Das folgende Interview erschien in der links-unabhängigen Tageszeitung
“il manifesto” vom 3.2.2001 aus Anlaß des 10. Jahrestages der
Gründung des Partito della Rifondazione Comunista (Partei der kommunistischen
Neu/be/gründung - PRC) und wurde mit deren Sekretär Fausto Bertinotti
geführt:
Ein Jahrzehnt im Sturm erlebt
Vor 10 Jahren entstand der PRC. Der Bruch mit <der
Regierung> Prodi,die Spaltungen, der Widerstand und der Versuch die kommunistische
Tradition zu erneuern in der Rekonstruktion von Fausto Bertinotti.
Andrea Colombo und Valentino Parlato
Vor 10 Jahren entstand der Partito della Rifondazione Comunista. Viele der
Exponenten des PCI, die sich damals entschieden hatten <dem letzten PCI-
und ersten PDS-Vorsitzenden> Achille Occhetto nicht zu folgen und eine
neue kommunistische Partei ins Leben zu rufen, haben den PRC in der Zwischenzeit
verlassen, der Gründer und Parteipräsident Armando Cossutta inbegriffen.
Im Gegenzug gehörte der heutige PRC-Sekretär Fausto Bertinotti
nicht zu der Gruppe, die die Spaltung von 1991 in die Wege leitete. Er entschloß
sich erst bei einer zweiten Gelegenheit die Partei der demokratischen Linken
(PDS) zugunsten von Rifondazione zu verlassen. Diese Tatsache würde
ausreichen, um deutlich zu machen wie zerrissen und tumultös das Leben
dieser Partei im Jahrzehnt des Übergangs Italiens gewesen ist.
Wenige Monate vor einer Wahl, die in der einen oder anderen Weise einen Wendepunkt
im politischen Geschehen Italiens markieren wird, bitten wir Bertinotti eine
Bilanz dieses Jahrzehnts zu ziehen. Über die Allianz mit dem Olivenbaum-Bündnis,
den Sturz der Regierung Prodi, die Spaltungen, aber auch über den Versuch
eine “kommunistische Massenpartei” ins Leben zu rufen, die nicht bloß
eine Neuauflage des alten PCI in kleinerem Format ist.
Wie würdest Du jene vor 10 Jahren getroffene Entscheidung den PCI
zu verlassen und den PRC ins Leben zu rufen, heute bezeichnen ?
“Gerade weil ich damals nicht dabei war, kann ich es mit der größten
Ruhe sagen: Es war ein bedeutender Akt. Diejenigen, die damals die Spaltung
beschlossen, ahnten eine Sache, die auf den Augenblick bezogen nicht einfach
zu sehen war, die dann aber immer deutlicher geworden ist: Das Bedürfnis
nach einer kommunistischen Formation als notwendiges, wenn auch nicht ausreichendes,
Element für die Organisation des Widerstandes.”
Wie sehr hat in diesen Jahren die Tatsache die Entwicklung des PRC belastet,
daß es ein sicherlich nicht innovativer Bestandteil wie der von Armando
Cossutta geleitete war, der die Gründung zelebrierte ?
“Rifondazione ist von untereinander sehr verschiedenen Komponenten gebildet
worden - nicht nur von den Cossuttianern. Es gab darunter auch Bereiche,
die sich außerhalb des PCI befanden. Die reichen zurück bis in
die Zeit unmittelbar nach der PDUP1. Gewiß, das Spektrum hätte
breiter sein können. Es hätte der gesamte Bereich dabei sein können,
der innerhalb des PCI gegen die Auflösung opponierte. Und es hätten
jene Kräfte außerhalb des PCI dabei sein können, die stärker
mit der sozialen Linken und der Erbschaft <der autonomen Bewegung>
von 1977 verbunden waren. Aber man muß sagen, daß Rifondazione
immer dieses breitere Spektrum anvisiert hat. Das belegen auch die Eintritte
in die Partei in diesen Jahren - zuletzt jener von Giorgio Cremaschi.”
Es stimmt, es hat Neueintritte gegeben, aber auch viele, sehr viele Austritte.
Praktisch fast die gesamte Leitungsgruppe, die den PRC ins Leben rief, ist
heute aus der Partei raus. Man könnte daher zu der Aussage kommen, daß
die Rifondazione des Jahres 2001 mit jener von 1991 wenig zu tun hat. Ist
es so ?
“Es gibt innerhalb Rifondaziones einen stabilen Kern aus dem Volk der Linken,
der das Hauptbildungselement repräsentiert. Es hat eine enorme Veränderung
in der Leitungsgruppe gegeben und es hat auch einen sehr starken und kontinuierlichen
Austausch unter den Mitgliedern gegeben. Aber diese permanente Bewegung der
Leitungsgruppe und der Mitglieder stützt sich auf jenen stabilen Kern
des Volkes der Linken, deren Existenz an sich ein enormes Problem kennzeichnet:
die Notwendigkeit nämlich dieses Volk zu verteidigen und zusammen mit
diesem Volk das neue zu schaffen.”
So wie wenn man sagt, daß Rifondazione in gleichem Maße aus
Nostalgie und aus Hoffnung gemacht ist ?
“Ja, aus Nostalgie und Hoffnung, aber auch aus programmatischen Elementen
wie der 35 Stunden-Woche oder dem sozialen Lohn.” <d.h. einer staatlichen
Arbeitslosenunterstützung für länger als 1 Jahr Arbeitslose
!>
Wenn Du zurückschaust, denkst Du dann nicht, daß man die beiden
Spaltungen hätte vermeiden können ?
“Nein. Ohne die Entscheidungen, die zu den beiden Spaltungen führten,
würde der PRC heute nicht mehr existieren. Wenn wir <die beiden Regierungen
/d.Ü.> Dini und Prodi akzeptiert hätten, gäbe es kein alternatives
Subjekt mehr, sondern nur den Nebel der Mitte-Linken. Der wirkliche Gründungsakt
in der Geschichte des PRC ist der Bruch mit Prodi gewesen. Hier ist der Punkt
gewesen, wo Rifondazione am Scheideweg zwischen der Verteidigung der <eigenen
/d.Ü.> Autonomie und der Regierung, zwischen der Gleichschaltung
(omologazione) und dem Bruch, den Bruch gewählt hat.”
Aber wenn der Bruch mit Prodi der Gründungsakt der Partei gewesen
ist und der Bruch mit Cossutta <beides im Oktober 1998> Euch von der
konservativen Erbschaft befreit hat, die seit der Gründung auf dem PRC
lastete, warum habt Ihr dann in der Konsequenz mit einem Gründungskongreß
geantwortet ?
“Einen Moment. Ich habe jene Spaltung nicht gewollt, ich habe sie erlitten.
Ich habe sie nicht als ein befreiendes Moment gesehen. Die Neu(be)gründung
(la rifondazione) kann nicht nur von einer Komponente durchgeführt werden.
Der kulturelle Pluralismus in ihrem Innern ist entscheidend. Und in der Tat
sind Männer und Frauen, die aus jener <früher von Armando Cossutta
repräsentierten> Kultur kommen, noch im PRC.”
Kommen wir zur Spaltung von ’91. Warum hast Du und haben viele andere
damals beschlossen, der neuen Partei nicht beizutreten ?
“Weil wir uns geirrt haben. Oder ich zumindest habe mich geirrt. Wir dachten,
daß der PDS der Bezugspunkt der Arbeiterklasse, der übergroßen
Mehrheit der abhängigen Arbeit geblieben wäre. Das war ein Fehler
der Prognose, der sich seinerseits auf einen Fehler in der Analyse gründete:
Wir waren der Meinung, daß aus der Auflösung des PCI eine sozialdemokratische
Partei entstanden wäre, in der es möglich wäre, einen linken
Kampf zu führen, um so mehr nach dem Ende des demokratischen Zentralismus.
Wir glaubten, daß es eine offene Partei wäre. Wir dachten, daß
die Gleichschaltung des PCI bereits an sich so tiefgreifend gewesen wäre,
daß man sich notwendigerweise eine gewisse Kontinuität geben müßte,
so dramatisch wie die Auflösung war. Wir sahen nicht, daß man
daran ging, nicht nur einen Bruch mit der kommunistischen Bewegung, sondern
mit der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung vorzubereiten. Einen Bruch,
der die Partei vollständig von ihrer sozialen Basis abgekoppelt hätte.”
