Gewerkschaftsforum Hannover:
Die Tatsache, dass sich unter den Betroffenen
der am 12.Februar 2007 in Mailand, Turin, Padua etc. veranstalteten Großrazzia
gegen eine angeblich reorganisierte, bewegungs-orientierte Fraktion der Brigate Rosse (Roten Brigaden – BR) auch zahlreiche linke
Gewerkschafter, RSU-Delegierte (d.h. „Betriebsräte“)
und lokale Funktionäre der Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL befanden, hat
für großes Aufsehen gesorgt. Ebenso die auffällige zeitliche Nähe zur
Großdemonstration am 17.Februar 2007 gegen den von Prodis
Mitte-Links-Kabinett gebilligten massiven Ausbau der US-Militärbasis in Vicenza und die gezielte, alarmistische
Stimmungsmache von Innenminister Giuliano Amato gegen diese. (Amato ließ
verlauten, es bestände die Gefahr, dass die „Roten Brigaden“, daran
teilnehmen und mit Unterstützung der radikalen Linken aus der Masse der
Demonstranten heraus die Staatsmacht angreifen würden!)
Da die größte italienische
Metallergewerkschaft FIOM, die traditionell den linken Flügel des etablierten
Gewerkschaftsspektrums bildet, von der Durchsuchungs- und Verhaftungswelle
besonders stark betroffen war (8 der 15 Festgenommenen sind CGIL-Mitglieder,
die meisten in der FIOM) und daher erneut ins öffentliche Kreuzfeuer geriet,
fragte die unabhängige, linke Tageszeitung „il manifesto“
den FIOM-Generalsekretär Gianni Rinaldini nach seiner Sicht der Dinge. Das Interview
erschien am 15.2.2007. Darin werden allerdings auch die
politischen Grenzen und die staatstragende und obrigkeitshörige Grundhaltung
des linken Sozialdemokraten Rinaldini (der einer
Linksabspaltung der DS angehört) deutlich. Der konnte offensichtlich auch das
blutige und mörderische Vorgehen von Polizei und Carabinieri sowie die
Folterungen und die Lobgesänge auf Benito Mussolini in der Bolzaneto-Kaserne
während der Proteste gegen den G8-Gipfel in Genua im Juli 2001 nichts anhaben. Daneben
fällt auf, dass er sich krampfhaft weigert, einen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt
der Razzia und der Stimmungsmache gegen die Demonstration in Vicenza zu sehen, zu der auch die FIOM mobilisierte und die
ein Erfolg wurde.
Tonino
Loris Paroli (62), von 1970 –
1975 Organisator der Betriebszellen der Brigate Rosse
bei FIAT und Singer, ist da sehr viel präziser und sensibler in seiner
Wahrnehmung, obwohl er nach 16 Jahren Knast ein weitgehend gebrochener Mann
ist. In einem Interview für die FIAT-eigene
Tageszeitung „La Stampa“ vom 15.2.2007
antwortete er auf die Frage: „Was ist also von der Entscheidung zu halten,
‚niemals wieder ohne Gewehr’ dazustehen, von der Entscheidung für die Gewalt
und für den Terrorismus?“ diesbezüglich: „Die ist inakzeptabel und zu
verurteilen. Auch wenn ich mich frage, wie man diese Art von Operation als
‚präventiv’ und diese Leute als ‚Terroristen’ bezeichnen kann, obwohl sie noch
gar nichts getan haben. Sie können nicht den Intentionen den Prozess machen.
Sie sagen, dass sie sie seit zwei Jahren verfolgten und ich frage mich: Warum
sind sie gerade in diesen Wochen damit herausgekommen? Es ist unvermeidlich,
dass man diese Operation mit dem großen Protest am Samstag in Vicenza gegen die amerikanische Basis in Verbindung bringt.
Sie kennen die Widersprüche innerhalb Rifondaziones,
der Linksdemokraten (DS) und der Regierung sowie zwischen Regierung und
Opposition in der Frage der Demonstration sehr genau. Und heute einerseits die
FIOM und andererseits die Centri Sociali
ein bisschen zu dämonisieren, bedeutet die Aufmerksamkeit auf ein anderes Thema
zu lenken.“
Doch hören wir, was der Generalsekretär der
FIOM, Gianni Rinaldini, dazu zu sagen hat:
Interview:
„Der Konflikt? Das Gegenteil des Terrors!“
Der Sekretär der FIOM, Gianni Rinaldini bagatellisiert nicht und denkt über die starke
Präsenz von Arbeitern unter den Verhafteten nach. Um den Terrorismus zu
besiegen – sagt er – sei es notwendig die Spielräume der Demokratie zu
verteidigen und auszudehnen.
Loris Campetti
„Es war
eine echte Versammlung, mit Genossen / Kollegen, die über das Geschehene
erschüttert sind. Ein RSU-Delegierter ist während der
Rede in Tränen ausgebrochen und einige andere der 150 anwesenden Delegierten
weinten mit ihm: ‚Ich hätte nie gedacht, dass mein Arbeitskollege in
Terrorismusgeschichten verwickelt sein könnte’, sagte er. Bitterkeit also, aber
auch Wut über den Versuch die FIOM und die hundert und mehr Jahre der
Geschichte unserer Organisation in Misskredit zu bringen, die sich immer durch
ihre demokratischen und Massenkämpfe und ihr Engagement gegen den Terrorismus
ausgezeichnet hat.“ In der neuen Gestalt des Chronisten berichtet uns
der Generalsekretär der FIOM, Gianni Rinaldini, über
das Klima der Delegiertenversammlung, die gestern in Padua stattfand, „einer
Versammlung, die nichts Rituelles an sich hatte. Deshalb sage ich, dass es eine
wirkliche Versammlung war.“
Während in
der Scuola Edile (Schule
zur Fortbildung von Bauarbeitern) in Camin das
Treffen des nationalen Sekretariats der FIOM mit den RSU-Delegierten
aus Padua stattfand, verteilten sie draußen Solidaritätsflugblätter für die
Verhafteten. Und in der ZF, einem Metallbetrieb mit 400 Beschäftigten, in dem Scantamburlo arbeitete, einer der festgenommenen FIOM-Arbeiter, wurden die Stimmen für die Neuwahl der
Gewerkschaftsvertretung (RSU) ausgezählt. Die FIOM errang erneut die Mehrheit
und kam auf 46%. Scantamburlo gehört nicht zu den Gewählten.
In aller Eile und Wut waren am Montagmorgen die Wahlzettel neu gedruckt und der
Name des verdächtigten FIOM-Kandidaten getilgt
worden. Im Laufe der gestrigen Versammlung machte Rinaldini
<den sozialpartnerschaftlichen
Gewerkschaftsbünden>
CGIL, CISL und UIL den Vorschlag, zu einem Generalstreik gegen den Terrorismus
aufzurufen.
Rinaldini, wie beurteilst Du die Ermittlungen der Mailänder
Staatsanwaltschaft?
„Ich habe
große Achtung vor der Arbeit, die jene Staatsanwälte machen und bin von ihrer
Autonomie überzeugt. Genauso wie ich es war als sie beschuldigt wurden,
Kommunisten zu sein, weil sie sich mit den mutmaßlichen Vergehen Berlusconis
beschäftigten. Wir haben die Mitgliedschaft verhafteter FIOM-Mitglieder
immer vorsichtshalber suspendiert. Zum Gewerkschaftsausschluss kommt es nur
dann automatisch, wenn sich die Vorwürfe gegen sie erhärten.“
Einige
Leute haben, aufgrund des „Zeitpunktes“ der Operation „rechtzeitig“
fünf Tage vor der Demonstration in Vicenza, Zweifel
geäußert…
„Blödsinn!
Das Spiel mit den Theoremen hat mich noch nie interessiert. Genauso wie mich
diejenigen nicht überzeugen, die sagen, dass den Festgenommenen in diesen
Ermittlungen keine konkreten Fakten vorgeworfen werden. Worauf ich warte, ist
das Ergebnis einer Untersuchung, die noch im Gange ist und ich fühle mich nicht
imstande auszuschließen, dass die für die FIOM und die CGIL noch weitere
Überraschungen bereithalten kann.“
Kommen
wir zum Kern der Sache: Die Mehrheit der Festgenommen besteht aus Arbeitern.
Viele sind Mitglieder der CGIL und insbesondere der FIOM. Wie interpretierst Du
diese Tatsache?
„Das ist
eine Tatsache, sie sind Arbeiter. Genauso wie es eine Tatsache ist, dass es
neben den Veteranen unter den Verhafteten auch Jugendliche gibt. Junge
Arbeiter. Da kommt mir natürlich der Gedanke, dass diese Tatsache als eine der
Manifestationen der Unzufriedenheit der jungen Arbeiter gesehen werden könnte,
der nichts mit den Wegen und den Geschichten der alten Rotbrigadisten
zu tun hat und sich in anderen Formen ausdrücken kann. Mir scheint klar, dass
es sich um ‚Inseln’ handelt, ohne die
Zustimmung, die sie in der Vergangenheit leider genossen. Darüber müssen wir
ernsthaft nachdenken.“
Einerseits
gibt es die Ermittlungen, andererseits den politischen und journalistischen
Gebrauch, der davon gemacht wird: Gegen die CGIL, gegen die FIOM, gegen die Centri Sociali,
gegen jede Form sozialer Opposition.
„Die nicht
zu tolerierenden Gleichsetzungen des Terrorismus mit den Kämpfen in Val di Susa
<Piemont> gegen den <Hochgeschwindigkeitszug> TAV und in Vicenza
gegen die amerikanische Basis oder mit den Kämpfen der Metallarbeiter sind ein
Geschenk an den Terrorismus, der Triumph einer perversen Logik. Wir von der
FIOM haben eine kristallklare Geschichte des Kampfes gegen den Terrorismus. Zu
den Pfeilern unserer Gewerkschaft gehören die Demokratie, die aktive
Beteiligung der Arbeiter und die Autonomie. Ich bin nicht bereit Versuche zu
tolerieren, das in die Nähe von Projekten zu rücken, die einen Gegensatz zu
unserer Kultur und unserem Handeln darstellen. Um mich klar auszudrücken: Ich
bekenne mich zu meinem Recht mit Pietro Ichino <Anm.1>, mit dem ich an vielen Punkten unterschiedlicher Ansicht
bin, zu diskutieren und auch zu streiten. Wehe, wenn die Vorstellung verbreitet
wird, dass ich damit eine objektive Unterstützung für den Terrorismus leisten
würde. Die Kritik und den Dissens zum Schweigen zu bringen, bedeutet das Spiel
des Terrorismus zu spielen, das die Demokratie und die sozialen Rechte riskiert.
Die terroristische Aktion läuft Gefahr Abschottungen der demokratischen Spielräume
zu provozieren sowie die politische und soziale Dialektik zum Schweigen zu
bringen. Um die Erstere zu bekämpfen, müssen wir die Demokratie verteidigen,
sie ausweiten sowie die Dialektik und den Konflikt im Lichte der Sonne
garantieren.“
Der
Präfekt von Vicenza hat für Samstag, aus Gründen der
öffentlichen Ordnung, die Schließung der Schulen angeordnet. Das ist kein gutes
Zeichen.
„Mit
Sicherheit nicht. Die FIOM hat im Gegensatz dazu beschlossen, ihr Engagement
für das Gelingen der Demonstration in Vicenza zu
verdoppeln. Wir sind nicht bereit, uns Handlungsspielräume und Räume des
demokratischen Konfliktes dicht machen zu lassen. Und das sage ich nicht trotz,
sondern gerade weil wir seit jeher im Kampf gegen den Terrorismus engagiert
waren.“
Seit
langem gibt es eine offene Diskussion zwischen der FIOM und ihrem
Gewerkschaftsbund. Denkst Du, dass die dieser Tage sichtbar gewordenen
Tatsachen Auswirkungen auf die interne Dialektik in der CGIL haben können?
„Ich hoffe
nicht. Ich glaube nicht, weil die CGIL die 70er und 80er Jahre damit verbracht
hat, in der ersten Reihe gegen den Terrorismus zu kämpfen und dabei die
sozialen Räume, die Dialektik und das Recht auf eine andere Meinung (Dissens)
immer mit Überzeugung verteidigt hat.“
Anmerkung 1:
Der 57 Jahre alte Professor
für Arbeitsrecht an der Staatlichen Universität Mailand, Pietro Ichino, ein ehemaliger PCI-Politiker
und heute der wichtigste neoliberale Vorkämpfer für Flexibilisierung,
Deregulierung und Prekarisierung in Italien (u.a. als Leitartikler des „Corriere della
Sera“) soll von den angeblichen „neuen Roten Brigaden“ als
Anschlagsziel diskutiert worden sein. Einziger Beleg der Ermittlungsbehörden
dafür ist allerdings die abgehörte Aussage eines Festgenommen, er habe sich mal
angeguckt, „wie der so wohnt“ und sich gewundert, dass Ichino keinen Polizeischutz genieße. Was offenkundig daran
lag, dass Pietro Ichino mit der Polizeieskorte, über die
er seit Jahren verfügt, gerade nicht daheim war.
Vorbemerkung, Übersetzung, Anmerkung und Einfügungen in eckigen
Klammern:
Gewerkschaftsforum Hannover