Antifa-AG
der Uni Hannover & Gewerkschaftsforum Hannover:
Wir
hatten bereits mehrfach über den landesweiten Aktionstag gegen die
Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse und Einkommen in Italien (San Precario)
am 6.November 2004 berichtet, der aufgrund der guten Beteiligung an der
zentralen Demonstration in Rom, aber auch aufgrund der selbst organisierten
Preisreduzierungsaktionen in einem „Panorama“-Großmarkt und einer Filiale der
linksliberalen Feltrinelli-Buchhandlungskette für große Aufmerksamkeit sorgte.
Das breite Medienecho skandalisierte zwar die beiden „proletarischen Einkäufe“,
wie sie sie in Anspielung auf kollektive Enteignungsaktionen der 70er Jahre
nannte, anerkannte aber zugleich, dass ein gravierendes Prekarisierungsproblem
existiert und forderte die bürgerlichen Parteien zum Handeln auf. Irgendwelche
Verbesserungen für die von der Prekarisierung Betroffenen (die längst keine
„Randgruppe“ mehr sind) gibt es bis heute natürlich keine, dafür aber eine
zunehmende Repression, um den Protest zu kriminalisieren und zu unterdrücken. Über
den bis heute bekannten Stand der Dinge berichtet die linke Tageszeitung „il
manifesto“ vom 12.5.2005:
„Sozialer Einkauf“: Fünf
Verhaftungen wegen Raub
Hausarrest für 5 Protagonisten der
Aktionen gegen die hohen Lebenshaltungskosten am 6.November 2004 in Rom.
Darunter Nunzio D’Erme. Meldepflicht für weitere 14 Militante.
SARA MENAFRA – ROM
Die Verfügung, mit der das
Berufungsgericht in Rom gestern nach dem Einspruch des Staatsanwalts Salvatore Vitello, der seit Januar 2005 die
Protagonisten des „sozialen Einkaufs“ vom 6.November im Panorama-Großmarkt und
in der Feltrinelli-Buchhandlung des schweren Raubes beschuldigt, statt gab,
geht fast noch über die Rekonstruktion der Anklage hinaus. Vor allem weil die
von Francesco Taurisano unterzeichnete Anordnung, die im Januar geforderten
Inhaftierungen bestätigt: Hausarrest für 5 Personen, darunter den <seinerzeit auf der offenen Liste
von Rifondazione Comunista gewählten>
unabhängigen Stadtrat Nunzio D’Erme (zusammen mit Luca Blasi, Francesco
Brancaccio, Paolo Do und Giovanna Cavallo) und tägliche Meldepflicht in der
Zeit von 12 bis 13 Uhr für weitere dreizehn (Maurizio Precoma, Francesco
Raparelli, Giordano Luparelli, Vanessa Mascia, Guido Farinelli, Lorenzo
Sansonetti, Francesco Ciccarelli, Giogiana Viccaro, Emiliano Viccaro, Antonio
Salerno, Anubi Lussurgiu D’Avossa, Guido Lutrario sowie Alberto De Nicola).
Daneben aber auch – und das
ist das Beunruhigendere – weil die Anordnung auf den 68 Seiten die von Staatsanwalt
Vitello erhobene Anklage wegen schweren Raubes in vollem Umfang teilt. Der
Richter schließt sogar mit den Worten: „Die gesicherten und nicht zu
verfälschenden, erkennbaren Spuren belegen, dass die Idee der gewalttätigen und
vorsätzlichen sozialen Kontraposition von ihrer Verwirklichung auf der
Erscheinungsebene nicht zu trennen ist. Eine gewalttätige und zu Übergriffen
neigende Idee, die das von den Beschuldigten mit Leben erfüllte originäre
Modell des sozialen und ökonomischen Kampfes ist.“
Ganz anders sieht die
Erinnerung der mehreren hundert <im Panorama-Supermarkt real knapp 170 Personen !> aus, die an dem Aktionstag zum San Precario
teilnahmen und daran erinnern, dass die Aktion am Morgen im Panorama-Markt als
eine generelle „selbst organisierte Preisreduzierung“ gedacht war. Weshalb auch
die gestern zugestellte Verfügung von wiederholten Forderungen nach
„Preisnachlässen von 70%“ spricht, ohne allerdings hinzuzufügen, dass der
Filialleiter diese ins Spiel brachte. Was dann im Chaos endete, weil ein
Dutzend Leute, mit vollen Einkaufswagen und ohne zu bezahlen, den Laden verließ.
Vollkommen friedlich war hingegen das Eindringen in die Feltrinelli-Filiale.
Eine Aktion einer Gruppe von Leuten, die durchgeführt wurde, während die San
Precario-Demonstration den Largo Argentina entlang zog und entstanden als
kostenlose Verbreitung von Piraten-DVD’s, um den „freien Zugang zum Wissen“
einzufordern. Und die klassischen Gesten der Gewalt jedes Raubes, der etwas auf
sich hält ? Selbst die Verfügung nennt nur eine einzige: den einem „Gorilla“
der Wachschutz-Firma im Supermarkt versetzten Faustschlag. Und ansonsten – den
Tönen der abschließenden Betrachtung zum Trotz – eine lange Auflistung von Äußerungen
von Kassiererinnen, die verzweifelt waren, weil sich einige Jugendliche auf die
Förderbänder gesetzt hatten. Mehr ist da kaum zu finden und doch schlussfolgert
der Richter: „Die Mitbeschuldigten verüben einen Angriff auf die psychologische
Freiheit der Opfer, welche sich infolgedessen in einem Zustand absoluten
Gewissenszwanges befanden.“
Unter Anklage stehen – so
führt der Richter aus – alle diejenigen, die sich an den Aktionen beteiligten
und Teil „eines organisierten kollektiven Subjektes“ waren. Eine hässliche
Passage – um so mehr weil viele der hier genannten Personen seit ein paar
Wochen der ‚Bildung einer kriminellen Vereinigung’ beschuldigt werden, deren
Ziel die Besetzung von Gebäuden als Mitglieder der „ungehorsamen“ („disobbediente“)
Vereinigung Action war. Diese Hypothese wurde, mitsamt den daraus
folgenden Forderungen nach Hausarresten, wiederum vom Staatsanwalt Vitello
formuliert und am 23.Mai wird es die erneute Diskussion vor dem
Berufungsgericht geben.
„Es ist sehr schwerwiegend“
– erklärt Guido Lutrario (einer der Leader der römischen Disobbedienti)
– „dass der Richter bei der Entscheidung darüber, bei wem er Hausarrest
anordnet und bei wem nicht, sogar Anzeigen oder Ermittlungen berücksichtigt
hat, die mit einem Freispruch endeten. Bei Nunzio (D’Erme; Anm.d.Red)
kommt zum Schaden noch der Spott hinzu: 1984 wurde ihm wegen ‚Bewaffneter
Bande’ der Prozess gemacht und er dann freigesprochen. Und nun ist das der
erste Punkt, weshalb sie ihn in Hausarrest stecken wollen.“
Alle Beschuldigten haben
bereits wissen lassen, dass sie beim Berufungsgerichtshof Widerspruch einlegen
werden und die Sache verspricht sich in die Länge zu ziehen: Mindestens 6 oder
7 Monate Wartezeit. In der Zwischenzeit, kündigt der Rechtsanwalt Marco
Lucentini an, „werden die Kampffelder, auf denen wir uns engagieren, die
Straffreiheit in allen juristischen Verfahren sein, die gegen die Bewegungen
anhängig sind und zwar durch eine Amnestie und die Reform des
Strafgesetzbuches, um all jene Straftatbestände zu beseitigen, die im
allgemeinen benutzt werden, um die sozialen Kämpfe zu verfolgen.“
Vorbemerkung,
Übersetzung und Einfügungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni
Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover