Gewerkschaftsforum Hannover:
Wir haben bereits über den Ausgang der Tagung
des Zentralkomitees der größten italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM
Ende November 2006 berichtet. Dort wurde – entgegen dem intensiven Bestreben
des CGIL-Generalsekretärs Epifani – die gegenwärtige
regierungskritische Linie der FIOM-Führung
unter Gianni Rinaldini und Giorgio Cremaschi und die Autonomie der FIOM innerhalb des
Gewerkschaftsbundes CGIL mit Dreiviertel-Mehrheit bestätigt. Der vom
Linksdemokraten (DS) Guglielmo Epifani unterstützte rechte
Flügel der FIOM mit Fausto Durante an der Spitze
erhielt für seinen sozialpartnerschaftlichen und auf sozialen Frieden
orientierenden Leitantrag nur 18,6% der Stimmen im ZK. Auf dem letzten FIOM-Kongress waren es noch 21% gewesen. Es wäre jedoch
eine Illusion zu glauben, dass der Angriff von rechts auf die im etablierten
Gewerkschaftsspektrum Italiens den linken Flügel bildenden FIOM damit erledigt
wäre.
Mit ziemlicher Sicherheit werden bereits die
im Januar 2007 beginnenden Verhandlungen zwischen Regierung, Kapitalverbänden
und den Spitzen der Gewerkschaftsbünde CGIL, CISL und UIL über eine weitere
neoliberale Rentenreform, einen „Produktivitätspakt“
samt Frontalangriff auf das Tarifvertragssystem etc. zu noch schärferen
innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen führen. Auch deshalb ist unseres
Erachtens die Lektüre des Diskussionsbeitrages von Paolo Brini
im Zentralkomitee der FIOM empfehlenswert. Der aus der Emilia Romagna stammende Brini,
politisch ein Mitglied des verbliebenen linken Flügel von Rifondazione
Comunista und da speziell der trotzkistischen Gruppe
um die Zeitschrift „Falce Martello“
(Schwesterorganisation des „Funken“
in Österreich), zählt in der FIOM zu den wenigen linken (aber auch
kompetenten und konstruktiven) Kritikern der FIOM-Führung.
Sein Redebeitrag entnahmen wir der „Falce Martello“-Homepage
(www.marxismo.net).
Zentralkomitee der FIOM-CGIL:
Epifani attackiert die FIOM
Am 27./28.November tagte das
Zentralkomitee der FIOM-CGIL. Wir veröffentlichen hier die Rede von Paolo Brini.
Genossen,
ich bin
sehr besorgt über die Wendung, die diese Diskussion nimmt. Der Tonfall und die
Inhalte im Nationalen Leitungskomitee der CGIL am vergangenen Dienstag und
Mittwoch sowie die Rede des Genossen Epifani in
unserem Zentralkomitee lassen erkennen, dass man versucht die Essenz der
Demokratie unserer Organisation in Frage zu stellen. Wenn man im
Schlussdokument des nationalen Leitungskomitees schreibt, dass sich die CGIL
verpflichtet „sicherzustellen, dass unsere Autonomie bei der Beurteilung,
der Initiative und der Mobilisierung auf den verschiedenen Ebenen mit der
größtmöglichen Einheit, Transparenz und Verantwortung ausgeübt wird“ und
wenn der Genosse Epifani im FIOM-ZK sagt, dass „das
Mehrheitsprinzip gilt“, wird schlicht und einfach das Recht auf Dissens
innerhalb der Gewerkschaft in Frage gestellt. Oder besser gesagt wird
behauptet, dass man nur solange eine andere Meinung haben darf, bis das
Sekretariat oder das Leitungskomitee der CGIL einen Beschluss fällen. Nachdem
eine Linie, auch mittels Mehrheitsvotum einmal beschlossen wurde, müssen sich
alle anpassen und jede Diskussion sowie jede Kritik beenden.
Daher
erkläre auch ich, wie bereits die Genossen Rinaldini
und Cremaschi, dass ich den Bericht von Epifani in der CGIL-Leitung in keiner Weise teile und ich
füge hinzu, dass ich auch nichts von dem teile, was er gestern hier in seiner
Rede gesagt hat. Ich halte es ebenfalls für eine gravierende Sache, dass es in
der CGIL-Leitung nicht einmal sonderlich versteckte Anspielungen auf die
Tatsache gab, dass diejenigen, die am 4.November auf der Straße waren (d.h. die
FIOM) in gewisser Weise politisch ein Klima wie in den bleiernen Jahren <des Terrorismus, vor allem von 1976 bis 1983> genährt hätten. Es stimmt, dass
diese Worte vom Genossen Epifani nicht ausgesprochen
wurden. Es stimmt allerdings auch, dass das Sekretariat des Gewerkschaftsbundes
zu diesen Äußerungen nicht auf Distanz gegangen ist. Im Gegenteil, das
CGIL-Sekretariat hielt es sogar für gut eine Passage über die „Gewalt“
in das Schlussdokument einzubauen. Wie um zu sagen: „Wer Ohren hat zu hören,
der wird verstehen…“ Diese gravierenden und inakzeptablen Anspielungen
senden wir gern und ohne zu zögern an den Absender zurück. Ich sage außerdem,
dass ich lieber in die 70er Jahre zurückkehren würde und ich beziehe mich dabei
nicht (wie irgendein Schlaumeier <vielleicht> meint) auf die Rückkehr zum Terrorismus,
sondern auf die große Zeit der Fabrikräte und auf die großen Kämpfe für die scala mobile <die gleitende Anpassung der Löhne an die Inflation>, die öffentliche Rente, das
Arbeiterstatut etc.
Dennoch Genossen,
liegt der Kern des Problems woanders. Die Wahrheit ist, dass man ein ganz und
gar politisches Problem, das die CGIL hat, mit administrativen und
disziplinarischen Methoden lösen will. Ein Problem, das gerade von der
Demonstration am 4.November gut zusammengefasst wird, wo 150.000 – 200.000
Menschen auf der Straße waren <real
waren es 8.000 – 10.000 !>, gerade die Basis der CGIL vertreten war, nicht aber die CGIL ! Und wir können uns nicht hinter einem Finger
verstecken, d.h. hinter dem von den COBAS einige Tage vor der Demonstration veröffentlichten Manifest. Sicher, dieses Manifest war
falsch und fehl am Platz. Die beste Antwort, die die CGIL darauf hätte geben
können und müssen, wäre aber gewesen mit unseren roten Fahnen jene Straßen und
Plätze zu überschwemmen und in der Praxis zu demonstrieren, wer den Kampf
führt, mit welchen Methoden und mit welchen Inhalten. Stattdessen hat man nur
den Vorwand aufgegriffen, um jene Untergliederungen oder Einzelpersonen zur
Ordnung zu rufen, die in der CGIL beschlossen hatten, sich an der Demo zu beteiligen.
Das
politische Problem, dass die CGIL heute hat, ist die tiefe Unzufriedenheit, die
sich an der Basis der Organisation und unter den Werktätigen insgesamt über das
Verhalten des Gewerkschaftsbundes ausbreitet. Mit diesem Haushalt ist die CGIL
dabei ihr Gesicht zu verlieren. Man begann mit der Aussage, dass dies unser
Haushaltsgesetz war und das haben nicht nur die rechten Zeitungen in
instrumenteller Weise gesagt, sondern auch der Genosse Epifani
als er behauptete, dass dies der „bestmögliche Haushalt ist“.
Dann,
nachdem erst einmal alle Mängel dieses Manövers zu Tage getreten waren, ist man
dazu übergegangen zu sagen, dass dies ein Haushalt „ohne Herz“ sei. Was,
aus dem Gewerkschaftsslang übersetzt, schlicht bedeutet: „Sie sind dabei uns
reinzulegen, aber das können wir nicht zulassen.“ Es wird in der Tat sehr
deutlich, dass wir vor einem Haushalt stehen, dem es – verglichen mit der
Vergangenheit – an nichts fehlt. Mit der Ausnahme einer bescheidenen
Veränderung der Steuersätze, deren reale Größenordnung für die Werktätigen
wirklich lächerlich ist. Dieses Manöver beinhaltet Kürzungen bei den Renten, in
der Schule und im Gesundheitswesen, beinhaltet die kreative Buchführung und
auch die Steuererlasse. Was die Operation in Sachen Abfindungen (TFR) anbelangt
und was sie bedeutet, hätte ich dem, was Epifani
selbst in der „l’Unità“ vom 1.August 2004
gesagt hat, als der damalige Minister Siniscalco <Forza italia> genau denselben Vorschlag machte,
wirklich nichts hinzuzufügen und das heißt, dass dies ein Nepp ist, gegen den
man auf die Straße gehen muss.
Die
Realität ist, dass die CGIL derzeit sogar darauf verzichtet, für das
einzutreten, was sie auf ihrem Gewerkschaftskongress beschlossen hat. Wenn man
sagt, dass das <die prekäre
Beschäftigung massiv fördernde> Gesetz Nr. 30 / 2003 „umgeschrieben“ und nicht
abgeschafft werden muss, versucht man eine Vermittlung nach unten und
verzichtet auf unsere Inhalte. Wenn man dann schreibt, dass „eine allgemeine
politische Einschätzung des gegebenen Kontextes (…) uns heute zu einer
bewussten Übernahme von Verantwortung für die negativen Konsequenzen
veranlasst, die diejenigen Leute, die wir vertreten, bei einer Veränderung des
gegenwärtigen politischen Rahmens erleiden würden“, sagt man, dass das
gewerkschaftliche Handeln durch die aktuellen Regierungsverhältnisse bestimmt
wird. Und das angesichts jener Autonomie und Unabhängigkeit, die in den
Resolutionen des letzten Kongresses so dermaßen zur Schau gestellt wurde.
Aufgrund
dessen bin ich davon überzeugt, dass es kein Zufall ist, dass dieser Angriff
auf die innere Demokratie gerade am Vorabend einer so schwierigen und heiklen
Angelegenheit wie den Verhandlungen über die Renten und das tarifpolitische
Modell stattfindet, die im Januar beginnen werden.
Dazu,
Genossen, will ich sagen, dass das Problem nicht nur eines der Methode, sondern
vor allem ein inhaltliches ist. Es gibt nämlich sowohl intern als auch im
Verhältnis zu den Werktätigen ein Demokratieproblem, was die Frage anbelangt, „wer“ über diese Verhandlungen entscheiden
soll. Es gibt aber auch ein Problem bezüglich dessen, was wir in diesen
Verhandlungen fordern werden. Wird sich die CGIL damit zufrieden geben das
Gesetz Nr.30 umzuschreiben? Und in Sachen Flexibilität und Renten, was sagen
wir da? Hängen wir uns an die Position der <christdemokratischen Gewerkschaftszentrale> CISL dran, die in den letzten Tagen
durchblicken lassen hat, dass sie für ein bisschen mehr Geld bereit ist alles
zuzugestehen, was die padroni (Bosse) wollen?
Und was Montezemolos berüchtigten Pakt für die
Produktivität angeht, was sagen wir da? Bezüglich all dessen ist das Schweigen
der CGIL beunruhigend und betäubend.
Wenn
Rutelli und D’Alema <Anm.1>, die die Erhöhung des
Renteneintrittsalters verlangen, die „Reformer“
sind, also dann – erlaubt mir diese ironische Bemerkung – muss die Gewerkschaft
nicht reaktionär sein, sondern geradezu konterrevolutionär, dann muss sie
verlangen, dass man zurückkehrt, aber nicht zu 1995, sondern noch vor 1992,
d.h. vor die Sozialpartnerschaft / Konzertierte Aktion. Wir müssen nicht nur
die Abschaffung der Prekarität verlangen, sondern
auch die der Flexibilität, weil es weder eine gute Prekarität
noch eine gute Flexibilität gibt. Auch dann nicht wenn sie ausgehandelt wurde.
Die Gewerkschaft muss wieder die Lebensqualität der Arbeitenden in den
Mittelpunkt stellen, die sicherlich über einen höheren Lohn führt, aber auch
über bessere Arbeitsbedingungen. Hier darf nicht darüber diskutiert werden, ob
man die Leute am Samstag oder am Sonntag arbeiten lässt, sondern es muss
darüber diskutiert werden zum Beispiel die Nachtschicht abzuschaffen, die bei
den Arbeitenden verheerende psychische und physische Schäden hervorruft. Was
die Renten anbelangt müssen wir uns nicht nur die Aufgabe stellen die von <Berlusconis Lega Nord-Arbeitsminister> Maroni eingeführte Prunktreppe zu
beseitigen. Wir müssen uns auch dem Problem derjenigen stellen, die demnächst
in Rente gehen und eine Hungerrente beziehen werden und darüber hinaus
gezwungen sein werden ihre Abfindung in die Hände von skrupellosen Bankiers und
Versicherungsmanagern zu legen. Dies gilt auch für die geschlossenen,
branchenbezogenen Zusatzfonds. Deshalb unterstütze ich die Anregung des
Genossen Cremaschi, innerhalb der FIOM und der CGIL
eine vertiefte Diskussion über dieses Thema zu führen.
Ich beende
meinen Redebeitrag mit der Feststellung, dass diejenigen sich irren, die
meinen, dass diese Spaltung und diese politische Auseinandersetzung zwischen
FIOM und CGIL stattfindet. Dies ist keine Auseinandersetzung
zwischen dem Gewerkschaftsbund und der Branchengewerkschaft, sondern zwischen
zwei unterschiedlichen (und in entscheidenden Aspekten auch entgegen gesetzten)
Auffassungen von der Gewerkschaft, ihrer Rolle und ihrer politischen Linie.
Deshalb glaube ich, dass diese Debatte und diese Auseinandersetzung bis auf den
Grund geführt werden müssen und die Diskussion auf allen Ebenen der
Organisation, in allen ihren Branchengewerkschaften und vor den Werktätigen
stattfinden muss. Man darf keine Angst haben sich unter den Werktätigen mit
unterschiedlichen Positionen zu präsentieren. Flüchten wir uns nicht, wie
jemand hier gesagt hat, hinter diese Phrase, dass „die Werktätigen es nicht
begreifen würden“. Die Werktätigen verstehen sehr gut und sind in der Lage
sehr genau zu unterscheiden, welches die beste Linie ist, die die Gewerkschaft
verfolgen sollte, insbesondere in einer entscheidenden Phase wie dieser.
Faktisch sagen sie das auch bereits in den Betrieben. Deshalb erkläre ich, dass
ich für das hier vom Genossen Rinaldini vorgelegte
Dokument stimmen werde, auch wenn ich einige der darin enthaltenen Überlegungen
nicht teile – speziell was den Haushalt anbelangt.
Abschließend
möchte ich den Genossen Epifani daran erinnern, dass
in einer wirklich demokratischen Organisation derjenige, der anderer Meinung
ist, nicht nur das Recht, sondern vor allem die Pflicht hat in der Praxis zu
zeigen, ob die eigene Linie besser oder schlechter ist als die heute verfolgte.
Deshalb glaube ich, dass die FIOM gut daran getan hat am 4.November auf die
Straße zu gehen und ich denke, dass sie diesen Weg weitergehen sollte.
Danke.
Paolo Brini
Anmerkung 1:
Francesco
Rutelli (geboren am 14.6.1954 in Rom) von Beruf
Journalist. Politisch zunächst Mitglied der Radikalen Partei (als diese noch
diffus links und radikaldemokratisch war), dann Grüner und seit ca. 1999
liberaler Christdemokrat mit engem Verhältnis zum Vatikan. Von 1993 - 2001
Bürgermeister von Rom. Im April 2001 bei den Parlamentswahlen als Spitzenkandidat
der Mitte-Linken gegen Berlusconi gescheitert. Heute (zusammen mit D’Alema) einer von zwei stellvertretenden
Ministerpräsidenten und führender Vertreter der „Margerite“, d.h. des
christdemokratisch-liberalen Parteien- und Personenbündnisses, das den rechten
Flügel des mitte-linken Olivenbaum-Bündnisses bildet.
Massimo
D’Alema (geboren am 20.4.1949
in Rom) von Beruf Journalist. Seit 1963 Mitglied der KP-Jugendorganisation FGCI
und seit 1968 PCI-Mitglied. 1979 erstmals ins
Zentralkomitee des PCI gewählt, 1983 in die Leitung und 1986 ins PCI-Sekretariat. Von 1988-90 Chefredakteur der PCI-Tageszeitung „l’Unità“.
Seit 1987 Abgeordneter des italienischen Parlaments. War letzter PCI-Fraktionsvorsitzender in der Abgeordnetenkammer. Ab
Juli 1994 Generalsekretär der größten PCI-Nachfolgepartei
(Partei der Demokratischen Linken – PDS, heute: Linksdemokraten – DS) ). Seit
2000 Parteipräsident der DS (deren Generalsekretär nun Piero Fassino ist) und Vizepräsident der sog. „Sozialistischen
Internationale“. Von Oktober 1998 bis April 2000 war D’Alema
italienischer Ministerpräsident. Heute ist er Außenminister und
stellvertretender Ministerpräsident. Betreibt gegenwärtig zusammen mit Fassino, Prodi und Rutelli die
Gründung einer Demokratischen Partei nach US-Vorbild aus DS und Margerite.
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
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