Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
„Die Sozialpartnerschaft ist tot. Nie
wieder Konzertierte Aktion! Es bedarf einer neuen, konfliktorientierten Phase
der Gewerkschaftsbewegung! Schluss mit der Politik der Opfer!“ So lauteten einige der vom radikaleren Teil der
italienischen Mitte-Links-Union vor den Parlamentswahlen im April diesen Jahres bis zum Erbrechen wiederholten Losungen.
Geblieben ist von dieser Zielsetzung nach nur wenigen Monaten Prodi-D’Alema-Regierung – wie in vielen anderen Bereichen –
so gut wie nichts. Um die neoliberalen Vorgaben des sog. „Stabilitätspaktes“,
d.h. der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion und den Maastricht-Kriterien,
zu genügen, wird derzeit unter Führung des ehemaligen EZB-Direktors Tommaso Padoa-Schioppa ein „Blut, Schweiß & Tränen“-Haushalt
aufgelegt, wie ihn Berlusconi kaum zu präsentieren gewagt hätte. Und auch an
einer Neuauflage der – vom „Kavalier“ stiefmütterlich behandelten –
Sozialpartnerschaft wird gearbeitet. Ziel sind dabei natürlich keine
Verbesserungen für die Lohnabhängigen, sondern eine verschärfte Fortsetzung der
1993 eingeleiteten „Lohnzurückhaltung“.
Diese arbeiterfeindliche Politik ruft
nun ersten ernsthaften Protest hervor, wenn auch zunächst noch nicht so sehr
auf der Straße und in den Betrieben, sondern im Rahmen der politischen Debatte.
Einer der Ersten, die Stellung gegen diese abgeschmackte Neuauflage der
Sozialpakte bezogen, war die „Nummer 2“ der größten (und recht
kämpferischen) italienischen Metallarbeitergewerkschaft FIOM-CGIL, Giorgio Cremaschi. Cremaschi, der
zugleich prominentester Vertreter der Gewerkschaftslinken im größten
Gewerkschaftsbund CGIL ist und bekanntes Mitglied von Rifondazione
Comunista (PRC), nahm sich – in einem Beitrag für die
PRC-Tageszeitung „Liberazione“
vom 3.8.2006 – niemanden Geringeres als den langjährigen
Generalsekretär von Rifondazione, Fausto Bertinotti, vor, der auch jetzt noch als Präsident der
Abgeordnetenkammer (also im dritthöchsten Staatsamt Italiens) erheblichen
Einfluss auf die Politik der wichtigsten Partei der italienischen „radikalen
Linken“ ausübt. Dabei kann Cremaschis bemüht
freundliche Sprache über die rasch wachsenden Divergenzen nicht hinwegtäuschen
– im Gegenteil!
Bertinotti bringt den Sozialpakt wieder ins Spiel.
Damit bin ich nicht einverstanden!
Giorgio Cremaschi
Ich glaube, dass der
zentrale Punkt des Interviews, das Fausto Bertinotti Rina Gagliardi für „Liberazione“ gab, nicht so sehr das Thema der
parlamentarischen Ausweitung der Regierungsmehrheit <um die rechten Christdemokraten
der UDC> war, sondern der Vorschlag
eines neuen Sozialpaktes zwischen der Anhängerschaft der Linken und der
Bourgeoisie, die bereit ist über den Wirtschaftsliberalismus hinauszugehen.
Nach allem, was man dazu sagen kann, bin ich damit überhaupt nicht
einverstanden.
Dieser Vorschlag geht von
der Feststellung der Schwierigkeiten aus, die die Mitte-Linke heute selbst auf
symbolischem Gebiet in Sachen Zustimmung und Beteiligung <der Bevölkerung> hat. Und er schlägt vor sie von zwei Seiten aus zu
überwinden: durch einen „dynamischen Kompromiss“ mit dem
fortgeschrittensten Teil des Kapitals und durch eine stärkere Beteiligung der
Bevölkerung an den Entscheidungen der Regierung. Mein Eindruck ist, dass die
eine Entscheidung die andere unmöglich macht.
Die benutzten Themen und
Begriffe erinnern sehr an die Ausrichtung, die <in den 70er Jahren der damalige PCI-Generalsekretär> Enrico Berlinguer der Politik des
Historischen Kompromisses und dann der Politik der Nationalen Einheit gab.
Diese Politik ist gescheitert. Berlinguer nahm das
zur Kenntnis und wählte <Anfang
der 80er Jahre> eine alternative
Linie des harten politischen und sozialen Konfliktes. Heute scheinen mir die Gründe, die zu diesem Scheitern führten,
noch stärker als damals.
Ich möchte auch eine andere
methodische Betrachtung vorschlagen. Seit mehr als 30 Jahren betrachte ich mich
als Freund von Fausto Bertinotti und weiß, dass eine
der grundlegenden Punkte seiner politischen Kultur stets die Ablehnung des
Sozialpaktes und des Bündnisses mit dem fortgeschrittensten Teil der
Bourgeoisie war. Was hat ihn dazu bewogen seine Meinung zu ändern und wieso hat
er es getan? Ich glaube, dass eine Erklärung notwendig ist, auch um zu
verhindern, dass man in jene kommunistische Tradition zurückfällt, die Fausto Bertinotti immer bekämpft hat und in der die ideologische
Kontinuität der Beschlüsse der Partei die unterschiedlichen strategischen
Entscheidungen deckt. Ohne ein vertieftes Eingehen auf die Gründe für die
Veränderungen entstehen Gegensätze, die nur auf dem Prinzip der Treue zu den
führenden Funktionären oder auf der Treue zur Ideologie oder zu beidem beruhen.
Gegensätze, die zu nichts gut sind, wenn sie nicht sogar Schaden anrichten.
Mir scheint, dass heute,
ebenso wie in der Epoche des Historischen Kompromisses, die Idee des
Sozialpaktes mit dem fortgeschrittensten, produktivsten und
anti-freihändlerischen Teil der Bourgeoisie (die Begriffe ändern sich im Laufe
der Zeit, aber das Konzept ist immer noch dasselbe) dazu bestimmt ist für die
Anhängerschaft der Linken keine guten Ergebnisse zu zeitigen. Zuallererst aber:
Wer ist der fortgeschrittenste Teil der Bourgeoisie? Fausto Bertinotti
zitiert zum Beispiel den neuen FIAT-Vorstandsvorsitzenden Marchionne.
Das scheint mir eine unvorsichtige Wahl. Sicherlich haben sich die Dinge bei
FIAT geändert, auch weil das Vorgehen der vorangegangenen Vorstände den Konzern
an den Rand des Bankrotts geführt hatte. Die Entscheidung, der
Automobilproduktion und der Industrie den Vorzug zu geben, ist mit Sicherheit
besser als die Gelder in die Finanzspekulation zu stecken. Dennoch reicht diese
Entscheidung nicht aus, um eine andere Perspektive als den
Wirtschaftsliberalismus zu definieren, der nicht nur von der Rendite lebt,
sondern weltweit eine eindeutig industrielle Dimension angenommen hat.
FIAT ist der europäische
Automobilkonzern, der am stärksten Produktionen verlagert hat. Das Abkommen mit
den Indern von Tata legt nahe, dass man diesen Weg
weiter beschreiten und eher die Industrialisierung der
neuen Gebiete mit hoher Entwicklung anstrebt als das Wachstum in den
fortgeschrittensten Ländern mit einer anderen Produktqualität. Wird es ein
Zufall sein, dass – während die neue Rolle von FIAT gepriesen wird – die
Investitionen in das Hydrogen-Auto und die
Investitionen in die Mobilität der industriell fortgeschrittensten Länder von
der Agenda des Konzerns verschwinden? Und die industriellen Beziehungen haben
sich auch nicht so sehr verändert. Ja sicher gab es eine Erhöhung der Prämie,
aber die Probleme was die Arbeitsorganisation und die Arbeitsbedingungen
anbelangt und die Schwierigkeiten der Gewerkschaften (angesichts des Autoritarismus des Unternehmens) diese anzugehen, bestehen
nach wie vor.
Damit soll nicht gesagt
werden, dass alles gleich ist, sondern schlicht und einfach, dass es nicht
stimmt, dass die Perspektive, die diese Industrie- und Finanzbourgeoisie hat,
auf die Fausto Bertinotti sich bezieht, darin besteht
über den Wirtschaftsliberalismus hinaus zu gehen. Sie hat ganz einfach mit
Berlusconis unverschämtem und vergeblichem Wirtschaftsliberalismus abgerechnet
und denkt an einen anderen Weg (an den abgemilderten und sozialpartnerschaftlich
ausgehandelten Wirtschaftsliberalismus), um dieselben Ziele zu erreichen.
Natürlich ist es für uns besser fortgeschritteneren und intelligenteren
Positionen in der Bourgeoisie gegenüberzustehen. Allerdings unter der
Bedingung, dass man mit ihnen keine Pakte schließt, sondern durch die
Entwicklung des Konflikts und der Demokratie Druck auf sie ausübt. Wenn etwas
in der italienischen Geschichte klar ist, dann dass der Sozialpakt die
demokratische Beteiligung von unten zerstört. So geschah es mit dem
organischsten Sozialpakt, der in unserem Land je geschlossen wurde – demjenigen
vom 23.Juli 1993. Damals war die gesamte gewerkschaftliche und antagonistische
Linke gegen das Abkommen. Und sie hatte Recht. Weil, während dieses System,
diese Allianz eine gewisse Sanierung ermöglichte, es die Absorbierung des
italienischen Wirtschaftssystems in das wirtschaftsliberale italienische nicht
aufgehalten, sondern vielmehr gefördert hat. Und vor allem erlaubte jener
Sozialpakt die umfangreichste Umverteilung des Reichtums zulasten der Arbeit in
den letzten Jahrzehnten. Ohne die demokratische Beteiligung in irgendeiner
Weise auf die wirtschaftspolitischen und die Entscheidungen der Unternehmen zu
erweitern.
In der italienischen
Geschichte von der Einigung Italiens bis heute hat die Idee des Bündnisses
zwischen den fortgeschrittensten Kräften der Bourgeoisie und denen der unteren
Klassen niemals die Ergebnisse gezeitigt, die man sich davon erhoffte.
Vielleicht weil in der italienischen Bourgeoisie die Interessen und die
Machtbefugnisse immer in einem Regime verwaltet wurden, in dem die Hierarchien
und die Familien sich am Ende stets zusammenrauften und miteinander verflochten,
auch wenn es Streitigkeiten gab. Genau wie beim Fußball. Deshalb: Wenn Du Dich
mit Marchionne verbündest, tust Du es auch mit <dem
FIAT-Aufsichtsratspräsidenten und Chef des Industriellenverbandes> Montezemolo und dann
vielleicht sogar mit Della Valle <Anm.1> und dann – am Ende auch mit den Finanzspekulanten.
Nein, in Italien gab es niemals eine produktive Bourgeoisie, mit der man sich
gegen die Rendite hätte verbünden können, weil Profit und Rendite am Ende immer
zusammenlebten. Deshalb ist Giorgio Amendolas <Anm.2> Argumentation in die Krise geraten. In den 80er
Jahren musste ich mich als FIOM-Sekretär von Brescia
mit einem Gutteil des PCI auseinandersetzen, der den Stahlindustriellen Luigi Lucchini für einen modernen Gesprächspartner hielt, mit dem
man sich verbünden konnte. Damals benutzte man dieselben Begriffe und dieselbe
Ideologie, die heute Prodi zur „Modernität“
drängen. Ich glaube, dass ich Recht hatte, zu dieser Allianz Nein zu sagen. Lucchini erwies sich als ein skrupelloser Finanzier und
musste seine Fabriken am Ende dem russischen Multi Severstal
überlassen.
Das Bündnis, das Fausto Bertinotti heute vorschlägt, ist politisch sehr viel
schwächer als das, das in der Epoche der Nationalen Einheit <Mitte / Ende der 70er Jahre> scheiterte. Auch deshalb weil alle möglichen
Vertragspartner in diesem Bündnis (von Marchionne
über Draghi und Padoa-Schioppa
bis Basoli) bereits Teil der Mitte-Linken sind. Und
bei den Wahlen <im
April 2006> hat diese politische
Allianz, die von den Spitzen der <Industriellenvereinigung> Confindustria bis zu einem
Teil der Centri Sociali
(Sozialen Zentren) reicht, gerade soeben 50% der Stimmen bekommen. Nein, auf
diesem Weg erweitert man die Mehrheit nicht. Im Gegenteil, damit legt man die
Grundlagen für ihre weitere Begrenzung. Mit den Brüchen, die gegenüber jenen
Arbeitern, jenen Rentnern und jenen prekär Beschäftigten entstehen können, die
jeden Tag erleben, dass es nicht einen einzigen bedeutenden Teil der
italienischen Bourgeoisie gibt, der tatsächlich daran denkt die Politik der
Lohnzurückhaltung oder der Flexibilisierung der Arbeit zu überwinden.
Ja, der unverschämte
Wirtschaftsliberalismus von Bush und Berlusconi ist in der Krise. Eine andere
Politik ist allerdings noch nicht zu erkennen, wie die Tragödie der
schändlichen Ohnmacht der so genannten internationalen Gemeinschaft angesichts
des Krieges und des Terrorismus des Staates Israel zeigt. Nein, wir sind noch
nicht in das Zeitalter der Reformen und des Fortschritts eingetreten, sondern
stagnieren leider noch immer in einem harten Moment, in dem Wut und
Resignation, Unsicherheit und ungerechtfertigter Gefolgschaftstreue (Fideismen) sich verbinden oder gegenseitig annullieren. Darum
bedarf es zuallererst einmal eine neuen Phase von Bewegungen, die in der Lage
sind die Politik zu einer Erneuerung der Praxis und der Inhalte zu drängen.
Eine Phase von Pakten würde den Neuaufschwung der Bewegungen stoppen. Genau so
wie es in der Geschichte unseres Landes immer der Fall war, gerade weil sie
alles in den gegenwärtigen Schwierigkeiten und der gegenwärtigen Krise
einfrieren würde.
Deshalb bin ich mit Fausto Bertinotti nicht einverstanden und hoffe – als alter Freund
– dass er diesen seinen neuen Ansatz fallen lässt oder ihn zumindest besser,
sehr viel besser erklärt.
Anmerkungen:
1:
Diego Della Valle (geboren am
30.12.1953) ist Haupteigentümer eines Konzerns, der Luxuswaren produziert (in
erster Linie Schuhe der Marken „Tod’s“, „Hogan“
und „Fay“). Der damit erzielte Erfolg erlaubte ihm die finanzielle
Expansion. So sitzt er seit 1999 im Aufsichtsrat der Comit-Bank,
kaufte 2002 den Fußballclub AC Florenz und 2003 einen 2%-Anteil am Verlagshaus
RCS, das das gemeinsame Organ der arrivierten Teile der italienischen
Bourgeoisie – die Tageszeitung „Corriere della
Sera“ – herausgibt. Politisch zunächst ein Anhänger der Anfang der 90er
Jahre an ihrer Verstrickung in den Schmiergeldskandal Tangentopoli
zugrunde gegangenen, kleinen, linksliberalen Republikanischen Partei (PRI),
unterstützte und finanzierte er 1994 Silvio Berlusconi und dessen Partei Forza Italia bei deren erfolgreichem Debüt. Später überwarf er
sich mit Berlusconi und trat nach einer heftigen politischen und verbalen
Auseinandersetzung mit diesem Anfang 2006 aus dem Vorstand des einflussreichen
Industriellenverbandes Confindustria zurück. Er ist
eng mit Clemente Mastella befreundet, dessen
rechtschristdemokratische Partei UDEUR den äußersten rechten Flügel der jetzt
regierenden Mitte-Links-Union bildet.
2:
Giorgio Amendola (21.11.1907 –
5.6.1980) trat 1929 der verbotenen Italienischen Kommunistischen Partei (PCI)
bei. 1932 – 1937 wegen
antifaschistischer und kommunistischer Untergrundtätigkeit vom Mussolini-Regime
inhaftiert. Flüchtete nach seiner Befreiung zunächst nach Frankreich, später
nach Tunesien. Ab 1943 in den PCI-geführten
Garibaldi-Brigaden aktiver Teilnehmer am Partisanenkampf gegen den
italienischen Faschismus und die Besetzung durch Nazi-Deutschland. 1945/46, während
der kurzen Regierungsbeteiligung der KP, Staatssekretär des italienischen
Ministerpräsidenten. Von 1948 bis zu seinem Tod PCI-Abgeordneter.
Seit 1964 Führer und Ideologe des rechten Parteiflügels. Autor zahlreicher
Bücher und Schriften: u.a. „Kommunismus, Antifaschismus und Widerstand“ (1967), „Briefe
nach Mailand“ (1973), „Interview über den Antifaschismus“ (1976
zusammen mit Piero Melograni), „Eine
Lebensentscheidung“ (1978) und „Eine Insel“ (1980). Das letzte Buch
wird als seine beste Arbeit betrachtet.
Vorbemerkung,
Übersetzung, Anmerkungen und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover