Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Die unabhängige, linke italienische Tageszeitung „il manifesto erschien am 15.2.2007 mit einem ungewöhnlichen Editorial. Angesichts der von den bürgerlichen Medien des Landes – im Gefolge der Polizeirazzia am 12. Februar – betriebenen, fröhlichen Hatz auf angebliche Mitglieder, Unterstützer und Sympathisanten der „neuen Roten Brigaden“ wartete der Chefredakteur von „il manifesto, Gabriele Polo, mit einem „Geständnis“ auf, dass der Linken hierzulande nicht unbekannt bleiben sollte:

 

Editorial:

 

Das Geständnis

 

Gabriele Polo

 

Ich kenne Vincenzo Sisi, den Mann mit der im Garten vergrabenen Kalaschnikow, der beschuldigt wird, ein führender Terrorist zu sein. Vor einigen Jahren haben wir zusammen mit ihm und anderen Arbeitern und Gewerkschaftern) in Turin eine Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit von Arbeitern gegründet, um der industriellen Krise jener Stadt zu begegnen und – mit einer lokalen Zeitung – der, durch Betriebsschließungen, Verkäufe und Verlagerungen zum Schweigen gebrachten, Arbeit wieder eine Stimme zu verleihen. Als er von seinem Betrieb entlassen wurde, haben wir ihm geholfen, über die Runden zu kommen bis er eine neue Arbeit fand. Das gestehe ich. Muss ich mich jetzt als ein Unterstützer (fiancheggiatore) der neuesten Ausgabe der Roten Brigaden betrachten? Denken, dass ich objektiv ein „Terrorist“ bin? Fragen, die ich mir niemals gestellt hätte (ich bitte um Entschuldigung für die erste Person Singular !), wenn in den letzten Tagen nicht ein Klima wie im Ausnahmezustand geschaffen worden wäre, dass zu einer Gleichsetzung zwischen den strafrechtlichen Vergehen Einiger (die festzustellen und zu beweisen sind !) und dem sozialen Konflikt führt.

 

Die Entdeckung einer bewaffneten Gruppe, die derart verschwommenen ist, dass sie über irgendwelche Medienberichte zusammenkonstruiert wird und die Grenzen dieser Gruppe dabei verschwimmen, wird in einen kriminellen Notstand verwandelt, in den dann alles hineingekippt werden kann: von den Pfarrern in Val di Susa <die mit großen Teilen der Bevölkerung gegen den Bau einer Strecke für den Hochgeschwindigkeitszug TAV protestierten> bis zur Gewerkschaft, von den Centri Sociali bis zu den Bürgern von Vicenza <die gegen den Ausbau der US-Militärbasis kämpfen>. Nicht juristisch, aber politisch. Die Gleichung ist simpel: Da die „neuen“ (wirklichen oder angeblichen) Terroristen sich an einigen politischen Orten bewegten, ist jeder Besucher dieser Orte ein möglicher Terrorhelfer. Jeder, der gegen Ideen und Sachen kämpft, die diese bewaffneten Menschen als „Ziele“ betrachten, wird objektiv zum Komplizen. Also muss Schluss sein mit der Kritik. Der Konflikt wird zu einem Gewässer, dass trocken zu legen ist und am Ende ist die einzig mögliche Politik die institutionelle.

 

Wie soll man die Medienoffensive sonst verstehen, die der Linken seit Tagen sagt: „Sicher, Ihr seid keine Terroristen, aber Eure Politik, Eure Parolen ermöglichen die Wiedergeburt des Terrorismus“? Und dann das Alarmschlagen von <Innenminister> Amato, die Aufforderungen von <Vize-Regierungschef> Rutelli zu polizeilicher Strenge, die grauenvolle Schließung der Schulen in Vicenza am Samstag aus Gründen der öffentlichen Ordnung? Gefordert wird nicht so sehr die Denunzierung von Verdächtigen bei der Justiz (wie es in den 70er und 80er Jahren der Fall war), sondern dafür zu sorgen, dass die Ideen suspekt werden und dass ein für allemal auf den sozialen Konflikt als Teil der demokratischen Auseinandersetzung verzichtet wird.

 

Die am vergangenen Montag Festgenommenen, diejenigen, die sich jetzt zu „politischen Gefangenen“ erklären, sind keine Aliens, die die linken Bewegungen, Parteien und Organisationen infiltriert haben. Es sind Leute, die den auf offenem Feld ausgetragenen sozialen Konflikt als unzureichend oder machtlos betrachten, die nicht mehr an die politische Partizipation glauben, weil ihnen die Politik als undurchdringlich für die Gesellschaft erscheint und eine andere, falsche und potentiell kriminelle Politik erfinden. Die bekämpft man nicht dadurch, dass man alle auffordert zu Hause zu bleiben und zu schweigen, sondern indem man der Radikalität derjenigen, die sich widersetzen Gehör schenkt, die Beteiligung preist und die Delegierung auf ihre natürlichen Grenzen als ein Teil des politischen Spiels reduziert. Und indem man die Justiz ihre Arbeit bezüglich der strafrechtlichen Verantwortlichkeiten machen lässt, die in einem Rechtsstaat persönliche Verantwortungen sind.

 

Kein politischer oder medialer Krieg gegen den Dissens und den sozialen Konflikt ist in der Lage Frieden zu schaffen. Und es wird sich immer einer finden, der mit seinen kleinen Kriegen jene größeren imitieren will, die bei der Regierung der Welt die Politik ersetzt haben. 

 

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Gewerkschaftsforum Hannover