Im Interview mit der großen linksliberalen italienischen Tageszeitung “la Repubblica” vom 23.7.2001 konzentriert sich der Sekretär von Rifondazione Comunista, Fausto Bertinotti, auf die Bewertung der massiven Repression, die die Berlusconi-Regierung gegen die Anti-G8-Demonstranten in Genua angewendet hat:


Bertinotti:

“Der Rechtsstaat ist suspendiert worden”

Barbara Jerkov

ROM - <Der Parteisekretär von Rifondazione Comunista> Fausto Bertinotti gebraucht feurige Worte. Im Zusammenhang mit der gewalttätigen Durchsuchung vorgestern nacht im Hautquartier des Genoa Social Forum (GSF) beklagt er eine “Suspendierung des Rechtsstaates”. Er erwidert auf diejenigen, die ihn beschuldigen, den gewalttätigen Flügel des Protestes flankiert zu haben, indem er von “Momenten der Infamie” spricht. Er bekräftigt die Forderung nach dem Rücktritt des Innenministers (“als Eingeständnis der Tatsache, daß, wenn es wirklich das Ziel der Autoritäten der öffentlichen Sicherheit war, die Unversehrtheit der Bürger und der Demonstranten zu gewährleisten, dies vollständig gescheitert ist”) und kommt dahin, die Notwendigkeit einer parlamentarischen Untersuchungskommission zu vermuten, die Licht in diese blutigen Tage bringt, “da die Gegeninformationsoperation bereits begonnen hat”.

Was vermuten Sie, Herr Sekretär ?

“Es notwendig festzustellen (und das ist eine Aufgabe, die der politischen Diskussion zukommt), ob die in Genua von den Autoritäten getroffenen Entscheidungen nicht in Wirklichkeit auf ein anderes Ziel ausgerichtet waren, das mit der Erhaltung der öffentlichen Ordnung nichts zu tun hat. Nämlich darauf, die Bewegung an der Wurzel zu treffen, sie daran zu hindern zu wachsen und sich zu entwickeln.”

Warum sagen Sie soetwas ? Das Wüten der schwarzen Blöcke war für alle deutlich sichtbar ?

“In diesen Tagen sind Dinge geschehen, die ich in meinem Leben nie gesehen habe - nie !  Ich habe die friedliche Demonstration vom Freitag spontan die Gewalttätigen isolieren sehen, während die Polizei sie gewähren ließ. Ich habe gesehen, wie unser Demonstrationszug <aufgrund von Polizeiangriffen> an mehreren Punkten auseinander brach und sich jedes Mal wieder zusammenschloß, ohne jemals zu reagieren. Ich habe gesehen, wie die Polizei, nachdem sie <den offiziellen Sprecher der Genua Sozial Forums> Agnoletto aufgefordert hatte, die Demonstration aus Sicherheitsgründen aufzulösen, gerade die Gruppen von Demonstranten angriff, die dabei waren nach Hause zu gehen und gleichzeitig den schwarz Gekleideten die Freiheit ließ, alles um sie herum zu verwüsten. Ich habe den Gebrauch von Schußwaffen durch die Ordnungskräfte gesehen - alle haben ihn gesehen. Schlußfolgerung...”

Schlußfolgerung ?

“Aus den konkreten Verhaltensweisen muß man schlußfolgern, daß die Ordnungskräfte nicht das Ziel hatten, die Gewalttätigen zu isolieren, sondern <die Lage insgesamt> zu destabilisieren, um eine wirklich massenhafte und friedliche Demonstration zu verhindern. Das heißt die Wachstumsmöglichkeiten der Bewegung im Ansatz zu zerstören. Das ist etwas Erschreckendes, etwas das Angst macht. Wie die Razzia der vorletzten Nacht bestätigt.”

Die Durchsuchung beim GSF ?

“Ich habe die Bestürzung und Angst erlebt. Wirkliche Angst !  Angst, sich unversehens in einem wirklichen und wahrhaftigen Polizeiregime wiederzufinden. Es ist wie die Suspendierung des Rechtsstaates an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit gewesen. Schlußendlich auch wegen der Umstände der Operation: nachts als alles beendet war und Tausende von Demonstranten bereits abgereist waren. Den Sitz des GSF anzugreifen, hat sodann eine enorme symbolische Bedeutung: So wie die Kammer der Arbeit <= Sitz der Kreisvorstände der großen Gewerkschaftsbünde> in Mailand während eines Arbeiterstreiks anzugreifen. Der Angriff der Polizei hat mit wissenschaftlicher Präzision alles mit hineingerissen: Er hat die anwesenden Abgeordneten mit hineingerissen, die Anwälte, die Ärzte und die Journalisten. Das heißt er hat alle Elemente des Rechtsstaates mithineingerissen: Die Demokratie, die Legalität, die Humanität und das Recht auf Information.”

Es gibt auch jene, die hingegen gerade Sie beschuldigen, nichts getan zu haben, um die Gewalttätigen zu isolieren. Merlo hat Sie im “Corriere della Sera” <= eine der beiden größten überregionalen italienischen Tageszeitungen; hat normalerweise eine vorsichtig linksliberale Tendenz> der “externen Beihilfe zum urbanen Terrorismus” beschuldigt.

“Wenn das der Grund ist, bin ich in guter Gesellschaft. Es werden auch Umweltschützer, Kulturschaffende, ja sogar Priester angegriffen... Das sind Momente der Infamie, die der Aggressivität derjenigen entspringen, die sich weigern, ein auftauchendes Phänomen zur Kenntnis zu nehmen. Das Ziel dessen bin nicht ich, sind nicht wir. Es ist ein ganzer politisch-kultureller Bereich.”


Vorspann, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover