Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Tarifpolitik in den einzelnen EU-Staaten spielt für die Arbeiter- und
Gewerkschaftsbewegung in allen Mitgliedsländern nicht nur wegen der weiter
zunehmenden Unternehmensverflechtung, sondern auch aufgrund der von den
Regierungen betriebenen Synchronisierung der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik
eine immer wichtigere Rolle. Vor einigen Jahren hatte sich sogar die nicht
allzu agile EGB-Bürokratie gezwungen gesehen, darauf zu reagieren und
vollmundig den Übergang zu einer „europäischen Tarifpolitik“ beschlossen, um
den Lohnsenkungsspiralen, der Arbeitszeitverlängerung und Arbeitsverdichtung
sowie der Ausweitung prekärer Beschäftigung entgegen zu treten. Wie nicht
anders zu erwarten, blieb der Europäische Gewerkschaftsbund jedoch im
wesentlichen eine Lobbyistentruppe samt gut bezahlten Frühstücksdirektoren und
viel Kulisse. Selbst die bloße Information über das aktuelle Tarifgeschehen in
den EU-Staaten ist (nicht nur in Deutschland) nach wie vor äußerst spärlich.
Eingeweihte finden ein gutes (allerdings längst nicht ausreichendes)
englischsprachiges Informationsangebot auf den Websites des von der EU-Stiftung
„European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions“ seit
1997 betriebenen European Industrial Relations Observatory (EIRO) unter www.eiro.eurofound.eu.int/. Die
Gewerkschaftsbasis, einschließlich der meisten Aktiven, bleibt in der Regel
ohne Informationen und Einschätzungen.
Als
kleiner Beitrag zur Überwindung dieses Zustandes hier der Bericht über den
neuen Tarifvertrag im italienischen Bankenwesen aus der links-unabhängigen
italienischen Tageszeitung „il manifesto“ vom 13.2.2005.
Bankangestellte: Neuer Tarifvertrag.
Der Lehrling kommt.
Durchschnittliche Gehaltserhöhung von
146 Euro. Neueingestellte 4 Jahre lang niedriger eingestuft. <Lega Nord-Arbeitsminister> Maroni tobt: Das Gesetz Nr.30 wird <zu> wenig angewandt.
Neuer Tarifvertrag nach 10 Monaten
Verhandlung und 3 Streiks. Alle außer der FABI unterschreiben: Zu geringe
Gehaltserhöhung. <CISL-Generalsekretär> Pezzotta zu Maroni: „Ich verstehe
seinen Fundamentalismus nicht.“
ANTONIO SCIOTTO
Seit gestern haben die
Bankangestellten einen neuen Tarifvertrag, mit einem ersten, bemerkenswerten
Schuss Gesetz Nr.30 / 2003 (oder „Biagi-Gesetz“, wie die Regierung es nennt).
Die unterzeichnenden Gewerkschaften haben die Einführung der befristeten
Versetzung, die Einfügungsverträge und den (leider übermäßig langen – bis zu 4
Jahre dauernden) Lehrlingsstatus akzeptiert, allerdings – für den Augenblick –
bezogen auf die Arbeit auf Abruf (job on call), die unbefristete
Versetzung (staff leasing), das Teilen eines Arbeitsplatzes (job
sharing) sowie projektbezogene Arbeitsverträge eine ablehnende Haltung
eingenommen. Was den Champion des Pro-Prekaritäts-Gesetzes, den
Wohlfahrtsminister Roberto Maroni, der seine sofortige und volle Anwendung
wollte, in Rage versetzte. Was die Gehaltserhöhungen anbelangt, wurde eine
durchschnittliche Erhöhung der Entgelte um 146 Euro erreicht. Das entspricht
einem Plus von 6,5%. (Die Spanne erstreckt sich von 84 Euro für einen
Neueingestellten bis zu 249 Euro für einen leitenden Angestellten mit 9
altersbedingten Gehaltsanhebungen.) Gerade dieser Punkt hat die Gewerkschaften
allerdings gespalten: FISAC-CGIL, FIBA-CISL, UILCA, FALCRI und Dircredito haben
<den Tarifvertrag> mit dem Bankenverband ABI abgeschlossen, während die
SINFUB mit Vorbehalten unterschrieben und die FABI die Verhandlungen mit der
Absicht verlassen hat, eine Urabstimmung zu fordern. Dieser Gewerkschaft (der
repräsentativsten der Branche) zufolge ist die beschlossene Gehaltserhöhung zu
gering. Die FABI hatte 11% und weniger Prekarität gefordert. Für die kommende
Woche hat sie ihren Nationalrat einberufen, der entscheiden wird, ob sie
unterschreibt oder nicht.
Dieses Abkommen hat
10monatige Verhandlungen und 3 Streiks „gekostet“ und betrifft 320.000
Bankangestellte. Der lohnbezogene Teil des Tarifvertrages war 2003 abgelaufen,
der normative Teil <bereits> im Jahre 2001. Für den tariflosen Zeitraum wird
jeder Angestellte „eine Einmalzahlung“ erhalten: Im Durchschnitt 500 Euro. Hier
reicht die Spanne von 353 Euro für einen Neueingestellten bis zu 1.042 Euro für
einen leitenden Angestellten mit 9 altersbedingten Gehaltsanhebungen. Was das
Aufgreifen des Gesetzes Nr.30 anbelangt, so betrifft der kontroverseste Teil
des neuen Tarifvertrages die Einführung des sog. „der Berufsausbildung
dienenden Lehrlingsstatus“. Er wird 4 Jahre dauern und es ermöglichen, bei den
Neueingestellten in den ersten beiden Jahren eine um zwei Gehaltsgruppen und in
den folgenden beiden Jahren um eine Gehaltsgruppe niedrigere Einstufung
vorzunehmen. Für die Banken eine beachtliche Ersparnis. Man versteht allerdings
wirklich nicht, was man in gut 4 Jahren <als sog. „Lehrling“> so Außergewöhnlliches erlernen kann. Ein etwas zu großes Zugeständnis.
Zweifellos wären 2 Jahre mehr als ausreichend gewesen. Was die
Einfügungsverträge (eine neue Version der alten CFL) angeht, so werden sie auf
5% des gesamten Personals begrenzt sein.
Die minderwertigen
Einrichtungen des Gesetzes Nr.30 (job on call, staff leasing,
projektbezogene Mitarbeit und job sharing) sind nicht ausdrücklich
ausgeschlossen, sondern schlicht nicht geregelt. Daher sind sie, wie der
Minister Maroni anmerkt, theoretisch anwendbar. Die ABI hat jedoch alle ihr
angehörenden Unternehmen aufgefordert, zumindest bis Ende 2005 keinen Gebrauch
davon zu machen. Zu diesem Zeitpunkt wird der normative Teil des Tarifvertrages
<bereits wieder> auslaufen. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, hat
der Bankenverband, der bereits im Verlaufe der Verhandlungen eine sehr rigide
Haltung eingenommen hat, den „weichen“ Ansatz gewählt – in der Hoffnung, schon
ab dem kommenden Jahr gravierende Teile des Gesetzes Nr.30 aus der Schublade
holen zu können.
Minister Maroni schien bei
dieser Frage der am stärksten Verärgerte zu sein: „Der Ausschluss eines Teils
der vom Biagi-Gesetz vorgesehenen Arbeitsvertragstypen ist unakzeptabel“, tönte
er gestern. „Ich hatte die ABI aufgefordert, dem gewerkschaftlichen Druck, das
Gesetz nicht in den Tarifvertrag einzuführen, nicht nachzugeben. Ich behalte
mir vor, zu überprüfen, was einbezogen wurde, weil es erstaunlich wäre, wenn
vom Biagi-Gesetz vorgesehene Einrichtungen nur deshalb ausgeschlossen würden,
weil ein Teil der Gewerkschaft einen ideologischen Kampf führt.“ Den
allgemeinen Diskurs einmal beiseite gelassen, erscheint die Tatsache ziemlich
unüblich, dass sich ein Arbeitsminister dafür einsetzt, dass eine der
Tarifparteien (die Unternehmen) der anderen (den Gewerkschaften) nicht
nachgibt. Räumt er <damit> selbst ein, dass er auf einer Seite der Barrikade
steht ?
Bezüglich der Anwendung des
Gesetzes Nr.30 / 2003 erwidert der Generalsekretär der <christdemokratischen
Gewerkschaftszentrale> CISL, Savino
Pezzotta, dem Minister, dass „es das Gesetz gibt und niemand dies bestreitet“,
aber auch, dass „der Tarifvertrag den Teil anwendet, der der Berufsgruppe
dient“. „Ich kann den Fundamentalismus des Ministers nicht verstehen“, schloss
er. „Die Tarifverträge sollen dazu dienen, die bestehenden Bedingungen zu
verbessern.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Ui Hannover
und Gewerkschaftsforum Hannover