Das „Sozialticket“ als Alptraum?
Eigentlich
sollte die Zeit der Bescheidenheit längst vorbei sein. Wir haben den
neoliberalen Zeitgeist lange genug mitverfolgt, um zu wissen, dass dabei nur
die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Wenn diejenigen, die zur Arbeit
nur das Kapital beisteuern, immer 20-30 % mehr herausholen wollen, als sie
hinein geben, dann kann sich die Gesellschaft dies irgendwann nicht mehr
leisten. Eine Realpolitik, die horrenden Profite und anderen Interessen des
Kapitals nicht antastet, ist deshalb ganz und gar nicht realistisch.
Deshalb sollten
wir darüber reden, wie wir uns unsere Gesellschaft vorstellen und danach auch
unsere Forderungen gestalten. Dazu gehört eine Infrastruktur, die auch allen in
der Gesellschaft zur Verfügung steht - und nicht von der Gewinnerwartung der
Unternehmen abhängen kann. Zum Beispiel die Versorgung mit Energie, Wasser,
Kommunikation, Gesundheit oder Mobilität.
Wird eine solche
Versorgung den berüchtigten Marktgesetzen unterworfen, dann dient sie nicht
mehr den Menschen. So wurde in Kalifornien schon mal der Strom abgeschaltet, weil
es für die Konzerne kostengünstiger war, Kraftwerke vorübergehend stillzulegen,
als sie am Netz zu lassen. Ebenfalls in den USA hat eine wachsende Zahl von
Menschen keine medizinische Versorgung, weil Gesundheit zu einer beliebigen
Ware geworden ist. Im eigenen Land haben wir zwar noch eine gesetzliche
Krankenversicherung, aber die Erwerbslosen können sie nicht in Anspruch nehmen,
da sie oftmals für die Eintrittsgebühr in eine Arztpraxis und für Medikamente
nicht genug Geld haben.
Für eine
gesellschaftliche Infrastruktur zu kämpfen, bedeutet deshalb auch gegen
Privatisierung öffentlicher Einrichtungen zu kämpfen und gegen die
Gewinnerwartungen der Konzerne, die öffentliche Einrichtungen übernehmen. Das
gilt für Strom, Wasser, Telefon, Krankenhäuser – und eben auch für öffentliche
Verkehrsmittel.
Wird die
Kampagne des „Alptraum“ für ein
Sozialticket bei der Üstra dem gerecht? Wird dadurch
ein gesellschaftlicher Anspruch auf „Bewegungsfreiheit“ formuliert, auf
Mobilität?
Wir meinen:
Nein. Die Forderung nach einem Rabatt fordert letztendlich nur einen Mitleids-
und Bedürftigkeitsbonus ein. Die Bedürftigkeit ist zwar ohne Zweifel vorhanden,
aber sie bleibt auch auf eine einzelne Interessengruppe beschränkt. Dagegen
gibt es nicht nur das allgemeine Bedürfnis nach Mobilität, sondern auch
einzelne Interessengruppen, die von unserer Mobilität profitieren. Behörden,
die Ansprüche an unsere Erreichbarkeit stellen. Firmen, die uns pünktlich zum
Arbeitsbeginn sehen wollen, oder die uns als Kunden locken wollen. Warum sollen
die nicht für unsere Mobilität zahlen? Warum fordern wir nur einen Rabatt und
keinen Nulltarif für öffentliche Verkehrsmittel, Gesundheitsversorgung,
Energie- und Wasserversorgung, Telefon ...?
Solche Fragen
werden gar nicht erst diskutiert. Die Alptraum-Redaktion schottet sich nach außen
ab, will Inhalte allein bestimmen und auch allein die Kontrolle behalten.
Bündnispartner sind unerwünscht und für die fertige Aktionsplanung wird dann
nur noch das Fußvolk gesucht. Erst wenn Geld gebraucht wird, darf dann auch mal
der DGB mitreden. Eine echte politische Basis kommt so gar nicht erst zustande.
Der Anspruch auf gesellschaftliche Aneignung wird samt einigen durchaus
positiven Aktionsideen verschenkt.
Daher bleibt die
„Alptraum“-Kampagne
auch in einer typischen sozialdemokratischen Falle. Egal, ob der Kompromiss mit
dem Kapital am Anfang steht (wie bei Lafontaine) oder zu seinem logischen Ende
eskaliert (wie bei Schröder) – wer dem Kapital nicht weh tun will, wird auch
nichts verändern und das sog. „Sozialticket“ wird (wenn es denn überhaupt
eingeführt wird) am Ende ein Wohltätigkeitsemblem an den Nadelstreifenanzügen
der Üstra-Manager und Regionsbürokraten sein, mit dem
die Betroffenen wenig bis nichts anfangen können. Weil sie nämlich die von der
Alptraum-Redaktion mittlerweile angestrebten 30 bis 35 Euro im Monat schlicht
nicht haben, da selbst die Hartz-Hilfe nur einen
Verkehrsetat von 18 Euro im Monat vorsieht.
Einige aktive
Erwerbslose