Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Die nach den Europa- und Kommunalwahlen ausgebrochene Krise der Regierung Berlusconi ist mit der Neubesetzung des Wirtschaftsministerpostens durch den parteiunabhängigen bisherigen Generaldirektor im Schatzministerium und Turiner Uni-Dozenten Domenico Siniscalco am 16.7.2004 und das (vorübergehende) Einlenken der kleinen aber renitenten, weil durch Wahlerfolge und die Unterstützung des wichtigsten Kapitalistenverbandes Confindustria und der Führung der italienischen Zentralbank Banca d’Italia gestärkten, Christdemokratischen Union (UDC) keineswegs gelöst. Das zeigten zuletzt Ende Juli die Beleidigungen und Handgreiflichkeiten zwischen Abgeordneten der Regierungsparteien Lega Nord und Neuer PSI (der rechte Flügel der 1995 aufgelösten Italienischen Sozialistischen Partei) während einer Parlamentssitzung. Bereits vor diesem Vorfall führte die unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ ein grundsätzlicher angelegtes Interview mit dem Sekretär von Rifondazione Comunista (PRC), Fausto Bertinotti, zu den Hintergründen von Berlusconis Niedergang und den Konsequenzen daraus. Es erschien am 13.7.2004.

 

Bertinotti: „Alternative in der Wahlurne“

 

„Die Oppositionen müssen auf den vorzeitigen Sturz der Regierung und auf die Schaffung einer Alternative hinarbeiten.“ Für den Sekretär des PRC wäre eine institutionelle oder technische Regierung „die Nährlösung der Neuen Mitte-Hypothese“. Weil die durch die Christdemokratische Union (UDC) ausgelöste Krise nur darauf abzielt, den Berlusconismus in einen moderaten Rahmen aufzulösen (als interne Variante der Alternanz / des periodischen Wechsels).

 

Cosimo Rossi

 

Eine institutionelle oder technische Regierung wäre für Fausto Bertinotti „die Nährlösung der Neuen Mitte-Hypothese“. Lieber „sollten die Oppositionen auf den vorzeitigen Sturz der Regierung und die Schaffung einer Alternative hinarbeiten“. Weil die durch die UDC ausgelöste Krise über die parlamentarische Geographie hinausgeht, handelt es sich um „die Krise von Berlusconis sozialem Block und der Hegemonie, die er zementiert hatte“.

 

Die Europawahlen und der Rücktritt von <Forza Italia-Wirtschaftsminister> Tremonti waren also kein Stopp, sondern die regelrechte Auflösung der padanischen <d.h. politisch in der Poebene angesiedelten> Achse um die sich die Regierung Berlusconi drehte…

 

„In Wirklichkeit war das, was wir die padanische Achse nennen, auch mehr eine überspitzte und angestrebte Sache – die Idee, die neoliberale Politik über ein Vehikel nach Italien zu bringen, das sie mit der Geschichte und den Kulturen des Landes vereinbarer machen sollte. Eine rein neoliberale Operation (à la Thatcher, damit wir uns recht verstehen) war in Italien nicht denkbar. Die Idee war eine starke Kombination aus Wirtschaftsliberalismus und Populismus, um sich einerseits vom Wind des Lokalpatriotismus und andererseits vom Wind der neoliberalen Hegemonie antreiben zu lassen. Um sie in die Form eines Vorhabens zu bringen, das mittels einer im wesentlichen autoritären, präsidentialistischen Operation von der Antipolitik in Politik umschlug. Und zwar derart, dass das Mehrheitswahlrecht zum Maximalen seiner Tendenz, jede Form von Opposition (zumindest 5 Jahre lang) zu beseitigen, getrieben wurde. Das ist die Idee, dass die Mehrheit alles bekommt. Die <personelle> Besetzung der <italienischen Rundfunk- und Fernsehanstalt> RAI, der systematische Angriff auf jeden Vermittlungskörper, der über eine Eigenständigkeit verfügt (von der Gewerkschaft bis zur Richterschaft), der Versuch, den Konflikt zu dämonisieren, um eine soziale Verödung herbeizuführen…“

 

Was ist stattdessen geschehen ?

 

„Um es scherzhaft auszudrücken: Es ist ihnen missglückt. Dieser Versuch traf einerseits auf eine Wiederbelebung der Bewegungen in Italien und weltweit. Die sogenannte no global-Bewegung und die Wiederbelebung einer besonders starken und bedeutsamen sozialen Auseinandersetzung. Ein Protagonismus, der genau dem sozialen Block, auf den sich jener Versuch stützen wollte, Teile entzogen hat, der erheblichen Einfluss ausgeübt hat, um das Ende des <neoliberalen> Einheitsdenkens herbeizuführen und der wieder die Möglichkeit geschaffen hat, anders zu denken. Dazu kam die regelrechte Krise. In doppelter Weise. Einerseits der Krieg und die Bush-Doktrin, mit dem Umbruch, den sie in der Welt und im Verhalten der Bevölkerungen Europas hervorgerufen haben, die dagegen entschieden Opposition bezogen. Andererseits das Scheitern der neoliberalen Politiken, das auch mit der Wirtschaftskrise zusammentrifft.“

 

Kurz gesagt, die Krise ist mehr eine des Berlusconismus als eine von Berlusconi und der Regierung…

 

„Exakt. Das Ergebnis der Europawahlen ist, wenn wir so wollen, ein Epiphänomen der Krise jenes sozialen Blockes und der Ideologie, die ihn zementiert hatte. Die sog. padanische Achse war eine hegemoniale Linie, die expansive Fähigkeit besaß. Als sie in die Krise gerät, beginnen die zentrifugalen Kräfte zu wirken. Wenn wir allerdings die Pfeiler betrachten, so ist meines Erachtens der Wechsel in der <Führung> der Confindustria von Bedeutung. Ich hege keinerlei Sympathie für die Politik, die <der neue Confindustria- und FIAT-Präsident> Montezemolo vertritt, aber das ist die strategische Niederlage der Idee einer regierungsfreundlichen und in das berlusconianische System integrierten Confindustria. Jener Confindustria des <Prekarisierungs-> Gesetzes Nr.30 /2003, der Forderung nach einem Angriff auf den <Kündigungsschutz-> Artikel 18 und auf die Renten, die geradewegs auf die Spaltung der Gewerkschaft abzielt, um diese Linie durchzusetzen. Stattdessen begreift die Confindustria, dass sie sich nicht länger in diesem Rahmen bewegen kann. Es gibt zu viele Konflikt- und Instabilitätselemente. Deshalb zieht man sich da raus. Aber auch ein bedeutender Teil der Bourgeoisie (insbesondere derjenigen im Norden) tut dasselbe.“

 

Und das Kreditwesen…

 

„Die katholische und laizistische Finanz Norditaliens und zuvor bereits die Banca d’Italia haben eine kritische Linie beibehalten. Kurz, ein bedeutender Teil der starken Machtzentren (poteri forti) erklärt, dass er außerhalb dessen steht. Wenn das geschieht, dann über die Idee einer dritten Position zwischen Regierung und Opposition, dem kulturellen Terrain, das der Hypothese einer Neuen Mitte eine gewisse Festigkeit verleiht.“

 

Die jedoch keine Neuauflage der Democrazia Cristiana (DC) ist. Im Gegenteil.

 

„Wenn sie sich schlicht als neue DC präsentiert hätte, hätte sie nichts erreicht. Die ist zeitlich und was die wirtschaftliche und politische Geographie anbelangt zu weit weg. Anders sieht es aus, wenn die Orientierung auf den 3.Weg (il terzismo) genährt wird von der Idee der Auflösung des Berlusconi-Regimes in einer Regierungsform, die versucht gemäßigte, ja sogar liberale und wirtschaftsliberale Politiken durch ein Beziehungssystem zu begleiten, das diese als für den Aufschwung notwendig präsentiert, sie in den Dialog zwischen den sozialen Parteien einbindet, sich neuen Formen öffentlicher Regulierung nicht verweigert, meint dass man die vom Berlusconismus verursachten verfassungspolitischen Risse vermeiden müsse und vorschlägt, wieder einen gewissen Pluralismus beim Fernsehen einzuführen. Über diese filigrane Arbeit, die Nachfolge des Berlusconismus zu organisieren, ohne in die Alternative zu verfallen, nimmt der neozentristische Ansatz von innen heraus Gestalt an.“

 

Bedeutet das, dass die Nach-Berlusconi-Ära bereits begonnen hat ?

 

„Sie hat bereits begonnen. Und damit zusammen hat meines Erachtens bereits der Wettstreit von Alternanz (periodischem Wechsel) und Alternative begonnen. Das Neue Mitte-Vorhaben ist eine Variante innerhalb der Alternanz. Die Auflösung des Berlusconismus in einem moderaten Rahmen, der in Bezug auf die großen Achsen (den Krieg und den sozialen Konflikt) allerdings eine vollständige Kontinuität darstellt. Nur dass er statt auf dem Wege der Alternanz praktiziert zu werden, vorgeschlagen wird über das Einfügen eines neuen tragenden Balkens, den die Mitte bildet. Dies schafft auch im Lager der Berlusconi-Gegner viele Widersprüche. Vom programmatischen Gesichtspunkt aus findet der Wettstreit genau zwischen Alternanz und Alternative statt. Das kann dann, was die politischen Formen angeht, viele Varianten haben. Es genügt daran zu denken, dass im ‚Riformista’ <der rechtssozialdemokratischen Tageszeitung von DS-Parteipräsident D’Alema & Co.> von heute (von gestern; Anm.d.Red.) in einer Krümmung der Neuen Mitte sogar die Idee auftaucht, das Verhältniswahlrecht wieder einzuführen.“

 

Das deutsche Modell, das innerhalb der zentristischen Intentionen nicht nur ein Wahlmodell darstellt, ist die Alternanz zwischen Mitte und Sozialdemokratie…

 

„Ich lese das Gespräch mit Sartori im ‚Riformista’. Vorausgesetzt, dass ich Regierungsfähigkeit und eine Beschneidung der Extreme will, fragt er sich dort: Was ist <dann> der beste Mechanismus ? Also, ein Teil der Anhänger des Verhältniswahlrechts (darunter Sartori) denken in Funktion eines moderaten und effizienten Bipolarismus. Das heißt einem, der die Flügel stutzt, der die Linke zurechtstutzt. Das darf meines Erachtens jedoch nicht dazu führen, dass man irgendwelche Widerstände gegen die Einführung des Verhältniswahlrechtes hat, die das Thema Stärkung der Politik und Wiederentdeckung der Partei als Organisations- und Beteiligungsform anstatt als Wahlmaschine wieder aufwirft.“

 

Diesen Punkt strebt die UDC an: Eine Krise, die zu einer technischen Regierung führt, die die Reformen variiert.

 

„Das wäre ein verhängnisvolles Vorhaben. Es würde uns auf den Trümmern des Berlusconismus zugrunde richten.“

 

Das ist allerdings im Geiste des Quirinalspalastes <Sitz des christdemokratischen italienischen Staatspräsidenten und Ex-Zentralbank-Chefs Carlo Azeglio Ciampi> und seiner Appelle zugunsten einer Großen Koalition.

 

„Das ist genau der Geist, der nicht funktioniert. Das wäre die Außerkraftsetzung der Realität, die zur Krise dieses politischen Systems geführt hat. Du darfst Dich nicht in diesen Mechanismus hineinziehen lassen.“

 

Mit anderen Worten: Die Anerkennung, dass die UDC der direkte politische Ausdruck der Tatsache ist, wie stark der Berlusconismus dabei ist zu zerbröckeln ?

 

„Das ist der entscheidende Punkt, wenn wir die Krise nicht einfach nur als Führungskrise, sondern als Krise der sozialen Beziehungen sehen. Es ist der Charakter des ökonomischen Modells, der zur Diskussion steht, wenn wir Anziehungskraft besitzen wollen. Diese Krise zu ihrer Vollendung zu führen ist also ganz und gar eins mit dem Organisieren der Alternative, dem Aufbau ihres sozialen und kulturellen Blocks. Ich sehe alle Bedingungen für eine Erhöhung des Qualitätslevels der Opposition <als gegeben an>, um unser Handeln auf einigen großen Elementen aufzubauen und auf den vorzeitigen Sturz der Regierung hinzuarbeiten.“

 

Wieviel Hoffnung kann die sich machen <die Legislaturperiode> zu überleben ?

 

„Wenn das Gewebe derart verschlissen ist, reißt es – auch wenn man es flickt – erneut. An einem nicht vorhersehbaren Punkt.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover