Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Die unabhängige linkssozialistische italienische Tageszeitung “
il manifesto” berichtete in ihrer Ausgabe vom 28.9.2001 über
den Verlauf der großen Anti-NATO-Demonstration in Neapel, um die es
im Vorfeld innerhalb der Anti-Globalisierungsbewegung Italiens zwischen der
linken und der rechten Strömung (letztere wollte ursprünglich keine
Demo und keine allzu laute NATO-Kritik und befürchtete erneute Straßenschlachten
und neuerlichen Polizeiterror) heftige Auseinandersetzungen gegeben hatte.
Die Demonstration fand statt, obwohl der NATO-Gipfel, gegen den sie sich
ursprünglich geplant war, wegen der Ereignisse des 11. September nach
Brüssel verlegt worden war und richtete sich nun schwerpunktmäßig
gegen den angekündigten “Anti-Terror-Krieg” der NATO-Staaten und ihrer
Vasallen:
Der Wind aus Neapel gegen
den Krieg
Angelo Mastrandrea - Korrespondent in Neapel
“Madonna mia, wieviele sind wir in Neapel. Da bricht deswegen ja alles zusammen.”
Es ist ungefähr 16 Uhr und die Signora, die seit einer halben Stunde
in der via Foria Tausende und Abertausende von Leuten an sich vorbeimarschieren
sieht, bringt ihr ganzes Erstaunen darüber zum Ausdruck und verbindet
die massenhafte Beteiligung an der Demonstration gegen den Krieg mit den
durch die jüngste Überschwemmung verursachten Zusammenbrüchen.
Wie sie beobachten mehrere Hundert Leute das Vorbeiziehen der Demonstranten
von den Balkonen aus oder gehen auf die Straße, um das merkwürdige
Volk der No globals, von dem sie bisher nur im Fernsehen gehört haben,
von nahem zu beobachten.
“Ich gehe nicht in der Demonstration mit, aber ich bin mit ihnen, weil man
diesen Krieg nicht führen darf”, solidarisiert sich ein 61jähriger
Mechaniker in Arbeitskleidung. Dies ist eine der ungewöhnlichsten Anmerkungen
zu einem <Aktions- /d.Ü.>Tag, der heimlich begonnen hat - mit
einer Demonstration, die von “nationalem” auf “regionalen” Rang herabgestuft
worden ist. Daher ist die Anwesenheit einiger Delegationen aus dem Rest des
Landes gestrichen worden. Diejenigen, die in Massen <auf den Aufruf /d.Ü.>
geantwortet haben, sind die Neapolitaner gewesen, was sehr auf die Festigkeit
/ den Umfang der Bewegung in Kampanien hoffen läßt und das trotz
der Absagen vom Vorabend. (Die Katholiken und die <große Umweltschutzorganisation
/d.Ü.> Legambiente hatten es vorgezogen eine eigene Veranstaltung
zu organisieren, die gestern an der Porta Capuana stattfand und die Grünen
haben sich von der Demonstration distanziert.) Die bedeutendste Neuigkeit
dieses Herbstes der Mobilisierungen gegen den Krieg ist die massenhafte Beteiligung
der Schüler <vor allem der mittleren Jahrgänge, d.h. der 8.-11.Klassen
/d.Ü.>, die auch gestern einen der zahlenmäßig stärksten
Teile der Demonstration stellten. Sie kamen aus der ganzen Provinz und hatten
sich bereits gestern Vormittag in sehr großer Anzahl eifrig vor dem
<besetzten centro sociale Neapels /d.Ü.> Ska-Officina 99 getroffen.
Um 15.30 Uhr startet die Demonstration mit nur einer halben Stunde Verspätung
bezogen auf den Zeitplan zwischen den unvermeidlichen fliegenden Händlern.
Während diese <bei der Großdemonstration gegen die Tagung des
“Global Forum” in Neapel /d.Ü.> am 17.März die “anti-globalen
Trillerpfeifen” verkauften, versuchen sie dieses Mal Dir schwarze T-Shirts
anzudrehen, die sehr viel vom Erscheinungsbild des Schwarzen Blockes haben.
Wieviele werden es sein ? 25 - 30 000, was oberhalb jeder Erwartung
liegt. Deshalb am Ende fröhliche und entspannte Gesichter. “Die heutige
Demonstration ist ein großer Vertrauensbeweis für die neapolitanische
und die italienische Bewegung gewesen, die jede Angst bezüglich der
Unfähigkeit der Bewegung nach Genua wieder auf die Straße zu gehen
und über ihre Festigkeit verscheucht hat”, sagt ein enthusiastischer
Piero Bernocchi (nationaler Sprecher der <eigenständigen linksradikalen
gewerkschaftlichen Basiskomitees /d.Ü.> Cobas). Und nicht nur das.
Es ist “eine Antwort an diejenigen” gewesen, “die - wie der Ministerpräsident
<Silvio Berlusconi /d.Ü.>, aber nicht nur er - auf Auseinandersetzungen
auf der Straße hofften”, ist die Meinung von Peppe De Cristofaro (nationaler
Sekretär der Giovani Comunisti) <Junge Kommunisten = Jugendorganisation
von Rifondazione Comunista /d.Ü.>.
Den Demonstrationszug eröffnete eine starke Delegation von Kurden und
Palästinensern. Dann dahinter der Klein-Lastwagen der centri sociali,
die Donne in Nero <Frauen in Schwarz = ein in Italien sehr bekannter Zusammenschluß
pazifistischer Frauen unterschiedlicher politischer Herkunft /d.Ü.>
und nach und nach der ganze Rest: Rifondazione Comunista, Sinistra Giovanile
<Junge Linke = Jugendorganisation der Linksdemokraten - DS /d.Ü.>,
Rete Campana studenti in movimento <Kampanisches Netzwerk Schüler
in Bewegung /d.Ü.>, Coordinamento di lotta per il lavoro <= die
sehr rege linke Arbeitslosengruppierung “Kampfkoordination für die Arbeit”
/d.Ü.>, RSU-Delegierte <d.h. Betriebsräte bzw. gewerkschaftliche
Vertrauensleute aus den Betrieben /d.Ü.>, Cobas, <die linksliberale
landesweite Kulturdachorganisation /d.Ü.> ARCI, die Giovani Comunisti
mit einem sehr lärmenden Sound System, der Movimento disoccupati <Arbeitslosenbewegung
/d.Ü.> aus Acerra, Socialismo Rivoluzionario <Revolutionärer
Sozialismus = zwar keine Schwesterorganisation von Linksruck in Deutschland
und Linkswende in Österreich, aber diesen in vielem sehr ähnlich!
/d.Ü.>, Movimento lotta LSU <Kampfbewegung der in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
Beschäftigten /d.Ü.>, Anarchisten und sehr viele Immigranten.
Und desweiteren Bruder Gigi und Bruder Giorgio aus Sarno, d.h. gegen den
Krieg demonstrierende Franziskaner-Mönche, “weil es das Evangelium und
der Papst verlangen”, sowie Pater Pietro Manfredi aus Palma Campania mit
seiner Basisgemeinde. Es gibt Eddie, einen Tunesier, der, nachdem er sich
über den Grund der Demonstration informiert hat, mitmarschiert und einen
unwahrscheinlichen über und über mit Bändern behängten
No global-Aktivisten, der Geld sammelt, um sich eine “il manifesto” kaufen
zu können, weil sie, nach dem was er sagt, glatt 5 000 Lire <5 DM
/ 35 Schilling kostet einmal im Monat die “il manifesto”-Nummer, der die
Theoriezeitschrift “Rivista del Manifesto” beiliegt /d.Ü.> dafür
von ihm verlangt haben und er das Geld wirklich nicht hat. Um 17.30 Uhr setzt
die Spitze des Demonstrationszuges ihren Fuß auf die, “von den Herren
des Krieges befreite”, piazza Plebiscito. (Hier hätte ursprünglich
der NATO-Gipfel stattfinden sollen.)
Der Erfolg dieses Tages gibt uns weiteren Schwung, uns gegen den Krieg zu
mobilisieren”, kommentiert Francesco Caruso, der Sprecher des No global-Netzwerkes
und gibt die Parole aus, sich bei den ersten Bombardements auf der Straße
wiederzusehen. In Neapel sollen alle auf die piazza del Gesù, in Florenz
auf die piazza San Marco, in Rom vor den UNO-Sitz an der piazzetta San Marco,
in Venedig auf die piazza Roma und in Bologna auf die piazza Nettuno kommen.
Unterdessen hat das Polizeipräsidium verkündet, Beamte in Zivil
mit “unsichtbaren Fernsehkameras” mitten in den Demonstrationszug gehetzt
zu haben, “um die gefährlichen Demonstranten zu kontrollieren”.
(An diesem Artikel hat Francesca Pilla mitgearbeitet.)
Vorspann, Übersetzung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover
Nachbemerkung der Übersetzer: Auch auf die Gefahr hin hier als
notorische Abwiegler dazustehen ist es an dieser Stelle sinnvoll zu sagen,
daß die Teilnehmerzahlen von Demonstrationen u.ä. Veranstaltungen
in den italienischen Medien - nach unseren Erfahrungen und den Aussagen langjährig
aktiver italienischer Genossen aus verschiedenen Städten und verschiedenen
Organisationen - traditionell deutlich übertrieben sind. Das hängt
im Falle bürgerlicher Medien stark mit ihrer in Italien sehr ausgeprägten
Neigung zu Bombastik und (Melo-)Dramatik zusammen und im Falle linker Medien
mit einer falsch verstandenen “Parteilichkeit”. Im Fall von “il manifesto”
(die ansonsten eine sehr seriöse und gute Informationsquelle ist !)
müssen entsprechende Teilnehmerzahlen aus diesem Grund in der Regel
durch den Faktor 4 oder sogar 5 geteilt werden, um zu den tatsächlichen
Zahlen zu kommen ! (Und nicht wie in den meisten linken Medien
in der BRD nur durch 1,5 oder 2.)
Das heißt an der geschilderten Anti-NATO-Demo in Neapel haben real
5 - 6 000 Leute teilgenommen - was für eine innerhalb der Bewegung umstrittene
regionale Demo ja durchaus nicht wenig ist und bis dahin die größte
Anti-Kriegs-Demo in Italien nach dem 11.September war.