Seit seiner Gründung (zumindest auf dem Papier) hat sich der PRC
das ehrgeizige Ziel gesetzt, nicht nur die kommunistische Erbschaft zu verteidigen,
sondern sie auch zu erneuern. Was bedeutet diese Formel für Dich ?
“Sie bedeutet, einen Bruch in entgegengesetzter Richtung als die bisher durchgeführten
Brüche zu vollziehen, jene die mit der Geschichte der Arbeiterbewegung
gebrochen haben. Sie bedeutet, nicht den PCI wiederherstellen oder eine neue
sozialdemokratische Partei ins Leben rufen zu wollen, sondern die Frage der
Aktualität des Kommunismus neu zu stellen. Sie bedeutet sogar, sich
klarzumachen, daß es der neue Kapitalismus selbst ist, der die Aktualität
des Kommunismus aufwirft.”
Könnte man - mit einer altertümlichen Formel - sagen: “Erneuerung
in der Kontinuität” ?
“Ja, unter der Voraussetzung, daß man mit Kontinuität diejenige
der Arbeiterbewegung meint. Das was im 20. Jahrhundert entstanden ist, der
Einbruch der Massen <in die Geschichte> und das Ziel der Überwindung
des Kapitalismus ist keine abgeschlossene Geschichte.”
Zuvor hast Du von der Notwendigkeit gesprochen, den Widerstand gegen den
triumphierenden neuen Kapitalismus zu organisieren. Aber hat dieser Widerstand
dann nicht negativ auf die Erneuerungsversuche gewirkt ?
“Er hat sich auf dramatische Weise ausgewirkt. Aber unter den von der Linken
begangenen Sünden ist die schwerwiegendste die gewesen, die Notwendigkeit
zu vergessen, Widerstand zu leisten. Die Unterlassung von Widerstand ist
die Hauptsünde gewesen.”
In den letzten Jahren war die am häufigsten gegen Deine Partei und
Dich persönlich vorgebrachte Beschuldigung diejenige, die Opposition
um jeden Preis zu wollen und keine Linke zu wollen, die auch Regierungskraft
ist. Was antwortest Du auf diesen Anklagechor ?
“Die Opposition und ihre Rolle müssen neu bewertet werden - um so mehr
in der Phase des Sieges der Rechten über die Linken in der Gesellschaft
und in der kulturellen Hegemonie. Aber gleichzeitig denke ich auch an eine
Neukennzeichnung der Regierungsaktivität, an die Regierung als reformistischer
Kraft. Die Realität ist die, daß unsere Berufung auf die Regierung
ehrgeiziger, schwieriger und engagierter / verpflichteter ist als diejenigen,
die die letzten Jahrzehnte gekennzeichnet haben. Ich denke - um ein Beispiel
zu geben - daß man seitens der Regierung den Mindestlohn einführen
und so den prekär Beschäftigten die Grundlage geben könnte,
um sich als konfliktbereite Subjekte zu konstituieren... Ich denke an eine
Definition der italienischen Erfahrung, die in Frankreich Anfang der 60er
Jahre gegeben wurde: als ‚reformistisch-revolutionär‘.”
Welche Perspektive siehst Du für die Zeit nach den Wahlen auf der
Linken ?
“Viel wird natürlich von deren Ausgang abhängen. Aber meiner Ansicht
nach bleiben die Etappen für die Rekonstruktion der Linken im wesentlichen
drei: Die Neu(be)gründung einer kommunistischen Massenpartei. Die Rekonstruktion
einer antagonistischen, alternativen und antikapitalistischen Linken, die
breiter ist als diese kommunistische Partei, die auch Teil davon ist. Und
schließlich die Konstituierung einer pluralen Linken, die von jener
alternativen und von der gemäßigten Linken gebildet wird, wobei
ich mit dieser Definition jene Linke meine, die keine antikapitalistische
Position einnimmt. Meine große Sorge ist die, daß ich in der
gemäßigten Linken alles sehe, nur nicht das. Eine sozialdemokratische
Komponente gibt es <da> einfach nicht.”
Übersetzung sowie Anmerkungen (in eckigen Klammern und am Schluß):
Antifa-AG der Uni Hannover