Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Bei der Wahl des neuen Präsidenten der palästinensischen Autonomiebhörde am 9.Januar 2005 traten am Ende noch sieben Kandidaten an. Nach dem Sieger Mahmud Abbas / „Abu Mazen von Al-Fatah (der dem amtlichen Endergebnis zufolge 501.448 Stimmen / 62,5% erhielt) kam der linke Arzt, Bürgerrechtler und Antiglobalisierer Mustafa Barghuti (Mubadara = Demokratische Initiative; 156.227 Stimmen / 19,5%) auf den zweiten Platz. Dritter wurde mit großem Abstand Taysir Khaled von der linken DFLP (26.848 Stimmen = 3,35%). Die Wahlbeteiligung betrug 62% bezogen auf die 1,12 Millionen registrierten Wähler. Geschätzt wird, dass 1,5 Millionen Palästinenser wahlberechtigt gewesen wären.

Wir haben an dieser Stelle bereits die Übersetzung des Interviews dokumentiert, das Mustafa Barghuti (ein Cousin des in Israel inhaftierten Fatah-Linken Marwan Barghuti, der seine Kandidatur nach intensiven internen Verhandlungen in der Fatah zurückzog) Anfang Dezember 2004 der sozialdemokratischen Tageszeitung „l’Unità“ gab. Da es von Interesse sein dürfte wie Mustafa Barghutis Einschätzung und Pläne nach den Wahlen aussehen hier die Übersetzung des Interviews mit ihm, das in der linksradikalen italienischen Tageszeitung „il manifesto vom 12.1.2005 erschien:

 

Mustafa Barghuti proklamiert seinen „Dritten Weg“

 

Abu Mazens Herausforderer, der sich in den letzten Stunden zum „Oppositionsführer“ ausgerufen hat, erläutert seine Alternative zum politischen Monopol von Al-Fatah und Hamas.

Schattenkabinett: Seine Bildung ist der nächste Schritt, den der Chef der Mubadara zusammen mit anderen politischen Kräften der Opposition erwägt.

 

MICHELE GIORGIO – RAMALLAH

 

Der Kopf der Mubadara (Demokratische Initiative), Mustafa Barghuti, der den neuen palästinensischen Präsidenten Abu Mazen (den Kandidaten der Bewegung Al-Fatah) herausforderte, hatte sich einige Prozentpunkte mehr erhofft. Die bei den Wahlen vom vergangenen Sonntag erzielten 19,8% stellen ihn nicht vollständig zufrieden, bilden aber eine gute persönliche Bestätigung, die es ihm erlaubt, die Grundlagen für die Bildung einer starken fortschrittlichen Opposition zu schaffen und dem zu folgen, was er als den „Dritten Weg“ beschreibt – eine Alternative zum politischen Monopol von Al-Fatah und der islamischen Bewegung Hamas. Barghuti hat sich in den letzten Stunden zum „Oppositionsführer“ erklärt. Wir haben ihn gestern interviewt, indem wir uns in einen sehr dicht gedrängten Terminkalender und eine lange Liste von Verpflichtungen einfügten.

 

Dr. Barghuti, Sie rufen sich zum Chef der fortschrittlichen Opposition in Palästina aus. Was bedeutet das konkret ?

 

„Die Wahlergebnisse haben in unmissverständlicher Weise verdeutlicht, dass das palästinensische Volk an die Demokratie und an eine offene Gesellschaft glaubt. Die Stimmen, die ich bekommen habe, erfüllen mich einerseits mit Freude und veranlassen mich andererseits dazu, den Weg weiter zu verfolgen, den ich mit meiner Partei, der Mubadara, eingeschlagen habe. Ich glaube, dass man weitere Schritte vorwärts machen muss, d.h. für eine klare und transparente Ausübung der Macht ohne Korruption zu kämpfen und den Palästinensern einen unabhängigen Staat zu geben.“

 

Was wird Ihr nächster Zug sein ?

 

„Die Idee, die ich gegenwärtig zusammen mit anderen politischen Kräften erwäge, ist die Bildung eines Schattenkabinetts, ähnlich derer, die die demokratischen Oppositionen in anderen Ländern bilden. Ich habe bereits die Unterstützung der Volksfront für die Befreiung Palästinas <PFLP> gewonnen und bin dabei die Beteiligung zahlreicher Vertreter der Zivilgesellschaft sowie verschiedener Verbände und Volkskomitees zu erwirken. Ziel ist es, den Palästinensern zu zeigen, dass eine politische Alternative existiert. Das heisst, dass sie immer berücksichtigen müssen, was sie von denjenigen erhalten, die an der Macht sind, und was die Opposition vorschlägt.“

 

Wird es bei der Bildung eines Schattenkabinetts bleiben ?

 

„Nein. Das nächste Ziel ist der 17.Juli, wenn die Palästinenser endlich aufgerufen werden einen neuen Legislativen Rat (Legislative Council = LR = Parlament) zu wählen. Das ist eine entscheidende Etappe, der die Mubadara große Bedeutung beimisst, da sie ihre endgültige Weihe als wichtigste demokratische Oppositionskraft darstellen wird. Gleichzeitig ist es notwendig das Gesetz zu ändern, das die internen Regularien des LC festlegt. Seit langem wird über ein neues Wahlgesetz und die Verdoppelung der Anzahl der Parlamentarier diskutiert. Zwei Themen, bei denen ich in der vordersten Front aktiv bin. Ein Wahlsystem, wie das 1996 eigens zu dem Zweck geschaffene, Al-Fatah die Mehrheit zu sichern, ist nicht mehr akzeptabel. Außerdem müssen den Frauen Garantien geboten und sie stärker in die politische  Debatte einbezogen werden und zwar so, dass sie in der parlamentarischen Versammlung eine starke Präsenz bekommen können.“

 

Was werden Hamas und Jihad Ihrer Ansicht nach tun ?  Werden sie die Nationale Palästinensische Autorität <d.h. die Autonomiebehörde> weiter boykottieren und den bewaffneten Kampf fortsetzen oder eine Übereinkunft mit Abu Mazen treffen, der die Intifada beenden und die Verhandlungen mit Israel wieder aufnehmen will ?

 

„Die militärische Besetzung durch Israel besitzt eine enorme Wirkung in den politischen Dynamiken der Palästinenser. Wenn meine Leute erst einmal die Unabhängigkeit erreicht haben, werden die Kräfte, die heute mehr Wert auf den bewaffneten Kampf legen, sich in politische Parteien und Bewegungen wie alle anderen verwandeln. In der Zwischenzeit muss – wie ich in den letzten Jahren immer wiederholt habe – die palästinensische Mobilisierung gegen die Besatzung auf friedliche Weise und unter Beteiligung des Volkes stattfinden.“

 

Kommen wir also zur militärischen Besetzung. Von Entwicklung der Demokratie und der Institutionen zu reden, kann sich als vergeblich erweisen, wenn vor den Häusern der Leute israelische Panzer stehen.

 

„Die Wahlen vom Sonntag bilden nur einen Faktor in der komplexen Situation Palästinas. Das Ende der Besatzung und die Freiheit sind das Ziel von uns allen – ohne Ausnahme. Wir müssen die in den vergangenen Jahren begangenen Fehler vermeiden. Es dürfen keine Fehler mehr gemacht werden. Die Tausenden Toten und Verwundeten der letzten Jahre verlangen eine definitive Lösung des Konfliktes. Es ist notwendig, eine internationale Friedenskonferenz einzuberufen, nach dem Modell derjenigen, die 1991 in Spanien, in Madrid stattgefunden hat und an der nicht nur Israelis, Palästinenser und Amerikaner teilnehmen müssen, sondern alle in die Lösung dieses Konfliktes involvierten Seiten, angefangen bei den Vereinten Nationen. Die Grundlage dieser Konferenz müssen die internationalen Resolutionen sein. Außerdem dürfen niemals wieder befristete und Teilabkommen unterzeichnet werden, sondern stattdessen rasche und endgültige Abkommen, weil es keine Zeit mehr zu verlieren gilt.“

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover