Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:


Von rechter Seite wird seit jeher gegen die Anti-Kriegsbewegung und gegen antiimperialistische Kritik an den USA gern der Vorwurf des Antiamerikanismus erhoben. Dabei wird neben der Existenz der (nicht unerheblichen) US-amerikanischen Anti-Kriegsbewegung(en) auch der Klassengegensatz und die Klassenkämpfe in den USA geflissentlich übersehen, denn die “letzte verbliebene Supermacht” ist alles andere als ein monolithischer Block und wird / wurde weder von der Linken noch von den bürgerlichen Friedensbewegten als solcher gesehen. Die Kritik an der Politik des US-Imperialismus war bekanntlich immer begleitet von der Solidarität mit der dortigen Anti-Kriegsbewegung, der Bürgerrechtsbewegung, den US-amerikanischen Gewerkschaftslinken ("Labor Notes", “Teamsters for a democratic Union” etc.) oder dem linken Schwarzen-Widerstand, der mit Namen wie Malcom X, Angela Davis oder der Black Panther Party verbunden ist. Der Vorwurf nationalistischen Denkens fällt daher prompt auf seine Urheber (aus der klassisch-rechten oder der neu-rechten “anti-nationalen” Ecke) zurück.

Es ist uns ein Vergnügen dies z.B. durch die nachfolgende Übersetzung eines langen Interviews mit dem ehemaligen Black Panther Party-Mitglied Michel Zinzun zu untermauern, der nach wie vor an den marxistischen Wurzeln der BPP festhält und seit Jahren in South Central Los Angeles, d.h. dem Schwarzen- und Latino-Ghetto in dem vor 10 Jahren der Aufstand nach den Polizeiübergriffen auf Rodney King ausbrach, mit den dortigen Jugendgangs arbeitet.

Das Interview führte der USA-Korrespondent der linken italienischen Tageszeitung “il manifesto” für die Ausgabe vom 21.11.2002:



Der Panther lebt jetzt unter den Gangs


Black Panther in den Jahren der Revolten, lebt Michel Zinzun in der South Side der Banden: “Siehst Du Stars and Stripes in diesen Teilen der Stadt ? Hier bei uns kratzt der 11.September niemanden.”


Marco D’Eramo - Korrespondent in Los Angeles


Mitten in der South Side, die vor 10 Jahren das Epizentrum des Aufstandes in Los Angeles war, hat die Koalition gegen die Polizeiübergriffe (CAPA) ihren Sitz in einem der unzähligen zweistöckigen Kästen, die einstmals Einfamilienhäuser der Mittelklasse waren, jedoch seit Jahrzehnten heruntergekommener Unterschlupf des schwarzen und hispano-stämmigen städtischen Subproletariates sind. Anders als in den weißen Suburbs sind hier Türen und Fenster durch Stahlgitter gesichert. Gegenüber der CAPA beherbergt ein Kasten zwei verfallene Kirchen: die United African Church und die Iglesia de Dios pel... (der Rest des Wortes ist durch eine Bierreklame verdeckt). Innen ist das Zimmer vollgestopft mit Papier, mit Fotokopien und übersät mit Fotos und Plakaten der Schwarzen Panther von Geronimo Pratt bis Huey Newton und Bobby Seale. Ein zerschlissenes Sofa sowie ein preiswerter Tisch und ebensolche Stühle. Michel Zinzun ist 54 Jahre alt, pummelig, mit Haaren, die in einem Rasta-Netz zusammengefaßt sind. Unser gesamtes Gespräch wird untermalt von den Sirenen der Polizeiwagen, die in Richtung South Western vorbeiflitzen.


Wie sah Ihr politischer Werdegang aus ?


“Ich war Mitglied der Black Panther Party (BPP). Die Vereinigten Staaten waren im Krieg und ich war gegen den Krieg. Ich stamme aus Chiacago, bin in Cabrini aufgewachsen (einem der armseligsten und verrufensten volkstümlichen Wohnkomplexe der Stadt; Anm.d.Redaktion) und dort gab es einen Haufen Polizeiübergriffe. Meine Familie war eine mit 10 Brüdern und Schwestern und der Rassismus gegen die Schwarzen war übel. So hat meine Mutter dafür gesorgt, daß wir nach Los Angeles umzogen. Aber als wir hier in Kalifornien ankamen, haben wir festgestellt, daß die Probleme dieselben waren: Rassismus, Polizeiübergriffe, weiße Vorherrschaft und Diskriminierung in der Schule. Zu jener Zeit waren die Leute überall im Land in der Anti-Kriegsbewegung, in der Bürgerrechtsbewegung und im schwarzen Protest aktiv. Und je nachdem, wo Du lebtest, formierte sich <zu unterschiedlichen Zeitpunkten> eine Partei der Schwarzen Panther. In Oakland im Oktober 1966, anderswo 1967, 1968. So trat ich in die Partei ein, weil ihr Kampf die lokale Ebene mit der nationalen und der internationalen verband. Wir glaubten und glauben an das Recht auf Selbstverteidigung. Du kannst nicht alles mit Dir machen lassen. Die Selbstverteidigung ist ein Menschenrecht. 1972 habe ich die Black Panther verlassen. In jenem Jahr gingen viele raus, weil die Struktur aufgrund der Verhaftungen und der Tötungen <d.h. der Liquidierungen von BPP-Aktivisten durch bezahlte FBI-Killer im Rahmen des sog. “COINTELPRO”-Programmes> und auch wegen der internen ideologischen Konflikte zu begrenzt geworden war. Wir gingen raus, aber wir waren weiter in der Bewegung aktiv. In bestimmter Hinsicht verbreitete sich das Denken der Panther und ihre Ziele waren für mich mittlerweile nur ein Teil meiner Ziele. Ich habe versucht meine neuen Konzeptionen in der Praxis der Comunity (comunity ist unübersetzbar, aber näher an “Stadtteil” und “Stadtteilleben”; die comunity, von der Zinzun spricht, ist die inner city <Innenstadt>, das schwarze Ghetto; Anm.d.Red.) anzuwenden. Heute bin ich Vorsitzender der 1975/76 gegründeten Koalition gegen die Polizeiübergriffe. Wir arbeiten mit der Comunity, um die Gang-Mitglieder (der Crips, Bloods...) in eine positive Richtung zu drängen. Wir arbeiten auch mit dem Urban Institute for Proactive Social Change zusammen und ich bin aktives Mitglied des Komitees zur Unterstützung Südafrikas.”


In den 60er Jahren und Anfang der 70er Jahre erreichten die US-amerikanischen Schwarzen bedeutende Errungenschaften, aber ab den 80ern ist ein Rückfluß im Gange.


“Sie versuchen uns seit jeher die Bürger- und Menschenrechte, die wir errungen haben, wieder wegzunehmen. Wenn sie merken, daß Du verwundbar oder unaufmerksam oder durch interne Auseinandersetzungen gespalten bist, dann ändern Dir die Politiker heimlich die Gesetze und das FBI unterdrückt <Dich>.”


Mike Davis hat geschrieben, daß “es um 1968/69 herum einen Moment gab, in dem es so schien als ob die Panther die definitive revolutionäre Gang werden könnten”.


“Die Gangs gab es vor den Black Panthers, aber die Art von Gang, die es heute gibt, ist nach den Black Panthers entstanden: Die Crips entstanden anfangs als eine Gruppe, eine Organisation der Comunity. Und die Bloods kamen danach. Und als die Bewegung in die Krise geriet, als wir den Mut verloren, gerieten die Jugendlichen in die Desorientierung und ungefähr 10 Jahre lang griffen Kokain, Crack und Kriege um die Kontrolle des Drogenhandels um sich. Vorher hatten wir diese Phänomene niemals in einem solch großen Umfang gehabt. Deshalb mußten wir die Ursprünge wieder aufwerten und so Terrain zurückgewinnen. Daher haben wir begonnen bezüglich der Gangs zu arbeiten. Wir haben gerade hier für Treffen der Crips, Bloods und Chicanos gesorgt, die Blut an den Händen hatten, und es ist uns gelungen, einen Waffenstillstand zwischen Gangs zu organisieren. Viele Jugendliche gingen in die Gangs, weil sie Opfer von Übergriffen der Polizei waren. So haben wir gerade wegen unserer Kampagne gegen die Polizeiübergriffe bei ihnen das Zeug dazu, um sie zur Arbeit für die Comunity zu bewegen.”


Woher kam die Drogenseuche unter den schwarzen Jugendlichen ?


“Ende der 70er / Anfang der 80er Jahre, aufgrund des Contra-Krieges in Nicaragua gegen die Sandinisten. Aus den USA flossen Waffen nach Mittelamerika. In entgegengesetzter Richtung floß ein Drogenfluß. Diese Droge schuf den Markt, schuf die Nachfrage. So begann unsere Comunity zu leiden: Abhängigkeit, Rauschgifthandel und Gang-Kriege um die Kontrolle des Marktes. In den 90er Jahren richtete vor allem der PCP (genannt “Engelspulver”, ein sehr starkes Halluzinogen, speziell um Elefanten zu beruhigen, das Dich den Verstand verlieren läßt und Dir den Eindruck einer übermenschlichen Stärke verleiht; Anm.d.Red.) ein Massaker an. Und um diesen Markt zu schützen bedurfte es organisierter Gruppen. Daher kam es zu den Gang-Kriegen.”


Welche Auswirkung hatte die Kultur der Droge ?


“Um Geld zu machen, haben die Diskotheken unter den talentierten schwarzen Jugendlichen des Rap vor allem jene gefördert, die eine gewalttätige Botschaft lancierten - mit Liedern, in denen die Frauen ‚Huren‘ sind und man dazu anstachelt zu schießen und zu töten. Kein einziger Rapper, der dazu anstachelt Bücher zu lesen oder Politik zu machen. Die Filme zeigen die Schwarzen dann immer als Polizisten oder als Kriminelle, niemals als Ärzte oder Berufstätige, kurz: als positive Beispiele. Und viele Jugendliche fingen an diesen Modellen nachzueifern, zwei Pistolen in der Tasche zu haben und wie in den beschissenen Filmen mit beiden Händen zu schießen. Der dritte Faktor ist der amerikanische Traum. Alles (Bücher, Filme, Fernsehen, Lieder), alles sagt den Jugendlichen, daß Du nichts bist, wenn Du kein Luxusauto, kein großes Haus, viel Geld und schöne Frauen hast. Und die Jugendlichen versuchen das zu erreichen. Einige arbeiten und erreichen sehr wenig. Andere verüben Raubüberfälle und haben ein bißchen mehr. Andere dealen und haben noch mehr, wenn auch nur für kurze Zeit, bevor sie ins Gefängnis wandern. Aber für eine kurze Zeit können sie sagen: ‚Ich bin jemand. Ich habe den amerikanischen Traum verwirklicht.‘”


Die Statistiken sagen aus, daß von drei schwarzen Männern einer mindestens einmal in seinem Leben ins Gefängnis wandern wird. Welche Auswirkung hat das ?


“Ich war in den 60er Jahren im Gefängnis. Und das kann sehr unterschiedliche Auswirkungen haben. In einigen Fällen hilft es Dir Dein politisches Bewußtsein zu vertiefen. Siehe Geronimo Pratt oder Nelson Mandela. Oder Malcom X, der im Gefängnis ein Black Muslim wurde. Für andere ist das Gefängnis negativ und für die Droge ist es das, was die Supermärkte für die Lebensmittel sind. Hier bringen die Wächter die Droge rein. Sie sind es, die das Geld machen und am Ende ist es der Staat, der die Droge in den Gefängnissen fördert. Für andere wird das Gefängnis zu einer Schule der Kriminalität. Die Rückfallrate ist sehr hoch. Aber wir arbeiten mit einem Haufen ehemaliger gefangener Gang-Mitglieder. Es ist nicht einfach, wenn Du aus dem Knast kommst, weil Dir niemand Arbeit gibt und Dich alles dazu drängt in die Unterweltökonomie zurückzukehren. Es ist der Staat, der Dich zum Kriminellen werden läßt.”


Vielen zufolge war der Aufstand in Los Angeles 1992 in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung zwischen Schwarzen und Hispanos.


“Lüge ! Wir haben genau hier in diesem Büro wegen der Schläge gegen Rodney King die Demonstrationen gegen die Polizeiübergriffe organisiert, die den Beginn der Revolte bildeten. Wir Schwarze, Latinos und auch Asiaten zusammen.”


Ich glaube nicht mit den Koreanern, die sich mit den Schwarzen schlugen (die Feindschaft der beiden Gruppen ist sprichwörtlich).


“Die Geschäfte der Koreaner, die die schwarze Comunity respektierten, wurden vor den Plünderungen beschützt, die anderen... Sicher gibt es Auseinandersetzungen zwischen schwarzen Gangs und Latino-Gangs. Die gab es vor der Revolte, während der Revolte und nach der Revolte. Aber das war Konkurrenz ums Geld. Es war Konkurrenz zwischen den Gefangenen-Gangs (Mexi Mafia, Bored Boys usw.). Aber nicht, weil ich schwarz bin und Du braun.”


Was hat sich seit der Revolte von 1992 verändert ?


“Nach der Revolte hat sich in dieser verdammten Stadt nichts verändert. Die Polizei verprügelt weiterhin die Schwarzen, sie haben das Gesetz der 3 Strikes verabschiedet (nach drei Verurteilungen bleibst Du für immer im Knast und sie haben einige Affirmative Actions <Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung> widerrufen.”


Wie denkst Du über den Konservatismus der Black Muslims ?


“Die Nation of Islam ist so konservativ wie es die Katholiken und die Christen <im Allgemeinen> sind. Für mich ist es eine Religion. Ich bin kein Muslim, aber ich habe viele Jahre lang mit Vertretern der Nation of Islam zusammengearbeitet. Sicher, sie glauben an das Recht auf Selbstverteidigung. Aber auch die IRA glaubt daran und die ist katholisch. Der Punkt ist, daß die Polizei Dich hier verhaftet, weil Du schwarz bist, nicht weil Du Muslim bist. Und sicher predigt die Nation of Islam den schwarzen Separatismus, aber die Weißen attackieren sie, weil sie schwarz ist und nicht weil sie an Allah glaubt.”


Was hat sich zwischen den 60er Jahren und heute in den Rassenbeziehungen verändert ?


“Die Welt hat sich seit den 60er Jahren verändert. Es gibt keinen Vietnam-Krieg mehr, auf den wir uns konzentrieren. Heute haben wir die Gelegenheit ein klares Bild des Klassenkampfes zu bekommen. Die Technologie hat die Welt in die Zange genommen und hat uns so die Möglichkeit gegeben die gesamte Welt mit einem Vergrößerungsglas zu betrachten. Wir haben gesehen, daß die Apartheid in Südafrika, in Zimbabwe, in Mosambik und Angola besiegt wurde. Vom Kampf gegen die Unterdrückung sehen wir heute mehr als damals: Er geht auf Cuba weiter und faßt jetzt auch in Venezuela Fuß. Ich sehe heute mehr Klassenauseinandersetzungen. Schau die Antiglobalisierungsbewegung an. Die Linien sind heute schärfer, so entlarvt wie die Politiken sind. Schau die Demokraten an, die immer gesagt haben: 'Wir sind mit den Schwarzen.' Scheißdreck ! Sieh Dir an wie sie in Sachen Krieg abstimmen. Wir setzen unser Vertrauen nicht in die Politiker, die kommen und gehen, sondern in den Kampf.”


Wie denkst Du über die “neue” schwarze Mittelklasse, von der man soviel spricht ?


“Wenn schwarze Mittelklasse bedeutet, sich die Tennisschuhe von Michel Jordan kaufen zu können oder ein anständiges Auto zu haben oder die Kinder auf eine gute Schule zu schicken oder ein bißchen Geld für einige Extras zu haben, dann müßte jeder schwarze Mittelklasse sein. Wenn aber die schwarze Mittelklasse der politische Verbündete der Bourgeoisie ist, so wie die Colin Powells (Bush’s Außenminister), die Condoleeza Rices (Bush’s Nationale Sicherheitsberaterin), die Clarence Thomas' (von Reagan nominierter Richter am Obersten Gerichtshof), dann ist sie nur ein Instrument der Rechten - von Nutzen um die Macht zu festigen. Ich weiß nicht, ob die Mittelklasse gewachsen ist. Ich weiß, daß es mehr Leute gibt, die sich vom Traum der Rechten einwickeln lassen: dem Reaganschen Ziel, Reiche zu werden.”


Seit dem 11.September 2001 tut man nichts anderes als vom Krieg gegen den Terrorismus zu sprechen...


“Eine weitere Illusion. Hier in Süd-Los Angeles hast Du keine amerikanische Fahne gesehen. Es ist nicht so, daß ich mich - weil sie die Twin Towers niedergerissen haben - mit den weißen Nazis, mit den Oberen, mit der Rechten solidarisch fühlen muß. Hier kratzt der 11.September niemanden. Wir Amerikaner töten jeden Augenblick rund um die Welt. Und jetzt kommt auch Ihr Amerikaner in diesen Genuß. Jeden Tag werden in Palästina Zivilisten getötet und es kratzt niemanden. Und jetzt der Krieg im Irak. Die Vereinigten Staaten pressen Lateinamerika aus. Die Vereinigten Staaten sind der Halunke der Welt, nicht der Führer der Welt !”



Vorbemerkung, Übersetzung aus dem Italienischen und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover