klassische
„Ich habe es gesagt.“ Israel, so hatte er gewarnt, könne nicht mit
Waffengewalt siegen.
Sie gehörten zu den
Wenigen in den Vereinigten Staaten, die den Angriff kritisiert haben. Wie sieht
Ihre Bilanz aus?
„Ein möglicher Nutzen des
Krieges liegt darin, dass er die Gelegenheit für ein ähnliches Ergebnis
schafft, das zustande kam nachdem es <dem damaligen ägyptischen Präsidenten> Sadat (1973; Anm.d.Red.)
gelang den Suez-Kanal zu überqueren und
auf die Sinai-Halbinsel vorzudringen. Damals führte der Konflikt zwischen
Israel und Ägypten zu einer Patt-Situation, stärkte den Stolz der Ägypter und
ließ die Israelis realistischer werden. Dieses Mal hat die Hisbollah den
arabischen Stolz gestärkt. Vielleicht wird Israel nun realistischer was die Notwendigkeit
der Suche nach einem echten politischen Kompromiss anbelangt und unternimmt
keine einseitigen Aktionen mehr.“
Aber wessen Feind ist die
Hisbollah? Israels Feind oder der Feind von uns allen, die wir zum Westen
gehören?
„Das hängt davon ab. Je
härter die Feindseligkeiten zwischen Israel und seinen Nachbarn werden und je
mehr die USA Israel dabei unbegrenzte Unterstützung gewähren, um so
wahrscheinlicher ist es, dass Organisationen wie Hamas und Hisbollah Teil einer
feindseligen Atmosphäre werden, die fanatisch und generalisiert ist und sich
auch gegen Amerika richtet. Ernsthaftere Anstrengungen der US-Amerikaner und
der Europäer für ein Abkommen liegen im Interesse Aller.“
Inzwischen akzeptiert
Israel eine europäisch geführte Truppe an seinen Grenzen. Ist das eine Wende?
„Das ist es für die
Israelis, aber auch für die Europäer. Man hofft darauf, dass sie davon
profitieren: Wenn sie bereit sind, die Region zu stabilisieren, wird das auch
im Interesse der USA sein.“
Kann diese Mission zu
einem Präzedenzfall für eine internationale Truppe auch in Cisjordanien
werden?
„Mit Sicherheit könnte das
der Beginn eines Lösungsprozesses sein, in dem am Ende eine internationale oder
eine NATO-Truppe der Garant für einen, mit seinen arabischen Nachbarn ausgehandelten,
israelischen Rückzug aus den Besetzten Gebieten sein kann.“
Es hängt nicht alles von
Israel ab. Es ist notwendig, dass auch die Anderen sein Existenzrecht
anerkennen oder?
„Sicher. Der Instinkt sagt
mir, dass Hamas und Hisbollah eine ähnliche Entwicklung durchmachen könnten wie der Likud. Vor 20 Jahren sprach er davon alle
Palästinenser vom rechten Ufer des Jordan zu vertreiben. Dann akzeptierte Ariel
Sharon jedoch die Idee der zwei Staaten und der Grenzen, die nicht weit von den
1967ern entfernt sind. Jetzt ist es denkbar die Parteien zu einer Übereinkunft
mit kleinen Veränderungen dieser Grenzen und einem Gebietstausch zu bewegen.“
Sie scheinen
optimistisch?
„Das bin ich nicht. Ich
mache eine Analyse, weiß aber nicht, ob man sie umsetzen wird. Die Vereinigten
Staaten stecken in der Auseinandersetzung mit Syrien und dem Iran in einem
Sumpf. Die Europäer unternehmen noch keine echten Anstrengungen und Israel
könnte der Versuchung erliegen, sich zu rächen. Und unter den Arabern sind die
Radikaleren stark und nähren übertriebene Hoffnungen.“
Haben Sie nicht den
Eindruck, dass der Iran stärker ist als vor wenigen Wochen?
„Daran gibt es keinen
Zweifel. Sein geopolitisches Gewicht hat erheblich zugenommen. Auch dank des
ungerechtfertigten und unverantwortlichen Angriffs der Bush-Administration auf
den Irak, der das Machtgleichgewicht am Golf zerstört hat.“
Der Erdölpreis von 70
Dollar das Barrel wird allerdings auch dazu beitragen.
„Das ist zum Teil ein Effekt
des Chaos im Irak.“
Bush behauptet, dass es
sich vom Litani-Fluss bis nach Bagdad und von Kabul
bis nach Gaza um denselben Kampf handelt. Ist das so?
„Es gibt verschiedene Probleme,
nicht ein Problem und eine einzige Lösung. Es gibt allerdings Verbindungen
untereinander. Wenn man nur ein Problem löst, während die anderen bestehen
bleiben, wird es eine erneute Ansteckung geben. Du musst Dich an verschiedenen
Fronten bewegen. Das wird allerdings schwierig sein solange Bush weiter von
seiner islamophoben Rhetorik besessen ist. Condoleezza Rice hat neulich
einen Artikel über die Fortschritte der USA im Mittleren Osten geschrieben, der
wie eine Satire wirkte.“
Federico Fubini
Vorbemerkung und Übersetzung aus dem
Italienischen:
Antifa-AG
der Uni Hannover