Antifa-AG der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Mit dem Kampf des größten italienischen Gewerkschaftsbundes
CGIL zur Erhaltung des Kündigungsschutzes solidarisieren sich mittlerweile
auch zahlreiche linke und linksliberale Intellektuelle. Sie versuchen der
CGIL, die derzeit praktisch die wichtigste Oppositionskraft gegen die Regierung
Berlusconi darstellt und unter dem Druck der Ereignisse (Kniefall von CISL
und UIL vor dem Kapital in Form eines Separatabkommens, Fortsetzung dieser
Regierungslinie beim neuen Jahreswirtschaftsplan DPEF, verstärkte Bespitzelung
durch die Carabinieri etc.) ihren Widerstand ausweitet, den Rücken zu
stärken, sie in den Medien argumentativ zu unterstützen, sie aber
auch (ähnlich wie es CGIL-Chef Cofferati vorschwebt) zur - illusorischen
- Neulancierung der klassischen Sozialdemokratie zu benutzen.
Um die Organisierung eines solidarischen Intellektuellenzirkels in diesem
Sinne bemüht sich insbesondere der international renommierte Professor
für italienische Literatur Alberto Asor Rosa. Als ehemals
prominentes Mitglied der italienischen KP (PCI) und jetziges, eher linkes
Mitglied der Democratici di Sinistra (Linksdemokraten - DS) ist Asor Rosa
in der Vergangenheit auch immer wieder als politischer Publizist hervorgetreten,
u.a. mit dem 1977 in Florenz in italienischer Sprache erschienen Buch “PCI,
Arbeiterklasse und Studentenbewegung”. Die links-unabhängige italienische
Tageszeitung “il manifesto” brachte am 26.6.2002 das folgende
Interview mit ihm.
(Offenkundig wurde es kurz vor Redaktionsschluß fertiggestellt, weshalb
sich im Text ungewöhnlich viele Tipfehler fanden, an einigen Stellen
allerdings auch sehr mißverständlich Formulierungen, die wir -
soweit vertretbar - stillschweigend korrigiert bzw. durch Einschübe
in eckigen Klammern kenntlich gemacht haben.)
Wenn Cofferati allein bleibt
Alberto Asor Rosa: “Es ist paradox, daß die
CGIL im entscheidenden Moment nicht einmal eine politische Partei zur Verfügung
hat, die ihre Motive voll und ganz unterstützt. Und doch verspielen
wir da alles.” In Rom gilt die Unterstützung der Intellektuellen der
Gewerkschaft.
Cosimo Rossi
“Es erscheint mir ziemlich eigenartig, daß die CGIL nicht einmal eine
politische Partei hat, die sich bereit erklärt, ihre Motive voll und
ganz zu unterstützen.” Alberto Asor Rosa schaut mit Besorgnis auf das
Fehlen politischer Unterstützung für den gewerkschaftlichen Kampf
- vor allem seitens der Linksdemokraten (DS). Er hingegen ist seit Monaten
zusammen mit einer Gruppe Intellektueller in der Unterstützung des von
der CGIL geführten Kampfes für die Rechte engagiert: Zuerst mit
“il manifesto” und der Initiative am Vorabend der <CGIL-Massen->Demonstration
vom 23.März in Rom. Heute mit einem zweiten, seminarähnlichen Treffen
über “Arbeit und Kultur in der in Entwicklung begriffenen Gesellschaft”,
bei dem über Asor Rosa hinaus die Redebeiträge von Luciano Galliano,
Marino Piazza, Mario Tronti und Sergio Cofferati vorgesehen sind.
Als Intellektuelle seid Ihr in einem Augenblick aktiv geworden, in dem
die gewerkschaftliche Front in puncto Artikel 18 vereint war. Ändert
sich heute, wo die CGIL diesen Kampf hingegen allein führt, auch der
Charakter Eurer Initiative ?
“Von unserem Standpunkt aus verändert sich absolut nichts, weil unsere
Initiativen in dem Versuch bestehen, zu dem Kampf, den die CGIL - ob allein
oder zusammen mit den anderen Gewerkschaften - <gemeinsam> mit den
Arbeitern führt, einen geistigen und analytischen Beitrag zu leisten.
Diese Funktion wird in einer Situation, die politisch und sozial als schwierig
betrachtet werden kann, nicht geringer. Im Gegenteil, man könnte sagen,
daß unser Beitrag eine größere Bedeutung bekommt. Es treffen
in diesem Augenblick viele Konflikte zusammen. Es gibt den Konflikt der CGIL
mit der Regierung. Es gibt den - hoffentlich <nur> provisorischen -
Konflikt der CGIL mit den anderen Gewerkschaften. Und es gibt auch eine interne
Debatte innerhalb der Mitte-Linken und der Linken selbst. Aber die großen
grundlegenden Fragen, über die wir nachdenken wollen (Kultur, Arbeit
und die Präsenz der Frauen in jedem dieser Bestandteile) werden durch
die Tatsache, daß die CGIL im gewerkschaftlichen Zusammenhang isoliert
ist und Probleme im Verhältnis zur Mitten-Linken hat, nicht wesentlich
verändert. Wir maßen uns an, Überlegungen und Analysen anzustellen,
die darüber hinausgehen.”
Die grundlegenden Fragen haben vielleicht eine europäische Begrenzung
- wenn man den auch in Spanien, aber auch in der Krise der Mitte-Links-Regierungen
ausgebrochenen sozialen Konflikt betrachtet...
“Es ist sicherlich eine europäische Dimension <vorhanden>. Um
so weniger gibt es Interferenzen (Störungen) zwischen unseren Überlegungen
und der aktuellen Situation in Italien. Andererseits sind wir keine Gruppe,
die einen geschlossenen Standpunkt vertritt. Wir sind eine Gruppe von Leuten,
die denken, daß sie einen Beitrag zur CGIL leisten können, und
das ist der fundamentale Punkt der Einheit. Ich würde sagen, daß
das morgige Seminar durch das Erfordernis charakterisiert ist, privilegierte
Orte der kulturellen und Gesellschaftsanalyse, vor der man steht, wenn man
sich mit derartigen Themen auseinandersetzt, festzulegen. Es scheint mir
deutlich zu sein, daß der entscheidende Punkt der des Angriffes auf
die Wohlfahrt ist. Ein Angriff, der von mehreren Seiten kommt. Daher kann
sich unser Engagement um nichts anderes drehen als um das Verlangen nach
einer Antwort auf diesem Gebiet: Was tun angesichts der Wohlfahrtskrise und
welche Modelle müssen auch aus den laufenden Konflikten heraus entwickelt
werden ?”
Auch ein Modell mit sozialer Inspiration, wie das französische, ist
hart geschlagen worden und diese Niederlage wird zur Zustimmung zu Blairs
Drittem Weg benutzt.
“Ich glaube nicht, daß die französische Niederlage auf die Niederlage
der Elemente von Sozialität reduzierbar ist, die die Regierung Jospin
eingeführt hatte. Wahrscheinlich hat in jenem Fall die politische Einheit
der Mitte-Linken gefehlt, die bei der Sieg-Chance sicherlich ein nicht unwesentlicher
Aspekt ist. Ich denke daher nicht, daß Jospins Niederlage in Frankreich
automatisch ein Argument für die Unterstützung einer möglichen,
von Blair inspirierten, europäischen Linie ist. Ich sehe auch nicht,
wie der Blairismus nach Italien transferiert werden könnte, wenn man
berücksichtigt, daß das bipolare <Parteien-> System hier
weit davon entfernt ist, sich zu behaupten und daß es eine Linke gibt,
die Logiken und Traditionen entspricht, mit denen Blair nichts zu tun hat.”
Dennoch scheint sich in Italien wie in Europa eine strategische Separierung
zwischen der Idee eines demokratischen Zusammenschlusses, der starke Elemente
von Freihandel / Wirtschaftsliberalismus in die Wirtschafts- und Sozialpolitik
einführt, und dem Versuch abzuzeichnen, eine linke Sozialpolitik zu
schaffen.
“Ich denke, daß die Trennungslinie innerhalb der Linken im wesentlichen
diese ist. Und würde dann hinzufügen, daß in Italien die
siegreiche Linke nicht die tout court-Linke, sondern das Mitte-Links-Potential
ist, innerhalb dessen die Meinungen unterschiedlich sind. Das Problem ist
meines Erachtens, daß die soziale Linke mit der Ausarbeitung und mit
den Geschwindigkeiten <ihrer Politik> weiter zurück ist. Sie hat
größere Schwierigkeiten als die andere Linke, weil alles zusammen
ehrgeiziger ist. Das ist kein Mix aus sozialistischer Tradition, <sondern>
das ist Freihandel / Wirtschaftsliberalismus, möchte aber ein neuer,
durch die große sozialistische Tradition Europas inspirierter Vorschlag
sein. Dies bringt sicherlich einen geringeren Pragmatismus und ein geringes
Reflektionsengagement mit sich. Und so kehren wir zum Ausgangspunkt zurück:
Man muß das Profil und die Identität einer Linken diesen Typs
neu definieren. Dies erscheint mir der Einsatz zu sein, der auf dem Spiel
steht.”
Ein Einsatz, der von einem Teil der Wählerschaft und der Aktiven
geteilt wird, die über den Konflikt neu motiviert worden sind, dabei
aber auf einen Teil der Leitungsgruppen trifft, der diesbezüglich skeptisch
ist...
“Natürlich ist es immer schwierig, eine Analyse der Flüsse durchzuführen,
da jeder das Seine nach sich zieht. Ich glaube, daß die große,
von der CGIL geschaffene Bewegung Einfluß auf die Wiederbelebung von
Teilen der linken öffentlichen Meinung gehabt hat, die sich zurückgezogen
hatte. Die Auswirkungen werden auch in den Ergebnissen der jüngsten
Kommunalwahlen sichtbar. In jedem Fall scheint es mir, daß der heutige
Anstoß, den die CGIL der Linken gegeben hat, extrem heilsam gewesen
ist.”
Außer der Linksdemokraten (DS)-Sekretär Fassino stellt Cofferati
ein Bein. Ein Votum, das vielleicht endgültig demonstriert, daß
auch innerhalb der DS unterschiedliche strategische Optionen existieren.
“Das wußten wir auch vorher. Jetzt wird es <nur> deutlicher.
In rein theoretischer Hinsicht könnte Fassino Recht haben, wenn er sagt,
daß die Linie einer Partei <nicht ?> genau mit derjenigen einer
Gewerkschaft übereinstimmen kann. Faktisch ist es jedoch ziemlich außerordentlich,
daß die CGIL nichteinmal eine politische Partei hat, die sich bereit
erklärt, ihre Motive voll und ganz zu unterstützen.”
Schon, weil einerseits die DS sich spalten und ein Teil Cofferati sitzen
läßt, anderseits Rifondazione Comunista, die Cofferati unterstützt,
dies mittels des Referendums für die Ausdehnung des Artikels 18 tut,
das die Gewerkschaft beunruhigt...
“Auch Rifondazione spielt ihr legitimes politisches Spiel. Vielleicht unterschätzen
sie, daß in dieser Phase der entscheidende Punkt ist, daß die
CGIL es aushält. Das ist es, worauf es für uns alle ankommt.”
Vorbemerkung, Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover