Antifa-AG der Uni Hannover:
Nachdem das Mitglied der 39köpfigen Nationalen Leitung von Rifondazione Comunista (PRC) und außenpolitische Verantwortliche der Partei, Gennaro Migliore, sich bereits einige Wochen zuvor für eine verstärkte Zusammenarbeit der alternativen Linken in Europa ausgesprochen hatte, analysiert er im nachfolgenden Editorial der parteieigenen Tageszeitung Liberazione vom 3.10.2002 die Lage eben dieser alternativen Linken nach den Wahlen in Frankreich, Deutschland und Schweden und unterbreitet Vorschläge für ihre weitere strategische Ausrichtung. Dabei weist sein Urteil über Schwesterparteien in den anderen Ländern für öffentliche Beiträge von (zur Mehrheitsfraktion gehörenden) Führungsmitgliedern von Rifondazione eine bis dato ungewohnte Schärfe auf.
Die Bewegung und die Beziehungen zu den Parteiorganisationen:
Die Gelegenheit für die alternativen Linken
Gennaro Migliore (Mitglied der Nationalen Leitung und Verantwortlicher für die nationale außenpolitische Abteilung des PRC)
Wenn man sie von der Hide Park Corner in London oder von der piazza del Popolo in Rom aus betrachtet, erscheint die europäische alternative Linke als sehr viel mehr denn ein einfaches Versprechen. Bei diesen beiden außerordentlichen Terminen des Kampfes gegen den Krieg haben sich politische Subjekte, Gewerkschaftsorganisationen und viele Leute mit unterschiedlichen politischen Geschichten und Wegen getroffen.
Man könnte sagen, daß die Opposition gegen den Krieg breite Bündnisse bildet, daß sie allerdings im Laufe der Zeit auseinander fallen und alle zu den Ausgangsbedingungen zurückkehren. Man könnte sagen, daß das Zusammentreffen zweier imponierender Demonstrationen <d.h. der Anti-Kriegsdemo in London und der jährlichen nationalen Manifestation von Rifondazione, die diesmal in Rom stattfand und insbesondere gegen den drohenden Irak-Krieg gerichtet war> aufgrund der systematischen Verdunkelung durch die Kommunikationsmittel (wie Liberazione scharfsinnig beobachtete) und aufgrund der geringen Bereitschaft der linken Kräfte das auszuwerten, was außerhalb der nationalen Grenzen geschieht, nur von wenigen mit den Arbeiten Beschäftigten wahrgenommen und erlebt wird. Das könnte man alles sagen, aber wir würden uns täuschen.
Eine radikale These
Ich möchte hier eine radikale These vorschlagen, die die Frucht der Entwicklung unserer Parteitagsthesen ist hauptsächlich den von unserer Partei im Laufe des letzten Jahres gemachten Erfahrungen entsprechend. Die These lautet, daß der links von den europäischen Sozialdemokratien offene politische Spielraum von einem politischen Bereich mit vorläufig ungewissem Profil besetzt werden wird, den wir als alternative Linke bezeichnen könnten. Das zu befürwortende Wagnis basiert auf zwei Voraussetzungen: einer strukturellen und einer anderen, die den Kontext betrifft. In den letzten Monaten haben wir die Bewegung der Bewegungen <d.h. die Antiglobalisierungsbewegung> als den mächtigsten subjektiven Agenten in der Veränderung der Beziehungen zwischen Politik und Gesellschaft bezeichnet. Insbesondere ist die Doppeldeutigkeit politischer Organisationen, die sich als Alternative verstehen und in Wirklichkeit als an den Rändern der Sozialdemokratien stehend erwiesen haben, definitiv unaussprechlich geworden. Den Kontext stellen die fortschreitenden wirtschaftlichen und die Entscheidungsgewalten betreffenden Konzentrationsprozesse dar, die auf europäischer Ebene stattfinden und die eine politische Antwort auf derselben Ebene erfordern.
Einige Beispiele dafür haben die Wahlkämpfe des letzten Jahres geliefert.
Die Wahlen in Frankreich haben das Bewußtsein der linken Aktivisten <original: Militanten> wirklich grundlegend erschüttert. Der durch das Aufbäumen Le Pens bestimmte Schock und die sich daraus ergebende Bildung einer noch nicht dagewesenen Front für die Demokratie zur Unterstützung des Konservativen Chirac hat tiefgehende Wurzeln in der Krise der gegenwärtigen Politik, die durch die, von der kapitalistischen Globalisierung hervorgerufene soziale Zersetzung bestimmt ist. Im ersten Durchgang der Präsidentschaftswahlen hat man den Zusammenbruch des PCF (Französische Kommunistische Partei) erlebt, der an das Projekt der pluralen Linken von Jospin geglaubt hatte, sowie die Bestätigung der LCR (Revolutionär-Kommunistische Liga) und LO (Lutte Ouvrière Arbeiterkampf), die wenn auch mit einem vollständig verschiedenen Wählerprofil vor allem für den Grad der Systemkritik, die sie zum Ausdruck bringen, belohnt wurden. Anläßlich der Parlamentswahlen <gut einen Monat später> hat der PCF wieder leicht hinzugewonnen, wobei er den Rückgang des Wahlergebnisses insgesamt bestätigte und LCR wie LO haben die Schwelle der parlamentarischen Vertretung, kraft des Mehrheitswahlgesetzes, aber auch aufgrund einer niedrigen territorialen und sozialen Verankerung, nicht überschritten.
Deutschland und Schweden
In Deutschland und in Schweden, wo der ungestüme Vormarsch der Rechten unterbrochen wurde, gehen sowohl die schwedische Linkspartei <d.h. die erneuerte ex-KP> als auch noch sehr viel dramatischer die PDS zurück und verlieren Stimmen an die entsprechenden sozialdemokratischen Formationen entsprechend einer Polarisierung der politischen Auseinandersetzung, die einer Verfinsterung der Unterschiede auf der Linken mit sich gebracht hat. Im Osten <Europas> sind, am Vorabend der Ausweitung der EU vor allem aufgrund der neuerlichen Bestätigung von Fragen der sozialen Gerechtigkeit, die durch die Anpassung der Leitungseliten jener Länder an die monetaristischen Parameter des Euro-Europas in die Krise geraten ist, Zuwächse der kommunistischen Kräfte in Böhmen und Mähren und in der Slowakei festzustellen.
Wie man sieht, ist das Thema der Gesellschaftsalternative, bei der die Opposition gegen den Krieg und den Neoliberalismus keine Blumen im Knopfloch sein können, sondern in jedem Augenblick des politischen Lebens dieser Organisationen wirksame Charakteristika, mittlerweile unausweichlich. Man muß sich allerdings bei der Strafe der fortschreitenden Marginalisierung auch dem Problem der Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit des eigenen Handelns stellen.
Diese obgleich notwendige Diskussion befindet sich noch in ihrer Anfangsphase und sofort stellt sich die Frage, welches die einzubeziehenden Subjekte und welches die Modalitäten übereinstimmenden Handelns sein sollen.
Der englische Einsatz
Wiedereinmal hat uns die Bewegung gelehrt, uns nicht den traditionellen Vertretungen der politischen Geografien anzuvertrauen und uns weiter vorangetrieben. Auch in diesem Fall unterstützen die Erfahrungen diese These. In England waren die Formationen links von New Labour niemals ernsthaft in Betracht gezogen worden. Heute hat die Entscheidung dieser Kräfte, in die Bewegung zu investieren, seit Genua zur Wiedereingliederung vieler zuvor auseinandergelaufener Subjekte geführt, die die konservative Politik Blairs nicht unterstützen. In Spanien hat Izquierda Unida (Vereinigte Linke) auf fruchtbare Weise die Bewegung getroffen, die im März Barcelona überflutet hat, die aber vor allem den Weg zu einem außerordentlichen Generalstreik im Juni eröffnete. Die einzubeziehenden Subjekte können somit nicht nur die traditionell in Parteien organisierten sein, sondern auch Teile der Gewerkschaftswelt, Bewegungsnetzwerke und Netzwerke einzelner Individuen. Die Themen finden sich oftmals gerade in der Ausarbeitung der Bewegung und das ist der Grund, weshalb ich Folgendes als grundlegende Achse des kommenden Europäischen Sozialforums in Florenz vorschlagen würde: die Opposition gegen den Krieg; den Gegensatz zur Privatisierungspolitik und das (von links) Zur-Diskussion-Stellen des Stabilitätspaktes; die sozialen und die Bürgerrechte (vor allem der Migranten), die in die kommende europäische Verfassung aufgenommen werden müssen.
Das ist sicher keine einfache Arbeit, aber die Gelegenheit, die wir vor uns haben, könnte es viele Jahre lang nicht wieder geben.
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover