Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Zu der
überraschend deutlichen Niederlage des regierenden Rechts-Bündnisses unter
Führung von Silvio Berlusconi und dem massiven Sprung der Mitte-Linken in der
Wählergunst (von 44,1% auf 52,1%) bei den italienischen Regionalwahlen Anfang
April interviewte die linke und bewegungsorientierte Tageszeitung „il
manifesto“ für die Ausgabe vom 7.4.2005 den Vorsitzenden der linken
Kulturdachorganisation ARCI, Paolo Beni. Die Associazione
Ricreativa Culturale Italiana (ARCI) wurde 1957 als
sozialistisch-kommunistische Massenorganisation für den Freizeitbereich
gegründet, war lange Zeit sehr PCI-nah, erkämpfte sich allerdings im Laufe der
80er Jahre (als viele Massenorganisationen in anderen Bereichen zugrunde
gingen) ein erhebliches Maß an Eigenständigkeit. Sie ist heute nach wie vor
links, nun aber wirklich überparteilich und verfügte 2003 über 5.800 Zirkel
landesweit mit knapp 1,1 Millionen Mitgliedern, davon allerdings rund 40%
allein in den beiden mittelitalienischen Regionen Emilia Romagna und Toskana.
Die ARCI spielt in der italienischen Antiglobalisierungsbewegung eine wichtige
Rolle, auch als Verbindungsglied zwischen dem etablierteren und dem radikaleren Teil. Ihr heutiger „Präsident“
(wir erlauben uns ihn im Folgenden lieber „Vorsitzender“ zu nennen) Paolo Beni
trat sein Amt erst im Herbst 2004 als Nachfolger des kurz zuvor verstorbenen,
fast schon legendären, Tom Benetello an.
ARCI:
„Und jetzt das Programm
für eine gesellschaftliche Alternative !“
Der ARCI-Vorsitzende
Paolo Beni liest in dem Wahlergebnis das Verlangen nach einem radikalen Wandel.
Jetzt muss die Linke mit der Politik der Vergangenheit brechen.
LORIS CAMPETTI
„Die Politik der
Regierung genießt nicht mehr die Unterstützung der Mehrheit des Landes. Das
hatten wir in den letzten Jahren auf den Straßen geahnt. Das Wahlergebnis der
Regionalwahlen hat es bestätigt..“ Paolo Beni (nationaler Vorsitzender der
ARCI) verbirgt seine Zufriedenheit über die Ohrfeige, die die Wähler Berlusconi
verabreicht haben, nicht. Beni bestätigt eine ziemlich weit verbreitete
Meinung: Mehr als um einen Sieg der Mitte-Linken handelt es sich um eine
Niederlage der Politik der Rechten. Er fügt allerdings sofort hinzu: „Wenn
dieses Erdbeben stattfinden konnte, dann deshalb, weil sich unser Land von 2001
bis heute, auch dank des nachhaltigen Auftritts der großen Bewegung für den
Frieden und gegen die wirtschaftsliberale Globalisierung auf der Weltbühne,
tief greifend verändert hat.“
Beni, warum
hat Berlusconi verloren ?
„Die Niederlage,
die auf dem gesamten nationalen Territorium ein uniformes Kennzeichen besitzt,
bestätigt die Krise eines Legislaturprojektes. Berlusconi hat das getan, was er
zur Unterstützung des sozialen Blockes, auf den er setzte, versprochen hat. Das
Wahlergebnis zeigt also auch das Zerbrechen jenes sozialen Blockes. In diesen
vier Jahren ist das Land verarmt und ständigen Zerreißproben ausgesetzt worden:
auf dem institutionellen und verfassungspolitischen Gebiet (und damit auf dem
der Demokratie), in Sachen Rechte und in Sachen Information. Italien ist ärmer
und in Hinblick auf die internationale Politik der kriegstreiberischen Politik
der Bush-Administration stärker untergeordnet. Für diese Entscheidungen muss
man zahlen und Berlusconi hat sie bezahlt.“
In kurzen
Worten, die Mitte-Linke hat dank der Ablehnung der Politik der Rechten
gewonnen.
„Die keinen
Widerspruch zulassende Ablehnung einer Regierung, die uns in einen Krieg
hineingezogen hat, die gravierende soziale Brüche vollzogen hat, die ein
arrogantes und autoritäres Projekt des Schleifens der Verfassung eingeleitet
hat, verschafft zugleich der Opposition Kredit, die den Wahlkampf endlich
vereint angegangen ist.“
Das Schöne
kommt jetzt.
„Warte, zuerst schauen wir
uns an, was das Wahlergebnis an Positivem enthält. Dies ist die zweite Runde
von Administrativwahlen <d.h.
Kommunal-, Provinz- und Regionalwahlen>,
die die Politik der Regierung in deutlicherer Weise bestraft als es bei den
Europawahlen <2004> der Fall war. Es ist das Zeichen, dass vom
Territorium aus, sogar von den Territorien aus <d.h. trotz sehr unterschiedlicher lokaler Probleme>, ein Verlangen nach einer Alternative geäußert wird,
das sich zusammen mit einer umfangreichen sozialen Praxis ausbreitet, die an
einem radikalen Wandel arbeitet. Als wir – als ARCI – den Wahlaufruf
lancierten, denunzierten, wie gravierend die Situation Italiens ist und
erklärten, dass man ab sofort eine Alternative schaffen müsse, bevor die Rechte
alles verzerrt, waren wir, was den Wahlausgang anbelangt, optimistisch. Nicht
weil wir besonders intelligent sind, sondern ganz einfach, weil wir (zusammen
mit den Bewegungen) in den Realitäten, in den sozialen Konflikten, an der Seite
der Kämpfe der Werktätigen arbeiten. Wir verfügen daher über eine starke
Wahrnehmung der Veränderungen, die in den einzelnen Teilen des Landes <“den Territorien“> stattfinden und das Verlangen nach einer Alternative
steigen lassen.
Nun, diesen sozialen
Prozessen gelingt es, mit der Politik zu kommunizieren. Ich gebe Dir zwei
Beispiele: das lombardische Laboratorium mit <dem ehemaligen gemäßigt-linken CGIL-Funktionär
und heutigen Spitzenkandidaten der lombardischen Mitte-Linken> Mario Agostinelli und das apulische Laboratorium mit
<dem sich offen zu
seiner Homosexualität bekennenden Rifondazione Comunista-Abgeordneten> Nichi Vendola haben bedeutende Teile der
Gesellschaft und der Jugendlichen wieder in Bewegung gesetzt. Es wurden
positive Energien freigesetzt, die in der Lombardei zur massivsten
Stimmenverschiebung und in Apulien zum Sieg in einer Herausforderung geführt
haben, die mit jenem mit Hilfe dieser Methodik <d.h. Vorwahlen der Mitglieder aller
Mitte-Links-Parteien Apuliens>
bestimmten Kandidaten unmöglich erschien. Jetzt können wir ohne jede
Einschränkung sagen, dass es für den Erfolg nicht notwendig ist, mit moderaten
Inhalten in die Mitte abzutauchen. Ein Zeichen dafür, dass in den letzten
Jahren (insbesondere nach <den Anti-G8-Protesten im Juli 2001> in Genua) etwas hängen geblieben ist. Apulien und die Lombardei sind
keine isolierten Fälle.“
Das Problem ist, ob und
wie diese Veränderungen etwas in der Politik und in der Kultur der Opposition
hinterlassen können.
„Vor allem muss klar sein,
dass man keine Alternative schafft, indem man auf die Fehler der Anderen setzt
und dass man mit der Logik der Alternanz <d.h. dem bloß formalen, periodischen Wechsel>, die um eine ähnliche Politik kreist, wie diejenige
der Rechten, und dabei vielleicht ein bisschen weniger scharfmacherisch und
weniger wirtschaftsliberal ist und das Bestehende weniger schlampig verwaltet,
nirgendwo hinkommt. Der einzig gangbare Weg führt, wenn die Linke das Verlangen
des Volkes aufgreifen will, zu einer Systemalternative, die sicherlich noch
nicht entworfen ist, an der man aber arbeiten muss und die sich in den
Territorien bereits im Aufbau befindet, wenn auch unter Tausend Widersprüchen.
Die Regionalwahlen sind ein Erdbeben der im Gange befindlichen Arbeiten.“
Von welcher Linker
sprichst Du ?
„Es gibt in der Linke zwei
Tendenzen: eine gemäßigte und eine radikale, die von sich jedoch behaupten,
keine Alternative zueinander zu sein, sondern allenfalls innerhalb eines
einheitlichen Projektes zu konkurrieren. Nun, ich hoffe nur, dass sich die
Auseinandersetzung nicht um Namen und um Parteiembleme dreht, sondern um die
Programme. Es ist ein Jahr Zeit, um zu arbeiten, um ein anderes
Gesellschaftsprojekt wachsen zu lassen. Seien wir konkret: in punkto Krieg
befindet sich die Mehrheit des Landes eher im Einklang mit der radikalen
Komponente des Oppositionslagers und diese unwiderlegbare Feststellung muss
Einfluss auf das Verhältnis zwischen den verschiedenen Komponenten unseres
Lagers und damit auf die Entwicklung des Programms haben, um Berlusconi zu
schlagen.“
Die Versuchung innerhalb
der Linken, sich nicht mit den Fehlern der Vergangenheit auseinanderzusetzen,
ist allerdings immer noch stark. Denk’ nur an die Themen, die Euch von der ARCI
am meisten am Herzen liegen: Hast Du viel Selbstkritik in Sachen „humanitärer“
Krieg im Kosovo, in Sachen CPT <Sammellager für Flüchtlinge> und der Politik gegenüber den Migranten, in Sachen
Flexibilität bzw. Prekarität der Arbeit oder in Sachen Schule gehört ?
„Ich wiederhole: Bei diesen
Wahlen wurde die Mitte-Linke durch den Protest gegen Berlusconi begünstigt. Sie
hat mehr aufgrund der Schrecken des Gegners gewonnen als aus eigenem Verdienst.
Sie haben keine Selbstkritik geübt. Die Opposition weist heute allerdings
einige neue Elemente zum Begreifen und Verändern auf. Diejenigen, die meinen,
dass sie heute wegen der vom Olivenbaum-Bündnis in den Jahren der Regierung
gemachten Politik gewonnen hätten, täuschen sich. Eine Politik reiner
Kontinuität zur Vergangenheit würde schwerwiegende politische und soziale
Schäden hervorrufen. Deshalb engagieren wir uns in einem Kampf für die
Annäherung der Mitte-Linken und des Alternativprogramms an die Empfindungen der
Mehrheit der Menschen.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover