Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die
Rückflussphasen sozialer Bewegungen und Kämpfe nutzen bürgerliche Regierungen
und Justiz gern zur Repression gegen die Reste der sozialen Opposition, um ein
Wiederaufleben zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Genau dieses
Phänomen ist derzeit in Italien zu beobachten und nimmt teilweise krasse Formen
an, auf die die vor allem von linken Jugendlichen, Erwerbslosen, Frauengruppen
und prekär Beschäftigten getragenen centri sociali (Soziale Zentren)
Nordostitaliens und dem Norden Mittelitaliens (Bologna, Rimini + Reggio Emilia) mit dem folgenden Positionspapier
antworten. Bekanntester Sprecher und ein selbst von der Repression massiv
Betroffener ist übrigens Luca Casarini
von den autonomen Disobbedienti (Ungehorsamen).
Wir
entnahmen das Papier der Homepage des linken Flügels von Rifondazione Comunista
Padua und Venetien (www.pane-rose.it),
wo es am 12.6.2005 erschien. Es wurde kurz zuvor allerdings auch schon
auf Indymedia Italien veröffentlicht.
Aus den sozialen Räumen
Nordostitaliens über die Repressionswelle in ganz Italien
Die in den letzten Wochen
von verschiedenen italienischen Staatsanwaltschaften (von Bologna bis Lecce und
von Rom bis Cagliari) eingeleitete Welle von Ermittlungen, Durchsuchungen und
Verhaftungen stellt in ihrer Gesamtheit einen äußerst gravierenden Akt für die
Meinungs- und Bewegungsfreiheit in Italien dar. Zuallererst ist festzustellen,
dass diese Welle mittlerweile alle Teile der antagonistischen,
gewerkschaftlichen, alternativen, libertären, Friedens- und antirassistischen
Bewegungen betrifft.
Was derzeit geschieht, ist
sicherlich nichts Neues, wenn wir an das kontinuierliche Tröpfeln
inquisitorischer und repressiver Akte gegenüber den Bewegungsnetzwerken in
diesem Land denken und allgemeiner gegenüber jedem, der es im Panorama der allgemeinen
Verschlechterung der sozialen und finanziellen Lebensbedingungen gewagt hat,
Protestformen (wie den Streik) zur Verteidigung der Rechte Aller einzusetzen.
Was allerdings mehr beunruhigt, ist die mittlerweile übliche Anwendung der
erschwerenden Tatbestände, die sich aus den Gesetzen über die
Vereinigungsdelikte und den Umsturz der demokratischen Ordnung (Subversion)
ergeben, seitens einiger Staatsanwaltschaften.
Diese Praxis ist aus zwei
Gründen gravierend:
Der erste ist der Charakter
dieser Gesetzesartikel, die ein Erbe zunächst des Faschismus und dann des
Ausnahmezustandes <der
70er bis Anfang 80er Jahre> sind und
der die ganze Gewalttätigkeit und den Autoritarismus eines Staates zum Ausdruck
bringt, der unfähig ist, den Druck der Bewegungen von unten in einer Epoche
großer und widersprüchlicher Veränderungen sowie einer offenkundigen globalen
Krise des kapitalistischen Systems zu deuten. Die in Bologna laufenden
Ermittlungen gegen die Aktivisten des <Aktionstages> San
Precario <Anfang
November 2004>, die schuldig sind,
öffentlich mittlerweile weit verbreitete Praktiken der freien Zirkulation von
Wissen und Kultur vorzuschlagen und darüber hinaus eine andere, universelle und
nicht privatistische Form des Bildungsverständnisses, sind ein eklatantes
Beispiel dafür. Oder die Ermittlungen und die in Rom, Padua, Venedig und Neapel
wegen der Kämpfe für das Recht auf eine Wohnung (die in „kriminelle
Vereinigungen“ umgewandelt wurden) geforderten Haftbefehle. Und desweiteren in
den Fällen, in denen der Tatbestand des Widerstandes und der Sachbeschädigung
in den sehr viel schwerwiegenderen der „Plünderung und Verwüstung“ verwandelt
wurde.
Der zweite Grund betrifft
die wiederholte Praktizierung dieser Maßnahmen, die – der Laune dieses oder
jenes Staatsanwaltes (der den Einflüsterungen der Ermittler mehr oder weniger
folgte bzw. mehr oder weniger stark auf mediale Aufmerksamkeit erpicht war)
entsprechend – in schizophrener Weise eingesetzt wurden. In der übergroßen
Mehrheit der Fälle erweist sich der Einsatz der erschwerenden Tatbestände einer
umstürzlerischen Zielsetzung bereits in der Phase der Voruntersuchungen als
völlig unbegründet und bar der geringsten Glaubwürdigkeit oder wird dies tun.
Glücklicherweise – würden wir sagen – wenn der Einsatz solcher Erschwerungsgründe
eine Anzeige wegen eines geringfügigen Deliktes (manchmal sogar einer
schlichten Verunzierung <einer
Wand>) nicht in einen regelrechten
juristischen Leidensweg verwandelt würde, der Jahre dauert und oftmals zu
schwerwiegenden Einschränkungen der persönlichen Freiheit führt.
Die Ermittlungen gegen die Genossen
aus Salento, die zum größten Teil in jenem Kultur- / Zivilisationskampf aktiv
waren, der gegen die berüchtigten Sammellager <für Flüchtlinge> (CPT) protestiert, wo der Einsatz radikaler Kampfformen, die aber auch
von Tausenden und Abertausenden Menschen in ganz Italien geteilt werden, gerade
unter Rückgriff auf die Notstandsgesetze übermäßig kriminalisiert wird, sind
ein ansehnliches Beispiel dafür. Genauso wie der Prozess gegen die Genossen in
Cosenza wegen „politischer Konspiration gegen den Staat“ mit Sicherheit ein
exemplarischer Fall für diese Praxis ist.
Im Fall der Verhaftungen in
Lecce gibt es einen weiteren Aspekt, der ganz und gar nicht zweitrangig ist und
unserer Ansicht nach das Instrumentelle beim Einsatz dieser erschwerenden
Tatbestände zu massenmedialen Zwecken zeigt: Die Erfindung des anarcho-insurrektionalistischen
<d.h.“anarcho-auständischen“> Ungeheuers, deren letztendlicher Zweck die
politische Delegitimierung einer realen sozialen Opposition gegen Strukturen
ist, die sich als wirkliche und wahrhaftige Lager erwiesen haben, um die
Migranten zu kontrollieren und einzusperren, d.h. das schwächste Glied der
mittlerweile langen Kette der prekären Beschäftigung in Italien.
Nach dem Muster der
Schaffung von „Ungeheuern“ gelangt man sogar zum Paradox von Ermittlungen ohne
Vorliegen einer Straftat. So geschehen im Fall der Verhaftungen von Mitgliedern
einer italienischen marxistisch-leninistischen Gruppe, aufgrund eines Rechtshilfeersuchens
in Frankreich, <des
im Umfeld der CARC entstanden klandestinen „Neuen PCI“>, die sich (auf vollkommen theoretische Art) der
Verbreitung von Parolen und Tageslosungen schuldig gemacht haben, die auf den
Umsturz der bestehenden Ordnung anspielen. Ein Meinungsdelikt also, das genutzt
wird, nicht um über diejenigen zu sprechen, die das Opfer dieser Ermittlungen
sind, sondern über deren Urheber.
Angesichts all dessen
glauben wir als Aktivisten, die tagtäglich versuchen, ein würdiges Leben für
Alle zu erkämpfen und die sich hiermit unterschiedslos an alle Teile der
Bewegungen gegen den Krieg, den Rassismus und den ökonomischen Neoliberalismus
wenden, dass es nunmehr unumgänglich ist, die Repressionsfrage und den Einsatz
der Vereinigungsdelikte in einer kollektiven Anstrengung der Klärung,
Entmystifizierung und der Mobilisierung anzugehen, die mindestens 4 Ziele
verfolgt:
-
Jene
Staatsanwaltschaften zu denunzieren, zu demaskieren, und öffentlich anzugreifen,
die zulange schon auf Kosten derjenigen in diesem Land leben, die gezwungen
sind zu kämpfen, um zu versuchen ein Leben zu verändern, das ohne soziale
Auseinandersetzungen von der Macht des Krieges, der Wirtschaftskrise, der
Anmaßung und des Rassismus beherrscht würde.
-
Druck auf die politische
Welt in allen ihren Teilen auszuüben, damit sie eine soziale und finanzielle
Realität zur Kenntnis nimmt, den zu vielen und instrumentellen Stellungnahmen
zu Themen wie der Amnestie und dem Straferlass <endlich>
Taten folgen lässt und die Streichung absurder Instrumente (wie den
Notstandsgesetzen und den Gesetzen über die Vereinigungsdelikte) aus dem
Strafgesetzbuch vorschlägt <d.h. ins Parlament einbringt>.
-
Der Gesellschaft
insgesamt und in ihrer gegenwärtigen Komplexität mitzuteilen und begreiflich zu
machen, dass der Einsatz dieser Gesetze darauf abzielt, die Möglichkeit eines
Jeden zu reduzieren, sich gegen falsche und antisoziale Entscheidungen zu
wehren und somit begreiflich zu machen, dass das, was heute Deinem Nachbarn
widerfährt, morgen Dir passieren könnte und dabei einen echten Ausstieg aus den
journalistischen Mystifizierungen zu versuchen, die die soziale
Auseinandersetzung auf eine Frage von „Militanten“ reduzieren, die ihrerseits
unwiederbringlich in „Gruppen“ unterteilt werden.
-
Kampfkampagnen
gegen die soziale Kontroll- und Repressionsmaschine zu starten und dabei alle
ihre Räderwerke zu erfassen, vom öffentlichen und privaten System der
Gefängnisse und der Lager für Migranten bis hin zu den digitalen, Video- und
Audio-Überwachungsvorrichtungen.
Auf der Grundlage dieser
kurzen Reflektionen bekunden wir allen Verhafteten und Verfolgten ohne
Unterschied unsere Solidarität und lehnen jede Gruppen- oder
Zugehörigkeitslogik, die auf künstliche Spaltungen in Gute und Böse abzielt,
ab.
Centro Sociale Occupato (CSO) RIVOLTA Marghera – Laboratorio Occupato (Besetztes
Laboratorium) Morion Venedig – CSO PEDRO Padua – TPO Bologna – AQ 16 Reggio
Emilia – Laboratorio Occupato Paz Rimini – Casa delle Culture (Haus der
Kulturen) Triest – Officina Sociale (Soziale Werkstatt) Monfalcone –
CSO Clandestino Gorizia
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover