Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Zu den
Bombenanschlägen Anfang Juli in London bei denen mehr als 50 Menschen getötet
und Hunderte verletzt wurden, brachte der linke italienische Radiosender Radio
Città Aperta noch am 7.7.2005 (dem Tag des Attentates) den folgenden
Kommentar, der auch als Editorial auf seiner Website veröffentlicht wurde.
Radio Città Aperta (Radio Offene Stadt) ist in Rom und der Region Lazio auf
88,900 Mhz zu hören und findet sich im Internet unter www.radiocittaperta.it/
Madrid, London… Das Alibi des
islamischen Terrorismus ist nicht mehr überzeugend
In London haben wir heute
Morgen die Wiederholung des schaurigen Szenarios gesehen, das wir bereits am
11.März vergangenen Jahres in Madrid erlebt hatten. Dort war in Zügen
zugeschlagen worden, in London sind eine Reihe synchronisierter Bomben in der
U-Bahn und in einem Autobus der englischen Hauptstadt explodiert, was bei einem
„diffusen“ Attentat Dutzende von Toten und Verletzten unter der
Zivilbevölkerung forderte. Das Herz eines der 8 mächtigsten Länder der Erde,
die auf ihrem jährlichen Gipfeltreffen in Großbritannien versammelt sind, war
so Ziel eines verheerenden terroristischen Angriffs.
Eine Operation solchen
Kalibers (genau wie die in Madrid am 11.März <2004>)
improvisiert man nicht und kann auch nicht von einem terroristischen Netzwerk
auf die Beine gestellt werden, dass nicht sehr stark zentralisiert und gut
organisiert ist, nicht ohne eine politische Vision auskommt und medial extrem
hoch entwickelt ist. Es wird mehr die Gesellschaft als die Männer oder die
Symbole der Macht getroffen, gerade weil der moderne Terror seine Effizienz auf
die gesellschaftliche Durchdringung seiner Effekte gründet. Das ist ein
vollständig anderer Bewertungs- und Handlungsmaßstab als der, mit dem wir auch
in Italien zu rechnen gelernt hatten, der auch mit Bomben in Zügen, Bahnhöfen
und auf Plätzen zuschlug und mit dem wir die schlimmsten Seiten unserer
jüngeren Geschichte teilen mussten. Man schießt in die Menge, aber mit ganz
klaren Zielen. Man schlägt mit wissenschaftlicher Präzision aufs Gratewohl zu
(unter den Madrider oder den Londoner Pendlern), aber man schlägt im Rahmen
eines ganz präzisen politischen Kalenders zu: vom Vorabend der Wahlen bis zur
Eröffnung eines konfliktträchtigen G8-Gipfels in London. Angesichts dessen
verhehlen die Reaktionen der beim G8-Treffen in Gleneagles versammelten Mächte
nicht ihre Rachegelüste, die voll spiegelbildlich zu ihrer politischen,
medialen und sozialen Verwundbarkeit sind.
Es ist mittlerweile
offenkundig, dass der sog. „islamische Terrorismus“ eine vollkommen ungeeignete
und diskreditierte spanische Wand ist, um all das zu erklären und „dem Zorn der
Gerechten“ den Feind zu zeigen.
Die Regierungen der 8 in
Schottland versammelten Mächte wissen mittlerweile sehr gut, dass sie einen
Krieg entfesselt haben und in ihn verwickelt sind, dessen Konsequenzen sie
komplett unterschätzt haben. Sie haben Afghanistan und den Irak erbarmungslos
besetzt, in der Überzeugung das islamische Syndrom benutzen zu können, um einen
traditionellen Kolonialeinsatz durchzuführen. Nun aber stellen sie fest, wie
die Asymmetrie des präventiven Krieges (mächtige Länder gegen schwache Länder)
dabei ist, auf seinem Weg einen globalen Konkurrenten zu finden, der die Regeln
des modernen Krieges kennt und bereit ist, sie ohne Skrupel zu nutzen. In den
Kinderscharen der von den Petromonarchien aufgezogenen Sprösslinge, die an den
besten amerikanischen und europäischen Colleges studiert und Sitten, Gebräuche
und Alpträume der westlichen Gesellschaften kennen gelernt haben, die die
Massenmedien und die neuen Technologien meisterhaft handhaben, ist ein
konkurrierender Pol zu den Vereinigten Staaten und ihren Verbündeten
herangewachsen.
Wir können uns nicht mehr
darüber hinwegtäuschen, dass die Anschläge vom 11.September, vom 11.März und
die heutigen in London in den verschiedenen Ecken der Welt unterschiedlich
wahrgenommen werden. Sie rufen in unseren Ländern Terror, Hass und Bestürzung
hervor, können aber in anderen Gegenden,
die die Verantwortung unserer Welt im Schlachthof Palästina und in Falludscha
sowie die Komplizenschaft mit grausamen und korrupten Regimen und Monarchien
erlebt haben, Allmachtsgefühle hervorrufen.
Bushs, Blairs, Chiracs und
Berlusconis Interpretationsschema der internationalen Realität des dritten
Jahrtausends erscheint mittlerweile ganz und gar unangemessen und läuft Gefahr,
die Menschheit in ein Drama zu stürzen. Je eher wir sie dazu zwingen, sich dessen
bewusst zu werden, um so besser für Alle – angefangen beim Truppenabzug und dem
Ende der Besetzung des Irak.
Radio Città Aperta
Vorbemerkung und
Übersetzung:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover