Antifa-AG der Uni Hannover:

 

Einen Monat nach Beginn des israelischen Krieges gegen den Libanon und einen Tag nach Verabschiedung der UNO-Resolution zur “Beendigung des Konfliktes” stellt sich jetzt (Mitte August 2006) schärfer denn je die Frage nach den Ergebnissen des Krieges und der weiteren Entwicklung. Dass es sich nur um die “berechtigte Reaktion Israels” auf die Gefangennahme zweier israelischer Besatzungssoldaten handelte, die vielleicht etwas “unverhältnismäßig” ausgefallen sei, glaubt wohl niemand wirklich. Die Frage nach den Resultaten lässt sich freilich nur nach einer nüchternen Analyse der Vorgeschichte, der Protagonisten, ihrer Ziele und der Bedingungen unter denen sie operieren, beantworten. Einen Versuch dazu unternahm der ehemalige Professor an der FU Berlin und jetzige Experte der mitte-linken US-Zeitschrift Foreign Policy (http://www.foreignpolicy.com/  - nicht zu verwechseln mit dem “Zentralorgan” der US-Außenpolitik Foreign Affairs) für die Region, Amr Hamzawy, in einem langen Interview für die von Rifondazione Comunista (dem gezähmten Koalitionspartner in der neuen Regierung Prodi) herausgegebenen Tageszeitung Liberazione vom 26.7.2006. Auch wenn wir keineswegs alle seine Thesen teilen (und seine pro-imperialistischen Grundpositionen schon gar nicht!), halten wir sie für interessante Denkanstöße einer überfälligen rationalen linken Analyse des Geschehens im Libanon und in Israel / Palästina.

 

Es spricht Amr Hamzawy, Experte der US-Zeitschrift Foreign Policy für die Politik des Mittleren Ostens:

 

Dieser Krieg wird an zwei Fronten geführt: Gegen Israel und für die Hegemonie im Islam

 

TIZIANA BARROCCI

 

Ein wichtiges Gipfeltreffen <gemeint ist die internationale Libanon-Konferenz in Rom>, das Gefahr läuft, keine Früchte zu tragen, eine kurze militärische Eskalation, die jedoch für lange Zeit Auswirkungen auf die gesamte Region haben und bereits klare Positionen radikalisieren wird. So sieht Amr Hamzawy, einer der angesehensten Analytiker der Politik des Mittleren Ostens, der gerade von einer Reise nach Ägypten, Jordanien und in den Libanon zurückgekehrt ist, die Ereignisse der letzten beiden Wochen. Der Forscher Hamzawy des Carnegie Endowment for International Peace (http://carnegieendowment.org/), dem think tank (der Denkfabrik) mit Sitz in Washington, der die Zeitschrift Foreign Policy herausgibt, die in Sachen internationale Politik und Weltwirtschaft weltweit führend ist, war auch Professor an der Universität von Kairo und an der Freien Universität Berlin.

 

Die Israelis sind in der Rechtfertigung ihres Angriffs auf den Libanon, den sie als Ausübung des Selbstverteidigungsrechtes gegen die Hisbollah sehen, geeint. Die islamischen Kämpfer reklamieren die Befreiung des Südlibanons für sich und nehmen zwei Soldaten Tel Avivs gefangen. Wie ist es zu einer so schnellen Verschlechterung der Lage in dem Gebiet gekommen?

 

“Um zu verstehen, müssen wir die beiden Protagonisten analysieren. Beginnen wir bei der Hisbollah. Die Partei Gottes verfügt über eine innen- und eine außenpolitische Agenda. Was die Erstere betrifft, so stand die Hisbollah seit dem Tag, an dem sich Syrien aus dem Libanon zurückzog, unter starkem internationalem und innerlibanesischem Druck, was ihre Entwaffnung anbelangt und hatte Mühe ihre Macht gegenüber der Koalition des 14.März <d.h. den pro-imperialistischen Kräften> zu verteidigen. Um auf der libanesischen Bühne bleiben zu können, sieht sich die Organisation so gezwungen, sich in periodischen Abständen als Widerstandsbewegung zu definieren. Ein Charakterzug, der übrigens in ihrer Natur liegt. Die Hisbollah ist keine politische Partei, sondern entstand als Oppositionskraft, ja sogar als Kraft des nationalen Widerstandes. In außenpolitischer Hinsicht unterstützt die Hisbollah, obwohl sie eine schiitische Bewegung ist, den sunnitischen Widerstand der Hamas in Palästina. Nasrallah hat sich in seinen Stellungnahmen wiederholt auf das palästinensische Volk und auf die Notwendigkeit seiner Befreiung bezogen. Ich würde solche Äußerungen ernst nehmen.”

 

Und Israel?

 

“Was Tel Aviv anbelangt, müssen wir sagen, dass es auf das reagiert hat, was es als einen Kriegsakt bezeichnete. Diese (im Vorgehen unverhältnismäßige) Reaktion entstand allerdings aus zwei präzisen Motivationen. Erstens aus dem Willen stärkeren Druck zur Entwaffnung der Hisbollah auszuüben. Zweitens aus dem Wunsch heraus die religiöse Bewegung an den Rand zu drängen. Israels Diskurs scheint mir klar: Lassen wir alle für den von der Hisbollah begangenen Fehler bezahlen. Das ist der einzige Weg, um dafür zu sorgen, dass alle gegen die Miliz rebellieren und um sie herum für verbrannte Erde sorgen.”

 

Ein Ziel, dass heute weit entfernt scheint...

 

“In der Tat. Und wenn Israel das nicht begriffen hat, werden der Regierung einige weitere Tage (so zerstörerisch sie auch sein können) genügen, um das einzusehen. Andererseits war der Einmarsch in den Libanon 1982 nichts anderes als der Beitrag zur Entstehung der Hisbollah. Ich bin davon überzeugt, dass die Entwaffnung der Partei Gottes oder ihre militärische Reduzierung nicht erreicht werden wird, wenn man nicht den innerlibanesischen Weg beschreitet. Die Hisbollah hat ein Drittel der Bevölkerung hinter sich und bleibt stark. Nur ein breiter nationaler Konsens kann zu ihrer Ausgrenzung führen. Dies vorausgeschickt, muss man das Problem jedoch vorsichtig analysieren. Auf der Ebene der Massenmeinung hat die Regierung Olmert nicht das Ziel getroffen, sondern den gegenteiligen Mechanismus aktiviert: <Sie hat für> eine größere Unterstützung der Hisbollah <gesorgt>. Die sunnitischen und schiitischen arabischen Bevölkerungen versammeln sich um das, was sie als die einzige Widerstandsbewegung gegen den westlichen Unterdrücker ansehen. Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass das, was auf den Straßen geschieht, nicht die Regierungspolitik widerspiegelt. Und das umso mehr, wenn man von den arabischen Staaten spricht. Die arabischen Regime beschreiten andere Wege als die Leute, die auf die Straße gegangen sind.”

 

Vor einigen Tagen schrieb Robin Wright in der “Washington Post”, dass die Krise, die wir gegenwärtig erleben das Ergebnis einer nationalen und internationalen Verschwörung zur Umsetzung der Resolution des UN-Sicherheitsrates Nummer 1559 ist, die die Entwaffnung der Hisbollah und die Freilassung der libanesischen Gefangenen will. Was meinen Sie dazu? Sehen sie Spuren für eine “Verschwörung”, vonseiten der westlichen Kräfte oder vonseiten der historischen Verbündeten der Hisbollah, wie Syrien und dem Iran? Es wird viel von einem Abkommen über Palästina gesprochen, dass Damaskus nicht gefiele...

 

“Ich bin gegen jede Verschwörungstheorie. Zweifellos sind hier Interessen im Spiel, aber ich würde niemals von Verschwörung sprechen. Gehen wir der Reihe nach vor. Zuallererst müssen wir daran erinnern, dass die Hisbollah kein Agent Syriens oder des Irans ist und ihre eigene innenpolitische Agenda hat. Es steht außer Zweifel, dass diese beiden Staaten Interesse an dem haben, was derzeit passiert. So lässt sich die Verschwörungstheorie allerdings nicht rechtfertigen. Auch wenn die Hisbollah daran gearbeitet hat, dass der auf Damaskus und Teheran ausgeübte internationale Druck sich abschwächt, hat sie das eigenständig getan. Es ist kein Geheimnis, dass Syrien das Problem der Ermordung von Hariri <dem pro-westlichen libanesischen Ex-Ministerpräsidenten und Milliardär im Februar 2005> noch in vollem Umfang zu lösen und der Iran mit dem Problem des Atomprogramms zu tun hat.”

 

Prognostizieren Sie, dass diese Eskalation einen umfassenderen Krieg in der Region zur Folge hat?

 

“Nein. Keiner der fraglichen Akteure hat de facto ein Interesse daran, dass etwas derartiges stattfindet. Weder Syrien noch der Iran und auch Israel nicht. Und nicht einmal die Vereinigten Staaten, obwohl sie Damaskus für das verurteilt haben, was die Hisbollah gemacht hat. Sie sind zu sehr im Irak beschäftigt. Und doch möchte die unter den arabischen Massen weit verbreitete Stimmung einen Krieg gegen Israel. Die Regierungen wollen ihn nicht.”

 

Welches Szenario halten sie also für möglich?

 

“Ich sehe, dass sich zwei entgegen gesetzte Blöcke stabilisieren, die sich über einen langen Zeitraum eine harte, aber ganz und gar politische, Auseinandersetzung um die Hegemonie in der Region liefern werden. Wenn ich sage, dass die öffentliche Meinung nicht die Meinung der Regime widerspiegelt, denke ich vor allem an Saudi-Arabien, Jordanien und Ägypten. Es handelt sich um so genannte gemäßigte Länder, die zum ersten Mal die Doppeldeutigkeit und die starke panarabische Rhetorik aufgegeben haben, die sie kennzeichnete. Offiziell (und das war etwas sehr Überraschendes) haben sie die Hisbollah offen verurteilt. Das sagte der saudische Minister ebenso wie der ägyptische Präsident. Sie müssen sich wegen des mit der Ermordung Hariris verbundenen Problems von Syrien distanzieren und sind sich der Gefahr bewusst, die der Iran, was die Überlegenheit in der Region anbelangt, darstellt. Sie haben Angst vor dem wachsenden Einfluss Teherans, der im Irak bereits offensichtlich ist. Deshalb versuchen sie diese beiden Akteure in jedem Fall zu isolieren.”

 

Sie sehen also keine Möglichkeit für eine schiitisch-sunnitische Allianz in der Region?

 

“Nein. Wir müssen die Erklärungen der so genannten gemäßigten Länder sehr ernst nehmen. Und ihre Absicht sich als vereinter Block zu konstituieren.”

 

Und was stellen Sie sich für die nähere Zukunft vor?

 

“Ich sehe eine Neudefinition aller Mächte. Innerhalb und außerhalb des Libanon. Innerhalb muss die Frage der Entwaffnung der Hisbollah in umfassender Weise angegangen werden. Der Libanon wird allerdings durchaus keine Periode der Stabilität erleben. Die Schwäche, die er in dieser Krise gezeigt hat, wird zu Tage treten. In jedem Fall wird man nicht zu einer Situation wie vor der Eskalation zurückkehren. Es ist klar, dass es auf die eine oder andere Weise gelingen wird die Hisbollah einzudämmen, vielleicht sogar indem man sie in die libanesische Armee integriert. Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien haben mittlerweile deutlich gesagt, das sie von der Hisbollah genug haben. Syrien wird immer einsamer werden und kann nichts anderes tun als sich Teherans Politik anzuschließen. Der Iran wird weiterhin versuchen die Führungsrolle in der Region zu ergreifen, indem er sein Widerstandsrecht gegen die ausländische Politik ausübt und versucht sie einzudämmen. Die Vereinigten Staaten werden gezwungen sein zur Politik von vor dem 11.September zurückzukehren und sich gezwungen sehen, ernsthaft an einer Lösung des israelisch-palästinensischen Konfliktes zu arbeiten.”

 

Welche Möglichkeiten hat die libanesische Regierung zu überleben?

 

“Die Regierung wird nicht überleben. Aber das ist nicht der Punkt. Das Problem ist die extreme Schwäche aller Institutionen des Zedernlandes. Der Staat ist nicht souverän. Und die Periode der Instabilität wird lang sein. Man wird zu einer Situation wie vor den 90er Jahren zurückkehren und die externen Kräfte werden jede eine andere interne Fraktion unterstützen.”

 

Sie sagen, dass die Vereinigten Staaten ihre alte Politik von vor dem 11. September verfolgen werden. Die lancierten Signale sind allerdings nicht so eindeutig.

 

“Ich sage, dass sie gezwungen sein werden es zu tun. Sie werden sich nicht anders verhalten können. Sie werden wirklich versuchen müssen, das israelisch-palästinensische Problem zu lösen. Wie, das ist eine andere Sache. Es ist klar, dass sie ihren Einfluss auf die gemäßigten Länder nutzen werden.”

 

Und der Iran?

 

“Der Iran befindet sich wirklich in einer besonderen Situation. Die iranischen Interessen sind ganz andere als die syrischen. Und auch seine Karten sind andere. Es ist klar, dass es eine folgerichtige / kurze und bündige Konfrontation in erster Linie mit Ägypten und den anderen Ländern der moderaten Achse geben wird. Er macht ihnen das Leben schwer. Der Iran ist stark und kann es sich erlauben zu den westlichen Kräften Nein zu sagen und mit Washington zu spielen. Stellen wir uns das bei Ägypten vor...”

 

Wenn Sie von verschiedenen politischen Lagern sprechen, kann man nicht umhin daran zu denken, dass die gemäßigten Länder schwach zu sein scheinen...

 

“Es gibt einen großen Unterschied zwischen dem Charakter, den eine Regierung innenpolitisch hat und dem außenpolitischen. Intern ja, sind diese Regime in Schwierigkeiten, fehlt ihnen die Legitimität. Auf internationaler Ebene sind sie allerdings noch sehr stark. Ich würde wirklich nicht sagen, dass Ägypten schwach ist.”

 

Kommen wir zu Israel. Olmert hat die Möglichkeit von NATO-Truppen an der Grenze bejaht...

 

“Und <EU-“Außenminister”> Solana scheint zu einer EU-Truppe zu neigen. Die Tatsache, dass Israel Ja gesagt hat, bedeutet allerdings nicht, dass der Vorschlag von der Hisbollah akzeptiert wird. Man muss sehen, wie er der Partei Gottes präsentiert wird. Wenn er zusammen mit dem üblichen Druck zu einer Entwaffnung der Hisbollah und ihrem Verschwinden von der libanesischen Bühne gemacht wird, scheint es mir schwierig, dass er akzeptiert wird. Die einzige Möglichkeit die internationalen Truppen zu stationieren, verläuft über Verhandlungen.”

 

Wie sehen Sie das Gipfeltreffen, das heute in Rom beginnt?

 

“Als eine Gelegenheit, um die Bedingungen für einen Frieden festzulegen. Ich kann mir allerdings schwer vorstellen, dass bei diesem Gipfeltreffen – ohne die Anwesenheit der Hauptakteure – irgendeine realistische Lösung herauskommen kann. Ich sagte, dass die Hisbollah keine Agentur von Teheran oder Damaskus ist. Dies bedeutet aber nicht, dass die Beiden nicht einen starken Einfluss auf die religiöse Miliz ausüben. Ich verstehe, dass es, aufgrund der in den USA und in einigen europäischen Nationen vorhandenen anti-syrischen und anti-iranischen Rhetorik, schwer ist diese beiden Nationen einzuladen. Deshalb dürfen sie allerdings nicht ignoriert werden. Alle wissen, dass nicht-offizielle Kanäle existieren, um sie zu kontaktieren.”

 

Halten Sie den Gipfel für Zeitverschwendung?

 

“Nein, der Gipfel findet als Moment zur Festlegung von Bedingungen statt, die für beide Seiten akzeptabel sind. Ich sage nur, dass man so vorgehen muss, dass diese Bedingungen realistisch sind.”

 

Was empfehlen sie also den Führern, die sich in Rom treffen werden?

 

“Ich empfehle, sehr genau daran zu denken, was Syrien, der Iran und die Hisbollah fordern. Die Drei haben unterschiedliche Interessen. Syrien muss aus seiner Isolation herauskommen, benötigt also Vorschläge, was wirtschaftliche und politische Beziehungen anbelangt. Der Iran will seine Hegemonie in der Golf-Region verstärken und hat das Atomprogramm. Die Hisbollah will nicht von der Bühne verschwinden. Sie braucht innenpolitische Garantien für ihr Überleben. Ich glaube, sie würde auch die Möglichkeit ihrer Integration in die libanesische Armee akzeptieren <bzw. die ihres bewaffneten Arms, des Islamischen Widerstandes!>. Ihre Vernichtung ist jedoch nicht vorstellbar. Und auch ihre Entwaffnung, die notwendigerweise die Garantien voraussetzt, von denen ich sprach, muss sich über einen langen Zeitraum erstrecken. Nicht weniger als zwei Jahre.”

 

Ist es realistisch, dass diese Forderungen akzeptiert werden?

 

“Sie haben gefragt, was ich denke, woran die in Rom versammelten Führer denken sollten. Was akzeptabel ist oder was die Staaten akzeptieren wollen, ist eine andere Sache. Dabei handelt es sich um eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Über die Mittel verfüge ich nicht. Ich bin nur der Auffassung, dass es nicht denkbar ist der Hisbollah zu harte Bedingungen zu setzen, weil die niemals in Erwägung gezogen werden.”

 

 

Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:

Antifa-AG der Uni Hannover