Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Die Bewegung gegen den hochgradig prekären Ersteinstellungsvertrag CPE mit seiner zweijährigen Probezeit, die von einem Tag auf den anderen eine Entlassung erlauben würde, ist die massivste und massenhafteste Bewegung, die es bisher gegen prekäre Beschäftigung gab. Die bewegungsorientierte linke italienische Tageszeitung „il manifesto“ interviewte (für die Ausgabe vom 24.3.2006) Daniel Bensaid  zu Inhalt und Perspektiven dieser Bewegung und eine mögliche Verbindung zur Banlieues-Revolte im Oktober / November letzten Jahres. Seine Thesen haben durch den unmittelbaren Erfolg der Anti-CPE-Bewegung nichts an Aktualität eingebüßt.

 

Der 60jährige Bensaid ist seit den 60er Jahren als undogmatischer Marxist aktiv, wurde 1965 wegen „linksradikaler Umtriebe“ aus der französischen KP ausgeschlossen und zählte, neben Daniel Cohn-Bendit und dem späteren Chefredakteur der Tageszeitung „Liberation“, Serge July, zu den bekanntesten Aktivisten der Bewegung des Mai 68 an der Universität Nanterre. Weshalb im Anschluss für kurze Zeit im Gefängnis saß. Seit 1968 ist Daniel Bensaid Führungsmitglied der trotzkistischen Ligue Communiste Revolutionnaires (LCR) und der IV.Internationale und nahm an allen sozialen Bewegungen Frankreichs teil. Auf den Europäischen Sozialforen (ESF) von Florenz, Paris und London trat er auf zahlreichen Veranstaltungen als Referent auf. Bensaid arbeitet als Professor für Philosophie an der Universität Paris 8 (Sainte Denis). Einige seiner Bücher sind auch in deutscher Sprache erhältlich. Im Unrast-Verlag erscheint demnächst sein Buch „Eine Welt zu verändern“.

 

Interview:

 

„Der Kampf verbindet sie mit den Banlieues

 

ANNA MARIA MERLO

 

Der Marx-Experte (so eben ist – bei Edition La Fabrique – eine von ihm präsentierte und kommentierte Auflage der „Judenfrage“ von Karl Marx erschienen) Daniel Bensaid ist Professor für Philosophie an der Universität Paris VIII Vincennes-Saint Denis.

 

Gibt es in der Schüler- und Studentenbewegung Ihrer Ansicht nach, jenseits des Kampfes gegen den <Ersteinstellungsvertrag> CPE einen allgemeineren Willen, zu sagen: Wir wollen diese wirtschaftsliberale Gesellschaft nicht?

 

„In diesen Tagen, die quasi einen Jahrestag des Beginns von `68 (der Bewegung des 22.März) darstellen, wird häufig und unvermeidlich ein Vergleich zum Mai gezogen. Aber auch wenn es einen großen Unterschied in der Bewusstseinsbildung gibt, kristallisiert die Bewegung gegen den CPE und gegen seinen Vorgänger CNE mit der massiven Unterstützung der öffentlichen Meinung die Frustrationen und die in 20 Jahren gegen die wirtschaftsliberale Politik angehäufte Unzufriedenheit heraus. Sie manifestiert die Sorge und die Schwierigkeit, sich die Zukunft vorzustellen. Ich war gestern in Nanterre und dann in Paris VIII und habe gesehen, dass der globalen Logik dieser Gesellschaft widersprochen wurde. Das ist nicht verwunderlich. Um ein konkretes Problem herum stellt sich eine globalere Frage. So wie es bereits bei der alternativ-globalisierenden Bewegung gegen die Globalisierung der Fall war: die Individualisierung von Löhnen, Arbeitszeiten, Arbeitsverträgen und Renten – der Verlust der Solidarität.“

 

Ist der CPE der letzte Schritt einer langen Reihe, die die Prekarität ins Zentrum der Gesellschaft gerückt hat?

 

„Es scheint eine Solidarität der Gewerkschaften gegenüber den Schülern und Studenten zu geben, weil sich die Schüler und Studenten in einer sich entwickelnden Mobilisierung befinden, die den, durch die Arbeitslosigkeit und die prekäre Beschäftigung fragil gewordenen, Werktätigen schwer fällt. Vielleicht ist der CPE (leider) noch nicht das letzte Kettenglied, weil z.B. bereits das neue Sarkozy-Gesetz in Sicht ist, das die Situation der Immigranten noch fragiler werden lässt. Es wäre ein Fehler zu meinen, dass die aktuelle Situation nur vom rigiden psychologischen Charakter Villepins abhängt. Villepin ist sich, wie das ‚Wall Street Journal’ schrieb, bewusst, was auf dem Spiel steht. Das wahre Problem ist, mit dem Arbeitsrecht und dem sog. französischen Sozialmodell Schluss zu machen. Die Leute zeigen jedoch eine Verbundenheit mit den erworbenen Rechten. Trotz der Niederlage von 2003 in der Rentenfrage bleibt ein sozialer Widerstand bestehen, gibt es starken Druck, weshalb auch die französische Sozialdemokratie links von einem Blair oder auch einem Zapatero steht. In Frankreich musste die Regierung, jedes Mal wenn ein Reformvorschlag in Sachen Jugendliche oder Universitäten lanciert wurde, einen Schritt zurück machen. Es ist der Macht nie gelungen, jenseits des ideologischen Diskurses die Legitimität zu konsolidieren. Die Bürger nehmen jedes Mal, wenn sie die Möglichkeit dazu haben (wie bei den Regionalwahlen von 2004 oder dem Referendum <über die EU-Verfassung> von 2005 Abstand davon.“

 

Welchen politischen Ausweg sieht diese Bewegung? Die Umfragen bescheinigen der Linken Zuwächse, aber kann das Gefühl der sozialen Deklassierung, das <in der Bewegung> angedeutet wird, nicht gefährlich werden?

 

„Die Situation kann in eine ernste politische Krise münden. Hoffen wir, dass diese Bewegung in Europa Widerhall findet, auch wenn die Logik unglücklicherweise noch defensiv ist. Von daher die Bedeutung des Kampfes, weil es seit langem das erste Mal wäre, dass es einer Bewegung gelingt, etwas durchzusetzen. Auf der Ebene der Wahlen sind die Sozialistische Partei (PS) und die Gewerkschaften sehr vorsichtig, weil sie immer in der Erinnerung der Wiederholung leben: Nach einer Bewegung kann es eine starke Reaktion geben und eine Angstwahl zugunsten der extremen Rechten, die Sarkozy zugute kommt. Die Gewerkschaften sind schon bereit, Villepins Einladung anzunehmen. Sie hätten zumindest die Demonstration am Dienstag, den 28.März abwarten können, um zu sehen wie die Kräfteverhältnisse sind.“

 

Gibt es eine Verbindung zwischen der Schüler- und Studentenbewegung und der Revolte der Banlieues (zwei Welten, die Villepin versucht hat, gegeneinander auszuspielen)?

 

„Das ist die Achse, auf der sich der Diskurs der Regierung bewegt: Die Jugendlichen den Banlieues gegenüberzustellen, wie es der Minister für Gleichberechtigungsfragen getan hat, als er meinte, dass die dortigen Jugendlichen bestraft wurden, weil sie illegale Aktionen begangen haben und es ihm zufolge nicht verstehen würden, wie die Schüler und Studenten mit Hilfe von Besetzungen eine Veränderung herbeiführen können. Villepin hat gesagt, dass die Schüler und Studenten, die qualifiziert sein werden und die es dann nicht betreffen werde, gegen den Ersteinstellungsvertrag (CPE) protestierten, während er für die Unqualifizierten konzipiert wurde, die bereit seien, ihn auszuprobieren. Dieser Oppositionsdiskurs vonseiten der Macht ist klassisch. Es gibt allerdings tiefgehende Gründe und Wurzeln, die die Schaffung einer Verbindung zwischen Schülern und Studenten sowie den Banlieues ermöglichen. Es muss eine Solidaritätsarbeit geleistet werden und deshalb spielen die Gymnasien eine wichtige Rolle, weil in den Gymnasien der Banlieue alle zusammen sind. Die Bewegung ist aufgrund des Schmelztiegels wichtig, den sie schafft. In den Kämpfen vereinigen sich unterschiedliche Welten. Diese Bewegung ist aufgrund der sozialen Verknüpfung von größerer Bedeutung und weniger als Alibi, um den so genannten sichtbaren Minderheiten Posten zu verschaffen, wie z.B. einen Moslem zum Präfekten zu ernennen oder einen Schwarzen zum Tagesschau-Moderator.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover