“junge Welt” 16.2.2006
Rechtliche Fragen erscheinen
auf den ersten Blick trocken und langweilig. In der Beratung von ALG-II-Empfängern werden aber nicht abstrakte Regeln,
sondern konkrete Menschen in ihren Rechten und ihrer Würde verletzt. So etwa
fasste Solveig Koitz von der Berliner »Kampagne gegen
Hartz IV« ihre Erfahrungen aus der Sozialberatung auf
einer Pressekonferenz zur Praxis der Ein-Euro-Jobs am Mittwoch zusammen. Die
»Kampagne«, zu der sich Erwerbslose zusammengeschlossen haben, lehnt diese Jobs
grundsätzlich ab. Sie fordert u. a. die Ausweitung unabhängiger Beratung und
die sinnvolle Nutzung der Fördermittel.
Ein-Euro-Jobs – im Amtsdeutsch: Arbeitsgelegenheiten mit
Mehraufwandsentschädigung (MAE) – sind keine arbeitsrechtlich geschützten
Beschäftigungsverhältnisse. Doch selbst die vorhandenen geringen Regulierungen
würden von Jobcentern und Maßnahmeträgern verletzt, kritisierte Koitz. Weder beachteten die Jobcenter, dass MAE nachrangig
zu anderen Möglichkeiten der Beschäftigungsförderung eingesetzt werden sollen,
noch gebe es – in der Regel – den gesetzlich geforderten Bezug zur
individuellen Erwerbsbiographie der Betroffenen. In den Vereinbarungen mit den
Maßnahmeträgern würden Umfang, Dauer und Art der Beschäftigung nicht präzise
fixiert, so dass der Willkür am Arbeitsplatz Tür und Tor geöffnet seien.
Selbstverständlich haben Ein-Euro-Jobber laut Koitz
das Recht, sich Zumutungen während der Arbeitszeit zu verweigern und sinnlose
und rechtswidrige Maßnahmen abzubrechen. Doch nur wenige machen davon Gebrauch,
wird doch schon gleich zu Beginn, wenn die Jobcenter ihre Vorschläge
unterbreiten, auf Sanktionsmöglichkeiten verwiesen: Die angedrohte Kürzung des
ALG II um 30 Prozent ist Existenz gefährdend.
Wie Rechtsanwältin Sandra Kunze ausführte, haben Beschäftigte viele Rechte, die
vor Gericht erstritten werden können. Allerdings sind
die Verfahrensrechte von ALG-II-Empfängern
eingeschränkt. Dies beginnt schon mit dem ungeklärten Charakter der MAE-Vorschläge: Rein juristisch werden sie nicht als
Bescheid gewertet, gegen den ein Widerspruch zulässig ist, sondern nur als
Verwaltungsakt. Wer nicht zu einem Vorstellungsgespräch erscheint, riskiert
daher eine Leistungskürzung. Erst die Kürzung rechtfertigt einen Widerspruch –
dieser hat aber laut Sozialgesetzbuch II keine aufschiebende Wirkung. Um diese
dennoch zu erreichen und damit die sofortige Leistungskürzung abzuwenden, ist
ein besonderer, paralleler Antrag beim Sozialgericht nötig.
Die Situation in Berlin beleuchtete Uwe Januszewski vom
städtischen Hauptpersonalrat. In der Stadt gibt es demnach 32.000 MAE, davon
16.000 im Bereich des öffentlichen Dienstes, vor allem bei Bezirksämtern.
Nach den bisherigen Erfahrungen der Personalräte entspricht fast keine von
ihnen den rechtlichen Vorgaben. Vor allem das Kriterium der Zusätzlichkeit wird
regelmäßig verletzt, indem Regelaufgaben Kosten sparend auf Ein-Euro-Jobber
übertragen werden. Dabei handelt es sich nicht nur um die Ablösung regulärer
Jobs, sondern auch um die Ersetzung von Honorarkräften, zum Beispiel in der
Jugendhilfe.
Quelle: www.jungewelt.de