Antifa-AG der Uni Hannover:
Nach der
Ermordung des Hamas-Vorsitzenden im Gaza-Streifen, Abdel Aziz
Rantisi, durch Israel am 17.April 2004 ist der Name
des Kopfes der Hamas dort geheim. Mahmud A-Zahar
bestreitet dies zu sein, ist aber in jedem Fall eines der letzten
Gründungsmitglieder der Organisation und einer ihrer führenden Vertreter. Die
unabhängige linke italienische Tageszeitung „il manifesto“
brachte am 20.4.2004 ein nach dem Mord an Rantisi
mit ihm geführtes Interview zur Lage und zur weiteren Politik der Hamas, dessen
Übersetzung wir im Folgenden präsentieren. Empfehlenswert ist auch, es mit dem
nebenstehend dokumentierten Rantisi-Interview zu
vergleichen. Im Vorspann dazu gehen wir auch auf die Hamas und die Frage ein,
warum es Sinn macht, ihre Positionen näher zu betrachten.
Interview:
Gaza: Eintönige Ruhe vor dem Sturm
In den leergefegten Straßen des
Gaza-Streifens preist man die Erinnerung an den Doktor Rantisi,
den am Samstag von den Israelis ermordeten Hamas-Führer. Mahmud A-Zahar, Spitzenvertreter der islamischen Bewegung: „Der Dschihad gegen die Besatzer geht weiter.“
Michele Giorgio – Korrespondent in Gaza
Gestern herrschte im
Stadtteil Sheikh Radwan,
einer der islamischen Hochburgen in Gaza City, wo Abdel Aziz
Rantisi lebte, der am Samstagabend zusammen mit zwei
Leibwächtern mit, von einem israelischen Hubschrauber aus abgefeuerten, Raketen
ermordete Hamas-Führer. Leergefegte Straßen, die im Kontrast zu der Menge von
zehntausenden Menschen stand, die am Sonntag Rantisi
auf seinem letzten Weg begleitete. „Das ist die Ruhe vor dem Sturm. Hamas wird die Israelis hart bestrafen“, sagten uns die wenigen
Bewohner von Sheikh Radwan,
die sich gestern auf den Straßen trafen. Eine zurückhaltende Stellung nahm in
den letzten Stunden die Nationale Palästinensische Autorität (ANP) ein, die es
vorzieht eher den Finger auf die US-Administration zu richten als die Figur des
„Märtyrers“ Rantisi zu preisen, der zu Lebzeiten
außer von Israel auch von der ANP inhaftiert worden war. „Die Politik der
Vereinigten Staaten im Mittleren Osten und speziell in Cisjordanien
und im Gaza-Streifen diente weder dem Frieden noch der Road Map“
(dem vom Quartett USA-EU-UNO-Russland entworfene Friedensplan; Anm.d.Red), behauptete gestern Nabil
Abu Rudeina, ein Arafat-Berater, anlässlich einer
Versammlung des Exekutivkomitees der PLO. „Die israelische Regierung sollte
wissen“ – fügte er hinzu – „dass es durch die Gewalt und die Besatzung keine
Sicherheit erhalten wird“. Worte, die bereits viele Male ausgesprochen wurden
und nicht dazu dienen, etwas an einem stattfindenden Prozess (Trennungsmauer,
teilweise Annektierung Cisjordaniens durch Israel,
faktische Schaffung palästinensischer „Kantone“) zu ändern, der von der
eisernen Allianz zwischen Bush und dem israelischen Ministerpräsidenten Sharon
erzeugt wurde. Ein weiteres Mitglied des Exekutivkomitees der PLO, Salah Raafat, rief die
Palästinenser hingegen auf, von Europa zu verlangen, dass es im Mittleren Osten
eine entscheidende Rolle spielt, um einen Kontrast zur Einbahnstraßenpolitik
der Vereinigten Staaten zu bilden, die dabei ist die Region in Brand zu setzen.
Unterdessen bleibt die Identität des neuen Hamas-Führers in Gaza unbekannt,
wobei eingeräumt wurde, dass er tatsächlich ernannt wurde, wie die Organisation
Samstagnacht mitteilte.
Der Arzt Mahmud A-Zahar, ein Überlebender der Hamas-Gründergruppe, der in
den vergangenen Monaten einer „gezielten Exekution“ entgangen ist,
signalisierte, dass er an dem Amt nicht interessiert sei. Nicht Wenige aber
behaupten, dass gerade er der „geheime Chef“ ist. Wir haben Zahar
in Gaza interviewt. Mit ihm diskutierten wir über die Zukunft der islamischen
Bewegung.
Dr. Zahar,
in wenigen Monaten wurden drei hohe Funktionäre der Hamas (der Scheich Yassin, Abdel Aziz Rantisi und Ismail Abu Shanab)
von Israel ermordet. Eure politische Führung wurde enthauptet und Viele
versuchen zu verstehen, welche Konsequenzen das für die islamische Bewegung
haben wird…
„Ich glaube nicht, dass das
Konsequenzen haben wird, wie Manche – insbesondere in Israel – behaupten. Dr. Rantisi war ein großer Führer, ein von allen respektierter
und geschätzter Führer, aber heute ist er ein ‚Märtyrer’ und infolgedessen
gehört er der Vergangenheit an. Schauen Sie, Hamas ist eine Kraft, die auf eine
umfangreiche politische Führung zählen kann und fähig ist, sich nach jedem
Angriff sofort zu regenerieren. Neue Führer können die gegenwärtigen ersetzen,
ohne in der Organisation Erschütterungen hervorzurufen. Das alles ist dank der
Tatsache möglich, dass es in der Hamas eine gemeinsame Position gibt: gegen die
israelische Besatzung zu kämpfen. Und in Bezug auf dieses Ziel gibt es keine
unterschiedlichen Meinungen.“
Gleichzeitig wächst durch
den Abtritt sehr namhafter und charismatischer islamischer Exponenten in Gaza
unvermeidlich die Rolle und das politische Gewicht Eurer Führer im Exil,
angefangen beim „höchsten Führer“ Khaled Mashaal.
Manche vermuten sogar die Verlagerung des operativen Kommandos der Hamas ins
Ausland – auch aus Sicherheitsgründen…
„Das ist eine Vermutung ohne
Grundlage. In der Hamas existiert kein ‚Inland’ und ‚Ausland’. In der
islamischen Bewegung werden die Entscheidungen auf der Grundlage eines
demokratischen Verfahrens und nach intensiven Konsultationen unter denjenigen
getroffen, die unter (israelischer) Besatzung leben und den Anderen, die im
Ausland sind. Der Wert des Bruders Khaled Mashaal
steht außer Frage, aber auch er nimmt – wie alle – an einem umfangreichen
Entscheidungsprozess teil.“
Werdet Ihr den Dialog mit
Yasser Arafats <Autonomiebehörde>
ANP fortsetzen, der in den vergangenen Wochen über die Zukunft von Gaza nach
der eventuellen Evakuierung der jüdischen Siedlungen begonnen wurde, die in dem
von Ariel Sharon angekündigten „einseitigen Trennungsplan“ vorgesehen ist?
„Wir sind vor allem daran
interessiert mit all den palästinensischen Kräften zusammenzuarbeiten, die den
Kampf gegen die israelische Besatzung fortsetzen wollen. Das was Tag für Tag
geschieht, zeigt unmissverständlich, dass der einzige Weg, den die Palästinenser
und die Moslems haben, der des Jihad ist.
Gleichzeitig sind wir bereit, uns an der Regierung jedes Stückchens befreiten
Bodens zu beteiligen. Nach dem Scheitern von Oslo hat keine palästinensische
Kraft das Recht seine angebliche Vorherrschaft zu behaupten. Alle
palästinensischen Kräfte, die gegen die Besatzer gekämpft haben, werden auf dem
befreiten Boden mit gleicher Würde und politischem Gewicht regieren.“
Alle erwarten nach den
Morden an Yassin und Rantisi
eine neue Welle von Selbstmordanschlägen. Bereits in der Vergangenheit habt Ihr
als Antwort auf blutige israelische Militäroperationen Repressalien verübt.
Hamas sollte sich jedoch fragen, ob es richtig ist, unschuldige Zivilisten zu
töten. Nicht die Zivilisten zu treffen, ist nicht nur für Israel eine Pflicht,
sondern auch für die Palästinenser. Die Vendetta wird im Übrigen nicht dazu
dienen, Euch von der Besatzung zu befreien…
„Wir antworten auf die
israelische Aggression, die nicht nur die politischen Führer, sondern auch sehr
viele unschuldige Palästinenser, unsere Häuser, unsere Wirtschaft, ja sogar
unsere Bäume auf’s Korn nimmt. Sie greifen uns an und
wir verteidigen uns. Gebt uns die F-16, die Hubschrauber und die Panzer, die
Amerika Israel liefert und wir werden einen Krieg zwischen Armeen führen.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover