Gewerkschaftsforum Hannover:

 

Zwei Mobilisierungen sollen den (linken) außerparlamentarischen Bewegungen im November neue Energie verleihen und die Entscheidungen der mitte-linken Regierung Prodi zum Thema Prekariat und Frieden im Mittleren Osten in ihrem Sinne beeinflussen. Dass es dazu kommt, ist allerdings eher unwahrscheinlich, zeigt doch die Entwicklung in der Vorbereitungsphase bereits den tiefen Riss der durch die Bewegungen geht, die sich jeweils in Gemäßigte und Radikale bzw. regierungsnahe Kräfte (ARCI, die CGIL-Branchengewerkschaften für den Öffentlichen Dienst – FP – und für Kommunikation – FLC – , die Regierungspartei Partito della Rifondazione Comunista etc.) und die antagonistische Linke (Cobas, CUB, CGIL-Linke, Disobbedienti, PCL, Progetto Comunista...) spalten. Völlig zu recht ist von einer “Krise der Bewegung” die Rede und demobilisieren große Teile des Gewerkschaftsbundes CGIL ganz offen, was die landesweite Anti-Prekariats-Demo am 4. November 2006 in Rom anbelangt.

 

In Sachen 4 / 11 vollzog sich das Drama bisher in drei Akten: 1. Akt, Anfang Juli 2006: Die große Bündnisversammlung beschließt eine umfassende, eigenständige und regierungskritische Mobilisierung. 2.Akt, Anfang / Mitte Oktober: Nach und nach wird deutlich, dass zahlreiche, “gemäßigte” Organisationen ihrer “befreundeten Regierung” doch nicht weh tun und die Mobilisierung daher inhaltlich in einen obsoleten Protest gegen die längst abgelöste Regierung Berlusconi und deren Gesetze verwandeln wollen, also faktisch in eine Claqueurs-Veranstaltung für die amtierende Regierung. Dagegen regt sich Widerstand der Cobas und der Disobbedienti. Die CGIL-Metallarbeitergewerkschaft gerät im Niemandsland zwischen beiden Lagern zunehmend unter Druck. 3.Akt, Ende Oktober: Nach dem Erscheinen des Mobilisierungsflugblattes der Cobas, in dem Arbeitsminister Damiano (DS) und die CGIL-Spitze scharf angegriffen werden, vergessen die “Moderaten” kurzerhand alle Regeln der Aktionseinheit bzw. Einheitsfront (z.B. das Recht auf Kritik- und Propagandafreiheit der Bündnisteilnehmer), treten eine Hetzkampagne los und betreiben offen die Spaltung und Demobilisierung.

 

Wir schenken uns den 1.Akt und steigen gleich im wesentlich spannenderen und aussagekräftigeren 2.Akt ein, den die unabhängige (aber auch recht hin- und her gerissene) linke Tageszeitung “il manifesto in zwei Artikeln zusammenfasste. Der erste erschien am 12.10.2006.

 

Warnung an Prodi: Stopp die Prekarität !

 

Am 4. November gegen die Prekarität. Die Beteiligung der FIOM ärgert den Sekretär der CGIL Piemont: Rinaldini täte besser daran sich mit seiner Branche zu beschäftigen.”

 

Manuela Cartosio

 

Die nationale Manifestation “Stop precarietà, ora!” (Stoppt die Prekarität jetzt!”), die am Samstag, den 4.November in Rom stattfindet, wird um 14:30 Uhr auf der Piazza della Repubblica starten. Es ist die erste Massenaktion der Kampagne gegen die Prekarität, die von der radikalen Linken initiiert wurde: ARCI, PRC, Basisgewerkschaften, FIOM, <der gemäßigtere Teil der CGIL-Linken> Lavoro e Società, <der radikalere Teil der CGIL-Linken> Rete 28 Aprile, große Teile der CGIL Funzione Pubblica und der <Bildungsgewerkschaft> CGIL Scuola (mit den jeweiligen nationalen Sekretären Podda und Panini an der Spitze). Außerdem viele Vereine und Verbände und Tausende von Einzelpersonen.

 

Die Plattform der Demonstration hat den Vorzug der Eindeutigkeit: Abschaffung der drei symbolischen Gesetze der Prekarität der Ära Berlusconi (Gesetz Nr. 30, Bossi-Fini-Einwanderungsgesetz, Moratti-Bildungsreform); eine neue Gesetzgebung, die die grundlegenden Arbeits- und Bürgerrechte garantiert; zentrale Rolle des unbefristeten Arbeitsvertrages mit der Festanstellung der prekär Beschäftigten in der öffentlichen Verwaltung und der Wiedereingliederung outgesourcter Arbeit; soziale Rechte und universelle Formen der Garantie des Einkommens. Forderungen, die die Mitte-Links-Regierung bislang unerledigt ließ. Daher interpretieren Einige die Demonstration in Rom als die erste gegen die Regierung Prodi. Andere, die sich mit den symbolischen Umverteilungen des Haushaltsgesetzes nicht zufrieden geben, werden auf die Straße gehen, um der Regierung einen weniger glanzlosen und in Sachen Prekarität einschneidenderen Weg zu weisen.

 

Die Beteiligung der FIOM an der Demonstration hat im Hause CGIL zu Gegrummel geführt. Das kam gestern in Turin ans Licht. Im Colosseo-Kino hielten etwa tausend Delegierte der piemontesischen FIOM mit Blick auf die Demonstration am 4. November eine Versammlung ab. Dabei war auch der nationale Sekretär Gianni Rinaldini. An ihn war die vergiftete Bemerkung gerichtet, die Vincenzo Scudiere (Sekretär der CGIL Piemont) auf der Versammlung fallengelassen hatte. Sie wird so wiedergegeben: “Ich hoffe, dass der Sekretär der FIOM in seinem Elfenbeinturm bemerkt hat, dass die CGIL seit langem – mit der Initiative gegen die Schwarzarbeit und vor allem mit der Aktion gegen die Sklaverei am 21.Oktober (gemeint ist die Demonstration, die CGIL, CISL und UIL in Foggia durchführen wollen; Anm.d.Red.) – im Kampf gegen die prekäre Beschäftigung aktiv ist. Es wäre besser, wenn sich der Sekretär der Metallarbeiter mit den Bedingungen der Beschäftigten seiner Branche beschäftigen würde, die nicht die besten sind.”

 

Rinaldini hat den Angriff auf seine Person ignoriert. Er machte die Gründe für die Beteiligung der FIOM an der Kampagne und der Manifestation gegen die Prekarität deutlich. “Wir wollen, dass – über das Gesetz Nr. 30 hinaus – die gesamte Arbeitsgesetzgebung verändert, das unbefristete Arbeitsverhältnis wieder in den Mittelpunkt gestellt und klargestellt wird, unter welchen außergewöhnlichen Bedingungen zu anderen Typologien gegriffen werden kann.” Ins Detail gehend bekräftigte der Sekretär der FIOM die Forderung, dass die CGIL ihre Unterschrift unter die gemeinsame Erklärung bezüglich der Call Center zurückzieht: “Es ist kein gutes Vorzeichen für den Beginn der Auseinandersetzung mit der Regierung, wenn man sich mit einem Abkommen über ein Gesetz präsentiert, dass wir ändern wollen.”

 

Der Sekretär der Turiner FIOM, Giorgio Airaudo, antwortete nüchtern auf Scudieres Prahlerei: “Ich erwarte, dass der Sekretär der CGIL Piemont der Sekretär der gesamten CGIL ist.” “Ich hoffe, dass Scudieres Äußerung eine lokale Episode bleibt”, fügt Airaudo “il manifesto gegenüber hinzu – “ein Stilbruch, ein Versagen der Nerven”. Unerklärlich, “weil der CGIL eine Demonstration gefallen sollte, die dasselbe fordert, was sie auf ihrem letzten Kongress beschlossen hat.”

 

Das Haushaltsgesetz wird sich notgedrungen auf die Manifestation vom 4. November auswirken. Auch was das anbelangt, decken sich die Positionen innerhalb der CGIL nicht. Rinaldini nimmt zur Kenntnis, dass das Haushaltsgesetz die Löhne nicht belastet. Ein Manöver, dass “alle zwei Stunden geändert wird”, haut ihn allerdings nicht um. Das Rete 28 Aprile lehnt eine Haushaltspolitik, die den wirtschaftsliberalen Kurs nicht umkehrt, ab. Lavoro e Società sieht mehr Schatten als Licht und fordert substanzielle Verbesserungen. CGIL-Generalsekretär Guglielmo Epifani bekräftigt sein positives Urteil, “auch wenn es Punkte gibt, an denen es korrigiert werden kann”.

 

 

Der zweite Artikel erschien in “il manifesto vom 19.10.2006:

 

“Stoppt die Prekarität jetzt!” organisiert sich. Polemik über die “befreundete Regierung”

 

Versammlungen und Treffen in ganz Italien, um den 4. November vorzubereiten. Die Disobbedienti drohen mit Ausstieg. Die Erwiderung: “Der Plattform haben alle zugestimmt. Es wird keine sozialpartnerschaftliche Demo.”

 

Die Maschinerie von “Stoppt die Prekarität jetzt!” ist angesprungen und am 4. November um 14:30 Uhr könnten auf der Piazza delle Repubblica etliche Tausend Leute zusammenkommen. Ein Prüfstein für die Bewegung von der Gewerkschaft bis zu den Verbänden und den Parteien, die an der Organisation mitwirken. Es mangelt allerdings nicht an Polemiken. Das zentrale Problem ist das Verhältnis zur Regierung, wobei nicht verborgen bleibt, dass seit der Versammlung am 8.Juli im Teatro Brancaccio einige Monate vergangen sind und es inzwischen das Haushaltsgesetz gab. Das – wenn auch mit einigen Vorbehalten – von der CGIL und (selbstverständlich) von Rifondazione als Regierungspartei unterstützt wird. Rifondazione Comunista (PRC) und ein großer Teil der CGIL werden allerdings auch auf die Straße gehen und sind im Begriff eine “Opposition” zu organisieren, zumindest was die Punkte der Plattform angeht (Abschaffung des Gesetzes Nr. 30, der Moratti-Reform, des Bossi-Fini-Gesetzes und Schließung der <Flüchtlingssammellager> CPT). Gestern sorgte eine bezahlte Anzeige eines Teils der Disobbedienti für eine Polemik: Ihr geht auf die Straße, aber in Wirklichkeit seid Ihr an der Regierung. Das ist alles Theater und wenn dem so ist, werden wir nicht daran teilnehmen.

 

Luca Casarini erläutert, dass “man am 8.Juli Druck auf eine gerade erst gebildete Regierung ausgeübt hat, während die Entscheidungen heute getroffen und alle gegen die schwächsten Gruppen und die Migranten gerichtet sind. An diesem Punkt kann man nicht auf die Straße gehen, ohne klar und deutlich zu sagen, dass unser Gegenpart die Regierung Prodi ist, weil sie neoliberale Politik praktiziert. Warum schließen sie die CPT nicht? Warum stimmen sie für die Entnahme von DNA <für den genetischen Fingerabdruck> bei allen Festgenommenen? Warum kürzen sie im öffentlichen Schulwesen? Kann man im Parlament für das Haushaltsgesetz votieren und gleichzeitig auf die Straße gehen? Unserer Meinung nach nicht.” Casarini polemisiert vor allem gegen den PRC: “Nach der befreundeten Regierung” – erklärt er – “möchten sie jetzt die befreundete Piazza haben, die im Land ihren Ansprechpartner macht.” Für Maurizio Zipponi, den arbeitsmarktpolitischen Verantwortlichen des PRC <und Mitglied des 9köpfigen Nationalen PRC-Sekretariats> “ist es durchaus kein Widerspruch Teil der Regierungsmehrheit zu sein und daran zu arbeiten die Dinge auch ausgehend von der Mobilisierung zu verbessern. Im Gegenteil, ohne Mobilisierung kann man die Kräfteverhältnisse nicht verschieben. Nehmen wir ein Beispiel: Dank des Drucks der radikalen Linken haben 520.000 Immigranten heute eine Antwort, sind sie legalisiert, während Berlusconi sie  vom freien Personenverkehr ausgeschlossen hatte. Ich weiß sehr gut, dass das Bossi-Fini-Gesetz nicht abgeschafft ist und dass es keine Schließung der CPT’s gibt. Aber wir wissen alle, dass wenn Du ein gutes Ergebnis erzielt hast, Du davon ausgehend versuchst noch mehr zu erreichen: Jetzt arbeiten wir daran das unbefristete Arbeitsverhältnis wieder in den Mittelpunkt zu rücken – in den Institutionen und auch in der Zivilgesellschaft. Viele von uns, die heute im Parlament sitzen, haben eine Geschichte als Aktivisten auf dem Buckel. Und die Gewerkschafter, die Umweltschützer und die Pazifisten wollen vor allem Resultate. Nur zu schreien bringt nichts, man muss Vorschläge machen.”

 

Für die FIOM spricht das Mitglied ihres nationalen Sekretariats Francesca Re David: “Wir glauben daran und tun was möglich ist, um dabei zu sein und um zahlreich zu sein. Das Problem ist nicht, unterschiedliche Positionen zu haben, wie es in der Tat in punkto Regierung oder Haushaltsgesetz der Fall ist, sondern eine Plattform zu teilen, die äußerst aktuell bleibt. Wir sind alle für die Abschaffung des Gesetzes Nr. 30, der Moratti-Reform und des Bossi-Fini-Gesetzes und man kann nicht alles blockieren, weil wir unterschiedliche Sichtweisen des Haushaltsgesetzes haben. Wenn wir in allen Dingen einer Meinung wären, wäre das wirklich eine merkwürdige Demokratie.”

 

Giorgio Cremaschi vom Rete 28 Aprile der CGIL <und faktisch die Nr.2 der FIOM-Führung> erklärt, dass “sich die Glaubwürdigkeit der Bewegung an den konkreten Kämpfen mißt und es ist falsch den Intentionen den Prozess zu machen. Diese Plattform ist hochaktuell, weil die Regierung demonstriert hat, dass sie das Gesetz Nr. 30, die Moratti-Reform und das Bossi-Fini-Gesetz nicht abschaffen will. In diesen Punkten ist unsere Gegenseite klar und deutlich. Da reichen wenige Beispiele: das Damiano-Rundschreiben zum Thema Call Center, das die CoCoPro’s <Scheinselbständigen> institutionalisiert, das von Amato vorgelegte Dekret bezüglich der Immigranten oder die Tatsache, dass sie die CPT nicht schließen wollen. Und was mache ich jetzt, wo es unterschiedliche Vorstellungen in punkto Haushaltsgesetz gibt? Gehe ich nicht auf die Straße? Im Gegenteil: Die Stärke von Genua lag gerade darin, obwohl man von unterschiedlichen Positionen ausging.”

 

Piero Bernocchi von den Cobas erklärt, dass “die Disobbedienti sich mehr beteiligen als attackieren sollten. Bei der Demonstration gegen den Hochgeschwindigkeitszug TAV und gegen die Brücke über die Meerenge von Sizilien waren sie auf der Piazza und von der Bühne herunter haben Vertreter der Regierung gesprochen. Am 4. November dagegen wird keiner von der Regierung sprechen, während es Leute geben wird, die von der Bühne das Haushaltsgesetz, das Prekäre umbringt, und das Damiano-Rundschreiben angreifen werden. Diese Demonstration ist alles andere als sozialpartnerschaftlich und das werden wir klar und deutlich sagen.”

 

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung, Hervorhebungen und Einfügungen in eckigen Klammern:

Gewerkschaftsforum Hannover