Antifa-AG der Uni Hannover &
Gewerkschaftsforum Hannover:
Wie bereits an anderer Stelle
betont, hat der Neoliberalismus seit einiger Zeit auch die Schweiz erreicht und
zu einer Reihe einschneidender Veränderungen im bis dato scheinbar unantastbaren
sozialpartnerschaftlichen Modell geführt. Für die Lohnabhängigen sind
Prekarität und sinkender Lebensstandard längst keine Fremdworte mehr. Wie das
für die Erwerbslosen im reichen Zürich aussieht, zeigt die folgende Titelstory
aus der Wochenzeitung der Partei der Arbeit (PdA) „vorwärts“ vom 2.9.2005.
Die dort dargestellten „1.000
Franken-Jobs“ (1.000 Franken = 645 Euro), wurden erstmals Ende der 90er Jahre (ebenfalls
in Zürich) als Idee lanciert. Damals scheiterten sie allerdings am Widerstand
der Gewerbetreibenden. Nun wurde – offenkundig aufgrund der von verschiedener
Seite geäußerten Kritik – laut „Neue Zürcher Zeitung“ vom 22.September 2005 am Ende
beschlossen, dass die betroffenen „Sozialhilfeempfänger zu Löhnen zwischen
1.600 und 3.200 Franken (= 1.032 bis 2.064 Euro) beschäftigt“ werden, „wobei
die Sozialhilfegelder entsprechend gekürzt werden“ und zwar „je nach
individueller Produktivität“ ! „Um die
Höhe des jeweiligen Einkommens wird, bis auf einen Freibetrag von rund 600
Franken (= 387 Euro), die Sozialhilfeleistung heruntergefahren und somit die
Staatskasse entlastet.“ Arbeiten sollen die Erwerbslosen halbtags als Brötchenschmierer
und Hilfskellner (nobel formuliert: im „Catering-Service“), als Straßenbahn-Putzer(innen)
und natürlich als Dienstboten für das gehobene Bürgertum.
Bezeichnend ist auch, dass diese
unsoziale Gegenreform, ähnlich wie in der BRD, von einer Grünen-Politikerin
vorangetrieben wird. In Zürich ist es die grüne „Sozialvorstehern“ und
ehemalige Nationalrätin Monika Stocker (57). Bei uns in Hannover handelt es
sich um den ehemaligen Leitungskader des Kommunistischen Bundes (KB), späteren
Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Niedersächsischen Landtag, dann
Staatssekretär der „rot-grünen“ Bundesregierung und nun grünen „Dezernenten für
Soziale Infrastruktur“ der Stadt Hannover, Erwin „Pico“ Jordan (52). Dieser Ex-Linke
hat es sich – neben der „Reform“ des lokalen Krankenhauswesens – zur Aufgabe
gemacht, als Co-Chef der lokalen öffentlichen Arbeitsagentur ARGE, die Zwangsarbeit
für 1 Euro die Stunde zu „entbürokratisieren und auszuweiten“, da Hannover –
seiner Ansicht nach – von diesen Ekel-Jobs noch viel zu wenig und bei ihrer Einführung
zu viele Skrupel hat. 1968 und die 70er Jahre sind wahrlich lange vorbei. Das sieht
man auch daran, dass die Opposition gegen diesen nachhaltigen olivgrünen
Neoliberalismus nicht nur von den Erwerbslosengruppen und der regionalen
DGB-Führung, sondern sogar schon von den Vertretern des hannoverschen Handwerks
kommt !
Blicke in die 1.000 Franken-Welt
wa. Der „Tabubruch“ war für Monika Stocker nur der Türöffner. Mit dem
Gerede über die 1.000 Franken-Jobs macht die grüne Chefin des Zürcher
Sozialdepartements den Weg frei für einen radikalen Umbau des zweiten Arbeitsmarkts.
Mit Folgen auch für die SozialhilfeempfängerInnen.
Vom Folgenden wird die Öffentlichkeit erst im Laufe des Septembers
erfahren. Am 24.August hat der Zürcher Stadtrat grünes Licht gegeben für ein
neues Zauberstücklein von Monika Stocker. In den nächsten zwei Jahren wird der
zweite Arbeitsmarkt der Limmat-Metropole von heute 600 auf 1.050
Jahresarbeitsplätze ausgebaut. Monika Stocker hat versprochen, diesen Ausbau
ohne Mehrkosten zu vollziehen.
Der Prozess ist lange vorbereitet worden. Vor einem Jahr hat die grüne
Stadträtin ihren Chefsanierer in die Abteilung „Soziale Einrichtungen und
Betriebe“ umplatziert. Was damals als Strafversetzung von Reto Gugg hätte
interpretiert werden können, bekommt jetzt Sinn. Der „Ressourcen-Manager“ hat
den Umbauplan für die bisher unter dem Titel „Ergänzender Arbeitsmarkt“ (EAM)
firmierende Dienststelle erarbeitet, der kaum einen Stein auf dem anderen
lassen wird.
Im EAM sind eine Vielzahl von Integrationsbetrieben zusammengefasst: von
der Recycling-Werkstätte über die Tram-Putzer und die Anti-Graffiti-Einheit der
Stadt Zürich bis zum Catering-Service
und den Pionieren vom Job-Lade, die immer noch täglich mit Randständigen
in den Wald fahren und den „Tagelöhnern“ am Abend dreißig Stutz auszahlen. Die
Betriebe sind aufgeteilt in Projekte, die der „sozialen Integration“ von
SozialhilfeempfängerInnen dienen, und Einrichtungen der beruflichen
Integration, deren TeilnehmerInnen so rasch als möglich wieder einen regulären
Job finden oder eine Ausbildung anfangen sollen. Bisher gab es 250 Jahresarbeitsplätze
für die „soziale“ und 330 Jahresarbeitsplätze für die berufliche Integration.
Nach dem „Umbau“ werden nur noch 150 Jahresarbeitsplatze für Leute zur
Verfügung stehen, für die die SozialarbeiterInnen keine Jobperspektive auf dem
regulären Arbeitsmarkt mehr sehen. Weitere 150 Jahresarbeitsplätze werden für
die „Basisbeschäftigung“ bereit gestellt, in denen sich neu bei der Sozialhilfe
meldende Personen, die als „arbeitsfähig“ gelten, die ersten vier Wochen
beschäftigt werden. 750 Stellen werden Leuten vorbehalten sein, die für den
ersten Arbeitsmarkt fit gehalten oder fit gemacht werden sollen. Bei diesen
Stellen werden die Gewichte deutlich verschoben: Von den „teuren“
Qualifikationsprogrammen (bisher 380, neu 200 Jahresarbeitsplätze) zu den 1.000-Franken-Jobs
(im Fachjargon Teillohn-Jobs, bisher 120, neu 550 Arbeitsplätze).
Der Umbau hat eine finanzielle Dimension. Bisher gab man pro
EAM-Arbeitsplatz 2.100 Franken <= 1.354,50
Euro> für
die Betreuung aus. Neu stehen nur noch 1.000 Franken <= 645 Euro> pro Monat und Arbeitsplatz zur Verfügung. Zudem werden die zu sozialen
Firmen umgemodelten EAM-Betriebe 50% ihrer Kosten selbst erwirtschaften. Das
ermöglicht den Ausbau des zweiten Arbeitsmarkts ohne Zusatzkosten.
Der Umbau hat auch eine politische Dimension. Am 1.April 2005 sind die
neuen SKOS-Richtlinien <Richtlinien der
„Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe“; www.skos.ch> definitiv in Kraft
gesetzt worden. Diese sehen – neben einer generellen Kürzung der
Sozialhilfeleistungen um rund 10% - die Pflicht zur Arbeitsleistung vor. Wer
Arbeit verweigert, muss zusätzliche Leistungskürzungen in Kauf nehmen.
Umsetzbar ist dieses Programm nur, wenn die Kommunen den
SozialhilfeempfängerInnen auch Arbeitsplätze zuweisen können. Mit ihrem Umbauprogramm
will Monika Stocker in diesem Bereich Pionierarbeit leisten.
Das hat Folgen. Unter den im EAM beschäftigten SozialarbeiterInnen ist im
Sommer ein brutaler Konkurrenzkampf ausgebrochen. Entscheidend ist, ob man neu
als Teillohnbetrieb auf den Markt geworfen wird oder weiterhin in einem
Qualifizierungs- oder Integrationsprogramm arbeiten darf. Den „Kulturwandel“
von der sozialen Arbeit zum Manager einer „sozialen Firma“ werden viele nicht
mitmachen können – oder wollen... zumal wieder einmal kein Geld für den
Transformationsprozess zur Verfügung steht. Der Konkurrenzkampf dürfte noch
härter werden, wenn Dritte sich um „Teillohn-Jobs“ bewerben: Zum Beispiel ein
„Zulieferer“ der Verkehrsbetriebe VBZ, die beschlossen haben, ihre
Fahrzeugreinigung auszulagern.
Folgen hat der Umbau auch für die SozialhilfeempfängerInnen. Wer beim
„Matchingprozess“ den nicht in den Arbeitsmarkt reintegrierbaren Personen
zugeteilt wird, dürfte nur noch wenig Chancen haben, an einem Beschäftigungsprogramm
teilnehmen zu dürfen. Die anderen, die als arbeitsfähig eingestuft werden, müssen
die zugewiesenen Arbeiten annehmen, wenn sie nicht empfindliche Kürzungen der
Sozialhilfe hinnehmen wollen. Der sogenannte Einkommensfreibetrag der zu 50%
arbeitenden Teillohn-JöbblerInnen ist provisorisch auf 300 Franken <= 193,50 Euro> festgesetzt worden: Das
entspricht in etwa dem Betrag, der einem Zwei-Personen-Haushalt im Rahmen der
Revision der SKOS-Richtlinien gekürzt worden ist.
Freuen werden sich hingegen all jene, die als KundInnen der im Bereich der „haushaltsnahen
Dienstleistungen“ zu gründenden Teillohn-Jobs in Frage kommen. Sie werden die SozialhilfeempfängerInnen
auf Abruf für Botengänge, Unterstützung in Haus und Garten, Kinderbetreuung und
Transporte bestellen können. Ähnlich wie bei Bioprodukten gebe es für soziale
Firmen in Zürich ein großes Potential, weil es hier noch einen ausgeprägten
Mittelstand und viele Leute gebe, die über viel Geld verfügen, hieß es in einem
Inputreferat, mit dem man den bisherigen EAM-MitarbeiterInnen den Wechsel zum Manager
schmackhaft machen wollte.
Vorbemerkung und Anmerkungen in eckigen Klammern:
Antifa-AG der Uni Hannover und Gewerkschaftsforum Hannover