Antifa-AG der Uni
Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Auf der
Mobilisierungswelle, die von dem erfolgreichen 21tägigen Streik bei FIAT in
Melfi ausging, wollten auch die großen Gewerkschaften im von Schließung oder
zumindest radikalem Peronalabbau bedrohten FIAT Hauptwerk in Turin-Mirafiori
den Widerstand dagegen neu in Gang bringen. Da man die von den Organisatoren genannte
Demo-Teilnehmerzahl – wie in Italien üblich – durch den Faktor 10 oder gar 15
teilen muss, um zur realen Zahl zu gelangen (auch die Polizei beteiligt sich in
der Regel, wenn auch etwas moderater, am italienischen Hang zur
Zahlenbombastik), fiel das Ergebnis bescheiden aus. 1.500 bis 2.00
Demonstranten sind in einer Millionenstadt wie Turin und bei derzeit noch
14.850 Beschäftigten in Mirafiori (ehemals waren es 30.000 !) nicht sehr viel.
Aller Erfahrung nach dürfte auch die reale Streikbeteiligung näher an den von
der FIAT-Vorstandsetage genannten Werten als an den offiziellen
Gewerkschaftszahlen gelegen haben. Offenkundig hat sich ein Großteil der
Turiner und auch der Belegschaft mit dem Ende der großen Zeit von Mirafiori und
Turin als Standort der (von FIAT geprägten) Großindustrie abgefunden, obwohl
Alternativen – anders als in Städten wie z.B. Dortmund hierzulande – nicht in
Sicht sind.
Was die
italienische Arbeiterbewegung anbelangt hat mit dem Streik in Melfi ein
Wachwechsel stattgefunden: Das vor Jahren auf der „grünen Wiese“ in Süditalien
errichtete Vorzeigewerk (in punkto Repression, Dominanz gelber Gewerkschaften,
unterdurchschnittlicher Entlohnung und Überausbeutung) hat im April / Mai 2004 faktisch
die alte Hochburg der Italienischen Arbeiterklasse als Vorhut abgelöst. Was
natürlich auch mit dem Wissen um die höhere Produktivität in Melfi und den in
der jüngsten Vergangenheit getätigten Milliarden-Investitionen zusammenhängt.
Dennoch
bleibt das Geschehen in Turin natürlich weiterhin interessant. Daher zur
Entwicklung dort hier zwei Texte. Zunächst ein Interview mit dem Turiner
FIOM-Sekretär Giorgio Airaudo aus der linken Tageszeitung „il manifesto“
vom 22.5.2004, geführt anlässlich der lokalen Delegiertenversammlung zur
Vorbereitung des 23.FIOM-Kongresses, der Anfang Juni in Livorno stattfand:
FIOM-KONGRESS:
„Wenn Turin sich nicht mobilisiert,
wird Mirafiori sterben“
Giorgio Airaudo spricht über die
Zukunft der Fabrik und den 24stündigen Streik am 10.Juni.
Orsola Casagrande
Am Montag beginnt der
Provinzkongress der FIOM Turin. Eine Art offene Versammlung. An den beiden
Tagen wird es zwei runde Tische mit den politischen Kräften der Mitte-Linken,
aber auch über die Gewerkschaft geben (in einer Auseinandersetzung mit FIM und UILM
über Demokratie, Repräsentanz und Urabstimmung). Das Schlusswort wird der
Generalsekretär Gianni Rinaldini am Dienstag sprechen. Und an den Arbeiten des
Kongresses des größten FIOM-Kreisverbandes Italiens wird auch der
Erstunterzeichner des zweiten Leitantrages, Riccardo Nencini <Kopf des rechten FIOM-Flügels,
der landesweit 18% der Mitglieder repräsentiert>, teilnehmen. Im Mittelpunkt des Kongresses steht
auch der 24stündige Streik am 10.Juni. Darüber sprachen wir mit dem Sekretär
der Turiner FIOM, Giorgio Airaudo.
Beginnen wir bei dem
24stündigen Streik für Mirafiori.
„Die Auseinandersetzung um
Mirafiori ist kein traditioneller Arbeitskampf. Weil diese Fabrik nicht nur
eine Fabrik ist. Sie ist ein Symbol. Es war das Symbol des industriellen
Gigantismus dieses Landes. Es ist aber auch ein Symbol des industriellen
Niederganges Italiens. Sie bleibt die größte Fabrik Italiens und das
industrielle Geflecht darum herum ist eine der wenigen verbliebenen
Fabrikanlagen. Seit diese letzte, radikale Krise von FIAT begonnen hat, wurde
Mirafiori als ein gesellschaftliches Problem betrachtet. Die Entscheidung für
den 24stündigen Streik <und
den Aktionstag insgesamt> wurde von
dem Willen diktiert das Thema Arbeit wieder in den Mittelpunkt zu stellen. Wir
wollen der Stadt sagen, dass Turin eine Zukunft hat, wenn es seine industrielle
Anlage bewahrt. Dann können wir darüber diskutieren wie diese Anlage zu
verändern, umzuwandeln und zu entwickeln ist. Vorher aber muss man Pflöcke
einschlagen. Um das zu tun, muss man mit einer Meinung aufräumen, die sich in
den letzten zwei Jahren verfestigt hat und das ist die Unvermeidlichkeit der
Schließung von Mirafiori. Die Realität ist, dass es hier eines starken
Engagements der Eigentümer und des Willens bedarf, im Automobilsektor zu
bleiben. Diese 24 Stunden wollen aber auch eine Probe sein. Gegenüber dieser
Stadt, die sich durch eine wechselnde Solidarität auszeichnet. Wir haben von
Seiten der Bürger niemals Feindseligkeit gespürt, aber es ist <auch> zu keinem Protagonismus der politischen
Repräsentanten dieser Stadt gekommen. Anders ausgedrückt: Das, was in Terni
passiert ist, wo die ganze Stadt und ihre Institutionen sich um die Arbeiter
geschart und mit ihnen zusammen gekämpft haben, ist hier nicht geschehen.“
Was sollten die Institutionen
also tun ?
„Sie müssten vor allem auf
den verschiedenen Ebenen (auf die Eigentümer, aber auch auf die Banken und auf
die Regierung) Druck ausüben. Der 10.Juni wird erst der Anfang sein, weil der
Zeitraum der Überprüfung dessen, was im FIAT-Konzern passieren soll, lang sein
wird. Er wird mindestens bis Ende des Jahres dauern. In das Ereignis, das wir
derzeit organisieren, legen wir unsere gewerkschaftliche Kraft und unsere
Forderungen: ein Auto, ein Motor und ein Ersatzteil. Aber nicht nur für Mirafiori.
Wenn es bezüglich dieses Werkes keine Antwort gibt, bedeutet das, dass kein
Willen vorhanden ist die Automobilproduktion in Italien zu halten. Vielleicht
endet es sogar damit, dass <nur> eine einzige Fabrik
bestehen bleibt. Vielleicht die in Melfi, die dann Gefahr läuft, nur zum
letzten FIAT-Betrieb zu werden, der geschlossen wird. Auf diese Weise würde die
wunderbare Errungenschaft der <dortigen> Arbeiter
zunichte gemacht.“
Melfi hat wirklich eine
neue Seite aufgeschlagen.
„Absolut. Jener Kampf hat
gezeigt, dass sich der Kampf bezahlt macht. Aber auch, dass man mit den
Arbeitern jede gewerkschaftliche Auseinandersetzung entscheiden kann. Die
Gewerkschaft – die FIOM – hat in Melfi faktisch eine Rolle im Dienste der
kämpfenden Arbeiter gespielt. Das Signal ist klar: Wenn die Gewerkschaft in den
kommenden Jahren präsent bleiben will, muss sie radikal demokratisch sein, muss
sie Macht abgeben. Weil das letzte Wort den Arbeitern zusteht.“
„il
manifesto“
vom 11.6.2004 berichtete dann über den Verlauf des Aktionstages für den
Erhalt von Mirafiori:
Turin hebt wieder den Kopf
20.000 auf der Demonstration für
Mirafiori. Hohe Streikbeteiligung. Das Werk steht still. Bei 35 Grad in der
Sonne demonstrieren Arbeiter und Politiker, Gewerkschafter und staatliche
Autoritäten zusammen. Rinaldini (FIOM): „Nun muss das Gespräch mit dem
Unternehmen beginnen – sowohl auf nationaler Ebene wie in der Stadt.“
Orsola Casagrande – Turin
20.000 laut den
Gewerkschaften. 10.000 für die Polizei. Aber der Krieg der Zahlen ändert nichts
an der Realität: Mirafiori hat gerufen und die Stadt hat geantwortet.
Vielleicht nicht so massenhaft, wie man es sich erwartet hatte, aber es ist
auch nur der erste Akt eines Dialoges, der abgerissen schien und der gestern
neu begonnen hat. Der 24stündige, von FIM-CISL, FIOM-CGIL, UILM und FISMIC ins
Leben gerufene Streik für Mirafiori war ein Erfolg. Weil die Arbeiter, trotzdem
sie in cassa integrazione <d.h. Kurzarbeit Null, die nicht nur miserabel bezahlt,
sondern meist auch die Vorstufe zur endgültigen Arbeitslosigkeit ist> gesteckt wurden, trotz Enttäuschungen und
gebrochenen Versprechen, mit Stolz und Selbstbehauptungswillen geantwortet
haben. Die Zahlen der Streiks sprechen eine klare Sprache: in der Nachtschicht
(der eigenwilligsten) lag die Beteiligung bei 50% (18% laut FIAT), in der
gestrigen Früh- und Spätschicht erreichte sie 80% (laut FIAT 33%) und die
Produktion war lahm gelegt.
Der sonnige Tag hat aus der
Arbeiterdemonstration eine positive und farbige Manifestation gemacht. In der
Menge befanden sich auch der Sekretär von Rifondazione, Bertinotti, der
Fraktionsvorsitzende der Linksdemokraten (DS) in der Abgeordnetenkammer,
Violante, und der PdCI’ler Rizzo. Die lebendige Menschenschlange zog – bei 32
Grad auf dem Thermometer – durch die Straßen der Stadt, erntete Zustimmung und
schwoll mehr und mehr an je mehr man sich dem Palazzo Castello näherte, wo die
Präsenz der Metallarbeitergewerkschaften bereits seit Mittwochabend gut
sichtbar war. Die gestrigen Parolen waren vor allem fordernde. Die Arbeiter
fordern für Mirafiori neue Modelle und mehr Produktion, aber auch realistische
Erklärungen sozusagen. Viele erinnerten daran, dass, „wenn Mirafiori schließt,
es der ganzen Stadt schlecht gehen wird“. Weil das Werk am corso Agnelli ein
Symbol für einen erklärten, aber nicht unabwendbaren Niedergang ist. Deshalb
wollen die Gewerkschaften eine nationale Auseinandersetzung um FIAT, verstanden
als Unternehmensgruppe und nicht jeweils um die einzelnen Werke (was immer
öfter der Fall ist, wenn eine Krise ausbricht). „Das heute“ – sagte der
nationale Sekretär der FIOM, Gianni Rinaldini – „ist die erste Etappe eines
Weges, der eine grundlegende Passage braucht: die Überprüfung <der Unternehmensstrategie> mit den neuen Spitzenleuten von FIAT. Es ist
notwendig ihre Absichten kennen- und verstehen zu lernen.“
Unter den Arbeitern
überwiegt die Meinung, dass <der neue FIAT-Präsident und Chef des wichtigsten
Kapitalistenverbandes Confindustria>
Luca di Montezemolo wirklich eine Wende zum Positiven darstellen könnte. „Aber“
– sagen Viele – „auf die Worte müssen Taten folgen.“ Und irgendeiner erinnert
daran, dass FIAT in diesen Tagen Geld bereitstellt, um Anreize für diejenigen
zu schaffen, die ihren Arbeitsplatz in den zentralen Einrichtungen aufgeben,
d.h. im sog. ‚Gehirn’ der Fabrik. Jenem Gehirn, das hingegen (so sagt es
zumindest der Volksmund) eifrig weiterarbeiten sollte und das gerade in Turin.
Rinaldini unterstreicht, dass „wir uns noch in einer Phase der Unsicherheit
befinden“. Und Giorgio Caprioli, Sekretär der <zur christdemokratischen Gewerkschaftszentrale CISL
gehörenden> FIM, fügt hinzu, dass es
„Institutionen und Gewerkschaften für notwendig halten aus Mirafiori eine
nationale Priorität zu machen“. Die anderen Metallarbeitergewerkschaften
stimmen zu und heben die Bedeutung der Tatsache hervor, dass sie bezüglich
dieser Probleme zur Einheit zurückgefunden haben.
Und vereint haben sich die
Gewerkschaften gestern auch mit den lokalen Autoritäten der Kommune, Provinz
und Region getroffen. Für den Regionalgouverneur <d.h. den „Ministerpräsidenten“ des „Bundeslandes“
Piemont>, Enzo Ghigo, „ist der
Augenblick gekommen die Situation von Mirafiori mit Nachdruck anzugehen.
Deshalb muss die Regierung <in Rom> einbezogen
werden.“ Und wie ? Ghigo zufolge ist eine „Lobby-Operation bei der Regierung“
notwendig, „um die italienische Automobilindustrie zu verteidigen“.
Die Stadt hat auf den Appell
der Arbeiter ihrer größten Fabrik geantwortet, auch wenn „es noch Arbeit zu tun
gibt“, wie es Giorgio Airaudo (Sekretär der Turiner FIOM) ausdrückt. Er
lanciert die Idee eines Generalstreiks aller Turiner Industriebetriebe zur
Unterstützung in der Mirafiori-Frage. „Vielleicht im September“, sagt er.
Unterstützung erfährt er von Roberto di Maulo (Sekretär der <gelben „Gewerkschaft“> FISMIC), der verspricht, „in allen FIAT-Werken kein
Abkommen mehr“ zu unterzeichnen, „das strukturellen Personalabbau vorsieht,
solange das Problem Mirafiori nicht gelöst ist“. Der Aktionstag der
Metallarbeiter ist am Abend zu Ende gegangen. Ein zeitweiliger
Waffenstillstand. Nun müssen die Bürger, die Verbände und die Institutionen
ihren eingegangenen Verpflichtungen treu bleiben. „Nur so“ – sagt Airaudo –
„wird es uns gelingen, diese Frage zu bewältigen“. Die nicht nur eine
gewerkschaftliche Frage ist, weil sie ein Nachdenken über die Zukunft der Stadt
und ihrer Industrie beinhaltet.
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover