Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Wie kürzlich an gleicher Stelle bereits angemerkt, bemüht sich der Sekretär von Rifondazione Comunista (PRC), Fausto Bertinotti, in den letzten Monaten nicht nur darum die Partei um jeden Preis zum handzahmen Partner einer sehnlichst erhofften Mitte-Links-Koalition umzugestalten, er verwandelt sie mit einer rekordverdächtigen Fülle von Interviews auch zunehmend in eine One-Man-Show. In diesen Interviews wird neuerdings, ohne Diskussion oder Beschlüsse irgendwelcher Parteigremien die Politik der Partei festgelegt und immer mehr inhaltlicher „Ballast“ über Bord geworfen. Um einen konkreten Einblick in das „neue Denken“ der Partei in punkto Außenpolitik zu geben, hier die Übersetzung zweier zentraler Bertinotti-Interviews zum Themenfeld ‚USA – Europa – Irak-Krieg & Besatzung’. In ihnen wird die berechtigte Grundsatzkritik an der US-Politik und die Ablehnung des Antiamerikanismusvorwurfs zur Verharmlosung und Unterstützung des europäischen Imperialismus und „humanitärer Interventionen“, zur Verbreitung von Illusionen über einen nicht-aggressiven Imperialismus und sogar zu einer punktuellen Bereitschaft zur nationalen Einheit mit Berlusconi & Co. (Um von der gehörigen Portion Metropolenchauvinismus, die ganz am Ende zum Vorschein kommt, gar nicht zu reden !) Beide Interviews wurden der großen, in Rom erscheinenden linksliberalen Tageszeitung „la Repubblica“ gegeben. Das erste erschien am 21.8.2004.

 

Der Antiamerikanismus hat nichts damit zu tun. Die Abneigung ist rein politisch.

 

„USA aggressive Macht. Deshalb entsteht der neue Hass.“

 

Von Alessandra Longo

 

Kann man ein Land wie Italien regieren, ohne das zu pflegen, was <der ehemalige PSI-Führer und letzte mitte-linke Ministerpräsident Italiens> Giuliano Amato „das transatlantische Verhältnis“ nennt, ohne das „satte Vorurteil“ gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika auszurotten, das Gefahr läuft sich bei jedem neuen Ausfall von George W.Bush in der Linken zu verwurzeln ?  Antiamerikanismus und italienische Linke, Amerika und die Welt, Amerika und Europa. Wären, wenn Kerry (und d.h. der Multilateralismus) gewinnen sollte, die Linke, Italien und Europa bereit, eine gemeinsame Agenda mitzutragen, die auch militärische Interventionen vorsieht ?  Das sind keine Sommer-Fragen: Das ist vielleicht das neuralgische, die Geister scheidende Thema, auf das das erweiterte Olivenbaum-Bündnis Antworten geben muss. Fausto Bertinotti entzieht sich <diesem Thema> nicht – unter der Bedingung, dass man von einer Prämisse ausgeht: „Der Antiamerikanismus ist nicht die bedeutende Frage auf der Tagesordnung. Das ist ein marginales Phänomen, das nicht in der Lage ist, politischen Einfluss auszuüben. Wir diskutieren nicht darüber, ob es gut oder schlecht ist, Coca Cola zu trinken. Wir reden über eine neue, enorme Tatsache und das ist die Abneigung gegen die Vereinigten Staaten von Amerika als aggressiver Macht und Verbreiterin einer Sprache der Unterdrückung, die sich am Rande des Hasses bewegt.“

 

Eine rein politische Abneigung also.

 

„Ja und mit mindestens zwei strukturellen Begründungen. Die erste ist, dass die Welt, die armen Länder, die USA als Urheberin und Durchsetzerin eines Modells der neoliberalen Globalisierung identifizieren, dass anstatt Entwicklung mit sich zu bringen, Krisen und Ungleichheiten hervorgerufen hat. Das ist das, was die öffentliche Meinung in Südamerika denkt, nicht Castro und <Subcommandante> Marcos. Der zweite auslösende Grund für die Abneigung ist die von Bush eingeführte Theorie des präventiven Krieges. Sie hat als Multiplikator, als Wasserscheide fungiert.“

 

Ebene, die Kritik an der Bush-Administration produziert Antiamerikanismus.

 

„Ich bestehe darauf, dass ich diesen Begriff nicht verwenden will. Genauso wie ich – gegen den Strom schwimmend – sage: Wer Sharon und die Schande der israelischen Mauer verurteilt, kann nicht des Antisemitismus beschuldigt werden.“

 

Hat für Sie, wenn Sie das so sagen, ein möglicher Sieg Kerry’s eine Bedeutung ?  Würde er die Dinge verändern ?

 

„Sicher. Das wäre in jedem Fall ein bedeutender Widerspruchspunkt. Das würde eine Umkehrung der Tendenz zu jenem Konflikt zwischen Zivilisationen bedeuten, die der Rahmen ist, in dem wir leben. Kerry ist ein mit der Welt besser vereinbares Gesicht. Er setzt Bushs Unilateralismus den Multilateralismus des Handelns entgegen. Der Eine wie der Andere bleiben allerdings immer innerhalb eines imperialen Aufbaus der Beziehungen zu den anderen Staaten. Die Abneigung gegenüber den USA wird sich nur dann ändern, wenn sie den Niedergang als Macht akzeptieren…“

 

Kann ein Land wie Italien von antagonistischen Positionen zu den Vereinigten Staaten aus regiert werden ?

 

„Die Beziehungen zwischen Staaten müssen autonom und nicht subaltern <wie die von Herr und Untergebenem> sein. Das gilt für Italien, aber auch für Europa. Die Rettung kommt nicht durch die Wahl Kerrys zustande, sondern durch den Aufbau eines starken Europas, das in der Lage ist Friedensaussichten für die armen Länder zu garantieren. Die Perspektive muss umgekehrt werden. Es ist Europa, das von den Vereinigten Staaten, die in diesem Moment Verbreiter von Krieg sind, eine strukturelle Veränderung zu fordern hat. In diesem Sinne ist die Friedensbewegung eine enorme Ressource.“

 

Nicht alle Pazifisten sind gegen die Amerikaner.

 

„Mit Sicherheit sind sie gegen Bushs präventiven Krieg und fordern den Bruch mit dem Unipolarismus, das Ende einer aggressiven Politik, einer Politik der Herrschaft.“

 

Wie sieht von links ein starkes, autonomes Europa aus, das mit den von Kerry regierten Vereinigten Staaten im Dialog steht und beschließt es auch Interventionen in Orte der Verzweifelung, wie z.B. in Darfur ?

 

„Das hängt vom Gesamtrahmen ab. Das hängt davon ab, ob es ein Europa des Friedens sein wird. Zuallererst muss man Glaubwürdigkeit zurückgewinnen und die einzige Art, um das zu tun, ist sich bis zum letzten Soldaten aus dem Irak zurückzuziehen, wie es <der neue spanische PSOE-Ministerpräsident> Zapatero getan hat. Erst danach können eventuell Interventionsformen untersucht werden, die – in einem vollständig neuen Rahmen als dem gegenwärtigen – auf den Frieden ausgerichtet sind.“

 

Wird sich, was diese Themen (das Verhältnis zu Amerika und der eventuellen Entscheidung, dort zu intervenieren, wo sich auf der Welt Gefahrenherde präsentieren) anbelangt, die italienische Linke (Bertinotti eingeschlossen) bei den Entscheidungen an das Mehrheitsprinzip halten ?

 

„Ich habe bereits erklärt, was ich unter Mehrheitsprinzip verstehe. Das ist beim Vorhandensein einer partizipativen Demokratie akzeptabel, wenn das Wahlvolk, das Volk <d.h. die Anhängerschaft> der Oppositionen einbezogen ist. Wobei eherne Prinzipien, wie der Artikel 11 <der italienischen Verfassung> (der besagt: ‚Italien schwört dem Krieg ab.’) immer und überall unangetastet bleiben müssen. Wenn hingegen die Idee einer delegierten, einer Demokratie der Parteien überwiegen sollte, dann gibt es nur eine Regel: die des Konsenses.“

 

Das zweite Interview erschien in „la Repubblica“ vom 9.9.2004:

 

„Retten wir jetzt die beiden Mädchen. Über den Rückzug reden wir hinterher.“

 

Von Goffredo De Marchis

 

„Der Terrorismus muss ohne irgendein ‚aber’ angegangen werden. Es gibt keine Rechtfertigung. Das was im Irak oder in Ossetien stattfindet, begreift man überhaupt nicht. Das ist nur ein destruktiver Gegner für die Menschheit.“ Fausto Bertinotti sagt: „Alles Mögliche für die Rettung der beiden Simonas tun.“ Auch unsere Soldaten aus dem Irak zurückziehen ? Nein, antwortet der Sekretär von Rifondazione, einer der Führer der Friedensbewegung. „Halten wir die Frage des Krieges von der der Entführung der beiden freiwilligen Helferinnen getrennt. Jetzt reden wir darüber wie Menschenleben zu retten sind. Die beiden Ebenen miteinander zu vermengen, ergibt nur ein Schlammassel.“

 

Sorgt die Entführung von Simona Pari und Simona Torretta dafür, dass Ihr die Forderung nach einem Rückzug der italienischen Truppen beiseite schiebt ?

 

„In diesen Fällen gibt es einen Zeitdruck und eine Wertigkeit, die zu einer Hierarchie, einer Entscheidung zwingt. An der ersten Stelle steht die Rettung der freiwilligen Helferinnen. Die Priorität heißt verhandeln, verhandeln, verhandeln.“

 

Wie ?  Geld, Diplomatie ?

 

„Ich gehe nicht ins Detail. Ich denke jedoch, dass man nicht im Namen der Beweggründe der italienischen Regierung diskutieren sollte, die in den Irak-Krieg verstrickt ist, sondern indem man den humanitären Aspekt der Anwesenheit der Beiden in Bagdad bevorzugt. Es ist notwendig auch die Bedingungen zu aktivieren, die Verhandlungen umgeben. Indem unsere Lage im Zentrum des Mittelmeerraumes hervorgehoben wird, die nur das Gespräch zwischen den Kulturen favorisieren kann, die Werte des Islam anerkennen, den Dialog zwischen den Religionen fördern und – wie Frankreich es getan hat – eine direkte und sichtbare Beziehung zur arabischen Welt anknüpfen. Kurz, man muss alles tun, was möglich ist.“

 

Auch die Soldaten zurückziehen ?

 

„Die Frage des Krieges muss davon getrennt werden. Das ist eine andere Dimension. Jetzt reden wir darüber, wie das Leben der beiden Mädchen gerettet werden kann. Dann gibt es eine andere Dimension, die strategische, bezüglich derer eine tiefgreifende Meinungsverschiedenheit mit der Regierung bestehen bleibt. Das ist allerdings – ich wiederhole es – eine Dimension, die davon getrennt werden muss. Der Krieg muss gestoppt werden, nicht weil sie die beiden pazifistischen Frauen entführt haben, sondern wegen des Kerns der Frage. Der Konflikt hat nicht zur Entstehung des Terrorismus geführt, nährt allerdings die Gewalt. Das haben wir in Ossetien gesehen, wo man die Schwelle des Schreckens überschritten hat und wir sehen es im Irak, wo der Wille auftaucht, all das zu zerstören, was außerhalb des siamesischen Zwillingspaares Krieg – Terrorismus steht. Dies vorausgeschickt, bedeutet die Vermischung der beiden Ebenen des Konfliktes und der Entführung einen großen Schlamassel anzurichten. Es ist im Gegenteil gerade diese Unterscheidung, über die man eine wirkliche Autonomie der politischen Subjekte aufrechterhalten kann.“

 

Suchen auch die Vereinigten Staaten die Auseinandersetzung der Kulturen ?

 

„Warum bombardieren sie die heiligen Städte ?  Sie sind, sowohl was die unmittelbare Lösung des Falls Irak als auch was die Kontrolle der Ressourcen des Territoriums anbelangt, gescheitert. Und angesichts des Scheiterns der kurzfristigen Vorhaben arbeitet derjenige, der den Krieg <weiter> führt, jetzt an der Auseinandersetzung der Kulturen.“

 

Kann man nach dem gestrigen Gipfeltreffen von nationaler Einheit sprechen ?

 

„Nein. Das war nur ein Treffen und eine Überladung mit politischen Bedeutungen schwächt und beeinträchtigt den Dialog, erdrückt das Terrain der Zusammenarbeit, die auf der Grundlage der strategischen Differenzen entstehen kann. Die nationale Einheit käme zustande, wenn alle gemeinsam vom Rückzug der italienischen Soldaten sprechen würden. Dem ist aber nicht so. Heute versucht man eine Zusammenarbeit, um die beiden Geiseln zu befreien. Vermeiden wir es, in eine derart dramatische Sache groteske Elemente einzuführen.“

 

Sind die deutlichen Worte von <ex-PCI-Ideologe Pietro> Ingrao gegen den Terrorismus ein Weg, um aus der pazifistischen Doppeldeutigkeit herauszukommen ?

 

„Man kann Ingrao nicht die Doppeldeutigkeit zuschreiben, von der Amato spricht. Er kann diese starken Worte gegen den Terrorismus gerade deshalb verwenden, weil er in der Lage war, mit demselben Nachdruck gegen den Krieg zu sprechen. Es existiert in Ingraos und in unserer Position keine Doppeldeutigkeit. Sicher, auch diejenigen, die, wie wir, immer die Verbindung zwischen Krieg und Terrorismus angeprangert haben, müssen heute neue, angemessenere Worte finden. Worte und Gesten, wie der außerordentliche Erfolg <???> des Fackelzuges in Rom für die Opfer von Beslan zeigt. Von hier aus äußert sich eine andere politische (nicht vor-politische) Sprache. Da kommt das unbeugsam Menschliche zum Vorschein, das es im Leben gibt und das sich dem Schrecken widersetzt. Diese Sprache muss in die Politik eindringen.“

 

Ist das, was Sie da sagen, eine Kurskorrektur ?

 

„Keine Kurskorrektur, aber es ist richtig, sich auf die Höhe der terroristischen Eskalation zu begeben. Beslan stellt, was unsere Menschlichkeit anbelangt, einen Abgrund dar. Wir können allerdings nicht darauf verzichten, uns zu fragen, was in den letzten 10 Jahren in Tschetschenien geschehen ist. Zum Glück haben wir für Tschetschenien und für den Irak denselben Maßstab angelegt und können heute eine neue Passage auf dem Weg der Gewaltfreiheit in Angriff nehmen. Ist in Beslan etwas Neues geschehen ?  Ja. Und deshalb muss man neue Worte verwenden. Die haben wir verwendet und die verwendet ein Pazifist wie Ingrao, der sich auf den Artikel 11 unserer Verfassung beruft.“

 

Ist es nicht die antagonistische Linke, die von Widerstand leistenden Irakern spricht ?

 

„Der Begriff ist niemals verwendet worden. Es gibt einen Widerstand mit großem ‚W’ <im Original: mit großem „R“ – für „Resistenza“>, wie dem italienischen. Und es gibt die Widerstände mit kleinem ‚w’ <“r“>. Der Erstere hat den Faschismus besiegt und Italien eine republikanische Verfassung verschafft. Der irakische – ich beziehe mich auf diejenigen, die außerhalb des Terrorismus stehen – kann legitim sein, weil man dort unter einer Besatzung lebt. Er enthält allerdings nicht die Lösung des Problems. Dann gibt es da den Terrorismus. Der muss ohne ‚aber’ angegangen werden. Ein ‚aber’, das nicht gerechtfertigt ist, das nicht begriffen wird. Das ist nicht nur wegen der abscheulich gewaltsamen Mittel, der er benutzt und die er zur Schau stellt (die abgeschnittenen Köpfe, die in den Rücken geschossenen Kinder), sondern auch wegen der Ziele, die verfolgt werden, ein Gegner der Menschheit / Menschlichkeit. Die Gesellschaft, die sich die Terroristen vorstellen, ist so abstoßend, wie ihre Aktionen.“

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover