Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Bei den innerlibanesischen Gegensätzen, die Israel, die USA und auch die EU-Mächte BRD, Frankreich, Großbritannien und Italien im jüngsten Libanon-Konflikt bislang nicht wirkungsvoll für ihre Zwecke nutzen konnten, handelt es sich nicht um sektiererische, d.h. Gegensätze zwischen den Religionsgemeinschaften, sondern um politische und soziale Widersprüche, die den Libanon (mit Ausnahme der Schiiten) quer zu den Communities spalten. Das zeigt nicht zuletzt die Position der größten Partei der libanesischen Christen – des Free Patriotic Movement (FPM) des ehemaligen Generals Michel Aoun – die mit der Hisbollah verbündet ist. In einem Interview für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (www.faz.net) vom 11.9.2006 legte Aoun seine Sicht der Dinge dar.

 

Der christliche libanesische Oppositionspolitiker Michel Aoun über die Hizbullah und den Unifil-Einsatz

 

„Der Krieg hat die nationale Einheit gestärkt“

 

General Michel Aoun ist der populärste christliche Politiker des Libanons. Seine „Freie Patriotische Bewegung“ ist als einzige große Partei nicht in der Regierung vertreten. Aoun ist damit der wichtigste Oppositionspolitiker. Er hat gute Chancen, neuer Staatspräsident zu werden, wenn im nächsten Jahr das Mandat von Emile Lahoud ausläuft. Der 1935 in Beirut geborene Aoun wurde 1984 Oberbefehlshaber der Armee, 1989 rief er einen „Befreiungskrieg gegen Syrien“ aus, das mehr als 35.000 Soldaten im Libanon stationiert hatte. Seine Niederlage zwang ihn ins Exil nach Paris. 2005 kehrte er zurück. Aufsehen hatte im Februar 2006 sein Treffen mit dem Generalsekretär der Hizbullah, Nasrallah, erregt. Mit Aoun sprach in Beirut Rainer Hermann.

 

 

 

Herr General, was hat der jüngste Libanon-Krieg verändert?

 

„Das war eine Aggression Israels gegen den Libanon und ein Krieg gegen alle Libanesen. Bis zur Aufhebung der Blockade hat die Aggression gedauert, wobei die Blockade ja gegen das internationale Recht verstoßen hatte. Dabei hat Israel sein wahres Gesicht entlarvt. Denn es ist das einzige Land, das internationale Entscheidungen nicht respektiert. Wir hoffen, dass dieser Krieg in der internationalen Politik etwas in Bewegung bringt. Im Libanon hat der Krieg das Gleichgewicht der politischen Kräfte nicht verändert. Lediglich ist die Popularität der Hizbullah gewachsen, weil sie gegen die mächtigste Armee der Region Widerstand geleistet hat. Der Krieg hat die nationale Einheit gestärkt.“

 

Den Krieg hat doch aber die Hizbullah mit der Entführung von zwei israelischen Soldaten ausgelöst?

 

„Wer für sein eigenes Land gegenüber einem fremden Aggressor Widerstand leistet, ist kein Terrorist. Die Staatengemeinschaft hat durch den UN-Sicherheitsrat aber eine kleine Operation, die zwei israelische Soldaten gefangennahm, verurteilt und als Akt des Terrors qualifiziert. Dabei war es doch eine rein militärische Handlung gegen eine israelische Kampfpatrouille. Als Israel die Libanesen bombardierte und Tausende von Zivilisten tötete, enttäuschte es uns, dass diese Handlungen nicht auch verurteilt worden sind. Niemand verurteilte den Einsatz von Streubomben und Schwefelbomben durch Israel. Israel hätte zumindest die Regeln des Krieges und der Genfer Konvention respektieren müssen. Seine Armee zerstörte aber mit Unverhältnismäßigkeit unsere Infrastruktur und tötete Zivilisten.“

 

Im Februar hatten Sie im Namen Ihrer „Freien Patriotischen Bewegung“ mit der Hizbullah eine Erklärung zu den Punkten unterzeichnet, in denen Sie einer Meinung sind. Hat der Krieg Ihre Einstellung zur Hizbullah verändert?

 

„Als ich im Mai 2005 nach 14 Jahren Exil in dieses Land zurückkam, wollte ich die Politik des Konflikts zwischen den Gruppen des Libanons verändern und zu einer Politik des gegenseitigen Verstehens kommen. In diesem Sinne entwickelten wir mit der Hizbullah ein Rahmendokument (Memorandum of Understanding), um umstrittene Punkte zu lösen. Die Regierung wies das Dokument zurück. Da begriff ich, dass ihr an einer friedlichen Lösung im Libanon nicht gelegen war.“

 

Was halten Sie von der Resolution 1559 des UN-Sicherheitsrats, in der die Entwaffnung der Hizbullah gefordert wird?

 

„Verlangt wird von uns, dass wir den Widerstand aufgeben, dass die Hizbullah ihre Waffen an die libanesische Armee abliefert und dass wir die Grenzen zu Israel sichern. Jetzt sollten wir einen rechtlichen Ansatz zu allen Problemen entwickeln, die Israel und den Libanon betreffen. Etwa zu den Shebaa-Farmen und den libanesischen Gefangenen in israelischen Gefängnissen, um der Hizbullah den Vorwand für ihre Waffen zu nehmen. Dann werden die Hizbullah-Kämpfer in die nationale Verteidigungsstrategie integriert. Sollten die Regierung und die Staatengemeinschaft diesem Ansatz nicht folgen, würde das bedeuten, dass sie nicht an einer friedlichen Lösung interessiert wären und Krieg vorzögen, auch dass Israel die Shebaa-Farmen, unter denen sich die zweitgrößten Wasservorkommen der Region befinden, annektieren will.“

 

Sie beanspruchen für 75 Prozent der libanesischen Christen zu sprechen.

 

„Auch unter den Muslimen bin ich populär. Eine neue Umfrage widerlegt die Behauptung, ich hätte unter den Sunniten keine Unterstützung. Unter den Schiiten habe ich sehr viele Anhänger, mehr als ich je erwartet hätte. Bei der Parlamentswahl im Sommer 2005 hatten alle drei großen Gruppen jeweils ein Drittel der Stimmen erhalten. Hariri und seine Verbündeten bekamen aufgrund des Wahlgesetzes aber 72 Abgeordnete, die schiitischen Parteien Amal und Hizbullah 34, meine Freie Patriotische Bewegung nur 21 Sitze. Die Mehrheit der Stimmen steht so gegen eine Mehrheit von Mandaten.“

 

Was würden Sie, wären Sie an der Regierung, anders machen?

 

„Ich würde zu den Vereinten Nationen gehen und sagen, dass wir ein Recht auf Widerstand und auf die Befreiung unseres Staatsgebiets haben. Wir wollen eine friedliche Lösung. Israel verhält sich seit 58 Jahren aber gleich und reagiert auf alle Probleme mit Gewalt.“

 

Zwei Hizbullah-Minister haben im Kabinett gegen eine Kontrolle der Seegrenzen durch Einheiten der UN-Truppe Unifil gestimmt. Wie stehen Sie dazu?

 

„Wir haben nicht den Eindruck, dass uns die Unifil-Truppen beschützen werden. Vielmehr haben wir den Eindruck, dass wir umzingelt sind, dass Israel aber frei ist. Israel droht uns, und wir haben nichts, womit wir uns verteidigen können. Die Unifil ist ja keine Friedenstruppe, sondern soll lediglich die Lage ruhig halten. Wir leben ja nicht in Frieden.“

 

Und der deutsche Beitrag?

 

„Deutschland will den Libanon nicht belagern, sondern ihm helfen. Aber die Staatengemeinschaft muss uns insgesamt das Gefühl vermitteln, dass sie uns nicht belagert.“

 

In der arabischen Welt, zumal im Irak, nimmt die Konfrontation zwischen Sunniten und Schiiten zu. Könnte auch der Libanon eine Bühne dafür werden?

 

„Gerade das will ich ja verhindern! Bei aller Bescheidenheit: Bisher hatte ich damit Erfolg. Es gibt sicher welche, die auch zu Zusammenstößen zwischen Christen und Moslems anstacheln wollen. Es gibt ja die Konfrontation zwischen den Zivilisationen. Im Libanon will ich der Katalysator dafür sein, dass es zwischen den Muslimen nicht zu einer Situation wie im Irak kommt.“

 

Ihre Partei hat sich zum Ziel gesetzt, die konfessionellen Trennungslinien der libanesischen Politik zu überwinden.

 

„Ja, wir sind eine säkulare Bewegung. Auch Sunniten, Schiiten und Drusen sind in unserer Partei. Wir wollen eine Kultur der Staatsbürgerschaft anstatt jener der Konfessionen schaffen.“

 

Werden Sie für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren?

 

„Ich habe heute in der libanesischen Politik eine Rolle. Sie ist für mich wichtiger als das Amt des Präsidenten. Kann ich beides haben, ist es gut, Sonst ziehe ich meine Rolle als Politiker vor.“

 

1989 waren Sie mit der syrischen Armee zusammengestoßen, was Sie zu Ihrem langen Exil in Frankreich zwang. Heute plädieren Sie für eine Kooperation mit Syrien.

 

„Als ich Syrien attackierte, beendete ich nahezu jede meiner Reden mit dem Aufruf, zu Syrien nach dessen Rückzug aus dem Libanon gute Beziehungen zu unterhalten. Als Soldat weiß ich, dass jede Schlacht einmal endet und man nach dem Ende neue Beziehungen aufzubauen hat. Beeindruckt haben mich die Generäle De Gaulle und Eisenhower. Sie bauten die Europäische Union auf und vertrieben die Idee des Kriegs.“

 

Syrien hat Wiederaufbauhilfe zugesagt, auch andere Länder wollen dem Libanon helfen. Saudi-Arabien tritt aber gegen Iran an. Qatar kämpft gegen Saudi-Arabien. Könnte der Libanon wieder ein Feld für die Auseinandersetzung zwischen Staaten der Region werden?

 

„Ich würde diesen Ländern sagen: Wir akzeptieren euer Geld und eure Hilfen, nicht aber eure Kämpfer. Wollt ihr kämpfen, tut das irgendwo anders. Wenn ihr uns aber beim Wiederaufbau unseres Landes helfen wollt, dann danke für euer Geld.“

 

 

 

Vorbemerkung: Antifa-AG der Uni Hannover