Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Anfang Mai 2005 zeigte die Regierung Berlusconi zum ersten Mal Bereitschaft zu ernsthaften Verhandlungen mit den Gewerkschaften über einen neuen Tarifvertrag für den italienischen Öffentlichen Dienst (der alte war seit da bereits seit 16 Monaten abgelaufen!). Grund für dieses Einlenken war allerdings weniger der Druck vonseiten der Gewerkschaften, die zuletzt Mitte März mit einem eintägigen landesweiten Streik im gesamten Öffentlichen Dienst und einer zentralen Großdemonstration in Rom ihre Forderungen untermauert hatten, sondern die schwere Niederlage des von Berlusconi geführten Rechtsbündnisses bei den Regionalwahlen Anfang April, das zu einer kompletten Umbildung der Regierung führte und zunächst den kompromissbereiteren Kräften der von Gianfranco Fini geführten Alleanza Nazionale (AN) und der rechtschristdemokratischen UDC Aufwind verschaffte. Diese monierten, dass die harte Haltung in diesem Bereich wahlkampftaktisch ein folgenschwerer Fehler gewesen sei. Tatsächlich hatte die (nach dem großen Schmiergeldskandal „Tangentopoli“ 1993/94 in verschiedene rechte und mitte-linke Kleinparteien zersplitterte) Democrazia Cristiana zusammen mit Craxis (ebenfalls zerfallener) PSI bis Anfang der 90er Jahre Tarifverträge für die im öffentlichen Sektor Beschäftigten stets kurz vor den Wahlen, in sozialpartnerschaftlicher Eintracht mit den großen Gewerkschaftszentralen, abgeschlossen und bei den Urnengängen in der Regel davon profitiert. Im Zuge der „knappen Kassen“, d.h. der haushaltspolitischen Forderungen der EU und der verschärften Umverteilung zugunsten der Bourgeoisie, sowie der neoliberalen Offensivstrategie der Kapitalistenverbände (in Italien vor allem der Confindustria) und der Neuen Mitte hat sich dies grundlegend geändert und den Gewerkschaften fehlt mit ihren vorwiegend demonstrativen Ein-Tages-Aktionen die Waffe, um darauf wirkungsvoll zu antworten. So ist denn bereits wieder fraglich, ob die erneuerte Berlusconi-Regierung tatsächlich zu einem tarifpolitischen Kompromiss bereit ist. Am 13. Mai erklärte Berlusconi zumindest: „Die Forderungen der Gewerkschaften würden eine Milliarde Euro kosten. Ich habe nicht die Absicht, dafür einen Wechsel auszustellen, aber ich fordere alle sozialen Parteien zur Mitverantwortung auf.“ (il manifesto 14.5.2005)

Doch hier zunächst einmal der Bericht der größten italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“ vom 7.5.2005 über die Öffnungsgeste der Regierung:

 

ÖFFENTLICHE HAUSHALTE UND TARIFVERTRÄGE:

 

DIE REGIERUNG

 

Lohnerhöhungen für die Staatsbeschäftigten. Die Öffnung der Regierung

 

Baccini: Bereitschaft über 95 Euro hinauszugehen. Aber der Ministerpräsident: Das muss man alles noch sehen. Fini für ein sofortiges Abkommen. Montezemolo: Das Defizit beachten!

 

ROM – Die Regierung versucht einen Schrittwechsel und probiert einen Ausfall in Sachen Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes. Der Ministerrat erteilte gestern dem für den Öffentlichen Dienst zuständigen Minister Mario Baccini <UDC>, dem Wirtschaftsminister Domenico Siniscalco <parteiloser „Techniker“> und dem Staatssekretär des Ministerpräsidenten <in der BRD: dem „Kanzleramtsminister“> Gianni Letta <Forza Italia> „vollständig und einmütig“ das Mandat, die Gewerkschaften einzuladen und umgehend Verhandlungen zu beginnen. Diese sollen im <italienischen Regierungssitz> Palazzo Chigi stattfinden und bis ins Letzte geführt werden – mit der Absicht, die Auseinandersetzung im Laufe weniger Tage (möglichst innerhalb einer Woche) abzuschließen.

 

„Der Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes ist eine Priorität dieser Regierung und bei der nächsten Sitzung des Ministerrates soll die Frage vom Tisch sein“, sagte der stellvertretende Ministerpräsident Gianfranco Fini <AN> während der Sitzung klar und deutlich und traf dabei auf die volle Bereitschaft Baccinis und vor allem Silvio Berlusconis <so zu verfahren>. „Er ist in dem Regierungsprogramm enthalten, für das uns vom Parlament das Vertrauen ausgesprochen wurde. Nun reicht es. Wir müssen uns bewegen“, fügte der Ministerpräsident hinzu, der später sein „persönliches Engagement“ bestätigte, um die Tarifverträge des Öffentlichen Dienstes und des Gesundheitswesens in der kürzestmöglichen Zeit abzuschließen.“

 

Baccini selbst nahm gestern Kontakt zu den Gewerkschaften auf, die seit 16 Monaten auf die Erneuerung des Tarifvertrages warten und dabei sind, endgültig die Geduld zu verlieren. Das Treffen könnte bereits am kommenden Montag <den 9.Mai 2005> stattfinden. Zuvor wird Baccini jedoch mit Siniscalco zusammenkommen, um dasCGIL, CISL und UIL (die die von der Exekutive angebotenen 95 Euro brutto bereits abgelehnt hatten) zu unterbreitende neue Angebot finanziell auszuloten. „Siniscalco ist sicherlich bereit, über diese Ziffer hinauszugehen. Und wenn es die politische Bereitschaft zum Abkommen gibt, bedeutet das, dass auch die finanzielle Bereitschaft vorhanden ist“, sagte Baccini. Siniscalco gerät jedoch nicht aus dem Gleichgewicht und für Berlusconi muss man in Bezug auf die finanzielle Problematik „alles noch sehen“.

 

Müheloser wird den Gewerkschaften eine Bandbreite an Optionen unterbreitet werden, inklusive derjenigen, einen Teil der Belastung durch die Tarifverträge auf den Staatshaushalt 2006 zu verschieben. Damit wird auf die Gliederung der Lohnerhöhungen nach Tranchen, auf die Fristen und auf eine Einmalzahlung gesetzt, ohne von vornherein die Möglichkeit auszuschließen, ab jetzt die Erneuerung der Tarifverträge für den nächsten Zwei-Jahres-Zeitraum (2006-2007) zu versuchen und diese mit der laufenden Auseinandersetzung zu verbinden, die die Jahre 2004-2005 betrifft.

 

Die Regierung ist außerdem bereit, auch der <Industriellenvereinigung> Confindustria ein Signal zu senden, die wegen der Entwicklung der öffentlichen Haushalte besorgt ist, wie ihr Präsident <und FIAT-Aufsichtsratschef> Luca di Montezemolo bekräftigte, aber auch aufgrund der Rückwirkungen, die der Tarifvertrag der öffentlich Bediensteten auf diejenigen des Privatsektors haben könnte. Der stellvertretende Ministerpräsident Giulio Tremonti <Forza Italia> mahnte die Regierung, auch diesen Aspekt zu berücksichtigen. Und es ist wahrscheinlich, dass der Wohlfahrtsminister Roberto Maroni <Lega Nord> im Laufe weniger Tage die allgemeinere Auseinandersetzung um die Arbeitskosten wiederbeleben wird, die durch die geplante Reduzierung der Wertschöpfungsabgabe IRAP neue Anstöße erfahren dürfte, die geeignet ist den Steuer- und Beitragskeil zu beeinflussen.

 

„Wir konnten es uns nicht erlauben, weitere Zeit zu verlieren. Wir haben sowohl in der Sache, bei der es darum geht so schnell wie möglich zu einem Abschluss zu kommen, als auch in der Methode der Auseinandersetzung eine politische Entscheidung getroffen“, erklärt der AN-Minister <und einer der beiden Führer des rechten AN-Flügels „Destra Sociale“ (Soziale Rechte)> Gianni Alemanno. „Wir wollen rasche Verhandlungen“ – fügt er hinzu – „um sie sehr schnell abzuschließen. Die Regierung ist bereit, jeden Moment darüber zu diskutieren. Die Forderungen der Gewerkschaften sind übertrieben, aber wir müssen sie auch in punkto Konkretheit und Verantwortungsgefühl herausfordern.“

 

Mario Sensini

 

 

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