Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Nach dem
gescheiterten EU-Gipfel vom Juni 2005 verfasste die Mitbegründerin sowie
langjährige Chefredakteurin der unabhängigen linken italienischen Tageszeitung
„il manifesto“ und auch im deutschsprachigen Raum bekannte linke Publizistin,
Rossana Rossanda (81), die folgende Bestandsaufnahme. Leider zeichnet sich auch
diese wiederum durch eine grundsätzliche Parteinahme für den EU-Imperialismus (und
den kleinbürgerlichen „Zivilgesellschafts“-Diskurs) aus, die Rossandas
Selbstverständnis als „radikaler Linker“ diametral entgegensteht. Daneben sind
auch einige Teile ihrer Einschätzung (z.B. die Perspektive der
deutsch-französischen Achse nach einem Wahlsieg von CDU/CSU betreffend)
zumindest fragwürdig. Aufgrund der Bedeutung der Autorin innerhalb der
italienischen und der europäischen Linken wollen wir den Interessierten ihre Ansichten
allerdings nicht vorenthalten. Der Beitrag erschien in „il manifesto“
vom 21.6.2005.
Ein absehbares Ergebnis
Rossana Rossanda
Alles kann man über den
Ausgang des EU-Gipfels in Brüssel sagen, ausgenommen, dass er überraschend ist.
Zwei entscheidende Punkte standen auf dem Spiel: die Ratifizierung der
Verfassungscharta und der Gemeinschaftshaushalt für die Jahre 2006-2013.
Bezüglich der Ersteren mussten die Neins in Frankreich und Holland (in Italien
hätte es mit Sicherheit auch eines gegeben, wenn sie nicht heimlich, still und
leise im Parlament verabschiedet worden wäre) wie Felsbrocken wirken und
zwangen dazu, die Referenden auszusetzen, die hätten folgen sollen. Die Charta
ist für einige Jahre in den Gefrierschrank gelegt worden, in denen sich auch
die politischen Kräfteverhältnisse ändern werden – und nicht nur die
europäischen. Was den Gemeinschaftshaushalt anbelangt, der die Größenordnung
der gemeinsamen Fonds und ihre Verwendung festlegen sollte und für die vor
kurzem der Union beigetretenen osteuropäischen Länder grundlegend war, ist man
– auf Grund der Auseinandersetzung zwischen Chirac und Blair, die sich
gegenseitig die Verantwortung dafür zuschieben – nicht einmal zu einem
Kompromissabkommen gelangt. Frankreich forderte die Abschaffung des von Margret
Thatcher in schwierigen Jahren herausgeholten englischen Beitragsrabatts. Tony
Blair wollte davon nicht nur nichts wissen, sondern hat die Kriterien unter
Anklage gestellt, nach denen die Fonds bislang ausgeschüttet wurden, weil 40%
davon in die Agrarsubventionen flössen, von denen vor allem Frankreich
profitiere, wodurch die Ausgaben für Forschung, Innovation und Schulen
reduziert würden, die in Lissabon zu Prioritäten erklärt wurden. Am
europäischen Verhandlungstisch wollte man die Rechnungen zwischen zwei Mächten
(Frankreich und England) begleichen, die sich in Sachen Irak-Krieg und
allgemein in der atlantischen Frage im offenen Konflikt befinden. Die eine hat
der anderen Schach geboten – bei wütender Reaktion der osteuropäischen Staaten,
die bereit waren, ihre Hilfsforderungen zu reduzieren, um überhaupt Hilfe zu
bekommen und die sich deshalb vor allem mit Blair anlegten, dessen
internationale Strategie sie allerdings teilen.
Aber war das nicht
vorherzusehen? In einer anderen Situation hätte man vielleicht einen Kompromiss
gefunden. Nicht so in einer Kriegsphase, die im Mittleren Osten noch
ausgefochten wird und bei minimalem Wachstum, wenn nicht gar Stagnation (in
Italien sogar Rezession) allerorten, außer in Großbritannien. Die Interessen
von Bushs Imperium und die unsichtbare Hand des Marktes haben die Ungleichheiten
zunehmen lassen und die Gegensätze beleuchtet anstatt das Gleichgewicht zu
begünstigen. Die Konsequenzen der Ökonomie sind stets politische: Chirac kann
auf die Stimmen der Landwirte nicht verzichten, die – wenn die Subventionen
gekürzt würden – bei den in einem Jahr stattfindenden Parlamentswahlen zu Le
Pen überlaufen würden und Blair hat ihm einen wahrhaft hinterhältigen Schlag
versetzt. Was Schröder angeht, so hat er teuer dafür bezahlt, sich den
Direktiven der Kommission unterwerfen zu müssen und die Löhne, Renten und
Sozialausgaben zu kürzen. Im September wird die Regierung mit Sicherheit an
Angela Merkels CDU übergehen. Womit die deutsch-französische Achse, die das
Gerippe Europas sein sollte, wahrscheinlich zum Teufel geht, während Blair
trotz der Verluste bei den Wahlen wohlauf ist und die Absicht hat, den
Hyperliberalismus der New Labour Party auf dem gesamten Kontinent zu verbreiten
und dabei jenen Schwachpunkt anzugreifen, den die Agrarpolitik tatsächlich
darstellt. Die jetzt beginnende halbjährige englische EU-Präsidentschaft wird
ihm jedes Manöver erleichtern.
<“Il
manifesto“-Mitbegründer und –Direktor> Valentino Parlato hat daher Recht, wenn er schreibt, dass die Krise
politischer Art ist. Europa ist in seiner gesellschaftlichen Vision, in seiner
Vorstellung von Entwicklung und in seinen außenpolitischen Optionen gespalten.
Zu meinen, dass man mit Hilfe der Währungsunion, dem Euro und der Zentralbank
(und indem der, auch durch die Verfassungscharta bestätigte,
wirtschaftsliberale Akzent der EU-Kommission als unvermeidlich hingestellt
wird) schneller zur Vereinigung des alten und rauflustigen Kontinents gelangen
würde, war illusorisch. Und nicht zufällig aufgrund der Nationalismen: Die
Spannungen, die ihn spalten, sind keine nationalistischen, sondern
grundsätzliche und prinzipielle, die jedes Land durchziehen und tatsächlich
stößt die angebliche Abkürzung auf ein Hindernis nach dem anderen.
Der Ausgangsfehler war
allerdings, den Leuten, den Völkern, kurz: den wirklichen Ländern sowohl die
Ausarbeitung der Verfassung, die von der Regierung ausgewählten Experten
anvertraut wurde, die oftmals wertvoll waren, aber alle ihre Kompromisse allein
aushandeln mussten, als auch die Kenntnis der entscheidenden Probleme der
Einigung, aber auch die Größenordnung und die Bestimmung der gemeinsamen Fonds
entzogen zu haben. Die Zeitungen haben sich in diesem Mangel unterschieden. Und
doch hätte man wissen müssen, dass die Zerstörung des sog. „Rheinischen
Modells“ im Namen des Marktes, der Konkurrenz und der Konkurrenzfähigkeit
nicht glatt durchgehen würde, weil es sich auf das konkrete Leben der Leute
auswirkt. Eine monetäre Vereinigung, auf die niemand verzichten wird (das sind
Wahnvorstellungen der Lega) ersetzt keinen Konsens. Und der Mangel an einer
Steuerung des Euro Staat für Staat, die daraus für die Starken eine starke
Währung und für die Schwachen eine schreckliche machte, hat die Situation
erschwert. Nur in Spanien wurde das Referendum gewonnen, weil das Land auf <PSOE-Ministerpräsident> Zapatero vertraute, der aus seiner Linken eine
mehrheitsfähige zivile Linke gemacht und sich noch nicht an
wirtschaftspolitischen Entscheidungen versucht hat.
Dass es zu einer Krise kam,
war unvermeidlich. Sie wird für eine bestimmte Zeit alle Akteure auf dem Feld
stoppen. Aber wer sind die Akteure auf dem Feld ? Es ist Pflicht, anzuerkennen,
dass in Brüssel die Rechte und die Mitte (die beim Thema Sozialpolitik zur
Mitte-Rechten wird) die Protagonisten sind. Wo sind die Linken und die
Mitte-Links-Regierungen, die für eine Beschleunigung Europas gesorgt hatten ?
Die Linke ist flüchtig. Die
Mitte-Links-Regierung war subaltern. Wo ist eine alternative Idee zum Abdriften
einer von den Staaten und den multinationalen Konzernen gelenkten
Globalisierung ? Kaum hat sich ein Land wie China auf dem Markt gezeigt, das
aufgrund von niedrigen Arbeitskosten und der Kombination eines autoritären
Regimes mit einem riesigen und ausgehungerten Volk alle schlägt, da findet man
keine andere Verteidigung als einen lächerlichen Protektionismus. Aber hat man
von den europäischen Linken eine andere oder konträre Stimme gehört ? Sicher,
sie haben Mühe, mit den chinesischen Arbeitern zu sprechen, wenn sie sich nicht
gleich gegenseitig Schläge versetzen, wie jenen, der von der italienischen <Gewerkschaftszentrale> CGIL der französischen Schwesterorganisation CGT
zugefügt wurde, die sich für das Ja zur Charta aussprach, während die CGT Nein gesagt
hat.
Es ist ein Fehler, zu sagen,
dass sich in Brüssel zwei alternative Linien gegenüber gestanden haben: die von
Blair und die der deutsch-französischen Achse. Was die sozialen Entscheidungen
anbelangt, sind das zwei Varianten derselben Linie. Und das ist der Punkt, der
auch das Bündnis unserer Mitte-Linken daran hindert, zu einem gemeinsamen
Programm zu gelangen, das nicht völlig vage ist.
Reden wir Klartext: Die
Auseinandersetzung in Brüssel ähnelte dem, was in unserer Margerite <Anm.1> abläuft. Was die 13% <Wählerstimmen in Italien> anbelangt, von denen gesagt wird, dass sie den
radikalen Linken zuzurechnen sind, so sind diese in ganz anderen
Angelegenheiten viel beschäftigt. Es gibt Erklärungen, aber auf der effektiven
Ebene (das bedeutet Marschrichtung, Kosten und Verluste, Festlegung der
Prioritäten) gibt es weder in Sachen Wirtschaftspolitik noch in punkto
Steuerpolitik noch in Bezug auf Immigration, Schule usw. etwas – für Europa
nicht, aber auch für Italien nicht.
Gewiss, eine auch nur schlicht
reformistische linke Alternative auf den Trümmern der letzten Jahre und in
einer von den Gegnern gelenkten Globalisierung aufzubauen, ist schwierig. Das
erfordert genaues Studium und auch viel Mut. Wie man in Brüssel gesehen hat,
führt aber auch der von der Mitte und der Rechten eingeschlagene Weg steil
bergab.
Anmerkung
1:
Die
Margerite ist ein Zusammenschluss liberaler und christdemokratischer
Persönlichkeiten und Parteien mit Romano Prodi und Francesco Rutelli an der
Spitze, das den rechten Flügel des italienischen Mitte-Links-Bündnis ausmacht
und 35-40% seiner Wähler hinter sich weiß. Nach den aus der 1990 aufgelösten KP
(PCI) hervorgegangenen Linksdemokraten (DS) ist die Margerite die zweitstärkste
Kraft in diesem Bündnis.
Vorbemerkung, Übersetzung,
Anmerkung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover