Gewerkschaftsforum Hannover:
An der nationalen Manifestation der
italienischen Linken „Stop precarietà
ora!“ (Stoppt die Prekarität
jetzt!“ am Samstag, den 4.November 2006 in Rom beteiligten sich laut der
unabhängigen „linksradikalen“
Tageszeitung „il manifesto“ und dem
(sozialdemokratischen) Linksdemokraten-Blatt „l’Unità“
200.000 Menschen. Die bei solchen Anlässen in der Regel ebenfalls sehr
großzügige moderat-linksliberale FIAT-Tageszeitung „La Stampa“
wollte 150.000 gesehen haben. Real dürften es – aufgrund des üblichen
italienischen Multiplikationsfaktors Zehn – 15.000 bis 20.000 Teilnehmer
gewesen sein. Das ist in der gegenwärtigen Situation und angesichts der
massiven Demobilisierung führender sozialpartnerschaftlicher
Gewerkschaftskreise (wie der CGIL-Spitze, von den noch rechteren CISL und UIL
ganz zu schweigen) bei aller inhaltlichen Ambivalenz ein großer Erfolg. Wobei
die FIOM die Hälfte der Demonstranten stellte ! Bevor
wir zu Berichten und der Nachbereitung dieser Mobilisierung kommen, hier – aus
gegebenem Anlass – zunächst erst noch ein ausführliches Interview des
Chefredakteurs von „il manifesto“,
Gabriele Polo, mit dem Generalsekretär der größten Metallarbeitergewerkschaft
des Landes, Gianni Rinaldini von der FIOM, die
innerhalb der Zentrale CGIL und im gesamten etablierten italienischen Gewerkschaftsspektrum
seit langem den linken Flügel darstellt und aufgrund ihres Festhaltens an der
Mobilisierung erheblichem Druck der CGIL-Spitze um Guglielmo Epifani ausgesetzt war. Das Interview mit Rinaldini erschien am 1.11.2006.
Interview
mit dem Generalsekretär der FIOM, Gianni Rinaldini.
Der der Regierung eine Botschaft zukommen lässt
„Hören wir auf, uns weh zu tun!“
Am Samstag gegen die Prekarität auf die Piazza. „Die Mitte-Linke muss die
sozialen und Arbeitsrechte als Priorität behandeln. Weg mit dem Gesetz Nr.30,
dem Bossi-Fini-Einwanderungsgesetz und der Moratti-Bildungsreform.“ Das Haushaltsgesetz „wird
durch die haushaltspolitischen Bindungen negativ beeinflusst. Es muss verändert
werden.“ Kein Pakt für die Produktivität gegen die nationalen
Tarifverträge. „Sonst wird die Regierung mangels eines alternativen
Projektes implodieren.“
Gabriele Polo
„In
Sachen Haushaltsgesetz findet eine Partie statt, die darauf abzielt die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass man den Arbeitsrechten den Gnadenschuss
geben und zu einer neuen politischen Konstellation gelangen kann, die diesem
Ziel entspricht. Das ist der Sinn des Pressings, den
die <Industriellenvereinigung> Confindustria
macht, auch wenn sie noch nicht weiß, welches die institutionelle Stütze für
ein solches Spiel sein wird. Das ist eine sehr gefährliche Partie.“ Gianni Rinaldini
beurteilt die Auseinandersetzung rund um das Finanzmanöver mit der Perspektive
der Zeit nach dem Haushaltsgesetz. Vorher aber noch denkt er an die
Manifestation vom 4.November gegen die Prekarität.
Einen Termin, den der FIOM-Sekretär in punkto Zukunft
der Arbeitsverhältnisse für entscheidend hält. Und damit beginnen wir.
Wir
haben eine Woche mit Polemiken hinter uns, die die Organisation der
Demonstration am Samstag erschüttert haben. Wollen wir es auf den Punkt
bringen? Gegen was und für was geht man am 4.November auf die Straße?
„Die
Manifestation wurde angesetzt, um den Kampf gegen die Prekarität,
die mittlerweile zum Leitfaden der sozialen Beziehungen geworden ist, in den
Mittelpunkt der politischen und sozialen Initiative zu rücken. Deshalb fordern
wir die Abschaffung des Gesetzes Nr. 30 über die Arbeit, des Bossi-Fini-Gesetzes über die Immigration und der Moratti-Reform der Schule. Das heißt eine neue
Bürgerrechts- und Arbeitsgesetzgebung.“
In der
Zwischenzeit wurde das Haushaltsgesetz vorgelegt und bereitet man sich darauf
vor die Renten zu „reformieren“. Man kann nicht so tun, als ob das
keinen Einfluss auf den 4.November hätte…
„Am Samstag
gehen wir auf die Straße, um den Rechten der Arbeit eine langfristige
Perspektive zu geben, die sich am Haushaltsgesetz misst, aber auch an dem, was
ab Januar bei der angekündigten Neudefinition der tarifpolitischen
Konstellationen passiert. Was das Haushaltsgesetz anbelangt, so wird seine
Anlage durch die Entscheidung die haushaltspolitischen Bindungen und die
Verpflichtungen eines Wahlkampfes, der sich um den Steuerkeil als Lösung für
alle Übel drehte, strikt einzuhalten, negativ beeinflusst. Bei dem
Haushaltsmanöver können wir einige interessante und positive Dinge feststellen (gegen die Schwarzarbeit
und für die Legalisierung der Immigranten, zum Beispiel). Damit es allerdings –
bezogen auf die jüngere Vergangenheit – zum Zeichen für eine kleine Umkehrung
der Tendenz wird, wären einige Korrekturen notwendig: Änderungen der
Steuersätze, um dafür zu sorgen, dass diejenigen, die über weniger als 45.000
Euro Jahreseinkommen verfügen, etwas mehr verdienen und die Überwindung der
Eigenbeteiligung an den Krankenhauskosten. Um nur zwei Dinge zu nennen…“
So
gesehen, könnte man den 4.November als die erste linke Manifestation gegen die
Regierung Prodi verstehen…
„Wir wollen
die Regierung nicht stürzen. Das ist das Ziel von Berlusconis Demonstration am
2.Dezember. Aber wir fordern diese Regierung zu einer neuen Sozialpolitik auf,
die auf der Aufwertung der Arbeit und der Überwindung der Prekarität
beruht. Das sind die Ziele, die wir hatten als wir sie angesetzt haben (lange
bevor wir die Inhalte des Haushaltsgesetzes kannten) und die wurden auch nach
den jüngsten Polemiken und einigen Austritten <aus dem Organisationskomitee der Demonstration> bekräftigt.“
Die
Dinge haben sich jedoch so entwickelt, das heute mehr als einer – vor allem in
der Gewerkschaft – sagt, dass die FIOM allein geblieben und von der CGIL
isoliert sei.
„Ich glaube
nicht, dass die FIOM allein dasteht. Mit Sicherheit fühlt sie sich nicht so. Es
gab einige individuelle Austritte, wobei daran erinnert werden muss, dass die
einzige Branchengewerkschaft, die den 4.November von Anfang an mit organisiert
hat, die FIOM war. Es stimmt, dass es eine Erklärung des CGIL-Sekretariats
gibt, die – soweit ich mich erinnern kann – nicht ihres Gleichen hat. Nicht
einmal während der sehr harten Tage von Genua 2001 <beim Protest gegen den G8-Gipfel, an dem die FIOM
im Gegensatz zur übrigen CGIL aktiv beteiligt war>. Was mich betrifft, bleibt das
Gelingen des 4.November vorrangig. Die Betrachtungen über die Situation und
über die internen Polemiken in der CGIL werde ich nach diesem Termin
anstellen.“
Also
reden wir von der Zeit danach. Die politische und soziale Situation befindet
sich in großer Bewegung. Kannst Du eine präzise Richtung erkennen?
„Wir stehen
vor einer expliziten Offensive der Confindustria, die
danach strebt, dass die Politik der absolut zentralen Rolle des Unternehmens
zustimmt. In punkto Renten, Prekarität und
tarifpolitische Konstellationen geht es auch um die Zukunft der Politik und der
Regierung. Wir wissen allerdings noch nicht mit welchem Ausgang.“
Das
heißt?
„Das heißt,
es gibt viele die Prodi platzen lassen wollen und an
einer zentristischen <d.h. noch
weiter in „der Mitte“
angesiedelten>
Lösung arbeiten. Die ‚Variable Berlusconi’ bremst dieses Ergebnis
vorläufig jedoch. Zusammengefasst glaube ich nicht, dass die Confindustria noch eine alternative politische Lösung in
der Tasche hat, während sie durchaus sehr klare Ziele im Kopf hat. Auch deshalb
wäre es besser, wenn die Regierung es vermeiden würde, sich zu verschleißen und
die Initiative ergriffe, indem sie sich eine klare und zu den Projekten der
Unternehmer alternative Programmatik gibt.“
Zum
Beispiel?
„Zum
Beispiel in punkto Abfindungen (TFR). Hier gibt es ein heikles
Demokratieproblem, weil diejenigen, die in Unternehmen mit mehr als 50
Beschäftigten arbeiten, nicht vor eine Entscheidung zwischen der ergänzenden
Sozialversicherung und der ‚Abtretung’
der Abfindung an die Regierung gestellt werden können. Erstens weil der TFR
ihnen gehört und sie das Recht haben, zu sagen, wofür die Abfindung verwendet
werden soll. Diesbezüglich wurden sie nicht konsultiert. Man zwingt ihnen eine
einfache Wahl zwischen zwei Möglichkeiten auf. Zweitens weil so die
Auseinandersetzung um die Renten bereits durch die beiden ‚vorgeschlagenen’
Optionen gekennzeichnet ist. Und das ist in negativer Hinsicht.“
Zusammen
mit den Renten wird die Auseinandersetzung um die Tarifverträge vorbereitet.
„Der Pakt
für die Produktivität, von dem geredet wird, läuft Gefahr den Unternehmen die
einseitige Gestaltung der Arbeitszeiten zu überlassen, die durch ein Abkommen
mit den Gewerkschaftsbünden festgelegt werden und die Rolle der
Branchengewerkschaften beseitigen. Um sodann die Verhandlungen über die
Entlohnung auf die betriebliche Ebenen zu verlagern. Auf diese Weise (und das
ist das alte Ziel der Confindustria, das die Metaller
sehr genau kennen) wird der nationale Tarifvertrag zu einer schlichten bürokratischen
Angelegenheit. Der solidarische Ansatz verschwindet und die betriebliche
Tarifpolitik wird rein adaptiv, was die Forderungen / Erfordernisse des
Unternehmens angeht. Mit allen Spaltungen, die in diesem Fall eintreten werden.
Für die CGIL würde das eine regelrechte genetische Mutation bedeuten. Deshalb betrachte
ich die Öffnungen, die einige Gewerkschaftsführer bereits vollführt haben, mit
Besorgnis. Während die CGIL explizit erklären sollte, dass über diese Inhalte
keine Verhandlungen möglich sind.“
Vorbemerkung, Übersetzung,
Hervorhebungen und Einfügungen in eckigen Klammern:
Gewerkschaftsforum Hannover