Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Hier die kritischen Anmerkungen der “Falce Martello”-Redaktion,
zu dem von ihr in derselben Nummer 156 vom 24.4.2002 veröffentlichten
(nebenstehenden) Interview mit dem lombardischen Regionalsekretär der
CGIL-Metallarbeitergewerkschaft FIOM und führenden CGIL-Linken, Maurizio
Zipponi.
Über den Artikel 18
hinausgehen !
Auf den beiden vorangehenden Seiten interveniert Maurizio
Zipponi bezüglich der Perspektiven, die sich nach der imponierenden
Demonstration <mittels Generalstreik, Demos und Kundgebungen> vom
16.April eröffnen. Diejenigen, die dies schreiben, haben bedeutende
Meinungsverschiedenheiten mit dem Leitungsmitglied der FIOM, aber dies hindert
uns nicht daran und wird uns auch zukünftig nicht daran hindern, anderen
in der Arbeiterbewegung vorhandenen Stimmen Raum zu geben, vor allem dann,
wenn sie eine Zustimmung genießen, die sehr viel größer
ist als unsere.
von Alessandro Giardello und Paolo Grassi
Zipponi schlägt zwei Gebiete vor, um den Kampf fortzusetzen: Den Aufruf
zu einem weiteren Generalstreik (damit sind wir alle einverstanden, auch
wenn es wichtig ist, über das Wann und Wie zu diskutieren) und die Nicht-Zusammenarbeit
mit dem Unternehmen, indem die nicht in den Eingruppierungs-Tarifverträgen
vorgesehenen Aufgaben verweigert werden.
Dieser zweite Vorschlag könnte im Abstrakten wirksam sein, weil er die
Gegenseite schädigt, ohne die Taschen der Arbeiter anzugreifen. Das
Problem ist seine Durchführbarkeit.
Es handelt sich dabei um eine Form individuellen Kampfes, jeder einzelne
Arbeiter würde sich in der Situation befinden, allein gegen die Unternehmenshierarchie
zu kämpfen und eine vertiefte Kenntnis der Tarifverträge verlangen,
die unter der Mehrheit der Arbeiter durchaus nicht absehbar ist.
Man kann ihn höchstens als einen Hilfsvorschlag betrachten, der insbesondere
in den Bereichen, in denen die Tarifverträge generell den erfüllten
Aufgaben in keiner Weise entsprechen (man denke an jene Call Center, wo die
Beschäftigten als Metallarbeiter eingruppiert sind), in den Rahmen einer
kollektiven Mobilisierung aufgenommen werden.
Auf der allgemeinen Ebene aber sollte die Gewerkschaft einen wirklich permanenten
Mobilisierungszustand bis zur Lösung des Konfliktes vorschlagen. In
bezug auf die Kampfformen müßte man in erster Linie der Kreativität
der Arbeiter Raum geben, die <allerdings> nur in einer Umgebung wirklicher
Gewerkschaftsdemokratie zum Vorschein kommen kann.
Die Auseinandersetzung sollte nicht nur - wie es bislang geschehen ist -
von oben geführt werden, sondern über die Bildung von Komitees
von unten, von territorialen Komitees und von solchen in den Arbeitsstätten,
die für die Schüler und Studenten, für die Arbeitslosen, die
prekär Beschäftigten und die Anti-Globalisierungsbewegung offen
sind.
Das Element der Selbstorganisation von unten ist entscheidend, um die Mobilisierungsfront
auszudehnen und die Kampfformen effektiver zu machen, indem sie an die konkreten
Zusammenhänge angepaßt werden.
Einige Vorschläge auf der allgemeinen Ebene könnten sein:
eine gezielte Differenzierung der Streiks, um insbesondere die Unternehmen
zu treffen, die Produktionsspitzen erleben. In den Unternehmen zu streiken,
die sich in der Krise befinden, hat wenig Wirkung. Zu diesem Zweck wäre
eine Widerstandkasse sehr nützlich, um die Lohnverluste unter allen
Arbeitern auszugleichen.
Das Nicht-Respektieren der Anti-Streik-Gesetze (wie dem Gesetz 146 / 90)
und der “Mindestdienste”, die die Zwangsverpflichtung bedeutender Teile von
Arbeitern vorsieht und die Streiks damit “nicht allgemein” macht.
Die allgemeine Selbstreduzierung des Arbeitstempos, die Verweigerung der
Flexibilität sowie der Überstunden und Sonderschichten.
Die Ausrufung von Teilstreiks ohne Vorankündigung mitsamt dem Aufstellen
von Streikposten zu Informationszwecken in den Städten, auf den Autobahnen
und auf den wichtigsten Kommunikationswegen.
Das, was man schaffen muß, ist ein echtes Klima der Insubordination
mit Informationsveranstaltungen und Diskussionen, die zur Ausrufung eines
neuen 24stündigen Generalstreikes führen, der das Land lahmlegt
und sich vornimmt, ein Signal an die Arbeiter der ganzen Welt zu senden.
Auf diesen Grundlagen wäre es möglich, den Kampf auf der internationalen
Ebene zu verallgemeinern und unter dem Druck der europäischen Räte
beim EGB einen Generalstreik (zumindest auf europäischer Ebene) gegen
die Politik des Großkapitals, für die 35 Stunden-Woche bei gleichem
Lohn, für würdevolle Löhne, für die Vollbeschäftigung
und den Schutz der Arbeit gegen die Flexibilisierung und jede Form von Prekarität
zu erreichen.
Die Arbeiter der ganzen Welt schauen mit extremem Interesse auf die Kämpfe,
die sich in Italien abspielen und würden einen derartigen Vorschlag
mit Begeisterung aufnehmen, vor allem wenn es die CGIL wäre, die sich
auf internationaler Ebene zum Fürsprecher dessen machen würde.
Das könnte nicht nur in Italien, sondern auf globaler Ebene einen neuen
heißen Herbst auslösen.
Die jüngste Erfahrung auf der Ebene des Separatabkommens beim Tarifvertrag
der Metallarbeiter kann dabei eine Hilfe sein. Zipponi behauptet, daß
die Partie der Metallarbeiter nicht beendet ist, auch wenn er alles auf den
fälligen nationalen Tarifvertrag verschiebt. (Der Kampf vom vergangenen
Jahr drehte sich um die Erneuerung der 2jährigen Laufzeit <des die
Löhne und Gehälter betreffenden Teiles>.)
Der Großteil der Metallarbeiter unterstützte die FIOM in diesem
Kampf, die Unterschriftensammlung (über 350 000) und die beiden landesweiten
Streiks bestätigen das - und doch ist er nicht gewonnen worden. Das
ist gerade der <inhaltlichen> Armut der von der FIOM vorgeschlagenen
Forderungsplattform und in zweiter Linie der Führung geschuldet, die
in diesem Konflikt praktiziert wurde.
Nachdem einmal klar war, daß CISL und UIL sich zur Unterschrift bereit
erklärten, mußte die FIOM <eigentlich>, um die Arbeiter
zu motivieren, den Druck erhöhen und bedeutende Lohnerhöhungen,
die Wiederherstellung der <gleitenden Anpassung der Löhne an die
Inflation> scala mobile und die Übernahme aller prekären Arbeiter
fordern. Sie hat sich jedoch darauf beschränkt, eine Plattform zu verteidigen,
die die Frucht eines Kompromisses auf dem untersten Level war, der mit FIM
und UILM geschlossen worden war.
Man hätte an alle anderen in Tarifauseinandersetzungen engagierten Berufsgruppen
appellieren können. Außerdem war ein schnellerer Kampfverlauf
notwendig als den zweiten Generalstreik <in der Metallindustrie erst>
vier Monate nach dem ersten auszurufen.
Jene Tarifverträge, die offen waren, sind schlecht abgeschlossen worden
und unterschrieben haben sie nicht bloß die anonymen Bürokraten,
die auf sozialpartnerschaftlichen Positionen verweilen, sondern - im Fall
des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst - der stellvertretende
Generalsekretär <und kommende Chef> der CGIL, Guglielmo Epifani.
Der Widerspruch besteht daher an der Spitze der Gewerkschaft. Cofferati führt
einen wichtigen Kampf gegen die Regierung, aber er ist nicht bereit, mit
der Sozialpartnerschaft zu brechen, wie er selbst auf dem Kongreß der
CGIL erklärt hat.
Wenn man die Schlacht gegen Berlusconi gewinnen will, ist hier der Punkt
von dem man ausgehen muß: Mit der Klassenkollaboration brechen, um
das Terrain der Konfliktbereitschaft auf der ganzen Breite des Feldes zurückzugewinnen
- nicht nur in punkto Artikel 18. Sonst wird man unvermeidlich verlieren.
Wir brauchen einen Kampf, der die padroni schädigt, um sie zur Kapitulation
zu zwingen. In den Streiks ist eine große Kampfbereitschaft zum Vorschein
gekommen, mit einer niemals erlebten Beteiligung von jungen und von eingewanderten
Arbeitern. Die Aufgabe der Gewerkschaftsaktivisten ist es, dieser Radikalität
Ausdruck zu verleihen. Es genügt nicht, die Streichung <der neuen
Fassung> des Artikels 18 zu fordern, sondern notwendig ist die Annullierung
aller <Regierungs-> Vollmachten und der Rückzug des Weißbuches
<über die weitere Deregulierung der Arbeitsgesetze>, des <einige
Jahre alten Arbeitsgesetz-> Paketes Treu sowie aller Gesetze über
die Flexibilität. Wäre das nicht ein guter Grund für die prekär
beschäftigten Jugendlichen, um mit dem Rest der Arbeiterklasse zusammen
zu kämpfen ?
Es ist in jedem Fall wichtig, daß die Auseinandersetzung weitergeht
und nicht in eine Pattsituation oder eine fingierte Verhandlungssituation
gerät. Wer in diesem Moment eine Referendumskampagne vorschlägt,
um den Artikel 18 zu verteidigen, ist auf dem falschen Weg. So riskiert man
nur die Bewegung auf ein institutionelles Terrain abzulenken, während
man noch nicht die gesamte Kraft, über die die Arbeiterklasse mit der
Waffe des Streikes und der Mobilisierung verfügt, eingesetzt hat.
Um die Mobilisierung in ernsthafter Weise durchzuführen, ist es notwendig,
Tausende von Versammlungen in den Arbeitsstätten einzuberufen und Kampfkomitees
zu bilden, die sich das Ziel setzen, sich mit den nahegelegenen Betrieben
zu verbinden - insbesondere mit denen, in denen sich die Prekären konzentrieren.
In vielen Unternehmen ist es vielleicht notwendig die RSU’en <= italienische
Mischung aus Betriebsrat und organisationsübergreifendem Vertrauensleutekörper>
neu zu wählen, dabei die reservierte Quote <von einem Drittel der
Sitze, die ohne Wahl den CGIL-CISL-UIL “zustehen” !> abzuschaffen und
jene Arbeiter in die erste Reihe zu stellen, die bereit sind, kühne
Programme und dementsprechende Kampfformen vor(an)zubringen, jene RSU-Delegierten
zu ersetzen, die in der Epoche der Konzertierten Aktion und des Kompromisses
geformt worden und die nicht bereit sind, andere Saiten aufzuziehen. Damit
muß man eine umfassende Kampagne für die gewerkschaftliche Organisierung
der prekär Beschäftigten verbinden; für ihr Recht die eigenen
Repräsentanten zu wählen und für die Umwandlung der prekären
Arbeitsverträge in unbefristete Verträge.
Man muß auch aufhören, dabei auf der im engeren Sinne gewerkschaftlichen
Dimension des Kampfes zu insistieren. Kämpft die Arbeiterbewegung gegen
eine Regierung oder nicht ? Ist dies vielleicht nicht die Ursache der
Angriffe auf die Arbeiter ?
Wenn die Regierung Berlusconi fiele, würde das bessere Bedingungen für
neue gewerkschaftliche Errungenschaften schaffen. In Wirklichkeit sind der
gewerkschaftliche und der politische Kampf eng miteinander verknüpft.
Die padroni wissen dies sehr gut. Nicht zufällig beschränkt sich
die Confindustria nicht auf die ökonomischen Fragen, sondern wirkt in
schwerwiegender Weise mit allen Mitteln auf die politischen Kräfteverhältnisse
des Landes ein.
Im letzten Teil des Interviews äußert sich Zipponi zu den politischen
Fragen. Auch wenn er sich zum Kommunisten erklärt, lehnt er das Wesentliche
der marxistischen Perspektive ab, das darin besteht den Kapitalismus zu beseitigen
und die Marktwirtschaft durch das kollektive Eigentum an den Produktionsmitteln
zu ersetzen. Ein Prozeß, der unvermeidlich über die Nationalisierung
der wichtigsten Produktivkräfte unter der Kontrolle der Arbeiter verläuft.
Das dementsprechende politische Projekt ist das der “pluralen Linken”, das
jüngst in Frankreich gescheitert ist. Nicht zufällig in der, für
die Kommunisten offenen, hypothetischen “Partei der Arbeit”. Der Kommunismus
bleibt ein abstrakter, idealistischer und utopischer Begriff, der nicht über
den revolutionären Bruch, sondern über ein fortschreitendes “Bestimmen”
des Kapitalismus auf der Suche nach fortgeschritteneren Kräfteverhältnissen
führt.
Seine Konzeption ist eine “edle” und antike Konzeption von reformistischer
Sozialdemokratie, die <Linksdemokraten-Parteipräsident> D’Alema
objektiv aufgegeben hat, die aber mit dem Kommunismus von Marx nichts zu
tun hat.
Das sind Positionen, die wir sicher nicht ignorieren können und mit
denen wir uns als Marxisten in einem Kampf um die Hegemonie in der Arbeiterbewegung
messen müssen.
Mit Sicherheit hat Maurizio Zipponi gezeigt, daß er diejenigen, die
ihn - wie wir - von links kritisieren, nicht ignoriert und sich bereit erklärt,
sich in einer Zeitschrift zu äußern, die gewiß nicht so
“zieht” wie “il manifesto”, “l‘Unità” oder “Liberazione”,
der er aber gleichermaßen Zeit und Aufmerksamkeit gewidmet hat. Wir
danken ihm dafür.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover